Qualität statt Quantität in der Entwicklungszusammenarbeit
von Karl Addicks
Zurückblickend auf fast ein halbes Jahrhundert Entwicklungshilfe und viele hundert Milliarden Dollar, die in die Dritte Welt geflossen sind, stellt sich die Frage, warum die gewünschten Erfolge so unterschiedlich und in Afrika so spärlich eingetreten sind. Immer noch sind dort große Teile der Bevölkerung von wirtschaftlicher Entwicklung weitgehend ausgeschlossen.
Entwicklungszusammenarbeit ist nicht unumstritten. Manche plädieren für die völlige Einstellung, andere für eine gewaltige Ausweitung der Hilfe. Brauchen wir mehr Geld oder ist das Geld das Problem? Mir fehlt bei dieser Diskussion die Debatte um die Qualität von Entwicklungszusammenarbeit. Was muss wie anders gemacht werden, damit es am Ende der nächsten Dekade deutlich sichtbare Erfolge gibt? Im Vorfeld des G-8-Gipfels stand nur die Quantität die Geldbeträge und Prozentsätze im Vordergrund der öffentlichen Auseinandersetzung. Gleichwohl müssen wir uns immer wieder fragen: Was wollen wir erreichen? Ich beantworte diese Frage folgendermaßen: Wir wollen, dass irgendwann alle Menschen überall auf der Welt die Möglichkeit haben, in freien, demokratischen Rechtsstaaten in angemessenem Wohlstand zu leben, in sozialen Marktwirtschaften, in denen ein jeder seinen Lebensentwurf leben kann, freilich ohne dabei die Lebensentwürfe anderer einzuschränken. Da dies nicht für andere erarbeitet werden kann, bleibt nur Hilfe zur Selbsthilfe als realistische Möglichkeit, dieses hohe Ziel zu erreichen.
Es gibt Länder, die mit Hilfe von außen das Richtige getan und großen Erfolg gehabt haben. Die Menschen in Thailand, Malaysia und Südkorea beispielsweise haben sich große Freiheits- und Wohlstandszuwächse erarbeitet. Dies war möglich durch eine Politik der wirtschaftlichen Öffnung, des freien Unternehmertums und der Eigenverantwortung der Bürger in einem freiheitlichen System; eine solche Politik ist am ehesten geeignet, aus Armut und Stagnation herausführen. Sozialistische Experimente sind und bleiben nicht der richtige Ansatz für Entwicklung. Simple Umverteilung ist es ebenso wenig, mögen hierzulande auch unbelehrbare Geister weiter anders rufen.
Ein wichtiger Aspekt von Entwicklung, gerade in Afrika, ist die politische Führung der Länder und deren Verantwortung für ihre eigenen Völker. Afrika ist weiterhin ein paternalistischer Kontinent, Frauen werden unterdrückt, um die Freiheit des Einzelnen steht es schlecht und Clanwirtschaft, Stammesdenken und Korruption sind und werden noch lange große Übel Entwicklungshindernisse sein. Jeder, der in Afrika gelebt und gearbeitet hat, weiß, dass das so ist. Wir müssen es auch offen aussprechen: Die politischen Eliten, aber auch die Verantwortlichen in Justiz und öffentlicher Verwaltung haben vielfach noch lange nicht die Integrität und Verantwortlichkeit gegenüber ihren Bürgern. Gute Regierungsführung im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie steht bei vielen nicht im Mittelpunkt. Das Fehlen von Good Governance führt dazu, dass ein Großteil der Hilfsgelder versickert. Der Typus des uneigennützigen Landesdieners à la Friedrich der Große fehlt hier noch weitgehend. Diese Eliten wissen, dass die Europäer zum Teil ein schlechtes Gewissen (Kolonialismus!), zum Teil einen moralischen Imperativ haben, der ihnen Hilfeleistung befiehlt. Das wird ausgenutzt, um sich schamlos zu bereichern und um Macht und Einfluss zu gewinnen. Dabei gehen einige sehr rigoros vor. Sani Abacha in Nigeria beispielsweise gelang es, Milliarden Dollar in wenigen Jahren zusammenzugaunern. Auch Ex-Präsident Obasanjo soll seinen Clan begünstigt haben. Dies sind nur Beispiele, das, was in die Öffentlichkeit gelangt, ist nur die Spitze des Eisberges.
