Wenn der neue Machthaber nichts macht
Nach vier Jahren Regierungswechsel ist die Enttäuschung des Volkes deutlich zu spüren. Als Abdoulaye Wade, der langjährige Gegner des Präsidenten Abdou Diouf, im Jahr 2000 endlich an die Macht gelangte, glaubten die Senegalesen an einen politischen Wechsel. Wade entpuppte sich jedoch als herkömmlicher Machthaber - voller Versprechungen; aber am Ende blieb Nepotismus, Korruption, desaströse Wirtschaftspolitik und ungeschickte Diplomatie.
von Abdou Latif Coulibaly
Die überraschte Welt erfuhr im März 2000, dass Senegal etwas für Afrika wirklich Erstaunliches vollbracht hatte, nämlich die Abhaltung freier, transparenter und demokratischer Wahlen, bei denen der damalige Oppositionsführer Abdoulaye Wade an die Macht kam.
Diesen 19. März 2000 haben die Senegalesen ausgelassen gefeiert, nicht nur weil die Sozialisten geschlagen wurden, sondern vor allem, weil viele Menschen im Lande überzeugt waren, dass sich Senegal die Chance eines Neubeginns gegeben hatte. Das Volk glaubte damals, durch die Wahl des Oppositionschefs dafür gesorgt zu haben, dass die Zukunft des Landes besser gestaltet würde. Nach über vierzig Jahren hatte es sich “von seinen Ketten befreit”. Alle glaubten, dass es nun eine neue Politik geben werde, die Senegal auf den Weg einer echten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung führen würde, einen neuen politischen Ansatz, der den Senegalesen das Vertrauen und den Elan geben würde, die für die Gestaltung der Geschicke ihres Landes notwendig waren.
Inzwischen ist die Euphorie und Begeisterung des Volkes einer Ernüchterung gewichen, obwohl die neue Regierung bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Selbstzufriedenheit und Optimismus demonstriert. Doch diese Einstellung wird längst nicht mehr von allen Menschen des Landes geteilt.
In ihrer Ausgabe vom 28. Februar 2003 gab die senegalesische Tageszeitung L'Actuel eine Erklärung des Umweltministers Modou Diagne Fada wieder, der auch Sprecher der Partei des Präsidenten Abdoulaye Wade (Parti Démocratique Sénégalais, PDS) ist. Darin heißt es: “Die Demokratische Partei Senegals hat beschlossen, den dritten Jahrestag des Regierungswechsels zu feiern, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die neue Regierung auf dem Marsch ist und dass konkrete Fortschritte gemacht werden.” Doch offenbar findet der Fortschritt nur in ihrer Einbildung statt. Denn die Senegalesen sehen inzwischen mehr Mängel und Skandale.
Vor seiner Wahl hatte Abdoulaye Wade den Senegalesen versprochen, einen unerbittlichen Kampf gegen die Korruption zu führen. Doch dann kam die Geschichte über die Überholung seines Dienstflugzeugs. Nachdem dieses vor einem Verkauf zum Schleuderpreis gerettet worden war, wurde es einer Generalüberholung unterzogen. Die Arbeiten wurden in Großbritannien durchgeführt. Aber eine öffentliche Ausschreibung hat es hierfür nie gegeben. Die Rechnung der englischen Firma belief sich auf 27 Millionen US-Dollar. In diesem Betrag waren auch erhebliche “Provisionen” für Personen enthalten, die, wie es heißt, über jeden Verdacht erhaben seien. Aber vieles deutet auf sehr fragwürdige Geschäftspraktiken hin, die der Staatschef selbst nur sehr ungeschickt erläutert und damit seinem Ruf noch mehr geschadet hat.
Das Merkwürdigste bei diesem öffentlichen Geschäft ist, dass es im Staatshaushalt nicht ausgewiesen ist. Wer aber hat die Rechnung bezahlt? Abdoulaye Wade hatte, als er das Flugzeug in London entgegennahm, vor der Presse erklärt, dass persönliche Freunde ihm “geholfen” hätten. Heute steht fest, dass zumindest ein Teil der Rechnung doch vom senegalesischen Fiskus bezahlt wurde. Die Anweisung eines Betrages von 10,5 Milliarden F CFA (etwa 16 Millionen Euro) ist vom Ministerpräsidenten erteilt, unterzeichnet und gegengezeichnet worden. Sie wurde jedoch nie im Generalsekretariat der Regierung registriert, wie es das Gesetz vorschreibt. Sie wurde auch nicht im Gesetzblatt veröffentlicht - der Präsident war dagegen. Der Rest der Gesamtrechnung wurde mit Hilfe von Krediten von Saudi-Arabien und Taiwan in Höhe von etwas über 6 Milliarden F CFA bezahlt. Dieses Vorgehen bedeutete einen Verstoß gegen die Transparenzbestimmungen, die eine Offenlegung der öffentlichen Ausgaben erfordern. Man könnte zahlreiche Beispiele anfügen, die zeigen, dass sich gegenüber den Praktiken des vorherigen Regimes nichts geändert hat.
