Im Südsudan übergibt die Diakonie Katastrophenhilfe ihre Gesundheitsdienste nach und nach der neuen Regierung
Ein Friedensvertrag hat Anfang 2005 den Bürgerkrieg im Südsudan beendet, und für den Neuaufbau soll die neue südsudanesische Regierung hohe Finanzhilfen erhalten. Damit läuft dort der Einsatz der Diakonie Katastrophenhilfe aus, die nur ein Mandat für Nothilfe hat. Doch die Übergabe der Gesundheitsdienste an die neue Verwaltung, die erst im Aufbau ist, stößt auf Schwierigkeiten.
von Michaela Ludwig
Sebastian Marial Dut legt das Stethoskop auf den Tisch zurück. Dann tastet er den Bauch des Mädchens ab. Als die Zweijährige zu schluchzen beginnt, gibt ihr die Mutter die Brust. Chronische Malaria, diagnostiziert der Mitarbeiter der Diakonie Katastrophenhilfe zum dritten Mal an diesem Vormittag, begleitet von einer Atemwegsinfektion. Sebastian Marial notiert Beschwerden und Diagnose auf der grünen Karteikarte und schaut die Frau über seine große Brille hinweg an. Geben sie der Kleinen nicht mehr die Brust. Kochen Sie ihr Bohnen, oder wenn sie keine haben, Kürbisblätter. Die Frau nickt und mit der Karte in der Hand verlässt sie die Bambushütte Richtung Apotheke.
Jeden zweiten Tag fährt Sebastian Marial vom Hauptquartier der Diakonie Katastrophenhilfe in Rumbek zur 25 Kilometer entfernt liegenden Krankenstation in Warkunjunk. Der 48-Jährige ist der einziger Südsudanese im fünfköpfigen medizinischen Team des Gesundheitsprogramms des Hilfswerks. Normalerweise beaufsichtigt er das einheimische medizinische Personal in Rumbek und in den Krankenstationen in den Dörfern. Doch heute muss er in Warkunjunk selbst einspringen, weil ein Mitarbeiter Urlaub hat.
Die drei Bambushütten der kleinen Klinik liegen am Dorfrand, umgeben von Elefantengras. Sebastian und eine Geburtshelferin untersuchen die Patienten, während ein medizinischer Mitarbeiter in der Apotheke über Tabletten, Hustensäfte und Tropfen wacht. Der sauber gefegte Platz zwischen den Hütten dient als Wartezimmer: Unter zwei Bäumen sitzen die Patienten meist Mütter mit ihren Kindern auf Holzbänken oder einfach auf dem Boden.
Die meisten Patienten leiden an Malaria, Durchfall oder Erkrankungen der Atemwege. Diese Krankheiten können in der Dorfklinik behandelt werden. Schwierigere Fälle bringt Sebastian Marial ins Krankenhaus nach Rumbek. Hier, im südsudanesischen Busch, fehlt es außer an Stethoskop, Spritzen und Fieberthermometern an allen aus europäischen Arztpraxen bekannten Untersuchungsinstrumenten.
Viel größere Probleme jedoch bereitet es Sebastian Marial und seinen Rumbeker Kolleginnen, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Nach 21 Jahren Bürgerkrieg sind die meisten Menschen auf dem Lande Analphabeten. Ich habe meine Ausbildung noch im Alten Sudan erhalten, erzählt er das heißt vor dem Bürgerkrieg zwischen der Regierung in Khartum und den südsudanesischen Rebellen, der 1983 begann. Heute ist es sehr schwer, junge Leute, speziell Frauen, mit ausreichender Schulbildung zu finden, die wir dann in Ausbildungszentren schicken können. Deshalb setzt die Diakonie einen Schwerpunkt auf die Ausbildung junger Menschen zum Gesundheitshelfer und finanziert deren Schulungen. Dennoch klafft zwischen Sebastian und seinen jüngeren Kollegen eine Alterslücke von knapp 20 Jahren.
