Was der Auslandskorrespondent an Afrika kritisiert und wieso er dort bleibt
Der erste Triebwerksschaden ereilte die uralte Antonow über Äthiopien. Es knallte laut, dann stand der Propeller still. Immerhin, das Flugzeug hatte insgesamt vier davon. Der russische Pilot landete sicher in Djibouti, die beiden ebenfalls russischen Mechaniker, die bei "Dalloo-Airways" zur Besatzung gehören, setzten geschwind eine Leiter an die Tragfläche, hantierten hektisch mit Schraubenziehern und Zangen, und 30 Minuten später hob der Vogel wieder ab.
von Thomas Scheen
Die zweite Panne ereilte das Flugzeug über Somaliland, jener selbsternannten somalischen Republik im Nordwesten Somalias. Deren Hauptstadt Hargeisa war die zweite Station der aus Nairobi kommenden Dalloo-Maschine, und beim Landeanflug auf den Feld- und Wiesenflughafen spuckte der zweite Motor sein gesamtes Öl auf die Fensterluken. Die Besatzung lud in aller Seelenruhe ihre Ladung aus, die Mechaniker besorgten einen 20-Liter-Eimer, füllten ihn mit Motoröl, das sie wiederum in das zuvor beinahe geplatzte Triebwerk kippten. Es wäre schön gewesen, hätte man die beiden nach der Ursache der Defekte und der mutmaßlichen Restlebenszeit dieses fliegenden Sarges fragen können, nur leider sprach lediglich der Pilot ein wenig Englisch, und der gab sich mundfaul.
Die dritte Station auf dem Weg nach Mogadischu war ein Kaff mitten in Somalia namens Galkaiio, wo die Russen zwei Passagiere und jede Menge Zementsäcke abliefern mussten. Auf halbem Weg dorthin blieb der dritte Motor stehen. Er war immerhin so höflich, die verbliebenen Passagiere nicht mit irgendwelchen explosionsartigen Geräuschen unnötig zu beunruhigen. Er ging einfach aus. Nach der Landung, die übrigens eine butterweiche war, vollführten Dimitrij und Alexander, die beiden Mechaniker, eine ihrer routinierten Notoperationen, und die Antonow hob fast pünktlich wieder ab zu ihrer letzten Station, nämlich Mogadischu.
Da war gerade Krieg zwischen der äthiopischen Armee und den Islamisten der Scharia-Gerichtshöfe, was sowohl die Wahl der risikofreudigen Fluggesellschaft erklärt als auch die unerhört niedrige Flugbahn, mit der der Pilot die Antonow von See her auf den am Strand gelegenen Flughafen zusteuerte – nämlich acht Meter über dem Wasser. Der Grund dafür saß in einem Ruderboot auf der Reede und war mit bloßem Auge zu erkennen.
Zu sehen war außerdem, dass der Kerl gerade eine Panzerfaust auf die herandonnernde Antonow abgefeuert hatte, woraufhin der Pilot die Maschine um weitere drei Meter sacken ließ und kurz Vollgas gab, was den letzten noch intakten Motor dazu veranlasste, in Brand zu geraten, was aber schon deshalb keinem so richtig aufgefallen war, weil plötzlich alles gleichzeitig passierte: das Aufsetzen auf der Landebahn, das Vorbeizischen der Panzergranate, das Entzünden des Triebwerkes. Irgendwie kam die Maschine zum Stehen, Dimitrij und Alexander löschten mit Feuerlöschern das brennende Triebwerk. Auf der Abfertigungshalle, die nichts weiter als ein Hangar ist, verkündete ein großes Schild: Welcome to Mogadiscio.
Solche Geschichten gehören zum Berufsalltag, wenn man als Journalist in Afrika arbeitet. Das Reisen ist abenteuerlich, die Arbeitsbedingungen erst recht, und häufig genug laviert man am Rande der Illegalität, weil die Regierungen keine Berichterstatter im Land haben wollen und deshalb erst gar kein Visum beziehungsweise keine Akkreditierung erteilen. Gefährlich an Afrika sind nicht nur die kriegerischen Auseinandersetzungen, von denen es glücklicherweise immer weniger gibt. Gefährlich sind zudem die zahllosen Krankheiten, die in Afrika lauern und der Zynismus, der sich nach jahrelanger Beschäftigung mit diesem Kontinent zwangsläufig einstellt – weil es im Grunde kaum eine wirkliche Verbesserung der Lebensbedingungen gibt und Afrika in der entwickelten Welt immer nur dann Aufmerksamkeit genießt, wenn Prominente wie Angelina Jolie oder Herbert Grönemeyer etwas für ihr Image als Gutmenschen tun müssen und dabei wie nebenher ein neuer Film oder eine neue CD beworben werden kann.
