Für den Nachbarn oder den Nächsten
Die Europäische Union verändert sich. Sie wächst und schafft neue Regeln. Deshalb wird sie auch in der Entwicklungspolitik neue Wege einschlagen. Wohin sie führen, wird jetzt entschieden. Werden die Mitgliedstaaten zum Wohl der Ärmsten im fernen Afrika oder zum Wohl ihres Nachbarlandes arbeiten? Werden sie die Vorteile der multilateralen Hilfe erkennen oder ihre Eigeninteressen verfolgen? Und werden Sicherheitsfragen den Kampf gegen die Armut in den Hintergrund drängen?
von Simon Maxwell
Meine Damen und Herren, die Sie den “überblick” jetzt gerade lesen, es gibt gute Neuigkeiten. Es ist Zeit, die Arbeiten am Haus zu beenden und nach draußen vors Gartentor zu treten. Viele Monate war die Europäische Union (EU) hauptsächlich damit beschäftigt, ihr Dach zu reparieren und die Einrichtung neu zu ordnen. Jetzt ist die Erweiterung abgeschlossen, ein neues Parlament gewählt, der Text der europäischen Verfassung vereinbart und der Präsident der neuen Kommission ernannt. Endlich ist Platz auf der Tagesordnung für eine Frage, die noch wichtiger ist als diese wesentlichen Teile interner Haushaltsführung: Wir können nun fragen, welche Rolle Europa spielen muss, um eine Welt zu schaffen, die weniger arm, weniger ungleich und weniger zerstörerisch gegenüber der natürlichen Umwelt ist als die, die wir heute bewohnen. Wenn jetzt die Zeit ist für konstitutionelle Neuanfänge und eine neue politische Führung, ist es dann auch an der Zeit sich zu verpflichten, umfassender zu denken, sich für weltweites Wohlergehen einzusetzen und ein Wirtschaften im Einklang mit Natur und Umwelt?
Deutschland spielt bei der Suche nach Antworten auf diese Frage eine wichtige Rolle. Nicht nur, weil das Land eines der einflussreichsten Gründungsmitglieder der Union ist, sondern auch, weil es diese Verpflichtung bereits durch seine Hilfsprogramme ausgedrückt hat. Die neuesten Zahlen zeigen, dass ein Viertel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durch Zahlungen in den Europäischen Entwicklungsfonds in Brüssel geleistet wird. Ein Betrag, der um 50 Prozent höher ist als der der vergangenen Dekade.
Deutschland muss demnach überzeugt davon sein, dass europäische, das heißt multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, etwas leisten kann, was bilaterale Hilfe nicht vermag. Und die Regierung hat in der Tat Recht damit. Die Hilfe, die von Brüssel gesteuert wird, ist der von Deutschland auf bilateraler Basis geleisteten Hilfe ähnlich. Sie ist eine Mischung aus finanzieller Unterstützung, technischer Zusammenarbeit und Nothilfe, mit dem Ziel, die Armut - insbesondere in den ärmsten Ländern - zu verringern.
Hilfe, Handel und politische Beziehungen auf einer europäischen Ebene zu verbinden, bringt verschiedene Vorteile. Dazu gehört auch, dass es wirtschaftlicher ist, Entwicklungsprobleme in großem Maßstab zu lösen und als große Institution Beschaffungsaufträge auszuschreiben. Mit einer Stimme zu sprechen - unverwechselbar und unüberhörbar und deshalb mit stärkerem internationalen Gewicht - auch diese Möglichkeit birgt die Zusammenarbeit der Union.
Eine Garantie für diese Vorteile gibt es jedoch nicht. Man kann sich eine europäische Entwicklungspolitik vorstellen, die ehrlich bemüht ist, die Armut zu verringern, und die getragen ist vom echten Geist der Partnerschaft mit Entwicklungsländern. Ebenso gut ist es aber auch möglich, sich eine Politik vorzustellen, in der eigene Interessen die Oberhand haben.