Die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (Sudan People's Liberation Army, SPLA) hat Rumbek 1998 von den Regierungstruppen befreit. Kurz darauf hat die Diakonie Katastrophenhilfe ihre Arbeit in der ersten zugänglichen Stadt im Südsudan aufgenommen. Das Hilfswerk richtete zunächst ein Ernährungszentrum ein, das im Folgejahr zu einem Gesundheitszentrum ausgebaut wurde. Bis heute sind eine weitere größere Krankenstation im Nachbarbezirk Cueibet und vier kleinere so genannte Buschkliniken hinzugekommen.
Zuständig für die Krankenstation ist das Dorfgesundheitskomitee, dessen Mitglieder von den Dorfbewohnern gewählt wurden. Das Team der Diakonie arbeitet eng mit den Dorf-Gesundheitskomitees zusammen. Die Komitee-Mitglieder werden von allen Bewohnern respektiert, erklärt Sebastian Marial, ohne sie könnten wir die Menschen nicht erreichen. Das Gesundheitskomitee kümmert sich um alles: das Gelände, die Hütten auch das Personal wird ernannt und der Diakonie zur Verfügung gestellt. Die Menschen kommen aus der Gemeinde und bringen nach der Ausbildung ihre Dienste in die Gemeinde zurück, beschreibt er das Verhältnis zwischen Gesundheitspersonal und Gemeinde.
Sebastian Marial ist ein Mann der ersten Stunde. Ausgebildet noch im Alten Sudan, hat er sich in den 1990er Jahren der SPLA als Sanitäter an der Front angeschlossen. Als die Kampfeinheiten Rumbek verließen, blieb er und wurde von der Diakonie Katastrophenhilfe als lokaler Mitarbeiter für die medizinische Leitung des Gesundheitszentrums eingestellt. Vor anderthalb Jahren, als sich ein Ende des Bürgerkriegs abzuzeichnen begann, berief man ihn von Stuttgart aus ins international besetzte medizinischen Team. Nach den Plänen im Hauptsitz des Hilfswerks sollte er auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet werden: die Leitung der großen Krankenstation in der Distrikthauptstadt Rumbek sowie der kleinen Stationen in Warkunjunk und Colocok. Allein die kleinen Zentren haben ein Einzugsgebiet von 70 Dörfern, in denen etwa 13.000 Menschen leben.
Mit dieser Maßnahme leitete die Diakonie Katastrophenhilfe ihren Rückzug aus dem Südsudan ein. Die akute Notfallphase des Bürgerkriegs ist vorüber, nun geht es um den Wiederaufbau, erklärt Michael Frischmuth, Projektkoordinator in Stuttgart. Für den Wiederaufbau ist die Diakonie nach ihrem Mandat nicht zuständig. Frischmuth fordert, die neue Regierung in die Verantwortung zu nehmen. Im Südsudan existiert allerdings nach 21 Jahren Bürgerkrieg so gut wie keine Infrastruktur. Sie hat auch niemals existiert: Es gibt nur wenige befahrbare Straßen und kein Telekommunikationsnetz, Schulen und Krankenstationen werden von Kirchen und den unterschiedlichsten ausländischen Organisationen betrieben.
Dennoch hat die neue südsudanesische Regierung immerhin finanzielle Voraussetzungen für den Aufbau des Landes, von denen Menschen in anderen ehemaligen Bürgerkriegsregionen nur träumen können. Im Januar 2005 haben die sudanesische Regierung und die Rebellen der SPLA/M ein als historisch gefeiertes Friedensabkommen unterschrieben. Darin ist festgelegt, dass der Süden zunächst eine Teilautonomie erhält und nach sechs Jahren seine Bürger und Bürgerinnen darüber abstimmen lässt, ob der Süden ein eigener Staat wird oder im Sudan verbleibt. Entscheidend ist auch, dass die Einnahmen aus den Ölverkäufen die meisten Ölfelder liegen im Südsudan an der Grenze zum Nordteil zwischen Norden und Süden geteilt werden. Daraus verspricht sich der Südsudan fortan jährliche Einnahmen von über 700 Millionen US-Dollar. Außerdem hat die internationale Gemeinschaft im vergangenen Jahr auf der Geberkonferenz in Oslo Zusagen in der Höhe von 4,5 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau und für humanitäre Zwecke bewilligt. Die Geber erwarten, dass daraus die Budgets für den Gesundheitssektor und das Bildungssystem gespeist werden. So bekräftigt Michael Frischmuth: Die Diakonie Katastrophenhilfe plant, die Leitung ihrer Gesundheitsprojekte bis Endes des Jahres 2007 an das südsudanesische Gesundheitsministerium zu übergeben.
