Das wars - wie Gewinner zu Verlierern wurden
Vor einem Jahr hat "der überblick" über ein damals einmaliges Fernsehkonzept in Argentinien berichtet: Eine Fernsehshow, in der Arbeitslose einen Arbeitsplatz gewinnen konnten. Die Autorin hat jetzt, ein Jahr danach, recherchiert, wie es den "Gewinnern" ergangen ist.
von Antje Krüger
Langanhaltender Applaus begleitete die Übergabe des begehrten Martín-Fierro-Preises, dem "Oscar" des argentinischen Radios und Fernsehens. Schon Wochen vor dem 3. Juni 2003 wurde spekuliert, welche Serie, welcher Moderator, welcher Kanal die meisten Trophäen davon tragen würde. Prämiert wurden die besten Nachrichtensprecher, die beste Comedieshow, der beste Sportkommentator und die beste Servicesendung. Die TV-Show Recursos Humanos (Arbeitskräfte) (vergl. "der überblick" 3/2002) hatte es geschafft. Der Service: die Vermittlung von Arbeitsplätzen. Nicht Millionen wurden in dieser Show gewonnen, sondern ein halbjähriger Vertrag als Tankstellenwärter, Kassiererin, Krankenschwester oder Reinigungskraft.
Die Produzenten von Recursos Humanos hatten mit diesem ungewöhnlichen und damals auf der ganzen Welt einmaligen Konzept ins Schwarze getroffen. Denn als im April letzten Jahres die Sendung aus der Taufe gehoben wurde, lag Argentinien brach. Auf über 20 Prozent war die offizielle Arbeitslosenzahl gestiegen, die Dunkelziffer lag spürbar weit höher. Mehr als die Hälfte der argentinischen Bevölkerung war in bitterster Armut versunken. Recursos Humanos bot ihnen Hoffnungsschimmer und Strohhalm zugleich. Stundenlang standen täglich Hunderte von Arbeitssuchenden beim "Casting" an. Nur zwei je Sendung schafften es bis ins Studio. Es flossen viele Tränen, es flimmerten immer wieder die gleichen Aufnahmen der privaten Misere der Kandidaten über den Bildschirm Kinder, die aus Hütten lugen, abgearbeitete Hände, die Brote schmieren, der todkranke Opa, alles begleitet von schluchzenden Geigen. Das Publikum wählte, wer den Preis davon tragen sollte, wer ein halbes Jahr arbeiten durfte.
Recursos Humanos gibt es nicht mehr. Im November 2002 wurde die Sendung eingestellt mangels ausreichender Zuschauerquoten. Aber die Telefone in der Redaktion klingelten damals Sturm. "Die Leute haben protestiert. Sie haben beim Kanal angerufen, haben gefragt, 'Wie könnt ihr das Programm absetzen?' Die waren wütend, denn den Leuten hat das ja viel gebracht", erinnert sich die Produzentin Andrea Gual. Canal 13 aber hat die Rechte an dem Sendekonzept inzwischen an den Sony-Konzern verkauft. So gibt es jetzt oder demnächst per TV Arbeitsplätze in Lissabon, Hongkong und Berlin zu gewinnen. Über eine Neuauflage des Programms in Argentinien wird trotz Martín-Fierro-Preis jedoch nicht nachgedacht.
Dabei hat sich an Argentiniens Situation kaum etwas geändert. Nur die Macht der Gewöhnung gaukelt vor, dass heute normal ist, was im Dezember 2001 die Argentinier noch auf die Barrikaden trieb. In einer Nation, die zehnmal so viele Nahrungsmittel produziert wie ihre Bevölkerung braucht, sterben nach wie vor Kinder des Hungers. Den Müll anderer nach verwertbaren Resten zu durchsuchen, ist noch immer die einzig mögliche Überlebenschance für Hunderttausende. Andere besetzten leerstehende Fabriken und kämpften so unter großen Entbehrungen für ihren eigenen Arbeitsplatz (vergl. "der überblick" 1/2003). Täglich sperren die sogenannten Piqueteros, die Arbeitslosen, landesweit die Straßen, da die Möglichkeit zum Streik ihnen nicht mehr gegeben ist.