Ein Kollege beklagte einmal, dass seine Heimatredaktion ihn ständig anhalte, seine Artikel "bei Adam und Eva" zu beginnen, wenn er ein Land oder einen Konflikt beschreiben muss, und dass dadurch kaum Platz für die Analyse bleibe. Das ist frustrierend, weil im Umgang mit Afrika nichts nötiger ist als ein schonungsloser Blick auf die Realität.
Als jemand, der seit fast acht Jahren auf diesen Kontinent unterwegs ist und bis auf eines (Malawi) alle Länder bereist hat, werde ich ständig gefragt, ob Afrika denn überhaupt eine Zukunft habe. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich vermute, Afrika hat tatsächlich eine Zukunft, aber ich bin mir sicher, dass ich sie nicht mehr erleben werde. Die Afrikaner stehen sich bei ihrer Entwicklung selbst im Weg, und ihre Ausreden und ihre Selbstinszenierung als Opfer des Weltkapitalismus klingen hohl. Warum riskieren junge Menschen Kopf und Kragen und versuchen mit seeuntüchtigen Booten nach Europa zu gelangen, wenn doch Afrika unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Durchbruch steht, wie es Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) ständig verkünden?
Das ständig beschworene Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent in den vergangenen Jahren war in erster Linie von der chinesischen Nachfrage nach Rohöl getragen und ist kein nachhaltiges Wachstum. Kongo-Kinshasa wies zum Zeitpunkt seiner Entlassung in die Unabhängigkeit 1960 den gleichen Industrialisierungsgrad auf wie Brasilien. Heute hat das Land nicht einmal mehr Straßen. In Nigeria unterhielten in den siebziger Jahren alle namhaften Automobilhersteller Montagewerke. Peugeot harrt als einziger noch aus, nachdem die anderen vor der grandiosen Korruption kapituliert haben. Dort, wo in Nigeria noch Geld verdient wird, nämlich in der Ölindustrie im Niger-Delta, herrschen beinahe irakische Zustände. Die Ölgesellschaften veröffentlichen mittlerweile die Summen, die sie der nigerianischen Regierung als Tantiemen überweisen, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen.
Und das sind keineswegs Trinkgelder, wie die hauptberuflichen Weltenretter der so genannten Hilfsorganisationen immer behaupten. Das Tantiemen-System ist so gestaltet, dass die nigerianische Regierung umso mehr Geld bekommt, je höher der Preis für ein Fass Rohöl ist. Liegt er bei 70 US-Dollar, erhält Abuja 62 Dollar davon. Nigeria kassiert Milliardensummen und hat keine funktionierende Stromversorgung. Nigeria ist der größte Rohölproduzent Afrikas, aber verfügt über keine einzige Raffinerie, die in Eigenwirtschaft betrieben wird und funktioniert. Einem Präsidenten wie Olusegun Obasanjo wird in Europa der rote Teppich ausgerollt, obwohl die Parteigänger dieses Mannes für dessen beiden "Wahlsiege" buchstäblich über Leichen gegangen sind.
In Angola erleben sie gerade das rasanteste Wirtschaftswachstum der Welt: Bei 28 Prozent wird das Wachstum vermutlich alleine in diesem Jahr liegen dank der großen Ölvorkommen vor der Küste. Die Menschen allerdings haben nichts davon. Höchstens fünf Prozent der Bevölkerung – Politiker und ihre Entourage – profitieren von dem neuen Reichtum. Der angolanische Präsident Eduardo dos Santos gilt als der reichste Politiker Afrikas (noch vor dem toten Mobutu), ist einer der größten Landbesitzer in Brasilien, aber für sein eigenes Volk hat er offensichtlich nichts übrig. Das letzte Mal gewählt wurde in Angola vor mehr als zwölf Jahren.
Die Politik der Geberländer gegenüber solchen Nationen und ihren Eliten aber ist von einer eigenartigen Güte geprägt. Es scheint ausgemacht, die Messlatte in Afrika nicht allzu hoch zu legen. Als der belgische Außenminister Karel de Gucht nach seiner ersten Kongoreise öffentlich bekundete, er sei bei seinen Gesprächen auf Kabinettsmitglieder gestoßen, deren Ahnungslosigkeit und Unfähigkeit ihn regelrecht erschüttert habe, drohte die DR Kongo mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Dabei hatte de Gucht nur ausgesprochen, was alle wissen, dass nämlich ein Großteil des politischen Personals in Kinshasa es in Europa nicht einmal zum Kreistagsabgeordneten bringen würde.
