Bernard Njonga, der Präsident der kamerunischen "Vereinigung von Bürgern zur Verteidigung der kollektiven Interessen" (ACDIC), blickt auf eine erfolgreiche Kampagne zurück: Auf Drängen von ACDIC, das vom EED unterstützt wird, hat Kameruns Regierung die Billigimporte von gefrorenem Hühnerfleisch aus Europa eingeschränkt.
Gespräch mit Bernard Njonga
Welche Folgen haben die Importe von Geflügel aus der Europäischen Union für Kamerun?
Auf dem Land gibt es in Kamerun viele kleine Hühnerfarmen, die jede vielleicht 100, 200 oder 250 Küken mästen. Es geht also nicht um Bauern, die Hühner für die Selbstversorgung aufziehen, sondern um kleine marktorientierte Betriebe. Sie setzen ihre Produkte in der Stadt ab und kaufen ihr Futter hauptsächlich Mais am Ort oder bauen es selbst an. Das schafft Arbeitsplätze in den Mastbetrieben, für Maisbauern und für Transporteure, die das Geflügel in die Stadt bringen. Dort verdienen die Einzelhändler daran sowie die Leute, die auf dem Markt das Geflügel rupfen. Als Geflügelimporte aus Europa zu Dumpingpreisen verkauft wurden, konnten die einheimischen Mäster kaum noch etwas absetzen. Damit die Beteiligten in dieser ganzen Kette ihr Einkommen verloren.
Ein großer Teil der lokalen Geflügelwirtschaft ist zerstört worden?
Ja, zusammen mit den Arbeitsplätzen. Das ist das erste Problem. Das zweite ist, dass Fleisch ein verderbliches Produkt ist. Die Kühlkette darf bis zum Verbraucher nicht unterbrochen werden, sonst entstehen Salmonellen und damit eine Gefahr für die Gesundheit. Aber in Kamerun gibt es nicht überall Eisschränke. Man findet das importierte Hühnerfleisch auf dem Markt offen zum Verkauf ausgelegt. Es ist von schlechter Qualität und wird zur Gesundheitsgefahr.
Wie viel billiger ist importiertes Geflügel im Vergleich zu einheimischem?
Deutlich billiger. Einheimisches Huhn wird für 1400 bis 1500 Franc CFA das Kilo verkauft, das sind rund 2,50 Euro. Das importierte Hühnerfleisch kostet nur 900 CFA, das sind 1,50 Euro. Hinzu kommt, dass man von einheimischen Mästern nur ein ganzes Tier kaufen kann. Das importierte gefrorene Huhn ist dagegen fertig gerupft und zerteilt, die Teile werden einzeln verkauft. Man kann ein kleines Stück kaufen, wenn man sich nicht mehr leisten kann.
Die Importe ermöglichten also armen Bevölkerungsgruppen, die sich sonst kein Fleisch leisten konnten, auch einmal Huhn zu essen?
Das ist richtig und genau das Problem. Wir können den Betroffenen zum Glück sagen: "Wenn Ihr das esst, habt ihr eine gute Chance, Euch kurz danach vor der Apotheke wiederzufinden, und müsst die Medikamente bezahlen." Aber selbst wenn das Hühnerfleisch gut wäre: Dass den Armen erschwingliche Proteinquellen fehlen, ist kein Grund, andere Arme, nämlich die Produzenten, noch ärmer zu machen. Das importierte Fleisch ernährt vielleicht 10 Arme, macht aber 20 oder 30 andere noch ärmer.
Haben Sie davon die Konsumenten überzeugen können, so dass viele kein Gefriergeflügel mehr kaufen?
Ja. Das war unsere größte Leistung. Trotz der Behauptung, das Gefriergeflügel ernähre die Armen, haben wir diese überzeugt, es nicht mehr zu kaufen. Wir haben ihnen erklärt, dass sie keine Tiere sind. Wenn du arm bist, bedeutet das nicht, dass es egal ist, was du isst. Das Gefriergeflügel ist schlecht. Selbst wer arm ist, sollte seine Würde bewahren und nicht irgend etwas essen. Menschen sind schließlich keine Schweine. Das haben die Leute verstanden.
Wie haben Sie die Behörden bewegen können, die Importe einzuschränken?
