Die gepa im dreißigsten Jahr
Thomas Speck ist seit 1993 Geschäftsführer der gepa, des größten europäischen Handelshauses für fair gehandelte Produkte. Man wird den fairen Handel in Deutschland nur ausbauen können, wenn die Waren eine hohe Qualität bieten und viele auch biologisch erzeugt sind, sagt Speck.
Gespräch mit Thomas Speck
Die Fragen stellte Bernd Ludermann
Wie hat sich der faire Handel insgesamt seit Beginn der 1990er Jahre verändert?
Zum Besseren. Zum Einen war die Gründung von TransFair 1992 ein Fortschritt, weil das konventionelle Firmen einlädt, am fairen Handel teilzunehmen und man so insgesamt mehr bewegen kann. Auch wenn das aus dem Blickwinkel der gepa natürlich die Konkurrenz verschärft hat. Zum Anderen hat sich in mehreren anderen Ländern der faire Handel viel stärker entwickelt als in Deutschland. In den Niederlanden oder der Schweiz ist zum Beispiel der Anteil fairer Waren etwa fünf Mal höher als bei uns.
Warum funktioniert das anderswo besser?
Das hat in den einzelnen Ländern unterschiedliche Ursachen. In der Schweiz liegt es zum Beispiel daran, dass die Einkaufsmentalität und damit die Struktur im Lebensmittel-Einzelhandel völlig anders sind als bei uns. In Deutschland ist die Landschaft durch Billig-Discounter geprägt; um zu wachsen, muss man der billigste sein, was nicht dasselbe ist wie die beste Leistung bringen. In der Schweiz dagegen beherrschen zwei Ketten Migros und Coop , die auf ein höherwertiges Angebot setzen, 80 Prozent des Marktes. Und beide haben sich hinter den fairen Handel gestellt. Damit hat man automatisch ein flächendeckendes Angebot von fairen Waren. Dazu kommt, dass die Schweizer Regierung viel früher als die deutsche angefangen hat, eine Kampagne für den fairen Handel zu machen. Die Bundesregierung tut das jetzt mit der Kampagne "Fair feels good" zwar auch, aber die verpufft zum Teil, weil die Verbraucher es schwer haben, die Produkte zu bekommen. In der Schweiz greift die Werbung für faire Produkte, weil man sie, wenn man will, tatsächlich überall kaufen kann.
Und warum verkaufen sich faire Produkte in den Niederlanden besser als bei uns?
Da spielt der Verkauf fairer Produkte in Supermärkten keine so große Rolle. Dafür gibt es in den Niederlanden ein flächendeckendes Netz von Weltläden 400 für nur ein Fünftel so viel Einwohner wie in Deutschland. Und der Durchschnittsumsatz eines niederländischen Weltladens ist vier bis fünf mal so hoch wie der eines deutschen. Wenn die Weltläden bei uns so zahlreich und umsatzstark wären, hätten wir den fairen Handel allein dadurch mindestens verdreifacht. Weltläden und Aktionsgruppen tragen in Deutschland immerhin gut die Hälfte zum fairen Handel bei, davon Weltläden zwei Drittel. Die andere Hälfte teilen sich Supermärkte und Großverbraucher. Ein zweiter Grund für den hohen Anteil des fairen Handels in den Niederlanden liegt im Bereich Großverbraucher. Es gehört dort zur politischen Kultur, dass Landesbehörden oder Gemeinden da, wo sie selbst Produkte kaufen, den fairen Handel wählen. Das gibt es bei deutschen Kommunen oder Stadtwerken nicht.
Über welchen Vertriebsweg wollen Sie in Deutschland den fairen Markt weiter ausweiten?
Wir sehen ein großes Wachstumspotenzial in allen drei Teilmärkten: Weltläden, Supermärkten und Großverbraucher. Wenn wir 1000 bis 1500 Weltläden hätten und die vielleicht ihren Umsatz verdoppeln, wären wir schon einen großen Schritt weiter. Bei den Supermärkten ist die Entwicklung schon jetzt vielversprechend, da wächst der Absatz der gepa seit Jahren zweistellig.
Aber von niedrigem Niveau aus, oder?
Na ja, wir setzen jetzt über 6 Millionen unserer knapp 37 Millionen Euro über Supermärkte ab. Dabei muss man berücksichtigen, dass die gepa 18 Prozent ihres Umsatzes mit Exporten nach Westeuropa und in geringerem Umfang Japan oder Kanada macht, wo Verkaufsgruppen faire Waren über uns beziehen. Unser Inlandsumsatz liegt bei rund 30 Millionen, da sind bald 7 Millionen über Supermärkte gar nicht so wenig. Großverbraucher nehmen weniger ab, etwa 3 bis 4 Millionen.