Ohnehin ist Kongo ein Paradebeispiel für die windelweiche Politik gegenüber Afrika, das gleichwohl von Entwicklungshilfegeldern, Weltbankkrediten und Schuldenerlassen lebt. Da bringen die Industriestaaten 500 Millionen US-Dollar für die ersten richtigen Wahlen seit 1960 auf, und der Sieger, nämlich Joseph Kabila, treibt den Verlierer, nämlich Jean-Pierre Bemba, außer Landes. Der deutsche Botschafter protestiert im Namen der Europäischen Union (EU), findet klare Worte gegenüber Kabila, woraufhin sich der Rest der EU von ihm distanzierte und die Entourage Kabilas das Gerücht streute, dem Botschafter drohe ein Anschlag, was wiederum den Bundesnachrichtendienst bewegte, die sofortige Ausreise des Diplomaten zu veranlassen.
Glaubwürdigkeit gewinnt man so nicht. Da sich mittlerweile aber herumgesprochen hat, dass Kabila nun wirklich nicht die Idealbesetzung ist, überschüttet das diplomatische Korps den Senatspräsidenten Kengo wa Dongo mit Freundschaftsbekundungen. Der war schon unter Mobutu Ministerpräsident und ist unerklärter Landesmeister in der Disziplin "Schwere Unterschlagung". Der Mann gehört nicht in den Senat, sondern vor ein Gericht, und es ist verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit europäische Politik über Kengo wa Dongos Vergangenheit hinweggeht und den Mann zum neuen Hoffnungsträger erklärt.
Die Wahrheit ist, dass die Menschen in Afrika ihre Hoffnungen längst aufgegeben haben. Der Kontinent sitzt auf gepackten Koffern, und er hat allen Grund dazu. Es ist ja nicht nur die Korruption und – viel schlimmer noch – die Inkompetenz der Eliten, die Entwicklung hemmen. Ein weiterer Punkt ist die Sozialstruktur Afrikas, die Individualität nicht duldet. Die Gruppe – namentlich die Familie – entscheidet, nicht der Einzelne. Ein Beispiel aus der Elfenbeinküste: Dort wollte der Direktor der Niederlassung einer deutschen Firma seinen Betrieb dahingehend "afrikanisieren", dass er statt Europäer Afrikaner mit europäischer Ausbildung einstellen wollte.
Er schaltete Anzeigen in Frankreich, fand auch einige vielversprechende Kandidaten, doch als diese hörten, dass die neue Stelle sie zurück in ihr Ursprungsland bringen werde, winkten alle ab. Trotz Angeboten, die dasselbe Gehalt wie das der Europäer umfassten, Dienstwagen, Dienstvilla und regelmäßige Business-Class-Flüge zurück nach Frankreich. Der Grund war, dass diese sehr gut ausgebildeten und damit gut verdienenden Ivorer unter keinen Umständen wieder in die Reichweite ihrer Familien geraten wollten, die sie auszupressen drohten wie Zitronen.
In Europa werden die afrikanischen Großfamilien gerne als soziales Netz dargestellt. Das ist grundfalsch. Afrikanische Familien sind Erpresserbanden, die keinen ungeschoren davonkommen lassen. Wer sich dem Zugriff zu entziehen versucht, wird "verhext", was bedeuten kann, dass er vergiftet wird. Das sind keine Schauergeschichten, das ist gelebter Alltag. In Asien arbeiten die Mitglieder einer Familie für das gemeinsame Wohl. In Afrika arbeitet einer für das Wohl aller und der Rest legt sich auf die faule Haut. Laut sagen darf man das aber nicht, weil es politisch nicht korrekt ist.
Insofern: Afrika ist ganz schön desillusionierend. Und eine Antwort auf die Frage, warum einer sein Geld dergestalt verdient, mit verrückten Russen in altersschwachen Flugzeugen in ein Raubtiergehege wie Mogadischu zu reisen statt sich ein schönes Pöstchen in sagen wir Brüssel zu angeln, ist nach den geschilderten Zuständen nur schwer zu finden. Vielleicht liegt sie in dem anderen Afrika begründet. Dem Afrika, das für alles entschädigt: die grandiosen Weiten der Kalahari-Wüste, das alte Söldner-Hotel im kongolesischen Bukavu, die biblischen Landschaften Äthiopiens, die quirligen Städte Westafrikas, die erhabene Gelassenheit der Muslime im Sahel, die Gastfreundschaft der Somalier. Man sagt, dass jeder, der es länger als drei Jahre in Afrika ausgehalten hat, für immer bleibt. Trotz allem. Vermutlich stimmt das sogar.
aus: der überblick 04/2007, Seite 27
AUTOR(EN):
Thomas Scheen
Thomas Scheen ist seit sieben Jahren Afrikakorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", seit 2005 mit Sitz in Johannesburg.