Zwei Kräfte vor allem treiben die europäische Politik voran. Wir haben diese in unseren Studien im Overseas Development Institute (ODI), dem größten britischen Institut für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, herausgefiltert. Die erste ist, ob sich ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union aufrichtig der Verringerung der Armut und dem umfassenden Programm der Millennium-Entwicklungsziele verschreibt. Die zweite ist, ob sich Mitgliedsstaaten ernsthaft verpflichten, für das allgemeine Wohl zusammenzuarbeiten. Zur Abkürzung haben wir das als “mehr armutsorientiert - weniger armutsorientiert” und “mehr Zusammenarbeit - weniger Zusammenarbeit” bezeichnet. Wenn man sich dies als zwei Achsen vorstellt, ergeben sich vier mögliche Szenarien für die Zukunft.
Ein optimistisches Szenario wäre eines, in dem die Mitgliedsstaaten sowohl armuts- als auch Europa-orientiert sind. In diesem Fall könnten wir einen Anstieg des Anteils der von Brüssel gelenkten Hilfe erwarten sowie eine starke Fokussierung auf Armut und die Millennium-Entwicklungsziele (vergl. “der überblick” Heft 1/2004) bei Hilfsprogrammen. Wir könnten erwarten, dass diese Staaten bei der nächsten Runde der Handelsgespräche der Welthandelsorganisation (WTO) konstruktiv teilnehmen und sich zu ehrlicher Partnerschaft mit den Entwicklungsländern verpflichten. Diese wiederum wäre dadurch gekennzeichnet, dass beide Seiten einander Rechenschaft ablegen, die Armen den Reichen und die Reichen den Armen.
Die übrigen Szenarien geben alle Grund zur Besorgnis: entweder, weil Mitgliedsstaaten die europäische Entwicklungspolitik für ihre eigenen Ziele untergraben, oder, weil sich die Union als ganzes von der Entwicklung abwendet und andere Zielsetzungen in den Vordergrund stellt, zum Beispiel den Krieg gegen den Terror.
Wir sollten gewiss nicht denken, dass wir in der oberen rechten Ecke des Modells bequem sitzen, mit Mitgliedsstaaten, die sich standhaft für eine Zusammenarbeit zum Wohle der Armen einsetzen. Europas Entwicklungspolitik ist heute zwar in einer viel besseren Verfassung als noch vor fünf Jahren. Der politische Rahmen ist neu, ebenso die Strukturen der Verwaltung in Brüssel und auch in der Praxis der Zusammenarbeit klappt vieles besser. Trotzdem bleibt Entwicklungspolitik anfällig für Eigennutz und politische Kompromisse.
Nach wie vor sind Handel, Hilfe und Innenpolitik nicht miteinander abgestimmt. Ganz deutlich tritt dies bei den andauernden Meinungsverschiedenheiten über landwirtschaftliche Subventionen zu Tage. Auf der Geberseite wird mehr als die Hälfte des Geldes, das von der Union für die ärmsten Menschen der Welt bestimmt ist, in Ländern mit mittlerem Einkommen ausgegeben - meistens in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas. Hilfe für den Balkan, den Nahen Osten und das Mittelmeer ist ohne Frage notwendig. Trotzdem ist es ein Widerspruch, wenn europäische Minister die Millennium-Entwicklungsziele in New York unterzeichnen, zur nächsten Konferenz nach Monterrey in Mexiko reisen, um das zusätzlich notwendige Geld zu versprechen - und dann dieses Geld für andere Angelegenheiten ausgeben. Sicherheit ist für sich genommen wichtig. Frieden und Wohlstand in unserer Nachbarschaft sind für sich genommen wichtig. Aber lassen Sie uns diese Aufgaben klar trennen und getrennt finanzieren.
Das Aufgezählte deutet an, dass noch immer viel zu tun ist in Europa. Die Gelegenheit ist da. In diesem Jahr, dem Jahr 2004, wurden die Handelsgespräche der WTO wieder aufgenommen. Im kommenden liegt der Schwerpunkt auf dem Septembertreffen in New York zu den Millennium-Entwicklungszielen. Dort soll eine Zwischenbilanz gezogen und den internationalen Bemühungen ein neuer Schub gegeben werden. Andere Initiativen werden mit dazu beitragen, etwa die Afrikakommission, eingerichtet von Tony Blair. Sie wird Bericht erstatten und zwar rechtzeitig zum G 8-Gipfel im Jahr 2005, dem Treffen der acht wichtigsten Industriestaaten, bei dem Großbritannien den Vorsitz führen wird.
