"Nur wenige spenden aus politischem Bewusstsein"
"Brot für die Welt" ist eins der größten Hilfswerke in Deutschland. Das verdankt es nicht zuletzt der Verankerung in der evangelischen Kirche; ein großer Teil der Spendeneinnahmen stammt aus Kollekten. Wie wirken sich der Rückgang der Kirchenbindung und stärkere Konkurrenz auf "Brot für die Welt" aus? Yvonne Ayoub und Uwe Becker erklären, wie die Strategien des Fundraising angepasst werden.
von Bernd Ludermann
Hat "Brot für die Welt" eine sichere Spendenbasis?
Becker: Eine sichere Spendenbasis gibt es nicht mehr, wenn es sie je gegeben hat. "Brot" hat eine gute Ausgangsposition. Es ist einerseits in der Öffentlichkeit außerhalb der Kirchen verankert und andererseits in den Kirchen.
Aus welchem Bereich kommen die meisten der Spenden?
Ayoub: Den größten Teil machen nach wie vor die Kollekten aus ungefähr 60 Prozent. Die traditionelle Advents- bzw. Weihnachtskollekte ist das wichtigste Standbein.
Sehen Sie eine Gefahr für die Spendenbasis darin, dass Gottesdienste leerer werden, die Kirchen Mitglieder verlieren und die Bindung an sie nachlässt?
Becker: Obwohl die Bindung an die Kirche nachlässt, sind in meiner Landeskirche die Kollekten auf hohem Niveau stabil. Im Jahr 2002 hatten wir in Niedersachsen an Heiligabend Blitz-Eis, im Gottesdienst waren weniger als halb so viele Menschen wie sonst. Trotzdem hatten wir am Ende mehr im Klingelbeutel als im Jahr davor. Das heißt wo man an der Spenderbindung arbeitet, muss die Veränderung der Kirche nicht zwangsläufig zu Lasten von "Brot für die Welt" gehen.
Ayoub: Man muss aber sagen: Bundesweit geht die Tendenz bei den Kollekten leicht nach unten.
Erwarten Sie eine schärfere Konkurrenz auch um Spenden in der Kirche etwa wenn Gemeinden zunehmend für eigene Anliegen sammeln?
Becker: Das kommt darauf an, wie gut man kommuniziert. Meine Landeskirche hat die vier Pflichtkollekten für "Brot für die Welt" verringert auf nur noch eine; dazu kommen aber zwölf Wahl-Pflichtkollekten, bei der "Brot" gewählt oder abgewählt werden kann. Da wir in der Beziehung zu den Gemeinden gute Arbeit machen, haben wir damit relativ wenig Probleme. Zugespitzt gesagt: Die Entscheidung hat dazu geführt, dass wir am Ende mehr Kollekten für "Brot" haben als vorher.
Ayoub: Hannover ist da sicher ein erfreuliches Beispiel. Aber in vielen Landeskirchen, insbesondere im Osten, brechen die Kollekten weg. Und natürlich wirkt sich da der Rückgang der Kirchensteuermittel aus. Wenn kein Geld mehr für eine Orgel, die Pfarrstelle oder den Kindergarten da ist, liegt das den Leuten, die in der Gemeinde aktiv sind, näher. Es ist gar keine Frage, dass die Konkurrenz zunimmt zwischen unseren Ökumene-Themen und den Bedürfnissen, die im Inland entstehen.
Wächst auch die Konkurrenz zwischen "Brot" und anderen kirchlichen Werken wie der Kindernothilfe (KNH) und der Christoffel Blindenmission (CBM)?
Ayoub: Einerseits wird diese Konkurrenz härter. Andererseits sind wir bestrebt, Bündnisse zu schließen, um mit einer Stimme zu sprechen. Denn wir wollen ja auch politisch noch etwas bewegen. Und das ist schwieriger geworden. Für entwicklungspolitische Themen gibt es in den breitenwirksamen Medien fast keine Plattform mehr. Das zeigen die Erfahrungen mit der Aktion "Gemeinsam für Afrika", die 26 Hilfswerke Ende 2003 durchgeführt haben. Von Bewusstseinsbildung konnte man da kaum noch sprechen, sondern es geht nur noch darum, punktuell mit Hilfe eines Prominenten ein Highlight zu setzen. Danach ist das Thema wieder weg.
