Vom Umgang mit Krankheit und Seele
Viele Menschen in Afrika vertrauen sich den pfingstlerisch-charismatischen Kirchen nicht nur in Fragen des Seelenheils an, sondern auch um von Krankheiten geheilt zu werden. Bei ihren Heilungsritualen setzen diese religiösen Bewegungen auf Gebete und die vereinte Unterstützung der Gemeindemitglieder. Mitunter verbieten sie die Einnahme von Medikamenten, da Gott allein die Macht habe zu heilen. Wie ist dieses Heilungsengagement zu bewerten?
von Clint Le Bruyns
Bei meinen Reisen habe ich einen Trend, ein seltsames historisches Phänomen beobachtet: Gott 'bewegt' sich ausgehend vom Mittleren Osten über Europa und Nordamerika geographisch auf die Entwicklungsländer zu. Meine Theorie ist die: Gott geht, dahin, wo er gebraucht wird.« Diese pointierte Bemerkung des nordamerikanischen Schriftstellers Philip Yancey deckt sich mit dem, was der afrikanische Theologe John Mbiti früher schon einmal so formuliert hat: »Die Zentren der Universalität der Kirche [sind] nicht mehr in Genf, Rom, Athen, Paris, London, New York, sondern in Kinshasa, Buenos Aires, Addis Abeba und Manila.« Noch genauer drückt es Andrew Walls, ein europäischer Gelehrter, aus. Für ihn zeichnet sich in Afrika deutlich erkennbar eine neue Tradition ab, die »das Standard-Christentum der Gegenwart darstellt«, und das bedeute, dass »jeder der sich heutzutage ernsthaft mit dem Christentum befassen will, etwas über Afrika wissen muss«.
Das Christentum in Afrika ist weitgehend pfingstlerisch-charismatisch. Diese Kirchen unterscheiden sich in ihrer Geschichte von den unabhängigen afrikanischen Kirchen, die sich nach dem Ende der Kolonialzeit von ihren Missions-»Mutterkirchen« abgenabelt hatten. Dennoch gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten und beiden wichtige Anliegen. Dazu zählt insbesondere die Betonung spiritueller Begegnungen und Erfahrungen inmitten der alltäglichen Sorgen und der harten Lebensumstände. Bei allen Problemen, angefangen bei Krankheiten, die als Folge von Armut, Hunger und Umweltverschmutzung auftauchen, über physische Gebrechen, psychische Beschwerden und Suchtprobleme, bis hin zu Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Gewalt halten die Menschen in Afrika Ausschau nach Verheißung von Gesundheit von Leib und Seele. Aus diesem Grund behauptet der nordamerikanische Autor Philip Jenkins: »Praktisch bedeutet das, dass der Glaube an geistliche Kräfte sich am direktesten im Heilen durch spirituelle Mittel zeigt. Die Praxis des Heilens ist eines der stärksten Themen, das die neueren Kirchen des Südens, sowohl die Großkirchen als auch die unabhängigen Kirchen, miteinander verbindet. Sie ist vielleicht auch das, was sie für die Menschen am anziehendsten macht.« Charismatische Kirchen in Afrika stehen oder fallen mit ihrem Erfolg bei der Heilung. Um ihr Können und ihre Wirksamkeit in diesem Bereich zu demonstrieren, erfinden sie ausgefeilte Heilungsrituale, welche die Menschen in ihren Bann ziehen.
Frederick Ojowa, ein afrikanischer Aktivist im Kampf gegen HIV/Aids, berichtete den folgenden Fall: »Im März 1996 haben wir einen prominenten jungen Dozenten einer unserer Universitäten zu Grabe getragen. Er war 36 Jahre alt, früher ein standhafter Katholik, ehrbar verheiratet und hatte zwei Kinder. Der verstorbene Dr. Ouma war etwa ein oder eineinhalb Jahre zuvor erkrankt, und die Ärzte diagnostizierten Tuberkulose und Aids. Er erhielt eine erstklassige TB-Behandlung und eine regelmäßige Dosis eines Medikaments, das damals gerade als Mittel gegen Aids getestet wurde. Ein Pastor der Power of Jesus in Africa Church besuchte ihn an seinem Krankenlager. Dr. Ouma wurde bekehrt und nahm Jesus als seinen persönlichen Heiland an. Danach verurteilte er den Gebrauch jeglicher Medikamente und nahm auch selbst keine mehr ein. Während er seinen inneren Frieden fand, verschlechterte sich sein physischer Zustand ziemlich rasch. Nach wenigen Monaten starb er friedlich im Herrn. Der Pastor führte ein würdiges christliches Begräbnis durch, und die Ärzte ließen nichts über die Anfangsdiagnose verlauten.«
Anhand dieses Fallbeispiels könnte man zwei Fragen stellen, um einen Einblick in die Bedeutung der Heilungsrituale in den charismatischen Pfingstkirchen in Afrika zu erhalten: Erstens, auf welche Weise bieten diese Kirchen Heilung vorrangig an? Zweitens, in welchem Maße sind diese Heilungsrituale für die betroffenen Kirchen schöpferisch und glaubwürdig?