Warum ist die Krankenhausapotheke leer? Weil Medikamente, teure zumal, wie Dollarscheine herumliegen und vom unter- oder gar nicht bezahlten Personal verkauft werden. Warum ist das Personal nicht auf seinem Posten in der Nachtschicht? Weil der Gesundheitsminister einen großen Teil deren Gehalts in seine eigene Tasche umleitet und an seinen Clan verteilt. Warum ist die Straße nach nur einer Regenzeit kaputt? Weil der Betrug dort stattfindet, wo die gutgläubigen Europäer ihn nicht bemerken wollen. Wir müssen viel mehr auch echte Kontrolle ausüben, stichprobenartig und unangemeldet. Eine Probebohrung in der Straße zeigt ganz schnell, wie viel diese Straße kosten durfte. Schon eine oberflächliche Kenntnis von den Kosten der Arbeit und des Materials lässt sofort errechnen wie viele einfache Schulen ich mit der Summe X erbauen kann.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass ein zeitnahes Verfolgen der Wirkung von Entwicklungspolitik nötig ist. Oft war das nicht der Fall, wurden offensichtlich entwicklungsfeindliche Maßnahmen und Ereignisse bei den Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit stillschweigend toleriert. Wertvolle Zeit und immense Mittel wurden zweckfremd eingesetzt oder waren schlicht unsinnig. Mir fällt da das milliardenteure Stahlwerk im Nigerdelta ein. Es wurde völlig am Bedarf vorbei gebaut. Verschwendungen dieser Art müssen schonungslos offengelegt, Fehlentwicklungen beim Namen genannt werden, auch bei den Partnern. Denn nur so kann auch eine schnelle Kursänderung erfolgen. Jedes Projekt muss in regelmäßigen Abständen bewertet werden, am besten von unabhängigen Gutachtern. Auch auf parlamentarischer Ebene sollte sich ein Unterausschuss ausschließlich mit Überwachung und Effizienzkontrolle befassen. Mittelabruf, -verwendung und -verbleib könnten so effizienter gestaltet werden. Ein solches Kontrollsystem ist für beide Seiten Geber und Nehmer von Vorteil, denn wir können nicht an die Empfängerländer Effizienzforderungen stellen, wenn wir nicht bereit sind, unsere eigene Politik einer Effizienzkontrolle zu unterwerfen.
Der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wurde vom DAC (Development Assistance Commitee) der OECD bescheinigt, dass das Hauptproblem der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Vielzahl der Akteure sei. Die Zersplitterung auf verschiedene Ministerien und Durchführungsorganisationen führt nicht nur zu Mehrfachstrukturen und unnötiger Bürokratie, sondern überlastet auch die Kooperationsfähigkeit der Empfängerländer. Eine umfassende Neustrukturierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, aber auch mehr Subsidiarität bei den Empfängern kann die Effektivität steigern. Es muss nicht der Herr Minister jede Entscheidung selbst treffen, jede Delegation selbst empfangen. Entscheidungen müssen mehr und mehr auch auf nachgeordneten Ebenen getroffen und dort natürlich auch wieder kontrolliert werden.
Ein in letzter Zeit häufig genutztes Instrument der Entwicklungszusammenarbeit ist die Budgethilfe. Sie tritt immer mehr in den Mittelpunkt der finanziellen Zusammenarbeit als sei sie das alleinige Mittel zum Erfolg. Im Blick auf die bis 2015 zu erwartenden Etatsteigerungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) müssen wir uns genau überlegen, wo, wie und mit wem die Budgethilfe praktiziert werden soll. Wer sie bekommt, steht in der Versuchung, Gelder wieder in die eigene Tasche zu wirtschaften. Budgethilfe kann in Ländern mit verantwortlichen Eliten geeignet sein, afrikanische Eigenverantwortung zu stärken. An die Voraussetzungen für die Gewährung von Budgethilfe müssen jedoch strenge Anforderungen gestellt werden. Ob sie Erfolg hat, hängt vom institutionellen Rahmen und den demokratischen Strukturen der Partnerländer ab. Insbesondere die Frage, wie mit Budgethilfen positive Anreize geschaffen werden können, um die Eigenfinanzierungskapazität zu stärken und die Abhängigkeit von externer Finanzhilfe zu mindern, wird in der internationalen Debatte bislang kaum beachtet. Angemessene Eigenbeiträge der Partner zu fordern, muss aber Priorität der deutschen Entwicklungspolitik sein, da Abhängigkeit von externen Zuschüssen keine Basis für nachhaltige Entwicklung ist.