Der Präsident hat die Menschen auch dadurch enttäuscht, dass er ständig grandiose Projekte ankündigt, von denen die meisten nie auch nur begonnen wurden. Zu Beginn seiner Amtszeit mag das noch zu entschuldigen gewesen sein. Wade mag von den dringenden Aufgaben im sozialen Bereich, die er nach seiner Wahl vorgefunden hat, überwältigt gewesen sein und sich unter großen Zeitdruck gefühlt haben. Diese Aufgaben werden weiterhin größer und dringender. Das ist mit der endemischen Unterentwicklung des Landes zu erklären. Aber noch immer gibt sich Wade mit Ankündigungen zufrieden, anstatt dafür zu sorgen, dass aus einer globalen strategischen Vision von der Entwicklung des Landes konkrete Errungenschaften hervorgehen.
Der Rhythmus seiner Ankündigungen ist betäubend. Sein Sohn, Karim Wade, dem selbst Korruption nachgesagt wird, erläutert das so: “Er ist jemand, der sehr schnell denkt … der sich deshalb manchmal nicht die Mühe macht, die ihm Nahestehenden an seinen Beschlüssen teilhaben zu lassen.”
Letzteres aber kann ihm zum Verhängnis werden. Denn die Projekte des Präsidenten sind in dem Augenblick, in dem er sie ankündigt, nur mit lauter Stimme geäußerte Überlegungen. Eine großzügige Skizzierung von noch nicht ausgereiften Ideen, die als Ansatzpunkt für die Vorbereitung einer Durchführbarkeitsstudie und eines seriösen und gut dokumentierten Geschäftsplans dienen könnten. Ihm braucht nur bei einer Audienz mit jemandem oder bei einer zufälligen Begegnung mit einem Bauträger oder Berater eine Idee zu kommen, und schon informiert er das ganze Land mit viel Pomp darüber.
Mittlerweile gibt es so viele “Projekte”, dass die Senegalesen seine diversen Ankündigungen schon mit Scherzen kommentieren. Einzig die mit Senegals Teilnahme an der neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) zusammenhängenden Projekte haben reale Verwirklichungschancen. Denn NEPAD hat die Unterstützung der traditionellen Partner bei der Entwicklung gefunden, insbesondere der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Wade feiert es aber wie einen persönlichen Sieg, dass er als neuer Staatschef Senegals entscheidend an der Konzeption von NEPAD, eines neuen Entwicklungsprozesses für Afrika, mitgewirkt hat.
Es gilt jedoch auch hier, einen kühlen Kopf zu bewahren und die durch NEPAD ausgelöste Begeisterung und Euphorie zu dämpfen. Dass seine Finanzierung ausschließlich von den reichen Ländern abhängt, bedeutet für die Länder, in denen investiert werden soll, auch schwere Hypotheken. Enorme Summen müssen mobilisiert werden, um die zahlreichen Projekte für den Kontinent zu finanzieren, damit NEPAD Gestalt annimmt, und wenn die sich nicht wie erwartet auszahlen, bleiben hohe Schulden übrig.
In den vierzig Jahren, in denen man von der Entwicklung Afrikas spricht, ist dies nicht das erste Mal, dass die reichen Länder der Welt und die Vereinten Nationen einen Spezialplan aufgestellt haben. Da gibt es zum Beispiel den Aktionsplan von Lagos, den Entwicklungsplan, den die afrikanischen Staatschefs auf einem Gipfeltreffen 1980 in Nigeria vorgestellt haben. Kaum etwas davon ist bisher auch nur ansatzweise verwirklicht worden.
Typisch für das Versagen der neuen Regierung ist auch die Entwicklung in der Landwirtschaft, Senegals Hauptsäule der Volkswirtschaft und wichtigster Devisenbringer. Der einst von den französischen Kolonialherren eingeführte und nach der Unabhängigkeit von Präsident Senghor und seinem Nachfolger Diouf noch ausgeweitete Erdnussanbau geriet in die Krise, als die Erdnusspreise sanken und die Europäische Union (EU) sich mit Hilfe von Verbraucherschutzbestimmungen gegen Erdnüsse aus dem Senegal abschirmte.