Der südafrikanische Erziehungswissenschaftler Stuart Bate ist diesen Fragen nachgegangen. Mindestens drei Hauptformen des Heilungsangebotes hat er dabei entdeckt. Primäre Methode ist für ihn der Heilungsgottesdienst. Diese Andacht findet gewöhnlich als eine Art »Altar-Aufruf« statt. Diejenigen, die geheilt werden möchten, werden ermutigt, nach vorne zu kommen, um durch das Gebet des Heilers oder Leiters gesund zu werden. Üblicherweise geschieht dies nach einer Phase emotionaler Einstimmung durch Musik, Zeugnis ablegen, Predigt, Handauflegung und Gebet. Eine weitere Methode ist die persönliche Begegnung zwischen dem Patienten und dem Heiler. Dabei erhält der Gläubige eine persönliche Beratung, betet gemeinsam mit dem Prediger und beichtet ihm seine Sünden. Ein weiteres Schlüsselelement ist laut Bate die Eingliederung des Hilfesuchenden in die kirchliche Gemeinschaft, in der Zugehörigkeit, Bestätigung und Weltanschauung die wesentlichen Dimensionen zur Heilung sind.
Unter der Annahme Dr. Ouma hat diese Heilungsrituale vollzogen, können weitere Schlüsse gezogen werden. Der Heilungsgottesdienst dient als direktes Gegenstück zum Heilungsritual des Aufsuchens eines Krankenhauses oder einer Klinik und der Einnahme von Medikamenten. Die zwischenmenschliche Begegnung zwischen ihm und dem Pastor sind quasi Schuldbekenntnis und Beratung. Durch die Aufnahme und Einbeziehung in die neue Kirchengemeinde erfährt er Zugehörigkeit und Bestätigung, aus der sich eine neue Sichtweise auf das Leben und die Welt ergibt.
Doch wie wirksam und glaubwürdig waren diese Heilungsrituale? Sie können sich positiv oder negativ auf folgende fünf Bereiche auswirken: das emotionale, kulturelle, sozioökonomische, medizinische und theologische Erleben. Nach Auffassung von Bate können der Erfolg und die Auswirkungen der Heilung nicht allein aus Sicht der theologischen oder medizinischen Wissenschaft bewertet werden. Vielmehr ist eine multidisziplinäre und integrierte Betrachtungsweise angezeigt, bei der auch die Blickwinkel der Psychologie, der Ethnologie und der Soziologie berücksichtigt werden müssen.
Durch die psychologische Linse betrachtet, ließe sich sagen, dass Dr. Ouma eine emotionale Wandlung von unwohlem zu gutem Befinden durchgemacht hat. Auslöser war sein Kontakt mit dem Pastor und der Kirche und seine neue Beziehung zu Gott. Die Beratungsgespräche haben ihm alternative Lebensauffassungen eröffnet und Hoffnung auf Heilung und künftige Wiederauferstehung gegeben. Das Handauflegen war dann eine bedeutungsvolle Berührung, eine symbolische Bekräftigung der neuen Geborgenheit. Insbesondere als seine Gesundheit schwand, haben diese Begegnungen und der Zuspruch eine Katharsis ermöglicht.
Die Arbeit des südafrikanischen »Instituts für die Heilung von Erinnerungen« in Situationen wie die in Ruanda, ist ein typisches Beispiel für diese Dimension des Heilungsdienstes. Es ist in diesen Gemeinden nicht ungewöhnlich, der Krankheit einen Namen zu geben. Sie kann ein Dämon, ein Ahne und dergleichen sein. Die Tatsache, dass Dr. Ouma sich entschlossen hatte, den Gebrauch von Medikamenten zu verurteilen und auch für sich selbst abzulehnen, lässt vermuten, dass er emotional und kognitiv erwartete, durch den Heilungsdienst seiner Kirche gesund zu werden. Er hatte volles Vertrauen.