Einige afrikanische Länder verfügen über eine Vielzahl natürlicher Ressourcen. Jedoch hat dieser Reichtum in vielen Fällen eher einen Fluch, denn einen Segen ausgelöst. Oft genug hat die politischen Elite die Gewinne aus dem Verkauf der Ressourcen in die eigene Tasche fließen lassen, statt sie in den nationalen Haushalt zu überführen geschweige denn investiv zu nutzen. Wären diese Rohstoffeerlöse von Anfang an gerecht verteilt worden, hätte es viele Bürgerkriege nicht gegeben. Die Geber müssen ihren Part übernehmen, eine bessere und gerechtere Nutzung einzufordern und auch kontrolliert umzusetzen. Die Bemühungen um Transparenz der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) sind ein sehr guter Anfang. Kann es sein, dass der nigerianische Verteidigungsminister Anteile an einem Ölfeld besitzt und verkauft? Für mich riecht das nach Korruption. Oder Gelder aus den Ölverkäufen in den nationalen Haushalten nicht komplett als Einnahmen auftauchen, wie das zum Beispiel in Angola der Fall ist. Dieses Mindestmaß an Transparenz muss gewährleistet sein. Das hat nichts mit Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder zu tun, es dient der Konfliktprävention. Denn in vielen Fällen ist der Kampf um Ressourcen der Auslöser für Gewalt und kriegerische Auseinandersetzungen. Post-Konfliktstaaten waren irgendwann Prä-Konfliktstaaten. Wo drohen die nächsten Konflikte? Nigeria? Kenia? Kamerun? Simbabwe? Was ist schlecht daran, dort gute Regierungsführung, die Gewährung und Einhaltung der Menschenrechte einzufordern? Konditionalisierte Entwicklungszusammenarbeit kann dazu beitragen, Konflikte gar nicht erst ausbrechen zu lassen.
Viel zu selten wird in der Entwicklungszusammenarbeit diskutiert, warum der formelle Sektor so langsam wächst, warum 60 bis 70 Prozent der Arbeit im informellen Sektor stattfindet. Die Antwort ist leicht zu finden, wenn man die richtigen Fragen stellt. Wie lange dauert es, als Privatunternehmer eine Gewerbeerlaubnis, einen Stromanschluss, Telefon, Auto, Wasser und was man sonst noch so braucht zu bekommen? Wie viele Formulare und Hände sind auf dem Weg dahin (aus)zu füllen? Nur Masochisten tun sich das freiwillig an. Unternehmer aus der Privatwirtschaft, die dabei noch eigene Mittel riskieren, winken sofort ab. Aber nur mit privatwirtschaftlichen Investitionen wird der formelle Sektor in Gang gebracht und allmählich auch der informelle Sektor einbezogen. Dann kann Armut wirklich ursächlich bekämpft werden. Arme sind nicht ein Teil des Problems, sondern sie sind ein Teil der Lösung. Der Mensch hat von Natur aus das Streben für sich selbst zu sorgen. Es gilt, diesem Streben Bahn zu geben und der Initiative der Menschen freien Lauf zu lassen. Und da fängt man am besten klein an, bei Landwirtschaft, Handwerk, Kleingewerbe, Kleinhandel. Mikrokredite sind der richtige Weg, weil sie die sozialen Bindungen innerhalb der Clans auf positive Weise ausnutzen. Im Zusammenspiel mit guter Regierungsführung, dem Schutz von Eigentum, dem Abbau von bürokratischen Hürden, der Schaffung eines Steuersystems, vor allem aber auch harter Arbeit jedes einzelnen Bürgers ist das der Grundstein für gute Entwicklung. Und ist der Anfang erst gemacht, geht es immer schneller.
