Primat der Gewalt?
Die Partner kirchlicher Entwicklungsarbeit in Kolumbien zeigen bewundernswerten Mut. Denn sie sitzen in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen allen Stühlen eine Position, die in Kolumbien lebensgefährlich ist.
von Bernd Ludermann
Wer dort für soziale oder Menschenrechte eintritt, kann ins Schussfeld einer Guerilla geraten, die ihre Wurzeln im sozialen Protest mehr und mehr gekappt und "kein demokratisches Projekt" vorzuweisen hat wie es Pedro Santana ausdrückt, der Präsident der vom EED unterstützten Vereinigung "Die Bürgerrechte sollen leben". Größer noch ist aber die Gefahr, von Mördern aus dem Kreis der Paramilitärs umgebracht zu werden oder zu "verschwinden".
Der Staat und seine Justiz bieten dagegen keinen Schutz teils aus Unfähigkeit, teils mit Absicht. Viele Übergriffe der Guerilla, gegen die Kolumbiens neuer Präsident Uribe eine militärische Offensive eröffnet hat, können sie nicht verhindern. Die Paramilitärs jedoch werden oft von Behörden begünstigt, gedeckt oder gar unterstützt, richten sich doch viele ihrer Verbrechen gegen vermeintliche Sympathisanten der Guerilla. Die Polizei und die Armee verstoßen zudem selbst gegen die Menschenrechte, ohne dass sie dafür zur Verantwortung gezogen würden. Morde, Massaker und Vertreibungen treffen überwiegend die Zivilbevölkerung oder die, die zu helfen versuchen in den vergangenen Jahren zunehmend auch Geistliche.
Präsident Uribe hat im September Verteidiger der Menschenrechte, wie sie unter anderem vom EED, "Brot für die Welt" und Misereor unterstützt werden, öffentlich in die Nähe der Guerilla gerückt. Es ist zu befürchten, dass dies als Freibrief für weitere Morde verstanden wird. In dieser Situation sollten sich in Europa auch die Regierungen deutlich für alle einsetzen, die in Kolumbien gegen sämtliche Kriegsparteien das Recht hochhalten auch wenn Uribes Kriegskurs zur Zeit von einer Mehrheit in Kolumbien gebilligt wird.
Und auch wenn Kritik aus Europa kaum zur Beilegung der transatlantischen Verstimmungen beitragen würde. Denn die USA stützen den Kurs Uribes ohne große Vorbehalte. Washington gibt Kolumbien seit Jahren umfangreiche Militärhilfe, die seit 2002 auch offiziell gegen die Guerilla eingesetzt werden darf. Staatspräsident Uribe profitiert von der weltweiten Tendenz, im Namen des Kampfes gegen den Terror die Schranken der Staatsgewalt auszuweiten. Um die Guerilla wirksamer bekämpfen zu können, suspendiert er das Recht. Damit kann er sich, so bemerkt Pedro Santana, seit dem 11. September auf das Beispiel der US-Regierung berufen siehe deren Gefangene in Guantanamo Bay. In der Tat können die Menschenrechte und das Völkerrecht den Kampf gegen Guerilleros, Paramilitärs oder Terroristen behindern, weil sie Regierungen Mittel verwehren, die ihre Gegner möglicherweise anwenden etwa Vertreibungen und Mord auf bloßen Verdacht. Nur: Wird eine Regierung, die sich dieser Fesseln entledigt, nicht ihren Gegnern zum Verwechseln ähnlich?
aus: der überblick 04/2003, Seite 127
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".