ACDIC hat begonnen mit öffentlicher Aufklärung und Lobby-Arbeit. Wir haben dabei das Problem der Importe von Gefriergeflügel nicht als das einer Gruppe dargestellt, sondern als Problem aller Bürger unter dem Gesichtspunkt des Patriotismus. ACDIC ist kein Zusammenschluss von Verbrauchern oder Produzenten, sondern umfasst alle Gruppen. Und viele Kameruner sind Patrioten, gerade die mittleren und unteren Schichten. Sehr viele haben sich an unserer Kampagne beteiligt: Ob Mäster oder Schüler, ob Beamte oder Polizisten alle haben ihren Platz in ACDIC gefunden.
Sie sprechen von einem kamerunischen Patriotismus, der die verschiedenen Volksgruppe übergreift?
Oh ja. ACDIC ist in allen zehn Provinzen Kameruns verankert. Die Unterschiede zwischen Volksgruppen, Religionen oder politischen Parteien sind für uns nicht maßgebend.
Die Parteien vertreten in Kamerun aber in der Regel einzelne Regionen oder Volksgruppen, oder?
Das stimmt. Aber es ist gerade ein großer Erfolg von ACDIC, dass die Importe von Gefriergeflügel jetzt als nationales Problem wahrgenommen werden als ein Problem aller Bürger, unabhängig von Volkszugehörigkeit, Religion oder politischer Partei und sogar unabhängig von der Kluft zwischen Arm und Reich. Ein zweiter Grund für den Erfolg unserer Kampagne war, dass wir niemanden angeklagt haben. Wir haben weder die Behörden noch die Importeure von Gefriergeflügel auf die Anklagebank gesetzt, sondern gesagt: Hier liegt ein Problem, lasst uns das zusammen lösen. Dank dieser Arbeit hat die Regierung Steuern und Zölle auf importiertes gefrorenes Hühnerfleisch erhöht. Unsere Kampagne hat im April 2004 angefangen. Ende 2004 hat die Regierung bereits die Geflügelimporte mit Hilfe von Importquoten beschränkt. Der Druck aus der Bevölkerung war das entscheidende. Wir haben demonstriert und ein Sit-in mit zehntausend Menschen vor dem Ministerium abgehalten. Im November 2005 hat die Regierung den Import einer kleinen Menge Gefriergeflügel wieder erlaubt, weil Hühnerfleisch auf dem Markt knapp war, aber wir haben wieder protestiert.
Werden Demonstrationen in Kamerun geduldet?
Demonstrationen sind legal. Man muss sie acht Tage vorher anmelden; das haben wir dann halt getan. Wenn man uns einen Marsch verboten hat, haben wir eben ein Sitin organisiert. Man muss aber sagen, dass manchmal auch großer Mut nötig war. Denn wir haben festgestellt, dass mit den Importen von Gefriergeflügel sehr viel Geld verdient wird. Die Leute, die davon profitieren, gehören zu einer polit-ökonomischen Lobby, die großen Schaden stiften kann. Es gehörte Mut dazu, es mit ihnen aufzunehmen.
Die Profiteure sitzen auch in der Regierung?
Aber sicher! Politiker gehören dazu, Beamte aus der Verwaltung und Leute aus der Wirtschaft.
Betrachten Sie die Arbeit von ACDIC auch als Beitrag zur Demokratisierung Kameruns?
Im Grunde ja. Aber mit politischen Parteien arbeiten wir nicht zusammen. Denn wir wollen nicht in die Parteipolitik hineingezogen werden.
Haben sich die Welthandelsorganisation oder etwa die Weltbank gegen die Importbeschränkungen gewandt?
Nein. Damit hatten wir keine Probleme. In Zentralafrika hat die Wirtschafts- und Währungsunion CEMAC (Communauté Économique et Monétaire de l'Afrique Centrale) einen gemeinsamen Zolltarif von 20 Prozent auf Hühnerfleisch festgelegt. Jedes Land darf aber seinen Zollsatz bis auf 180 Prozent erhöhen, das ist von der WTO gebilligt. Kamerun hat den Satz auf 52 Prozent angehoben. Außerdem hat die Regierung das Recht, die Einfuhr von Produkten zu verhindern, die gesundheitsschädlich sind.
Haben europäische Staaten oder die Europäische Union Kamerun unter Druck gesetzt, die Einfuhrhemmnisse zu lockern?
Nein. Was Geflügelimporte angeht, ist mir davon nichts bekannt.
Kann die Regierung die Importbeschränkungen tatsächlich durchsetzen und beispielsweise illegale Importe aus den Nachbarländern verhindern?
Die Regierung hat dafür nicht die Mittel. Aber wir, ACDIC, übernehmen das. Wir führen Kontrollen durch, sogar im Hafen von Douala.
ACDIC sitzt an den Zollstellen?