Innerhalb Europas werden die neue Kommission und das neue Parlament Gelegenheit haben, den Ton vorzugeben. Ein Zwischenbericht zum Europäischen Entwicklungsfonds, dem Hauptinstrument der Entwicklungszusammenarbeit, der Hilfe für Länder in Afrika, der Karibik und dem Pazifik bereitstellen soll, ist bereits in Arbeit. Es könnte auch eine neue europäische Erklärung zur Entwicklungspolitik geben. Auch über den finanziellen Rahmen, die “Finanzperspektive 2007 - 2013", der das europäische Budget für Entwicklungszusammenarbeit bis zu jenem Jahr bestimmen wird, laufen bereits Gespräche.
Was also muss als nächstes geschehen? Erstens: Gute Haushaltsführung muss sicherstellen, dass die Bereiche, die sich mit internationaler Entwicklung befassen, in der neuen Kommission ordentlich organisiert und repräsentiert sind. Es gab über die Jahre verschiedene Lösungen, die Verantwortung für Entwicklung und humanitäre Hilfe zu verteilen. Einige haben wenig dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit der Union zu unterstützen. Zum Beispiel war in der Kommission unter Jacques Santer in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre mit EU-Kommissar João de Deus Pinheiro ein Beauftragter für Entwicklungshilfe verantwortlich - aber nur für Afrika, die Karibik und den Pazifik, nicht hingegen für Asien oder das Mittelmeer. Für andere Regionen waren gleich mehrere Beauftragte zuständig. Und wieder jemand anderes, nämlich Emma Bonino, zeichnete verantwortlich für humanitäre Hilfe - sowie für Verbraucherangelegenheiten und Fischerei innerhalb Europas. Unter dem Kommissions-Präsidenten Romano Prodi war die Organisation etwas vernünftiger, wenngleich die Verantwortung für Entwicklungshilfe immer noch aufgeteilt war. Entwicklungskommissar Poul Nielsen musste sich immer wieder mit dem Kommissar für Außenpolitische Beziehungen, Chris Patten, abstimmen. Die Mitte August benannte neue Kommission bietet die Gelegenheit, die Organisation sinnvoll zu straffen, wenn der für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe ernannte belgische Kommissar Louis Michel de facto die gesamte Zuständigkeit für diese Aufgaben erhält.
In Großbritannien, so meinen wir, haben wir eine gute Lösung gefunden. Bei uns gibt es einen Minister oder eine Ministerin im Range eines vollwertigen Kabinettsmitglieds, der oder die für internationale Entwicklung verantwortlich ist und eng, aber nicht in untergeordneter Position, mit den Ministern für Finanzen, Auswärtiges, Handel und (im Falle von Sicherheitskrisen) Verteidigung zusammenarbeitet. Manchmal läuft es noch ein bisschen holprig, sich miteinander abzustimmen. Es kann vorkommen, dass zu viele Themen nach unten weitergegeben werden, damit sich Kabinettsausschüsse oder spezielle gemeinsame ad hoc eingerichtete Gruppen damit beschäftigen. Insgesamt aber funktioniert diese Aufteilung.
Deutschland hat die Entwicklungspolitik institutionell auf mehr Ebenen verteilt als Großbritannien. Bestimmte Gebiete fallen in die Hoheit des Finanzministeriums, mit anderen befassen sich die Entwicklungsbank (KfW), die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Vielschichtig zwar, aber wiederum auch nicht derart, dass ein einziger Minister zugleich für Hilfe und Fisch verantwortlich ist.
