Was hat Europa mit dem Maghreb zu tun? Diese Frage wird in der Europäischen Union (EU) ganz unterschiedlich beantwortet. Von Berlin aus betrachtet erscheinen die Probleme in Mittel- und Osteuropa dringender als die am Südrand des Mittelmeers von Marokko bis Libyen. In Paris, Madrid und Rom stellt sich das ganz anders dar.
von Editorial
Südeuropas Geschichte war über viele Jahrhunderte mit der des Maghreb, des "Westens" der arabisch-islamischen Welt, eng verbunden. Viele Errungenschaften, etwa in der Medizin und der Mathematik, verdankte das mittelalterliche Europa den damals viel zivilisierteren Arabern. Nach der Eroberung Granadas, des letzten islamischen Fürstentums in Spanien 1492, hat sich das Machtverhältnis umgekehrt. Im 19. und 20. Jahrhundert geriet der Maghreb unter die Herrschaft Spaniens, Frankreichs, Italiens und - im heutigen Libyen - auch Großbritanniens.
Schon wegen der Zuwanderung aus Nordafrika können uns Krieg und Armut dort nicht gleichgültig lassen. Was für Deutschland der türkischstämmige Bevölkerungsteil ist, sind für Frankreich die aus dem Maghreb Zugewanderten, insbesondere aus Algerien. Viele sind vor dem Bürgerkrieg dort geflohen, andere leben seit Jahrzehnten in Frankreich. Und während bei uns die Erntearbeiter, die Erdbeeren pflücken und Spargel stechen, aus Mittel- und Osteuropa kommen, übernehmen in Südspanien und Süditalien Marokkaner solche schlecht bezahlten Saisonarbeiten.
Wenn in Marokko der neue König eine politische Öffnung durchsetzt und in Algerien trotz der jüngsten Anschläge der Bürgerkrieg beendet werden kann, werden die Chancen für einen Aufschwung im Maghreb steigen. Ob sie genutzt werden können, hängt auch von der EU ab. Die hat bisher in der Handelspolitik sehr auf ihren eigenen Vorteil geachtet, und ihre Programme zum kulturellen Dialog und zur Demokratieförderung im Maghreb wirken halbherzig. Die Anreize für die Abwanderung werden so eher noch erhöht, während Europa zugleich seine Grenzen dicht macht. Können die Staaten der EU zu einer gemeinsamen Politik gegenüber ihren Nachbarn im Süden finden?
Die Redaktion
aus: der überblick 04/1999, Seite 2