Becker: Ich habe in meiner Landeskirche allerdings beobachtet, dass sich zwischen etwa dem regionalen Missionswerk, "Brot für die Welt" und anderen kirchlichen Werken eine sinnvolle Ergänzung herausgebildet hat. Durch die Zusammenarbeit dieser Werke ist es gelungen, säkularen Mitbewerbern wie dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF im kirchlichen Bereich Grenzen zu setzen. Wichtig ist, dass wir in der Kirche ein Bewusstsein für die eigenen kirchlichen Werke schaffen.
Sind Partnerschaften von Kirchengemeinden oder -kreisen mit Gemeinden im Süden eine Konkurrenz für "Brot" oder eher eine Hilfe?
Becker: Nach den Erfahrungen aus meiner Landeskirche muss man das differenziert betrachten. Die Frage ist, was in der Partnerschaft passiert. Wo es nur darum geht, Kirchenbauten, Glocken oder eine Pfarrstelle in Indien oder Afrika zu finanzieren, da geht das eindeutig zu Lasten von "Brot für die Welt". Aber wenn Partnerschaft sich nicht darin erschöpft, Geld von hier nach da zu schaufeln, sondern Dialog, Begegnung, ein Sich-Aufeinander-Einlassen ist, dann ist sie eine Bereicherung und nutzt auch "Brot für die Welt".
Weil Sie in Gemeinden, die so eine Partnerschaft haben, mehr Verständnis für die Anliegen von "Brot" finden?
Becker: Ja. Als wir zum Beispiel die Aids-Arbeit von "Brot für die Welt" herausgestellt haben, haben Vertreter von Partnerschaftsgruppen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, gesagt: "Endlich jemand, der das Thema Aids von der anderen Seite her aufnimmt; wir wollen was mit Euch zusammen machen."
Erhalten Sie Anfragen von Spendern, die wollen, dass ihre Spende in ein bestimmtes Projekt fließt?
Ayoub: Wir in Stuttgart ja. An uns werden immer mehr Forderungen herangetragen wie: Wir wollen für dieses besondere Projekt spenden, da soll unser Geld hingehen und nirgends sonst.
Das geht unter der bisherigen Arbeitsweise aber doch gar nicht, oder?
Ayoub: Richtig. Wir ordnen Spenden und Kollekten nicht einem spezifischen Projekt zu, sondern alles Geld fließt in einen großen Topf. Auf diese Weise können wir nach unseren entwicklungspolitischen Kriterien arbeiten und auch Projekte unterstützen, die nicht so spendenwirksam sind. Aber wir müssen uns mit den Wünschen der Spender auseinandersetzen.
Versuchen Sie bei solchen Anfragen zu erklären, dass zweckgebundene Spenden die Verwaltungskosten stark steigern würden? Das könnte doch nicht im Sinn der Spender sein.
Ayoub: Das interessiert nicht. Die meisten Anfragen sind emotional begründet. Wir leben nicht mehr in den sechziger oder siebziger Jahren, wo die Leute erst über Zusammenhänge nachdenken und dann Geld geben. Sie sind emotional betroffen und machen einfach. Sie denken nicht darüber nach, dass gebundene Spenden mehr Verwaltungskosten nach sich ziehen. Natürlich wollen sie aber grundsätzlich möglichst wenig Verwaltungskosten.
Und man kann den Zusammenhang nicht erklären?
Becker: Wenn Sie die Chance dazu bekommen, können Sie es erklären. Aber der emotionale Druck ist so groß, dass man ihm Raum geben muss. Ich habe gelernt, dass es nichts nützt, an dieser Stelle Kontroversen zu führen. Wenn mir jemand Geld anvertrauen will und möchte, dass wir uns besonders um Aids-kranke Menschen kümmern, dann kann ich ihm guten Gewissens sagen, ja, das machen wir. Dann ist der emotionale Druck weg. Es geht mir aber nicht darum, den Spendern nach dem Mund zu reden. Das bringt nur kurzfristig Geld. Ich will mittelfristig und langfristig engagierte Spenderinnen und Spender. Daher geht es um einen Dialog jenseits der Unterstellung, "Brot für die Welt" wolle nicht auf Wünsche hören. Spender haben ein Interesse, die Arbeit des Hilfswerks zu steuern. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber sie wollen gleichzeitig ein kompetentes Gegenüber. Das ist etwas anderes als ein bloß ausführendes Organ. Meine Erfahrung ist, wenn wir in den Gemeinden mit den Leuten diskutieren und es aushalten, dass sie auch mal eine Viertelstunde schimpfen, dann bekommen wir etwas in Gang.
Denkt "Brot für die Welt" über neue Wege nach, Spender an sich zu binden, beispielsweise mit Spender-Reisen?