Aber ja. ACDIC ist in allen zehn Provinzen verankert. Wenn irgendwo Gefriergeflügel transportiert wird, dann erhalten wir Warnungen aus der Mitgliedschaft. Wir haben ein Kontrollsystem der Bürger selbst aufgebaut.
Aus welchen Nachbarländern kommen illegale Importe?
Aus Gabun. Gabun hat die Einfuhr von gefrorenem Hühnerfleisch noch nicht untersagt. Es wird per Schiff nach Gabun importiert und dann auf der Straße weiter nach Kamerun.
ACDIC ist Teil der Delegation Kameruns bei den Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO. War das ein Erfolg Ihrer Kampagne?
Ja, die Kampagne hat uns Einfluss und Glaubwürdigkeit verschafft. Seit einem Jahr gehören wir zum Komitee der Experten aus der Subregion Zentralafrika für die Verhandlungen im Rahmen der WTO. Fünf unserer Mitglieder sind in Hongkong. Wir sind keine Randalierer, Revolutionäre oder Anarchisten, wir sind Legalisten. Wir verlangen nur, dass die Interessen der kleinen Leute verantwortlich in Rechnung gestellt werden. Die Regierung hat unsere Professionalität anerkannt. Deshalb sind wir jetzt Teil der Delegationen in Handelsgesprächen sowohl im Rahmen der WTO als auch der CEMAC oder in bilateralen Verhandlungen.
Welches sind ihre wichtigsten Anliegen für diese Verhandlungen?
Das wichtigste für uns ist der Schutz für spezielle Produkte. Wir verlangen, dass eine gewisse Anzahl von Produkten, die für unsere Wirtschaft oder die Ernährung lebenswichtig sind, gegen die Folgen des Freihandels geschützt werden dürfen. Wir müssen das Recht haben zu produzieren, was wir essen. In Kamerun sind die kleinen Bauern arm, die landwirtschaftliche Infrastruktur ist schlecht. Dafür muss staatlicher Schutz möglich sein. Achtzig Prozent der Afrikaner leben von der Landwirtschaft.
Haben Sie den Eindruck, das kann in der WTO durchgesetzt werden?
Ich bin Optimist. Man muss kämpfen und Allianzen schließen und zwar lokal und auch auf globaler Ebene. Sicher waren die Verhandlungen in Hongkong in vieler Hinsicht ein Fehlschlag. Aber deshalb werden wir nicht Defätisten werden. Unsere Zukunft hängt davon ab, dass wir kämpfen. Wenn die 49 Staaten Afrikas, die der WTO angehören, sich energisch gegenseitig unterstützen würden, dann könnten sie mehr erreichen. Sie sind jedoch untereinander uneins. Das ist ein großes Problem.
Werden die Geflügelzüchter in Kamerun jetzt, wo sie vor Billigimporten geschützt sind, von der Vogelgrippe bedroht?
Ja. Die Vogelgrippe hat bereits die örtliche Produktion von Geflügel in der ganzen Subregion stark geschädigt in Kamerun, aber auch etwa in Nigeria. Anfang März hat man das Virus H5N1 erstmals in Kamerun gefunden, und sofort ist der Absatz von Geflügel stark zurückgegangen. Die Leute haben große Angst, Huhn zu essen ähnlich wie in Europa. Sie verstehen nicht, dass keine Gefahr besteht, sich durch den Verzehr von Hühnerfleisch mit Vogelgrippe anzustecken.
Weiß man, auf welchem Weg die Vogelgrippe nach Kamerun gekommen ist?
Ja, mit Geflügelimporten aus Zuchtbetrieben in Nigeria. Beide Länder haben eine gemeinsame Grenze von 1200 Kilometern Länge.
Fürchten Sie, dass die Europäer wieder versuchen werden, mehr Geflügel nach Afrika zu exportieren, weil der Konsum in Europa sinkt?
Allerdings. Manche Mäster in Frankreich haben bereits Beihilfen für den Export verlangt. Die Regierung Kameruns hat im Februar den Import aus allen Ländern verboten, wo Vogelgrippe aufgetreten ist. Nur kann man nicht sicher sagen, woher importiertes Geflügel letzten Endes stammt, da zum Beispiel viele europäische Exporte über die Niederlande abgewickelt werden. Betrug kann man nicht ausschließen. Meiner Meinung nach sollte man deshalb sämtliche Importe untersagen.
aus: der überblick 02/2006, Seite 92
AUTOR(EN):
Die Fragen stellte Bernd Ludermann.