Die Talfahrt der Wirtschaft ist inzwischen gestoppt zumindest in den Statistiken. Argentinien fuhr zwei Mal hintereinander Rekordernten ein und in einigen Sektoren wie in der Metallindustrie, der Fleischverarbeitung und der Tourismusbranche werden wieder Arbeitskräfte benötigt. Auch macht Argentiniens neuer Präsident, der Peronist Néstor Kirchner, mit seinem resoluten Vorgehen gegen Korruption und Vetternwirtschaft Hoffnung. Am Alltag der meisten Argentinier aber, an der Not und Ausweglosigkeit, in die große Teile der Bevölkerung im letzten Jahr gerissen wurden, ändern die Exportgewinne, die Neubelebung des inneren Marktes und die Stabilisierung des Wechselkurses jedoch bislang noch herzlich wenig.
Rückblende: Die Hymne von Recursos Humanos versprach Hoffnung im kalten argentinischen Winter des letzten Jahres. Moderator Néstor Ibarra verkündete lächelnd, dass schon 160 glückliche "Gewinner" ihren Arbeitsvertrag im Studio unterschrieben hätten. Im Hintergrund an den kleinen Tischen sitzen, die Aufregung mühsam bekämpfend, die Kandidatinnen der Sendung vom 26.07.2002, Stella Maris Brizuela und Leonor del Valle Almada, beide über 50 Jahre alt, allein erziehend, seit Monaten arbeitslos. Als der Tango ertönte, lösten sich die verkrampften Hände von Stella Maris Brizuela ein wenig. Jetzt durfte sie im Fernsehen zeigen, was sie konnte. Jetzt galt es, das Publikum zu überzeugen: Für einen Platz als Reinigungskraft tanzte sie durchs Studio. Leonor Almada schaute von ihrem Platz aus zu, den Zeigefinger an den Mund gepresst. Auch sie hoffte auf die Stelle bei der Firma SEISO. Es ging um viel: um 270 Pesos (damals umgerechnet 77 Euro) Lohn monatlich.
Die Firma SEISO, so zeigte es die Werbung, säubert Büros, Gärten, Parks und Fenster. In Uniform wedelten die Angestellten im Video zwischen Schreibtischen umher, wischten lächelnd Staub von Rollos. Eine angenehme Aussicht in verzweifelten Zeiten. Leonor Almada gewann die Stelle mit 51 Prozent der Zuschauerstimmen. Stella Maris Brizuela hatte der Tango nichts genutzt. Sie bekam nur 49 Prozent. Einsam stand die Verliererin. Aber Andreas Harpe, der Arbeitgeber gab sich großmütig, nahm beide in den Dienst.
"Ich bin ein anderer Mensch. Es ist, als wäre ich wiedergeboren. Ab heute beginnt ein neues Leben", strahlte Stella Maris Brizuela damals. Am darauffolgenden Montag sollte es losgehen. Noch wussten beide weder ihre Arbeitszeiten, noch ihre Einsatzorte. Egal, die Familien umarmten die Frauen. Zumindestens den nächsten sechs Monaten konnten sie nun ruhiger entgegenblicken.
Ein Jahr ist seit dem vergangen. Die Stimme von Stella Maris Brizuela zittert vor Wut, wenn sie von ihren Erfahrungen spricht. "Das war alles ein Märchen, eine Lüge von vorne bis hinten, einfach Scheiße." Die kleine, resolute Frau kann sich kaum beruhigen. "Laut Vertrag sollte ich als Reinigungskraft arbeiten. Aber dann kamen wir auf eine Baustelle und mussten Steine wegschleppen. Die Zustände waren katastrophal. Die haben uns nicht einmal ein Glas Wasser gegeben. Das Klo war unbenutzbar, es stank vor Dreck. Ich hatte auch keine Schuhe für eine solche Arbeit. Die solle ich mir kaufen, wurde mir gesagt. Ja wovon denn? Ich hatte ja kein Geld. Und als ich sie aufforderte, mir welche zu geben, haben sie mir die Ausgabe hinterher vom Lohn abgezogen", erzählt sie. Einen Monat lang ließ Stella Maris Brizuela alles über sich ergehen, machte Überstunden und arbeitete Sonnabends und Sonntags. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber dann war es zu viel. Sie hatte den Mut zu gehen, "auch wenn ich keine andere Arbeit hatte. Aber so etwas kann man sich nicht bieten lassen", sagt sie. Stella Maris Brizuela ist bis heute arbeitslos. Nur Gelegenheitsjobs bringen ihr ein paar Pesos ein. Das Telefon gesperrt, die Rechnung unbezahlbar.