Entwicklung ist mehr als die Erreichung von einzelnen Vorgaben in Form von Millenniumsentwicklungszielen (MDG). Ihnen kommt man automatisch näher, wenn ein sich selbst tragender Entwicklungsprozess in Gang kommt. Dies bewirkt man nicht mit Großprojekten, sondern wenn Entwicklung von unten nach oben ansetzt. Warum wurde in den letzten Jahren die ländliche Entwicklung so vernachlässigt? Wer Land besitzt und den nötigen Samen, produziert Nahrungsmittel für den Eigenbedarf, mancher bald auch für den Handel. Wächst die Produktion, entwickeln sich Märkte und Kleinhandel. Die Einführung eines Katasterwesens, Landvermessungen, alles Erfahrungen, die sich in Europa über Jahrzehnte bewährt haben. Hier kann Entwicklungszusammenarbeit ansetzen und beratend tätig werden. Ein produktiver Agrarsektor wird außerdem verhindern, dass Dürren in manchen Gegenden keine Besonderheit immer wieder zu Hungerkatastrophen führen. Das Beispiel Simbabwe ist dagegen ein abschreckendes und trauriges Beispiel dafür, wie man Landreformen nicht machen sollte.
Weltweiter Freihandel eröffnet Entwicklungsperspektiven. Die Geberländer müssen dazu auf Protektionismus und Subventionismus verzichten. Denn erst dann ist freier Handel möglich. Es kann nicht sein, dass in Benin Baumwolle angebaut wird, die wegen hoher Subventionen in anderen Erzeugerländern (USA!) den Bauern nicht ernährt. Auch muss die Wertschöpfung mehr und mehr im Erzeugerland erfolgen, sprich: Die Baumwolle muss vor Ort zum T-Shirt verarbeitet werden, statt fertige Produkte zu importieren.
Die Entwicklungszusammenarbeit muss endlich ihr Fernziel, die Länder von äußerer Hilfe unabhängig zu machen, ins Visier nehmen. Beispiele dafür gibt es auch heute schon. Eine dieser "Inseln" sind die Kap Verden, ein Land, das zukünftig nicht mehr auf Entwicklungszusammenarbeit angewiesen sein wird. Zwar sieht man auf den Kap Verden das Auslaufen der Hilfe als Bestrafung, was zutrifft, wenn nicht der Übergang so gestaltet wird, dass die Außenwirtschaftsförderung Anschlusskonzepte für diese "Inseln" hat. Ein Vakuum nach dem Ende von offizieller EZ ist gefährlich und kann den Rückfall in den Entwicklungsland-Status bewirken.
Schwellenländer sind keine Entwicklungsländer. Das heißt nicht, dass sie von jeglicher Zusammenarbeit ausgeschlossen sind. Aber die deutsche Entwicklungszusammenarbeit muss sich auf die schwächsten und ärmsten Länder konzentrieren. Schwellenländer, die selber als Geber aktiv sind siehe das chinesische Engagement in Afrika brauchen keine deutschen Steuergelder als Entwicklungszusammenarbeit. Wozu haben wir den Bereich der Außenwirtschaftsförderung? Wo bleibt die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die das Bundesministerium in seinem Namen trägt? Wo sind die Konzepte zur Einbeziehung der Privatwirtschaft? Es muss auch eine engere Verzahnung zwischen dem Bereich der Außenwirtschaftsförderung im Wirtschaftsministerium und dem der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im BMZ geben.
Hier kann die Privatwirtschaft angesprochen und einbezogen werden. Ich vermisse entsprechende Programme. Irgendwann muss dann ganz Schluss sein mit Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung, dann hat man ganz normale Handelsbeziehungen miteinander. China beispielsweise ist ein Kandidat für solche ganz normalen Handelsbeziehungen. China sitzt auf offiziellen Devisenreserven von ca. 1,5 Billionen Dollar und hat eine politisch gewollt stark unterbewertete Währung. Selbst unter dem Argument der oben geforderten Anschlusskonzepte rechtfertigt dies nicht mehr die Vergabe auch nur zinsverbilligter Kredite zu Lasten des BMZ-Etats. Auch das innerchinesische Verteilungsproblem ist nicht die Aufgabe deutscher Entwicklung. Das muss die (sozialistische!!) Führung schon selbst angehen. Natürlich können wir dabei helfen, aber nicht mit BMZ-Mitteln. In ähnlicher Weise ist mit anderen Schwellenländern zu verfahren.
aus: der überblick 03/2007, Seite 122
AUTOR(EN):
Karl Addicks
Dr. Karl Addicks hat als Arzt viele Jahre im Irak, in Nigeria, in China
und in Marokko gearbeitet. Er ist Mitglied der FDP
und gehört seit 2004 dem Bundestag an.