Die Bürde des Erfolgs
An der Kampagne für eine Entschuldung der armen Länder hat sich zum ersten Mal seit langem wieder eine breite Dritte-Welt-Bewegung entzündet. Und das, obwohl das Thema - verglichen etwa mit dem Vietnamkrieg - auf den ersten Blick abstrakt wirkt.
von Bernd Ludermann
Für kurze Zeit rückte die Kampagne 1999 sogar Entschuldungsfonds mit unverständlichen Namen wie ESAF und HIPC in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Daran hatten die Kirchen und ihre Entwicklungswerke großen Anteil. Die Erlassjahr-Kampagne war und ist in Deutschland in beiden großen Kirchen stark verankert. Ihre Stärke erklärt sich zum Teil daraus, dass es gelungen ist, die Kräfte verschiedener Stellen zu bündeln. Kirchliche Entwicklungswerke haben sich für die Kampagne eingesetzt, und sie tragen sie weiter mit - so der EED, "Brot für die Welt" und Misereor. Missionswerke, Gemeinden, Kirchenkreise oder Ordensleute haben sich engagiert; einige haben befristet bezahlte Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Hinzu kamen unterschiedliche Gruppen wie terre des hommes, Gewerkschafter oder die Ärzte gegen den Atomkrieg sowie Experten für Themen aus dem Bereich Weltwirtschaft.
Der Erfolg der Kampagne beruhte aber auch darauf, dass die Forderung nach einem Schuldenerlass griffig und einleuchtend klingt. Der Bezug auf das biblische Erlassjahr erleichterte es zusätzlich, das Thema in die Kirchen zu bringen. Nun scheint die Zeit für solche Slogans vorbei. Das ist zum Teil ein Ergebnis des Erfolgs der Kampagne: Die Notwendigkeit von Schuldenerleichterungen ist im Prinzip akzeptiert. Jetzt gilt es zu prüfen, ob sie wie versprochen gewährt werden, ob sie genügen und ob die Zivilgesellschaft im Süden Einfluss auf die Verwendung der frei werdenden Mittel nehmen kann. Das ist mühsam und weniger öffentlichkeitswirksam als der Ruf nach Schuldenstreichungen. Für Entwicklungswerke wie den EED und "Brot für die Welt" bedeutet es neue Aufgaben: Sie unterstützen Partner im Süden bei der Beeinflussung des Entschuldungsprozesses und machen dessen Probleme und Mängel zum Thema der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.
Doch die Slogans sind auch deshalb leiser geworden, weil die Kampagne im Laufe der Auseinandersetzungen klüger geworden ist. Kaum jemand verlangt mehr eine vollständige Streichung aller Schulden. Dafür fordert das Bündnis "Erlassjahr.de", das an die Stelle der befristeten Kampagne getreten ist, nun Reformen des internationalen Finanzsystems - insbesondere ein Insolvenzverfahren für Staaten. Dies soll verhindern, dass Staaten in Zukunft ausweglos in der Schuldenfalle festsitzen. Diese Forderung ist freilich weder griffig noch unmittelbar einleuchtend. Dass heute dennoch darüber diskutiert wird, zeigt, dass die Kompetenz für diese Fragen in der Kampagne und den beteiligten Gruppen, auch in den Kirchen, gewachsen ist. Gerade die Popularisierung von Expertenwissen ist ein wichtiges Merkmal aller Bürgerbewegungen. Die Frage wird auch diesmal sein, wie dauerhaft sie ist.
aus: der überblick 04/2002, Seite 125
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".