Runter mit den Pfunden
Wo noch vor einigen Jahren ausgeprägte Kurven alles waren, versuchen Frauen heute, sich eine Modelfigur nach amerikanischem Vorbild zu erhungern.
von Marc Engelhardt
Ein trauriger Blick: “Ich bin fett”, bekennt die 19-jährige Jackee Jukko. “Ich muss unbedingt abnehmen, vor allem an den Hüften.” Schon jetzt könnte man meinen, dass bereits ein starker Windstoß Jackee von den Füßen wehen würde. Von ihren Brüdern wird sie “Moskito” genannt, weil sie so dünn ist. Jetzt hat Jackee es mit Ach und Krach unter die letzten zwanzig Kandidatinnen der Miss Uganda-Wahl geschafft. Sie lacht verlegen. “Die Veranstalter der Wahl waren sehr entschieden: Ich muss unbedingt Gewicht verlieren.”Jackee ist nicht der einzige afrikanische Teenager, der für die vermeintliche Traumfigur hungert. Das Ziel: Die Perfect 10, die Traum-Kleidergröße 10 (deutsche Konfektionsgröße 38) - oder darunter. “Das ist ein neuer Trend”, hat die kenianische Mode-Designerin Carol Wahome beobachtet. “Bis vor wenigen Jahren gab es so etwas nicht, da war Afrika, was Modefragen angeht, eine ziemliche Insel. Von der internationalen Mode-Szene, von Trends oder Top-Models hat man hier praktisch nichts mitbekommen.” Carol Wahome, 36 Jahre alt, hat am American College in London Mode-Design studiert. Als sie 1992 nach Nairobi zurück kam, war alles noch wie in den Jahrzehnten zuvor. “Da haben Frauen zu ihrer afrikanischen Figur gestanden. Die meisten von uns haben einfach breitere Hüften, mehr Busen und einen größeren Hintern als Amerikanerinnen oder Europäerinnen.”
Damals schneiderte Carol Wahome nach Maß. Kundinnen kamen mit Fotos aus englischen Magazinen zu ihr und baten darum, die westliche Mode mit den für sie untragbaren Schnitten in afrikanischen Größen herzustellen. Die ebenso stattlichen wie stolzen “Mamas” galten als Traumfrauen afrikanischer Männer. Zur Beauty-Pflege gehörten aufwendige Frisuren oder Hautbleichung, “Problemzonen” dagegen waren kein Thema. “In meiner Heimat”, erinnert sich Unisa Kanu aus Sierra Leone, “gab es den Spruch: Hässliche Männer mit Bierbauch müssen sich mit einer dünnen Frau zufrieden geben. Nur wer gut aussieht, hat die Chance, eine Frau mit ordentlicher Figur abzubekommen.” Damals wurden dünne Frauen diskriminiert - heute sind sie begehrt. Zeitungen, amerikanische Fernsehserien und US-Blockbuster im Kino senden eine Botschaft: Thin is beautiful, schlank ist schön!
Diesem grundlegenden Wandel ist die südafrikanische Filmemacherin Omelga Mthiyane nachgegangen. Sie sieht im afrikanischen Schlankheitswahn eine Krankheit, die sich in rasanter Geschwindigkeit in ganz Afrika ausbreitet. In Mthiyanes Dokumentation Body beautiful sprechen vier Afrikanerinnen über sich und ihren Körper. “Ich wollte einen Film machen, in dem das Verhältnis schwarzer Frauen zu ihrem Körper gefeiert wird”, erklärt die 26-jährige Regisseurin aus Natal. “Eigentlich haben Afrikanerinnen doch immer ein unverkrampftes Verhältnis zu ihrem Aussehen gehabt. Niemand sonst auf der Welt trägt seine Kleider auf eine so entspannte Art und Weise.” Entdeckt hat Omelga Mthiyane jedoch Frauen, die ihre Figur nicht mögen und verändern wollen. Eine von ihnen, Vanessa, die in Kapstadt als Model arbeitet, gibt im Verlauf der Dokumentation zu, dass sie ihre Karriere mit der massenhaften Einnahme von Abführmitteln begonnen hat. Anders, begründet sie, habe sie all die Anforderungen, die in diesem Geschäft an ihre Figur gestellt wurden, nie erfüllen können. Im Film rät sie allen Frauen, mit ihrem Körper glücklich zu sein - ohne Abstriche. “Schönheit kommt tatsächlich von innen, das ist nicht nur ein Spruch”, betont Vanessa. “Wenn Du glücklich bist, strahlt das nach außen - und die Leute finden dich schön.”