Zweitens - und auch dies ist ein internes Problem - sollten die Beauftragten für europäische Entwicklungspolitik und die entwicklungspolitische Szene schleunigst die “Finanzperspektive 2007-2013" diskutieren. Ein Schlüsselthema wird die Gesamtsumme sein, die für Auslandsaktivitäten verfügbar ist. Noch zwingender ist es, Mittel für die ärmsten Länder zu sichern. Es ist gut möglich, dass der europäische Entwicklungsfonds nach 2007 “budgetiert” werden wird. Das heißt, es wird nicht länger einen getrennten Fonds außerhalb des Budgets der Europäischen Union geben, sondern dieser wird verschmelzen mit anderen Ausgaben für Auslandsaktivitäten. Es gibt Gründe, darüber erfreut zu sein. Dazu gehört, dass das Parlament stärker an Entscheidungen teilhaben und sie überprüfen kann. Gründe, nervös zu werden, gibt es ebenfalls, nämlich vor dem Hintergrund, dass Hilfsgelder für die Ärmsten entweder in weniger arme Regionen oder in Sicherheitsausgaben umgeleitet werden. Liest man die jüngsten Äußerungen zu Auslandspolitik und Sicherheit, lässt dies die emotionale Balance eher auf die Seite der Nervosität kippen. Es lohnt sich zu betonen, dass Europa einen Kuhhandel zwischen dem Kampf gegen die Armut und anderen Zielen vermeiden muss.
Wenn wir unsere Politiker im Verdacht haben, Hilfsgelder für andere Zwecke zu missbrauchen, müssen wir ihnen dies schwer machen. Dazu gehört, auf gesonderten Richtlinien beim Budget für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu bestehen, die mit den Definitionen des Development Assistance Committee, dem Entwicklungshilfeausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), übereinstimmen und voll und ganz darauf ausgerichtet sind, die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen. Wir brauchen ein ergebnisorientiertes Abkommen mit nur wenig Spielraum für Extratouren.
Ein Abkommen erfordert eine politische Linie. Deshalb ist sicherzustellen - und das ist die dritte Hürde -, dass jede Überarbeitung der Entwicklungspolitik der Europäischen Union das richtige Verhältnis zwischen dem Kampf gegen die Armut und dem Beackern anderer Felder findet. Die letzte Grundsatzerklärung wurde im Jahr 2000 verabschiedet, also vor dem 11. September 2001. Seitdem aber dreht sich die Diskussion überwiegend um die neue Sicherheitsagenda, besonders hinsichtlich gescheiterter und scheiternder Staaten.
Javier Solana hat als außenpolitischer Sprecher der EU zum Beispiel zum Gipfeltreffen der Union in Thessaloniki im Juni 2003 ein Papier zu Sicherheitsangelegenheiten vorgelegt, das im Dezember zur Grundlage einer neuen Sicherheitsstrategie der EU wurde. Es wäre keine Überraschung, wenn eine überarbeitete Entwicklungspolitik sich von diesem neuen Denken eingekreist fände, wo Entwicklung und humanitäre Hilfe zu bloßen Instrumenten einer übergreifenden Politik mit ganz anderen Zielen verkommen (siehe auch den Artikel von Füllkrug-Weitzel in diesem Heft).
Es gibt eine falsche und eine richtige Strategie, damit umzugehen. Die falsche Strategie wäre zu sagen, dass Entwicklung und Sicherheitsfragen nichts miteinander zu tun haben und in verschiedenen Töpfen bleiben sollten. In so unterschiedlichen Ländern wie Sierra Leone, Afghanistan oder Ost-Timor (Timor-Leste), haben wir nicht nur gesehen, dass es unmöglich ist, diese Fragen zu trennen. Wir haben auch gelernt, dass erfolgreiche Interventionen in scheiternde Staaten eine sorgfältig abgestimmte Mischung diplomatischer, militärischer und finanzieller Eingriffe erfordern. Die richtige Strategie ist also, verschiedene Instrumente aufeinander zu beziehen, gleichzeitig aber den eigenen Charakter jedes einzelnen Instrumentes anzuerkennen und darauf zu bestehen, dass die Verringerung der Armut und das Erreichen sozialer Gerechtigkeit als Grundsätze gelten und nicht verhandelbar sind. Das bedeutet, dass humanitäre Hilfe nicht als politisches Mittel benutzt, sondern entsprechend der Bedürftigkeit zugewiesen werden sollte, stets unparteiisch und ohne jemanden gezielt zu benachteiligen.