Wenn man sein Schicksal aus ethnologischer Sicht betrachtet, dann ist der verstorbene Dozent in einer kulturell angemessenen Weise behandelt worden. In afrikanischen Kulturen gibt es eine Reihe machtvoller Symbole, wie zum Beispiel Dämonen, böse Geister, Hexen oder Krankheitserreger, ebenso wie Gebete, Segnungen, Dämonenaustreibung oder das Schlachten eines Tieres zur Besänftigung der Ahnen. Seine Kirche hat sicher einige dieser Symbole als für den Heilungsprozess geeignet in ihre Rituale aufgenommen. Sie helfen dem Patienten, den unbekannten und beängstigenden Virus in seinem Körper besser zu begreifen.
Aus der Perspektive der Sozialökonomie hat Dr. Ouma in der Kirche ein neues Gefühl der Zugehörigkeit und der sozialen Integration erfahren. Angesichts des Schleiers der Verheimlichung, in den eine HIV/Aids-Diagnose üblicherweise gehüllt wird, und der sozialen Ausgrenzung und Entfremdung, die der Virus für ihn bedeutete, hat die Kirche ihm ein Gefühl sozialer Stärke und Wiederherstellung vermitteln können, indem sie ihn am kirchlichen Leben beteiligte. In der Gesellschaft war er durch die Diagnose stigmatisiert, in der Gemeinde hat er einen besseren Status gehabt.
Durch die medizinische Brille betrachtet ist der Fall von Dr. Ouma scharf zu kritisieren. Die Heilungsrituale in der Medizin stützen sich auf die wissenschaftliche Methode verifizierbarer und wiederholbarer Schlussfolgerungen. Sie setzt voraus, dass der Patient medizinische Hilfe sucht. Auch wenn der Virus zur Zeit unheilbar ist, erhielt Dr. Ouma keine überzeugende Weisung von seiner Kirche. Mit der medizinischen Behandlung hätte sein Leben wenigstens verlängert werden können. Wenn seine Kirche ihm Hoffnung macht, durch ihre Heilungsrituale gesund zu werden, kann das die medizinische Wissenschaft nur skeptisch beurteilen und kritisieren.
Aus diesem Grund hat übrigens die nigerianische Hörfunk- und Fernsehkommission im vergangenen Jahr ein Verbot erlassen, Wunder im Fernsehen zu übertragen, die vornehmlich bei Veranstaltungen von Pfingstlern vorgeführt werden. Solche Vorführungen seien fragwürdig oder Betrug und seien nur auf finanziellen Gewinn ausgerichtet. In jüngster Zeit werden jedoch die positiven Auswirkungen religiöser Überzeugung auf physische Symptome und den allgemeinen Gesundheitszustand zunehmend anerkannt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse könnte auch die Medizin zu einer positiveren Einschätzung von Religion in Verbindung mit Gesundheit kommen.
Aus religionswissenschaftlicher Betrachtungsweise ist Dr. Ouma das theologische Kapital der Kirche zugute gekommen. Er hat eine persönliche Beziehung zu Gott aufgebaut und durch die kirchliche Organisation ein tragendes Umfeld erhalten. Schwieriger und fragwürdiger hingegen ist die Überzeugung der Kirche zu bewerten, die sich sicher war, dass er von seinem Virus geheilt werden könnte. Auch die damit verbundene nachdrückliche Ablehnung medizinischer Mittel ist sehr fragwürdig. Die theologische Haltung wäre glaubwürdiger, wenn sie Leben, Gesundheit und Ganzheitlichkeit ihrer Anhänger hier auf Erden förderte.
Der Fall von Dr. Ouma ist nur einer von vielen typischen Beispielen für die Formen und Auswirkungen des Heilungsdienstes der charismatischen Pfingstkirchen in Afrika. Im Gesundheitswesen spielen sie durchaus eine Rolle. Der weiteren Christenheit sollte man empfehlen, sich dieser Kirchen mit ihren wichtigsten Ritualen bewusst zu werden, weil sie die christliche Gemeinschaft auf die elementare Bedeutung des Heilens für die Afrikaner und auf ein ganzheitliches Verständnis von Heilung aufmerksam machen. So gesehen hat der deutsche Theologe Jürgen Moltmann zu Recht festgestellt: »Es ist oft unmöglich die Kranken zu heilen, ohne ihre Beziehungen zu heilen, ihre Lebensumstände und die Strukturen der Gesellschaftssysteme, denen sie angehören.«
aus: der überblick 01/2005, Seite 54
AUTOR(EN):
Clint Le Bruyns:
Dr. Clint Le Bruyns ist Dozent und Forscher am »Beyers Naudé Zentrum für Öffentliche Theologie« an der Universität von Stellenbosch in Südafrika.