Trotzdem wollen immer mehr Afrikanerinnen auch nach internationalen Maßstäben als schön gelten. Modelagenturen hatten noch nie so viel Zulauf wie heute. Bei Lindsey McIntyre, die 1987 ihre Agentur Surazuri gegründet hat, sammeln sich jeden Dienstag junge Frauen und Männer, die in die Kartei der heute größten Agentur Ostafrikas aufgenommen werden wollen. Frauen müssen dafür jünger als 28 Jahre und schlank sein, gesunde Haut, gute Zähne und kurze Haare mitbringen. Eine Mindestgröße gibt es nicht. “Aber ab einer Körperlänge von 1,70 Meter haben die Bewerber bessere Chancen, auch international auftreten zu können.” Und afrikanische Models sind derzeit gefragt auf den Laufstegen - nicht nur in Kenia und Südafrika, auch in Mailand und New York.
Das Vorbild der Bewerberinnen hat einen Namen: Ajuma. Die 20-jährige Ajuma Nasenyana vom Turkana-See im Norden Kenias ist im vergangenen Jahr von Modemesse zu Modemesse geflogen, hat ungezählte Foto-Sessions überstanden und wird in ihrer Heimat mehr verehrt als das Super-Model Naomi Campbell. Kein Magazin, das Ajuma in den vergangenen Monaten nicht mindestens einmal auf der Titelseite hatte. Mit der 1,78 Meter langen, athletisch gebauten Tochter einer Frauenaktivistin hat die Agentur Surazuri ihren bislang größten Coup gelandet. Zwei Jahre nach ihrer Entdeckung als Miss Tourism ist Ajuma ein afrikanischer Superstar.
Wie sie in Jeans und T-Shirt im Schönheitssalon sitzt und während der Vorbereitungen für den Laufsteg ungeduldig mit den Beinen wippt, wird klar, dass ihr diese Rolle selbst noch nicht geheuer ist. Zuhause, sagt sie, will auf einmal jeder so sein wie sie. “Meine Mutter hat mir erzählt, dass wildfremde Mädchen behaupten, sie seien mit mir verwandt.” Ajuma lacht. Das tut sie gern und laut. Dass die Zahl der Model-Bewerberinnen im “Ajuma-Boom” stark zugenommen hat, findet sie ganz in Ordnung, auch wenn sie vor den harten Arbeitsbedingungen warnt. “Da draußen zählt nicht, ob du irgendwelche Schönheitspreise gewonnen hast oder gestern mal erfolgreich warst. Entweder du machst vernünftig deinen Job, oder du bist weg vom Fenster.” Vor ihrer Karriere auf dem Laufsteg stand Ajuma Nasenyana auf der Tartanbahn: Beinahe wäre sie in die kenianische Olympia-Auswahl gekommen, die 400 Meter läuft sie in 57 Sekunden. Gehungert, darauf besteht sie, hat sie für ihre Figur nicht. Wie jedes andere Model darf sie aber nicht zunehmen: nirgendwo. Auf ihren Speiseplan achtet Ajuma deswegen peinlich genau.