Zunächst hatte Wade die staatliche Aufkaufgesellschaft am Leben erhalten und die Aufkaufpreise mittels staatlicher Subventionen gestützt. Dann aber privatisierte er auf Druck der Weltbank und der EU den Erdnusshandel. Den Bauerngenossenschaften fehlte jedoch das Kapital für Transportmittel, den Kauf von Saatgut und Pflanzenschutzmittel gegen einen auf der Erdnussschale vorkommenden giftigen Schimmelpilz. Es fanden sich aber auch nicht genügend private Händler, so dass viele Bauern auf ihrer Ernte sitzen blieben. Eine Reihe von ihnen wechselte jedoch mit Erfolg zum Maisanbau. Mit 500.000 Tonnen im Jahr 2003 - im Jahr 2002 waren es nur 178.000 Tonnen - hat Senegal einen unerwarteten Ernterekord erzielt.
Bei aller Kritik sind die Senegalesen drei Jahre nach dem Regierungswechsel zwar immer noch recht nachsichtig gegenüber dem Präsidenten. Aber die Menschen im Lande, die mehrheitlich Analphabeten sind, wandeln sich nach und nach zu Staatsbürgern. Schon im November 2000 hatten christliche und muslimische Führungskräfte in einer veröffentlichten Erklärung vor der auf höchster Regierungsebene bestehenden Korruption gewarnt - ohne damit große Wirkung zu erzielen. Jetzt werden auch normale Bürger ungeduldig und fordern Rechenschaft.
Der Staatschef verärgert aber nicht nur die Bevölkerung in seinem Land. Auch in der Außenpolitik tritt er des Öfteren in Fettnäpfchen und brüskiert afrikanische Politiker. Es fällt ihm offenbar schwer, sich von seiner Vergangenheit als Oppositioneller zu lösen, in der er von einem Regime schikaniert und gedemütigt wurde, das ihn aus gutem Grund fürchtete. Als Oppositionellen hatten ihn die afrikanischen Staatschefs nie empfangen, obwohl ihm stets daran gelegen war. Auch wenn er seinerzeit nicht auf ihre Unterstützung zählen konnte, so erwartete er zumindest eine wohlwollende Neutralität, was die Staatsräson offensichtlich nicht zuließ. Abdoulaye Wade hat unter dieser Ächtung gelitten. Seinen hartnäckigen Groll gegenüber manchen von ihnen ließ er in Äußerungen wie dieser erkennen: “Ich habe viel für Obasanjo getan, doch seit er wieder an der Regierung seines Landes ist, hat er die Brücken zu mir eindeutig abgebrochen, vermutlich um Diouf nicht zu missfallen.”
Auch nach seiner Wahl zeigte er sich zahlreichen afrikanischen Staatschefs gegenüber entfremdet, die ihn in seiner Oppositionszeit ignorierten. Damit aber tritt er diplomatische Gepflogenheiten mit Füßen, die bei internationalen Beziehungen üblich sind. Das offizielle Frankreich hat ihm - getreu der Tradition des Landes afrikanischen Oppositionellen gegenüber - niemals den roten Teppich mit Ehrengarde ausgelegt oder ihn zu offiziellen Essen eingeladen. Vor dem 19. März 2000 traf Abdoulaye Wade bei seinen Reisen nach Paris nur seine Freunde aus liberalen Parteien, vor allem Alain Madelin, den Vorsitzenden der Démocratie libérale. Von Seiten Frankreichs aber akzeptiert er das eher als von afrikanischen Kollegen.
Seit er Präsident von Senegal ist, verhält sich Wade jedoch ebenso vorsichtig und stellt afrikanischen Oppositionspolitikern auf senegalesischem Territorium keine Einrichtungen zur Verfügung. Alpha Condé, ein Oppositionsführer gegen den Präsidenten von Guinea, Lansana Conté, hat das zu seinem Leidwesen erfahren müssen. Auch gegenüber der mauretanischen Opposition verhält Wade sich kühl. Im privaten Gespräch erklärte er: “Senegal und seine Regierung können keinem afrikanischen Oppositionspolitiker erlauben, von senegalesischem Boden aus verbale oder physische Attacken gegen ihr Land zu verüben.”
Es ist schon seltsam, wie die Wahl zum Staatschef einen Menschen verändert.
aus: der überblick 01/2004, Seite 48
AUTOR(EN):
Abdou Latif Coulibaly:
Abdou Latif Coulibaly ist Direktor von "Sud FM", des ersten privaten Rundfunksenders des Senegal sowie Direktor des "Instituts für Informationswissenschaft und Kommunikation" (ISSIC) in Dakar. Sein Buch "Wade, un opposant au pouvoir. L'Alternance piégée", Dakar 2003, wurde zum Bestseller. Darin wurden drei Korruptionsfälle ans Licht gebracht, zu denen ein Untersuchungsausschuss im senegalesischen Parlament eingesetzt wurde.