Interessengegensätze zwischen Nord und Süd belasten die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung
Ohne Energie keine nachhaltige Entwicklung - so kurz und knapp
lässt sich das Ergebnis der 9. Sitzung der UN-Kommission für
Nachhaltige Entwicklung zusammenfassen. Damit sind die internationalen
Vereinbarungen in diesem Bereich in einem wesentlichen Punkt weiterentwickelt
worden.
von Irene Freudenschuss-Reichl
Trotz der unbestrittenen Rolle, die Energie für alle gesellschaftlichen Aktivitäten spielt, war es 1992 beim Erdgipfel in Rio de Janeiro (UN Conference on Environment and Development, UNCED) nicht möglich, ein Energie-Kapitel in das umfassende Aktionsprogramm "Agenda 21" einzuarbeiten. Die OPEC-Länder lehnten dies entschieden ab - kräftig gestützt von den USA, die den energieintensiven American Way of Life nicht zur Diskussion stellen wollten.
Dass es seither überhaupt zu einem globalen Dialog über Energiefragen kommen konnte, geht auf die Beharrlichkeit der Europäischen Union zurück, die im Rahmen der Fünf-Jahres-Überprüfung der Rio-Verpflichtungen durch eine Sonder-Generalversammlung im Jahr 1997 darauf bestand, Energiefragen in das Arbeitsprogramm der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development, CSD) aufzunehmen. Sie fanden auch Eingang in das von der "Rio+5"-Konferenz angenommene "Aktionsprogramm für die weitere Umsetzung der Agenda 21". Angesichts der Komplexität dieses Themas wurde dabei auch ein fast zweijähriger Vorbereitungsprozess beschlossen, der einer ad hoc eingerichteten Gruppe (Ad Hoc Open-Ended Intergovernmental Group of Experts on Energy and Sustainable Development) übertragen wurde.
Die Ad hoc-Gruppe traf sich unter dem Ko-Vorsitz von Österreich und Iran Anfang März 2000 zu einer ersten Sitzung, in der das Gerüst der Verhandlungen erarbeitet wurde. Der relativ lange Zeitrahmen machte es auch möglich, in allen UN-Regionen Treffen abzuhalten oder einzelne Themen - wie etwa die Frage der Energie für den ländlichen Raum während des ersten Treffens des Global Forum on Sustainable Energy - in spezifischen Veranstaltungen zu behandeln.
Für die zweite und entscheidende Sitzung der Ad hoc-Gruppe hielten die Ko-Vorsitzenden informelle Konsultationen ab, in denen sie beauftragt wurden, einen Entwurf für einen Verhandlungstext auszuarbeiten. Er wurde den Delegationen mehrere Wochen vor Beginn der Sitzung Ende Februar 2001 vorgelegt. Im Zuge von zwei Lesungen konnte die Ad hoc-Gruppe weitgehende Übereinstimmung über die einleitenden Kapitel des Textes und viele der grundlegenden Fragen (Zugang zu Energie, Energieeffizienz, erneuerbare Energie, fortgeschrittene Energietechnologien, Energie für den ländlichen Raum) erzielen. Auch über die meisten der Querschnittsfragen (Forschung und Entwicklung, Aufbau von Kapazitäten, Technologie-Transfer, Informationsverbreitung, Mobilisierung von finanziellen Ressourcen, Einbindung aller Akteure und Partizipation in Energie-Entscheidungen) konnte Einigkeit hergestellt werden. Über die regionale Zusammenarbeit fand man ebenfalls einen Konsens.
Streit gab es über die finanziellen Leistungen der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern, die auf zusätzlichen Mitteln (new and additional financial resources) beharrten, die Rolle des Marktes (inklusive Marktregulierung, Energie-Subventionen, rationale Preisgestaltung, Internalisierung von externen Kosten), das Nuklear-Kapitel und die Empfehlungen für den Bereich der internationalen Kooperation.