Leonor Almada ist länger in der Firma geblieben. Die ganzen sechs Monate, die der Vertrag vorsah. "Es erging mir schlecht. Wir haben nicht in dem gearbeitet, was sie gesagt haben, sondern auf einer Baustelle. Eine Arbeit für Männer. Das war gefährlich. Ich habe Überstunden gemacht, die sie mir erst nach zwei Monaten bezahlten", erzählt auch sie, offensichtlich froh, ihrem Ärger Luft machen zu können. Aus Not hat sie durchgehalten. Denn die einzige, die sonst noch in ihrer achtköpfigen Familie etwas Geld verdient, ist ihre Tochter. Später kam Leonor Almada dann in die Büros. Aber auch da war es nicht viel besser. "Wir mussten Müllbeutel auswaschen. Sie haben uns sechs Mülltüten für dreißig Mülleimer gegeben. Handschuhe hatten wir keine. Die Leute schmeißen Kaffeebecher weg. Wissen Sie, was das war, das wieder auszuwaschen?", fragt sie.
Nach Ablauf der sechs Monate wurde ihr gekündigt Probezeit nicht bestanden, sie passe nicht in das Profil der Firma. "Das habe ich überhaupt nicht erwartet. Ich habe bitter gelacht, als ich das hörte. Ich habe dem Besitzer, dem Andreas Harpe, ins Gesicht gelacht. Viele sind eher gegangen als ich, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Ich habe so einiges ertragen dort und ich soll nicht in das Profil passen?", sagt Leonor Almada mit Sarkasmus in der Stimme.
Bei der enormen Anzahl von Arbeitslosen in Argentinien ist eine hohe Personalfluktuation für eine Firmen zumeist kein Problem. Mehr als 70 Prozent der neuen Angestellten arbeiten ohnehin unter miserablen Bedingungen schwarz. Einen effizienten Schutz für Arbeitnehmer gibt es nicht. Die größte Gewerkschaft des Landes, die CGT, ist bekannt für ihre Abhängigkeit vom neoliberalen Flügel der peronistischen Partei. Selbst der rebellischste Berufsstand, die Lehrer, schaffte es 1999 erst nach einem zweijährigen Hungerstreik vor dem Kongressgebäude, die Forderung nach der Auszahlung einer gesetzlich festgelegten Gehaltserhöhung durchzusetzen. Lediglich 150 Pesos (50 Euro) pro Monat zahlt der Staat arbeitslosen Familienoberhäuptern. Ledige oder Verwitwete bleiben ausgeschlossen. Kinder wischen inzwischen an den Kreuzungen für ein paar Centavos die Autoscheiben oder verkaufen bunte Marienbildchen in den Bars, wenn sie nicht betteln gehen. Arbeitsämter, die sich um die Vermittlung von Stellen bemühen, gibt es nicht.
Genau deshalb konzentrierten sich so viele Hoffnungen auf Recursos Humanos. Denn es ging nicht nur um den Gewinn eines Arbeitsplatzes. In einem fast völlig rechtsfreien Raum schien das Fernsehen durch seine Öffentlichkeit zudem einen gewissen Schutz vor Willkür am Arbeitsplatz zu bieten. Doch auf die Beschwerden von Stella Maris Brizuela und Leonor Almada über die Arbeit auf der Baustelle, fehlende Handschuhe und späte Lohnzahlungen wurde nur halbherzig oder gar nicht reagiert. "Die von Recursos Humanos haben gesagt, dass sie unser Schicksal verfolgen, aber das ist nicht wahr. Ich habe dort angerufen und denen gesagt, was hier passiert. Ich habe gesagt, sie sollen kommen und sich das anschauen, aber sie sind nie gekommen", beschwert sich Stella Maris Brizuela.