“Wir Designer müssen uns absolut auf die Maße der Models verlassen können”, lobt Designerin Carol Wahome Ajumas Professionalität. Sie selbst, erzählt Carol, habe nie ein Model werden wollen. “Ich sehe ja selber, wie das bei einem Casting ist: Ich suche keine tollen Menschen, sondern bessere Kleiderständer. Für mich zählt nur: Stimmen die Maße und kommt die Kollektion optimal zur Geltung?” Von der Idee, typisch afrikanische Figuren auf den Laufsteg zu holen, hat Wahome sich vor einigen Jahren verabschiedet. Ihre MooCow-Kollektion schneidert sie nur noch in europäischen Idealgrößen: Die Kundinnen, sagt sie, wollen es so. “Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass eine schöne Frau genau so auszusehen hat wie in den Modezeitungen.” Einmal hat sie eine Gruppe “durchschnittlicher” Kenianerinnen auf den Laufsteg geschickt. “Mindestens jeder zweite hat mich danach gefragt, ob ich mir keine echten Models leisten kann. Und die meisten hatten den Eindruck, dass die Kleider hässlicher sind als sonst.”
Wie sie, so sind auch die wenigen anderen Initiativen, ein eigenes afrikanisches Schönheitsideal zu fördern, gescheitert. Die Wahl zur Miss Malaika soll, anders als die der Miss World mit ihren vorgegebenen Beauty-Standards, afrikanische Frauen auszeichnen, die sich durch Schönheit und Talent hervorheben: keine weiteren Vorgaben. Mit der Wahl soll bewusst ein Gegentrend zu den etablierten Miss-Titeln gesetzt werden, bei denen für Größe, Gewicht und Proportionen Standards gelten. “Die Wirklichkeit sieht aber anders aus”, erklärt Wahome: “Es hat noch nie eine Frau mit einer Kleidergröße über 40 gewonnen. In Kenia ist die durchschnittliche Konfektionsgröße bei Oberteilen 42 und unten herum 44.” Gegen die Definitionsmacht der internationalen Schönheitsindustrie, ist ihre Erfahrung, sind die Afrikanerinnen letztlich chancenlos.
Das Ideal schlanker Körper ist bereits fest verankert. Viele Afrikaner können nicht einmal mehr die Anstrengungen nachvollziehen, eigene afrikanische Wettbewerbe zu organisieren. “An globalen Standards ist doch absolut nichts auszusetzen”, bemängelt David Moyo aus Simbabwe. “Die Frauen, die an Miss-Wahlen teilnehmen, machen einen tollen Job und verbreiten in der ganzen Welt ein positives Afrika-Bild!”. Moyo spricht in einer Radio-Diskussion des Worldservice for Africa der BBC, die sich mit dem Thema “Schönheit” befasst. Die Telefone stehen nicht still. Eine Frau namens Sandra unterstützt den Anrufer aus Simbabwe: “Ich bin schlank, und ich arbeite hart an meiner Figur. Das sollten alle Frauen tun, denn schön zu sein ist ein Zeichen für unsere Freiheit.” Befürworter halten an diesem Abend Schlankheitswahn und Miss-Wahlen für ein Zeichen der Emanzipation auf einem Kontinent, auf dem Frauen oft genauso als Besitz gelten wie Vieh. Kritiker dagegen bemängeln die Auswirkungen eines neuen Kultur-Kolonialismus, der Frauen ihre Eigenständigkeit nehmen wird. Mit Sorge beobachten sie die explosionsartige Zunahme von Essstörungen auf dem afrikanischen Kontinent, wie sie bislang nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa bekannt waren.