Als viertes macht der Handel Kopfzerbrechen. Nach dem Scheitern der Gespräche in Cancun soll nun das Ende Juli beschlossene Rahmenabkommen die Rettung ermöglichen. Was zum Abbau von Subventionen von der Europäischen Union zu hören ist, scheint in die richtige Richtung zu gehen. Bewegung ist dringend notwendig. Neue Arbeiten am ODI zum Anbau von Baumwolle haben gezeigt, wie schädlich sich indirekt die Subventionen der USA in Höhe von 3,2 Milliarden US-Dollar für ihre eigenen Baumwollfarmer auf die Baumwollproduzenten in Westafrika auswirken. Die Lage ist noch schlimmer, weil die EU Subventionen, welche die USA in ihre Landwirtschaft pumpen, als Rechtfertigung dafür nimmt, ihre Subventionen für die eigenen Bauern aufrechtzuerhalten - für die Baumwollproduktion in Europa allein in Höhe von 700 Millionen US-Dollar. Die Länder in West- und Zentralafrika erleiden durch den Preisverfall infolge subventionierter Überproduktion Einbußen an Exporterlösen bis zu 350 Millionen US- Dollar. Trotzdem ist, wie die Unterhändler für Handelsfragen gern betonen, “nichts vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist”.
Eine letzte Frage ist mehr spekulativer Art, könnte aber langfristig von großer Bedeutung sein: Wie sieht in Zukunft die besondere Beziehung zwischen Europa und seinen Entwicklungspartnern in Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP-Länder) aus? Eine Jahrzehnte lange Beziehung, die auf die erste Lomé-Konvention im Jahre 1975 zurückgeht und die im Cotonou-Abkommen erneuert wurde, das im Jahr 2000 mit 20 Jahren Laufzeit unterzeichnet wurde. Trotz der Fanfaren, die damals erklangen, denkt kaum ein Beobachter, dass dieses besondere Verhältnis noch seine ursprüngliche Frische hat. Die Hauptsäulen - Politik, Handel und Hilfe - sind allesamt schwächer geworden und stärker an Bedingungen geknüpft. Hilfe hat zum Beispiel ihren vertraglichen Charakter weitgehend verloren. Ähnlich hat sich der Fokus der Verhandlungen zum Handel vom überschaubaren Forum zwischen der EU und den AKP-Staaten auf die größere multilaterale Arena der Welthandelsorganisation WTO verlagert. Dort spielen oft ganz andere Gruppierungen und Allianzen eine Rolle. Darüber hinaus ist es befremdlich, dass das EU-AKP-Forum als der wichtigste Rahmen für Beziehungen der Europäischen Union zu Entwicklungsländern sowohl Lateinamerika als auch Asien ausschließt. Es müssen neue Foren geschaffen werden, ähnlich den Asien-Europa-Treffen.
Beschäftigt man sich mit der Entwicklungsgeschichte und den Gründen und Strukturen von Partnerschaftsabkommen, muss man sich in Erinnerung rufen, was als Motor im Innern arbeitet: die Partnerschaft, wie sie im Cotonou-Abkommen verankert ist. Die Beziehungen der Europäischen Union zu den AKP-Ländern zeichnen sich nicht nur durch eine Reihe von Institutionen aus, wie den AKP-EU-Ministerrat und eine gemeinsame parlamentarische Versammlung. Das Herzstück ist das Verfahren wechselseitiger Rechenschaftspflicht, etwa für Menschenrechte und Demokratie. Diese Institutionen und Regeln sind nicht immer so wirksam und erfolgreich wie sie sein könnten, aber sie demonstrieren ein wichtiges Prinzip: dass Partner einander rechenschaftspflichtig sein sollten, bei Fragen der Entwicklung ebenso wie auf anderen Gebieten.
Es ist schwer zu glauben, dass es zu einem dieser gerade erörterten Aspekte ernsthafte Meinungsverschiedenheiten geben könnte. Aber die Europäische Union ist immer für Überraschungen gut, besonders wenn in Brüssel die politischen Verhandlungen beginnen. Deshalb ist es wichtig, dass die Entwicklungsgemeinschaft über nationale Grenzen hinweg zusammenarbeitet. Für Deutschland gilt: Wir brauchen Sie, wir brauchen einander.
aus: der überblick 03/2004, Seite 13
AUTOR(EN):
Simon Maxwell:
Simon Maxwell ist Direktor des "Overseas Development Institute" (ODI) in London, dem größten britischen Institut für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, und Präsident der "Development Studies Association" (DSA), einer Gesellschaft, die Entwicklungsforschung in Großbritannien und Irland fördert.