Die Produzentin Andrea Gual zieht sich aus der Verantwortung: "Solange das Programm lief, haben wir die Angestelltenverhältnisse verfolgt, haben geschaut, ob die Firmen die Verträge einhalten. Wir haben den Firmen vertraut. Danach war vielleicht etwas nicht so, wie es versprochen wurde. Diese Sachen waren aber auch für uns nicht zu steuern. Wir haben nur als Mittler zwischen der Firma und dem Arbeiter fungiert. Bis dahin ging unsere Funktion. Wir sind nicht das Arbeitsministerium. Wir sind an dem Thema dran geblieben, soweit es in unserem Rahmen lag. Ansonsten bestand die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wir hatten dazwischen nichts zu suchen".
Gewinnbringend war das Programm letztendlich vor allem für den Kanal selbst und die Arbeitgeber. Eine Stunde Werbung auf einem der besten Sender Argentiniens und die kostenlose Vermittlung der Kandidaten und späteren Angestellten waren verlockende Aussichten. So war Andreas Harpe von SEISO gleich drei Mal im Programm, hat zwei Männer und vier Frauen über die Show eingestellt. "Natürlich war mir das Programm von Nutzen. Ich bin dort ganz bewusst hingegangen. Ich weiß, warum ich das gemacht habe. Pro Person sind mir alleine für die Einstellungskosten zwischen 80 und 100 Pesos (damals 23 bis 28 Euro) erspart geblieben", sagt der deutschstämmige Firmeninhaber.
Genau das war es, was von der Öffentlichkeit damals, zum Sendebeginn, so stark kritisiert worden war der Kratzfuß vor dem Arbeitgeber, das Geschäft mit der Not der Leute, das fernsehgerechte Ausnutzen der argentinischen Misere. Doch jetzt, bei der Übergabe des Martín-Fierro-Preises haben diese Kritiker geschwiegen. Kein Wort dazu, dass die Armut und Arbeitslosigkeit weiterhin die größte Sorge der Argentinier sind, das Programm aber sofort vom Sender ging, als die Einschaltquoten wieder nach unten gingen. Kein Wort dazu, dass einer Sendung die höchste Ehrung als bestes Serviceprogramm zuteil wurde, der es beim näheren Hinblicken nicht darum ging, Abhilfe in einer extremen Notsituation zu schaffen, sondern eben jene Not zu vermarkten.
"Ich hätte gerne gewusst, wen man anrufen kann, während die den Martín-Fierro-Preis gewonnen haben, damit die Leute wissen, was das wirklich war", sagt Leonor Almada. Bei den beiden Frauen, den vermeintlichen "Gewinnerinnen" ist nichts als Verbitterung zurückgeblieben. Sie sind in der gleichen Situation wie vorher arbeitslos und in ihrem Alter ohne wirkliche Aussichten. Wie so viele der anderen Bewerber und Bewerberinnen waren auch sie froh, dass das Fernsehen endlich einmal ihr Schicksal ins Programm bringt, dass ihr Leiden ernst genommen und sich ihrer Misere angenommen würde. "Nichts als Lüge", sagt Leonor Almada heute. "Ich bin mit der Illusion hingegangen, dass mir das Programm wirklich hilft. Sonst hätte ich nicht meine Art zu leben öffentlich gemacht. Sie haben unser Vertrauen ausgenutzt. Was die zeigen wollten, war die Not der Leute und wie sie die lösen. Aber gelöst haben sie gar nichts."
aus: der überblick 04/2003, Seite 78
AUTOR(EN):
Antje Krüger:
Antje Krüger arbeitet als freie Journalistin in Berlin mit Schwerpunkt Südamerika und bereist häufig diesen Kontinent.