In welchen Supermärkten werden gepa-Produkte verkauft?
Zum Beispiel Tengelmann, Karstadt, Kaufhof, Hit-Märkte und andere.
Ist das nicht das Vertriebssegment, das in Deutschland in Schwierigkeiten ist?
Das stimmt. Beim Verkauf von Lebensmitteln kann ich in Deutschland Zuwächse erzielen, wenn ich entweder die Preisführerschaft habe das ist der große Markt oder die Qualitätsführerschaft. Wer nicht der billigste sein kann, aber bei der Qualität Kompromisse macht, der hat schon verloren. Deshalb versuchen die Supermärkte sich gegenüber den Discountern mit Qualität abzuheben. Das ist eine Chance für uns, denn diese Märkte suchen Qualitätsprodukte. Faire Produkte können nie die billigsten sein, weil sie im Einkauf teurer sind. Auch die haben deshalb nur eine Chance, wenn sie auf allen Qualitätsebenen Spitze sind. Nicht nur die soziale Qualität muss stimmen, sondern auch die Produktqualität muss besonders gut sein, vieles zusätzlich biologisch, und das müssen wir den Verbrauchern überzeugend vermitteln. Das setzt voraus, dass wir den Supermärkten hochwertige Produkte und entsprechendes Material zur Verkaufsförderung anbieten.
Zugespitzt gesagt: In Deutschland laufen nur Discounter oder Feinkost, und faire Produkte gehören zur Feinkost?
Richtig. Und das war nicht immer so bei der gepa. Wir hatten in den 1980er Jahren auch mal Kaffee, der war nicht gut. Wir haben damals von Kaffee-Qualität zu wenig verstanden, und die Käufer haben das aus politischer Überzeugung trotzdem getrunken. Heute sagen sie, fairer Handel ist eine gute Sache, und schön, dass der Kaffee auch noch gut schmeckt. Wir müssen noch einen Schritt weiter kommen. Unser Image sollte sein: Das ist der beste Kaffee, den man in Deutschland kriegen kann. Dann kommt lange nichts und dann: Schön, dass er auch noch fair gehandelt wird.
Wird die Bildung dann zur Nebensache, wie das Kritiker der Marktausweitung in den 1980er Jahren befürchtet haben?
Nein. Man hat damals unter anderem befürchtet, dass der Bildungsauftrag zu kurz kommt und der Absatz der Weltläden sinkt, wenn es faire Produkte im Supermarkt gibt. In beiden Punkten ist das Gegenteil eingetreten. Der Unternehmensauftrag der gepa ist immer ein mindestens zweifacher gewesen: nicht nur nachhaltige Entwicklung bei den Partnern im Süden zu erreichen, sondern auch die Idee des fairen Handels bei uns zu verbreiten und die Probleme des unfairen normalen Handels zu erklären. Daran halten wir fest.
Aber wenn Sie wollen, dass Ihre Produkte vor allem als besonders gut gelten und erst in zweiter oder dritter Linie als auch noch fair...
Um die Kunden zu erreichen!
Ist es nicht ein Unterschied, ob Sie jemanden ansprechen, um ihn als Kunden zum Kaufen zu bringen oder aber als Bürger zum Nachdenken?
Wenn ich erwarte, dass die Leute nachdenken, bevor sie faire Produkte kaufen, dann spreche ich nur den ganz kleinen Teil der ohnehin Überzeugten an. Die Übrigen erreiche ich nur über die Produkte, und dann erreiche ich sie auch mit der Botschaft. Schon wenn Kunden im Supermarkt am Regal vorbeigehen und sehen, die Verpackung hat eine Botschaft und es gibt kleine Broschüren an den gepa-Regalen. Außerdem führt es zu einer ganz anderen Resonanz in den Medien, wenn der faire Handel zum Wirtschaftsfaktor wird. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit hat uns eine Frau einen Brief geschrieben, in dem sie sich unter anderem beschwert, dass die gepa mit ihren ethischen Produkten im Supermarkt auftritt, wo die nicht hinpassen. Am Ende schreibt sie aber, dass sie den fairen Handel kennen gelernt hat, weil sie im Supermarkt eine Tafel faire Schokolade gekauft hat. Erst das hat sie veranlasst, sich damit zu beschäftigen. Werben denn Supermärkte besonders für ihre fairen Produkte? Eine ganze Reihe tun das. Ich beobachte allerdings bei vielen TransFair-Lizenznehmern das heißt Importeure und Verarbeiter , die überwiegend konventionelle Produkte vertreiben, dass sie wenig Werbung für ihre fairen Produkte machen. Die laufen im Sortiment nebenher mit, und es wird erwartet, dass TransFair das Marketing macht. Zum Beispiel hat Teekanne auch fair gehandelten Tee und Darboven fairen Kaffee, aber das ist kaum bekannt. Da unterscheiden wir uns von anderen Importeuren, wir haben ja nur faire Waren.