Ayoub: Ja, darüber müssen wir nachdenken. Ein Element von Bindung ist natürlich der persönliche Austausch. Wie der konkret aussehen kann, ist noch offen.
Spender-Reisen wären aber teuer und aufwändig, oder?
Ayoub: Es ist zu kurz gegriffen, immer nur an die Kosten zu denken. Die Frage ist: Wofür verwende ich das Geld? Wenn ich langjährigen und aktiven Spendern die Chance zu einem Besuch in einem Projekt gebe, den sie selbst finanzieren, ist das natürlich mit Kosten verbunden, denn Kollegen von uns müssen das ja vorbereiten. Trotzdem kann es durchaus angemessen sein. Denn die Bindung der Spender an die Organisation wird über deren Stellung im deutschen Spendenmarkt entscheiden.
Becker: Die gesamte Szene hat ihre Spendenwerbung in den vergangenen fünf bis zehn Jahren stark professionalisiert. Es gibt inzwischen genügend Betriebswirte, die Marketing studiert haben und im sozialen oder Non-Profit-Bereich arbeiten wollen. Darin liegt für uns die Chance, nicht in einer Bewusstseins-Ideologie-Kiste zu verkümmern. Früher haben wir gesagt, wir haben die richtige Ideologie und die Spender müssen froh sein, dass wir ihr Geld nehmen. Heute sagen wir, das ist unser Angebot an Euch. Und wir müssen aushalten, wenn Spender und Spenderinnen sagen, schön dass ihr das macht, aber ich entscheide mich für etwas Anderes. Wenn sie das bewusst tun, kann ich da gut mit leben.
Das ist ja klar. Eben war aber die Rede davon, dass viele gerade nicht überlegt entscheiden. Ist das Problem nicht eher, wie man mit dieser Zielgruppe umgeht?
Ayoub: Richtig. Die Frage ist, nach welchen Kriterien entscheiden die Menschen? Häufig ist das rein emotional gesteuert. Daher sind Kinder das beliebteste Werbe-Motiv. Wir werden in Stuttgart hauptsächlich nach Kinderprojekten gefragt.
Ändert sich deswegen auch die Projektpolitik?
Ayoub: Bisher noch nicht. Aber wir müssen den Spendern unsere Projekte näher bringen.
Haben wir dann irgendwann nur noch Hilfswerke für Kinder?
Becker: Nein, sondern die Außendarstellung aller Werke wird Kinder ins Zentrum stellen. Alle Werke werden mit Kinderprojekten die Spender emotional ansprechen und hinter dieser Fassade die restliche Arbeit aufbauen. Das ist noch dramatischer. Wenn dann nämlich ein Spender dahinter schaut, wird er sagen, er ist hinters Licht geführt worden.
Ayoub: Aber er wird ja nicht hinters Licht geführt. Wenn ich zum Beispiel Spendern etwas über Ernährungssicherung nahe bringen will, kann ich das mit einem Bauern anschaulich machen oder mit dem Kind des Bauern. Und das zweite wird mehr gelesen und führt zu mehr Spenden.
Becker: Diese Darstellung ist ja nachvollziehbar. Aber es gibt Mitbewerber im Spendenmarkt, die so tun, als ob das Kind das Projekt wäre.
Es gibt doch auch Projekte, die man nicht unter dem Stichwort Kinder verkaufen kann. Fallen die dann hinten runter?
Ayoub: Nein. Die finanzieren wir aus dem großen Topf. Der muss auch nach wie vor erhalten bleiben. Aber man muss wahrscheinlich beim Marketing genauer prüfen, mit welchen Ansätzen in der Projektdarstellung man Emotionen ansprechen kann, damit die Menschen weiter bereit sind, für "Brot" zu spenden. Aus entwicklungspolitischem Bewusstsein tun sie das immer weniger, da dürfen wir uns nichts vormachen.
Becker: Wir müssen uns auch klar machen, dass wir selbst innerhalb des kirchlichen Spektrums ganz unterschiedliche Zielgruppen haben. Denen müssen wir jeweils Projekte anbieten, mit denen sie sich identifizieren können. Es gibt zum Beispiel eine große Szene, die sich traditionell mit Menschenrechts-Fragen beschäftigt. Andere stellen die Barmherzigkeit in den Vordergrund und sind für Projekte der Ernährungssicherung ansprechbar, aber für Gesundheitsprojekte schon nicht mehr. Daher müssen wir eine gewisse Breite unserer Arbeit darstellen. Das macht Kampagnenarbeit und die Konzentration auf bestimmte Themen natürlich sehr kompliziert.