Wissenschaftler stützen diese These. Eine Untersuchung zweier Psychologen in Südafrika stellte 1992 eine wachsende Unzufriedenheit farbiger Frauen mit ihrem Körper fest - verbunden mit dem Wunsch, westlichen Idealen zu entsprechen. Vor sechs Jahren bestätigte eine Langzeit-Untersuchung von Psychologen der Universität Kapstadt, dass die Zahl von Essstörungen im Vergleich zu den 80er Jahren vor allem unter den Studentinnen stark zugenommen hat. Von mehr als 1400 befragten Studentinnen und Studenten in Durban und Kapstadt zeigte jeder zehnte ein stark auffälliges Verhalten. Darunter waren vor allem farbige Studentinnen: Für die Forscher um Daniel le Grange ein überraschendes Ergebnis, weil die Psychologie bislang Essstörungen (nicht nur in Afrika) als weiße Wohlstandskrankheit verbuchte. Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Der soziale Druck auf farbige Frauen, abzunehmen, habe immens zugenommen. Dies sei die Folge des neuen Schönheitsideals, das sich in der farbigen Bevölkerung durchgesetzt habe.
Von Südafrika aus, hat Mode-Designerin Carol Wahome beobachtet, hat sich der Trend zu Mode-Diäten, Weight-Watching und Fitness-Besuchen inzwischen über ganz Afrika ausgebreitet. Die führenden Frauenzeitschriften des Kontinents kommen vom Kap. Artikel über ein besseres Body-Image, über die “richtigen” Work-outs oder den Sieg gegen den Hunger in der Nacht sorgen für stetig wachsende Verkaufszahlen. Und auch Magazine wie Weigh-Less, die Zeitschrift einer Diät-Organisation, erfreuen sich hoher Verkaufszahlen. In dem Heft zum gezielten Abnehmen berichten vor allem Frauen davon, wie sie ihr Traumgewicht erreicht haben. Zu jeder Geschichte gehört der Info-Kasten mit den Grunddaten: Yvonne Roberg aus der Nähe von Johannesburg ist 34, Physiotherapeutin und 1,68 Meter groß. Vor fünf Monaten wog sie 69 Kilo, jetzt sind es nur noch 64. “Weigh-Less hat mir die Augen geöffnet”, beschreibt Roberg voller Enthusiasmus ihren Weg, “endlich habe ich das Gewicht, auf das ich so lange gewartet habe”. Es klingt ein wenig nach Erlösung von allem Übel. Zu den monatlich mehr als 100 offenen Weigh-Less-Abenden kommen nach Angaben der Organisation, die auch eigene Diät-Produktlinien vertreibt, ständig neue Frauen, die ihrer Meinung nach überzählige Pfunde loswerden wollen.
Schon bald, warnen Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation (WHO), könnte Schönheit nicht mehr das einzige Motiv für solche Programme sein. Ein aktueller WHO-Report aus diesem Jahr stellt fest, dass vor allem im Norden und Süden Afrikas mehr Kinder unter Übergewicht durch falsche Ernährung als an Unterernährung leiden. Die traditionell ausgewogene Kost wird dort zunehmend durch minderwertige industrielle Nahrungsprodukte ersetzt. Eine Überversorgung mit Zucker und Fastfood ist Ursache dafür, dass selbst sozial schwache Bevölkerungsgruppen Fett ansetzen und gleichzeitig Mangelerscheinungen entwickeln. Nach Bulimie hat eine weitere Ernährungskrankheit den Kontinent erreicht.
Diese neue, ungesunde Fettleibigkeit könnte - ähnlich wie in den USA - paradoxerweise den Gegentrend des zwanghaften Schlankseins weiter verstärken. Jackee Jukko jedenfalls will weiter an ihrem Körper arbeiten, auch wenn eine ihrer Konkurrentinnen den Miss Uganda-Titel gewonnen hat. Wenn sie noch ein paar Pfunde verliert, da ist sie zuversichtlich, klappt es vielleicht beim nächsten Mal.
aus: der überblick 04/2004, Seite 21
AUTOR(EN):
Marc Engelhardt:
Marc Engelhardt lebt in Nairobi und arbeitet von dort als freier Afrika-Korrespondent unter
anderen für den Evangelischen Pressedienst (epd) und die ARD.