Doch dieses existiert bisher nur auf dem Papier. Zwar sind der Gesundheitsminister und die Staatssekretäre ernannt, doch sitzen die nach Jahren des Exils im kenianischen Nairobi nun in der neuen südsudanesischen Hauptstadt Juba ganz im Süden des Landes. Auf kommunaler Ebene hat die Behörde ihre Arbeit noch nicht aufgenommen. Es fehlt buchstäblich an allem: Personal, Büros, Kommunikation. Wie es heißt, gibt es noch kein Budget die erhofften Transfers der Öleinnahmen aus dem Norden bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.
Obwohl Rumbek als Bezirkshauptstadt der Sitz der Bezirksbehörde werden soll, gibt es dort keinen Vertreter der neuen Regierung des Südsudan, der zu Verhandlungen mit der Diakonie Katastrophenhilfe befugt ist. Deshalb gestalten sich die Verhandlungen für die Übergabe schwierig. Manchmal müssen unsere Mitarbeiter wochenlang darauf warten, dass jemand eintrifft, mit dem man verhandeln kann, ärgert sich Michael Frischmuth. Es zeigen sich aber auch inhaltliche Schwierigkeiten bei der Übergabe. So sei eine Kontroverse über die Qualität der Gesundheitsversorgung entbrannt. Das neue Gesundheitsministerium wolle eine medizinische Versorgung auf sehr hohem Niveau, was natürlich teuer ist. Sie solle von den im Gesundheitswesen tätigen internationalen Organisationen bezahlt werden zusätzlich zur Hilfe der Geberstaaten an die südsudanesische Regierung. Es scheint noch die Ansicht zu bestehen, dass man ein Anrecht auf internationale Hilfe hätte, stellt Frischmuth fest. Sie stellen die Bedingungen und wir sollen das Geld überweisen. Doch das würde in dem jungen Staat ohne transparente Verwaltungsstrukturen der Korruption Tür und Tor öffnen.
Deshalb plant die Diakonie Katastrophenhilfe die Übergabe in Phasen. Zunächst zieht sich das Hilfswerk aus Rumbek und den kleinen angeschlossenen Zentren zurück und konzentriert sich auf das abgelegene Cueibet, wo das deutsche Hilfswerk als einzige Organisation in der Gesundheitsversorgung tätig ist. Als Leiter der Station in Rumbek koordiniert Sebastian Marial die Zusammenarbeit von Gesundheitsministerium und Diakonie Katastrophenhilfe. In der Übergangsphase werden sein Gehalt und das seiner Kollegen weiter aus Stuttgart bezahlt, ebenso die Medikamente, die kostenlos ausgegeben werden. Die Diakonie Katastrophenhilfe will aber weiterhin selbst kontrollieren, ob die Mittel auch ordnungsgemäß verwendet werden, sagt Frischmuth: Wir können unmöglich einfach nur Schecks ausstellen. Das birgt die Gefahr, dass unsere Zahlungen die Projekte nicht erreichen.
Nach den Erfahrungen der Pilotphase soll dann die Übergabe der Stationen in Cueibet geplant werden. In Stuttgart spricht man von einem endgültigen Rückzug bis Ende 2007. Doch gibt Michael Frischmuth zu, dass diese Prognose sehr optimistisch ist.
aus: der überblick 01/2006, Seite 105
AUTOR(EN):
Michaela Ludwig
Michaela Ludwig ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik und Ostafrika in Hamburg. Ihre Recherchereise in den Südsudan wurde vom EED unterstützt.