Diese Bereiche wurden während der Hauptsitzung der 9. Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD-9) weiterverhandelt. Dabei erwiesen sich Querverbindungen zu den Beratungen in den anderen Sachbereichen des CSD-9 (insbesondere die Kapitel "Atmosphäre", "Rahmenbedingungen" und "Transport") zunehmend als Hemmschuh für den Fortgang der Energie-Verhandlungen. Angesichts äußerst umfangreicher, spät eingebrachter Textvorschläge der EU - etwa zum Transportbereich - verlegte sich die Gruppe der Entwicklungsländer (G 77) auf einen Paket-Ansatz, demzufolge eine Balance zwischen den neuen Konzepten der EU (wie Internalisierung von externen Kosten oder Reform der Energie-Subventionen) und den Forderungen der G 77 nach neuen und zusätzlichen Finanzmitteln zu suchen war.
Hinsichtlich der Frage der Finanzmittel, aber auch der Rolle der Märkte ging man auf die Konsensformulierungen der Agenda 21 bzw. der Rio+5- Empfehlungen zurück. Die Tatsache, dass das (wenngleich schwache) Kapitel Making markets work for sustainable development in der Liste der horizontalen Fragen aufscheint, ist dennoch ein kleiner Fortschritt und stellt eine (bescheidene) Anerkennung der Rolle der Privatwirtschaft dar. Das Nuklear-Kapitel dokumentiert die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern, die Atomenergie grundsätzlich ablehnen, und jenen, die sie nutzen wollen. Immerhin betont es die Bedeutung von möglichst optimalen Lösungen im Bereich Sicherheit der Anlagen, Abfall und Transport sowie Vermeidung von Proliferation.
Nicht durchgesetzt hat sich die EU mit ihrem Versuch, unter dem Titel Shared Goals for Action normative Prinzipien für Energiepolitik festzulegen. Dagegen wehrten sich nicht nur die G 77, sondern auch die übrigen (unter dem Akronym JUSCANZ operierenden) Industrieländer ganz entschieden. JUSCANZ bekämpfte alles, was ihrem selektiven (policy menu approach) zuwiderlaufen konnte, dem sie ja auch im Klimaprozess huldigen.
Auf Seiten der G 77 war der Verhandlungsprozess beherrscht von den OPEC-Ländern. Saudi-Arabien, Nigeria und Ägypten arbeiteten auf Verlangsamung des Prozesses hin, was die Verhandlungen einige Male an den Rand des Zusammenbruchs führte. Die übrigen Entwicklungsländer brachten ihre - wesentlich andere Interessenlage - kaum zu Gehör und waren in den Verhandlungen oft auch nicht präsent.
Zu denken geben sollte, dass es nicht gelang, die reichen und technisch wesentlich ausgereifteren Ergebnisse der regionalen Vorbereitungstreffen (die zumeist auf Ministerebene stattfanden), in den CSD-9-Prozess hereinzuholen. Einzelne Äußerungen von einflussreichen G 77-Delegationen ließen den Schluss zu, dass ihnen die Regionalergebnisse entweder nicht vertraut oder nicht genehm waren. Dies wirft natürlich beunruhigende Fragen über die Nützlichkeit des New Yorker Verhandlungsprozesses auf, der nach wie vor von einer kleinen Gruppe von Delegierten der 2. Kommission der Generalversammlung beherrscht wird, die sich gut und lange kennen und praktisch alle Themen der nachhaltigen Entwicklungs-Agenda mehr oder weniger eigenmächtig und ohne Rücksprache mit den heimatlichen Ministerien bearbeiten.
Im Rahmen der Dritten Konferenz der Vereinten Nationen über die am wenigsten entwickelten Länder (LDC III) vom 14. - 20. Mai 2001 in Brüssel wurde die Bedeutung von energiepolitischen Interventionen für erfolgreiche Armutsbekämpfung weiter vertieft. Eine interaktive Runde unter dem Ko-Vorsitz von Mali und Österreich, die von UNIDO-Generaldirektor Carlos Alfredo Magarinos moderiert wurde, schlug Initiativen zur Verbesserung der Energiesituation in einigen der ärmsten Ländern vor. Dazu gehören die Vernetzung von regionalen Energie-Zentren zur Verbesserung des örtlichen Know-how, die lokale Herstellung von Anlagen, die erneuerbare Energien nutzen, die Ausdehnung eines einfachen multifunktionalen Modells zur Energie-Grundversorgung in Dörfern des ländlichen Afrika, und Hilfestellung für die ärmsten Länder, damit sie besser mit Ölpreisschwankungen und -risiken umgehen können.
