"Mehr Kontrollen kosten Geld" - Ein Gespräch mit Ermina Freytag (LWB)
Unter den 40 Organisationen, aus denen Mitarbeiter Flüchtlingskinder missbraucht haben sollen, ist der Lutherische Weltbund (LWB) mit seinem Weltdienst (LWD). Er hat ein Team unter Leitung von Ermina Freytag, einem Mitglied des Rates des LWB, zur Prüfung nach Westafrika geschickt. Dessen Befund ist ernüchternd.
von Bernd Ludermann
Konnten Sie Vorwürfe gegen Mitarbeitende des LWD erhärten?
Nein. Wir wollten von vornherein nicht einzelnen Beschuldigten nachforschen, sondern mit den Verantwortlichen im LWB/LWD sprechen und sie stützen. Die angeschuldigten Mitarbeitenden arbeiten alle nicht mehr für den LWB. Der Bericht ist ja vom letzten Jahr; die Beschuldigten waren im Rahmen eines besonderen Programms angestellt, das jetzt beendet ist. Das Personal wechselt immer sehr schnell, und sogar die Lager wechseln ständig. Eins, das wir im März besucht haben, gibt es wahrscheinlich jetzt, Mitte Mai, schon nicht mehr, weil wieder Kämpfe stattfinden und dieses Lager wohl evakuiert ist.
Können Organisationen wie der LWB/LWD das Personal in den Lagern unter diesen Umständen überhaupt kontrollieren?
Während es angestellt ist, müssten sie es kontrollieren. Dazu müssten aber Verantwortliche vor Ort sein. Sie sind aber in zentralen Büros, und die Angestellten sind weit weg in den Lagern. Die Gefahr für sexuelle Ausbeutung ist immer da groß, wo es keine Kontrolle gibt und Männer - die Täter sind ja hauptsächlich Männer - allein leben und ohne Beobachtung allein tätig sind, wo sie allein ein Auto zur Verfügung haben oder ein Häuschen.
Was empfehlen Sie, um die Gefahr zu verringern?
Das Wichtigste ist, dass Menschen, die Verantwortung haben und Mittel vergeben können, nicht allein tätig sind. Denn sie haben Macht und können sie ausnutzen. Wir haben auch vorgeschlagen, mehr Frauen auszubilden und anzustellen, so dass sie auf allen Ebenen beteiligt sind, auch zum Beispiel bei der Lagerplanung.
Was halten Sie vom jüngsten Beschluss des UNHCR, Nahrung nur noch von Frauen verteilen zu lassen?
Das ist nicht die beste Lösung. Wir haben an einer Verteilung teilgenommen, unter einem großen Zeltdach; daran waren viele Menschen beteiligt, Männer und Frauen. Es hat keinen Sinn zu sagen, das dürfen nur Frauen machen. Wo Männer allein arbeiten, ist es gefährlich.
Wenn Männer mit Verantwortung nicht allein arbeiten sollen, müsste man dann nicht mehr Personal einstellen?
Richtig. Und das wagt man kaum vorzuschlagen, weil es überall zu wenig Geld gibt. Die Flüchtlinge erhalten zu wenig zu Essen und kaum Kleidung. Im Grunde ist die Botschaft dieses Skandals ein Aufschrei: Nehmt uns wieder wahr und schickt mehr Hilfe.
Personal bedeutet Verwaltungskosten. Deren Anteil soll aber niedrig sein. Nimmt man sich damit die Möglichkeit, mehr Kontrolle auszuüben?
Das genau ist das Problem. Darum zögern wir, große Vorschläge zu machen, wenn sie sowieso kaum finanziert werden können. Und die Angestellten arbeiten bereits unter sehr schwierigen Bedingungen. Deshalb hat der Innenminister Guineas uns eingeladen, um seinen Ärger auszudrücken, weil die Helfer sich durch den Bericht mit Dreck beworfen fühlten.
Den Missbrauch zu verschweigen, kann aber doch keine Alternative sein.
Nein, natürlich nicht. Aber man soll nicht in dieser unverantwortlichen Weise darüber reden. Der Bericht hat Namen von Menschen und Organisationen genannt, obwohl die Belege nicht tragen. Organisationen wie der LWB müssen aber auf solchen Missbrauch von Hilfe aufmerksamer werden und ihn durch ihre normalen Verfahrensweisen möglichst unterbinden.
aus: der überblick 02/2002, Seite 122
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".