In das Marktsegment "hohe Qualität, hoher Preis" gehören auch Bio-Produkte. Wie groß ist das Interesse des Bio-Handels an fairen Produkten? Mir scheint, fair gehandelte Produkte sind oft biologisch erzeugt, umgekehrt ist das seltener.
Das stimmt. Die Verbraucher nehmen aber trotzdem oft an, dass Bio-Produkte auch fair gehandelt sind. Wir verkaufen auch in den Bio-Handel, aber nicht so stark, wie man vielleicht erwarten würde. Zum Teil weil große Bio-Unternehmen die Strategie verfolgen, den Kriterien des fairen Handels scheinbar zu folgen, indem sie ein eigenes Sozialsiegel einführen bei Rapunzel zum Beispiel heißt es "Hand in Hand". Das TransFair-Siegel zu nehmen, würde ihnen zu teuer, dann müssten sie die Produkte teurer einkaufen. Auch im Bio-Bereich verlieren aber kleine Naturkost-Fachgeschäfte zugunsten von Bio-Supermärkten oder dem Verkauf im normalen Supermarkt. Unser Bio-Absatz wächst vor allem in den Supermärkten. Und da verkaufen wir ganz stark nicht nur über die Schiene "fair gehandelt", sondern auch über die Schiene "biologisch erzeugt".
Sehen Sie ein Problem in der Zunahme nachgeahmter fairer Produkte?
Die sind ein Zeichen für unseren Erfolg: Firmen versuchen, das faire Image für ihr Marketing zu nutzen, aber ohne die hohen Kosten, die das TransFair-Siegel mitbringt. Das wird, fürchte ich, zunehmen.
Um auf Großverbraucher zu kommen: Wie viel kaufen in Deutschland Kirchen, Akademien, Parteien oder Gewerkschaften beim fairen Handel?
Die Neigung zum fairen Einkauf ist da insgesamt schwach ausgeprägt. Die wichtigsten Kunden im Bereich der Großverbraucher sind für uns nicht politische Institutionen und auch nicht kirchliche obwohl wir da viele Kunden haben , sondern große Firmenkantinen. Da ist unsere Qualität ausschlaggebend. Viele dieser Kunden machen Blindverkostungen, und da schneidet der gepa-Kaffee regelmäßig auf einem der ganz vorderen Plätze ab. Ich würde mir natürlich mehr Erfolg auch in den Kirchen wünschen.
Hat sich da noch nicht herumgesprochen, dass fairer Kaffee nicht mehr so schmeckt wie in den 1980er Jahren?
Ich denke, die kirchlichen Einrichtungen haben eher große Finanznöte. Trotzdem ist das aber auch eine Frage des politischen Willens. In den Einrichtungen der beiden Kirchen werden zusammen an die 10.000 Tonnen Kaffee pro Jahr konsumiert. Der faire Handel bewegt insgesamt 3000 Tonnen, davon die gepa die Hälfte. Wenn die kirchlichen Einrichtungen komplett auf fairen Handel umsteigen würden, würde der sich allein dadurch ungefähr verdreifachen. Ähnliches gilt im Übrigen für öffentliche Institutionen, obwohl sich die Bundesregierung mit der Kampagne für fairen Handel politisch zu diesem bekennt.
Ein Dilemma des fairen Handels ist die ungleiche Behandlung von Produzenten. Wenn die gepa über lange Zeit einer Genossenschaft Produkte zu einem deutlich höheren Preis abnimmt, als ihre Nachbarn auf dem Weltmarkt erzielen, ist das dann eine unfaire Bevorzugung?
Unsere Praxis ist in der Regel anders: Wir haben nur wenige Partner, denen wir ihre ganze Produktion abnehmen, und nehmen schwächere und kleinere zusätzlich auf. Beim Kaffee zum Beispiel könnten wir im Prinzip von drei oder vier Partnern das abnehmen, was wir tatsächlich mit zwanzig verschiedenen machen. Das würde gegen keine TransFair-Kriterien verstoßen. Wir fördern bewusst kleine Produzenten, nehmen aber den großen auch noch etwas ab, nur nicht ihre ganze Produktion.
aus: der überblick 01/2005, Seite 110