Wenn immer weniger aus entwicklungspolitischem Bewusstsein gespendet wird, gerät dann der politische Anspruch von "Brot für die Welt" unter Druck? Kann man Kampagnen nicht mehr verkaufen und muss sie vor den Spendern verstecken?
Ayoub: Erstens muss man sie nicht ver-stecken und zweitens auch nicht verkaufen. In dem Arbeitsfeld geht es nicht ums Verkaufen, sondern um Beeinflussung von Politik im weitesten Sinn. "Brot für die Welt" ist eine Spendenorganisation und hat zugleich den Auftrag, hier in der Republik bewusstseinsbildend zu arbeiten. Die Kampagnenarbeit wird nicht hinten runterfallen. Sondern meine Aufgabe ist es, auch dafür Geld zu akquirieren.
Wenn die Spender an Politik weniger interessiert sind, kann "Brot" dann mit Kampagnen nicht Spender abschrecken?
Ayoub: Das kann im einen oder anderen Fall sein. Das ist es uns dann wert. Man sollte das dann allerdings bewusst in Kauf nehmen.
Becker: Ich glaube, die Spender von "Brot für die Welt", so wie ich sie kenne, werden Lobby- und Kampagnenarbeit unterstützen, solange wir dafür ein Mandat unserer Partner haben. Es gibt natürlich immer Leute, die schon auf das Wort "Politik" ablehnend reagieren. Aber grundsätzlich scheint mir, wenn wir ein Partnermandat für Lobby-Arbeit haben, ist das kein Problem.
Ayoub: Das stimmt nicht ganz. Zumindest in der Vergangenheit haben manche Kampagnen einen großen Aufstand in der kirchlichen Szene verursacht zum Beispiel die "Aktion e", die propagierte, wir sollten hier einfacher leben, damit andere einfach leben können. Viele haben gesagt, "Brot für die Welt" unterstütze ich nicht mehr.
Was nützen neue Instrumente der Spendenwerbung wie zum Beispiel die Spenden-Gala im ZDF?
Ayoub: Die Gala sehen über eine Million Menschen, die zur für Spendenwerbung besonders zugänglichen Gruppe im Alter zwischen fünfzig und siebzig gehören. Sie haben da Gelegenheit, über "Brot" und Misereor überhaupt einmal etwas zu erfahren. Wenn dann eine Person wie Caroline Reiber das präsentiert, verstärkt das den Eindruck sehr.
Bringt die Gala viele Spenden?
Ayoub: Die letzte Gala hat über eine Million Euro eingebracht. Wir dürfen nicht so elitär sein zu sagen, um Zuschauer von Volksmusiksendungen kümmern wir uns nicht. Ein Großteil der Menschen sieht sich diese Sendungen an, und diese Zuschauer sollen auch erfahren, was "Brot für die Welt" und Misereor tun.
Nimmt wegen der härteren Konkurrenz um Spenden der Werbeaufwand zu?
Becker: Der Aufwand wächst, aber nicht zwangsweise die Kosten. In meiner Landeskirche, der Landeskirche Hannovers, arbeite ich intensiv mit Beauftragten "Brot für die Welt" auf der Ebene der Kirchenkreise zusammen. So ist ein tragfähiges Netz von Multiplikatoren entstanden, die zu Recht eine entsprechende Betreuung erwarten und erhalten.
Ayoub: Es ist schon richtig, dass der Kommunikationsaufwand Werbung, Pressearbeit, Fundraising in den vergangenen zwanzig Jahren bei fast allen Organisationen deutlich gestiegen ist. Aber auch die Einnahmen für die Projekte sind gewachsen. Prozentual sind die Kosten nicht gestiegen.
Gibt es Versuche, sich darauf zu einigen, was man lassen sollte, um sich nicht gegenseitig zu immer höherem Einsatz zu treiben?
Ayoub: Das gibt es noch nicht. Aber wir müssen in der Tat aufpassen, dass der Wettbewerb nicht irgendwann allen zum Nachteil gereicht. Der Druck nimmt zu, gerade aus den Medien. Entscheidend ist heute das Fernsehen. Dass man immer nur mit Katastrophen in die Medien kommt, verleitet zu bedenklichen Verhaltensweisen. Wir dürfen da nicht nur das Geld im Auge haben, sondern müssen an bestimmten Stellen auch konsequent Nein sagen.
aus: der überblick 02/2004, Seite 92
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".