Die gemeinsame Erarbeitung dieser Initiativen zwischen Entwicklungsländern, Industriestaaten und kompetenten internationalen Organisationen kann als erste Konkretisierung der Empfehlungen von CSD-9 angesehen werden, wenngleich an der Finanzierung dieser Initiativen wohl noch einige Zeit wird gearbeitet werden müssen.
Der Stellenwert, den Hilfestellungen der Industriestaaten im Bereich "Energie für Nachhaltige Entwicklung" für die Entwicklungsländer haben, sollte auch im Zusammenhang mit der Klimaschutzproblematik gesehen werden. Selbst wenn es gelingen sollte, das Kyoto-Protokoll umzusetzen, was angesichts der jüngsten Ankündigungen der Regierung Bush mehr als fragwürdig erscheint, wäre damit nur ein kleiner Beitrag für die Stabilisierung des Weltklimas geleistet. Bekanntlich bezieht sich die Reduktionsverpflichtung des Kyoto-Protokolls nur auf die Industriestaaten und beinhaltet lediglich eine Gesamtverminderung von fünf Prozent gegenüber dem Niveau von 1990. Der Energieverbrauch der Dritten Welt steigt aber kräftig, damit nehmen auch die Treibhausgasemissionen zu. Solange im Norden pro Kopf so viel mehr Energie verbraucht wird, können die Industriestaaten den Entwicklungsländern keine Deckelung aufzwingen. Wenn der Norden dem Süden aber hilft, Entwicklungspfade zu beschreiten, die umweltverträglicher sind, wird dem legitimen Entwicklungswunsch des Südens Rechnung getragen und gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Das sollte wohl auch Auswirkungen auf die Bereitschaft haben, Finanzmittel für "Energie für nachhaltige Entwicklung" zu mobilisieren.
Anmerkung
Die wichtigsten Aussagen der CSD-9 im Energiebereich sind unter folgender Internet-Adresse zu finden: www.un.org/esa/sustdev/csd9/energy.htm
WeltenergieanalyseEnergie für die ArmenDas World Energy Assessment (WEA), eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Zusammenhänge zwischen Energie und nachhaltiger Entwicklung, wurde gemeinsam vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), von der UN-Abteilung für Wirtschafts- und Sozialfragen (DESA), und vom Weltenergierat (World Energy Council, WEC) unternommen und im Herbst 2000 veröffentlicht. Das internationale Expertenteam unter dem Vorsitz des ehemaligen brasilianischen Umweltministers José Goldemberg belegt, dass es genügend Energiequellen und auch technologische Möglichkeiten gibt, um den Welt-Energiebedarf, der in den nächsten Jahrzehnten drastisch ansteigen wird, so zu befriedigen, dass den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Verträglichkeit Rechnung getragen wird. Das erfordert allerdings ein entschiedenes Abgehen vom derzeitigen business-as-usual und mutige politische Weichenstellungen für eine nachhaltige Energiezukunft. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Goldemberg-Untersuchungen ist, dass es Energie-Lösungen gibt, die gleichzeitig wirtschaftlich sind und auf soziale und ökologische Belange Rücksicht nehmen. Professor Thomas B. Johansson, Leiter der UNDP-Energie-Abteilung und treibende Kraft hinter dem WEA, hebt folgende weitere Schlüssel-Aussagen hervor:
Irene Freudenschuss-Reichl |
aus: der überblick 02/2001, Seite 69
AUTOR(EN):
Irene Freudenschuss-Reichl:
Dr. Irene Freudenschuss-Reichl ist seit 1982 im österreichischen diplomatischen Dienst. Sie ist derzeit freigestellt für ihre Aufgabe als Leiterin des UNIDO-Büros in New York.