Erprobung von Unterrichtsmaterial von Brot für die Welt in zwei Kulturen
Ursula Hildebrand (45) ist als Sachbearbeiterin in der Bildungsabteilung von Brot für die Welt (BfdW) in Stuttgart zuständig für den Bereich Schulpädagogik. Die Lehrerin und Diplomgeografin war im Mai zwei Wochen lang in Peru, um BfdW-Projektpartner in Lima, Chiclayo und Huánuco zu besuchen. In Cachuna unternahm sie ein Experiment: Eine Woche lang arbeiteten die Lehrerinnen und Lehrer der Dorfschule mit einer Unterrichtseinheit, die Brot für die Welt zum Thema "Heimat - was ist das?" entwickelt und bereits an einer deutschen Grundschule erprobt hatte.
von Das Gespräch führte Ilse Preiss
Wie kamen Sie ausgerechnet nach Cachuna?
Über unseren Projektpartner IDMA, das Instituto de Desarrollo y Medio Ambiente. IDMA fördert einen integrierten und nachhaltigen Entwicklungsansatz in drei ländlichen Regionen Perus, unter anderem in der Gegend um Huánuco. Dazu gehören umweltgerechte Erziehung und Ausbildung. Das wird umgesetzt, indem zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer Kurse in standortgerechtem Landbau erhalten. Sie lernen dabei etwa, Schulgärten anzulegen und gemeinsam mit Schülern und Eltern zu unterhalten. So ein Projekt gibt’s auch in Cachuna. Dazu muss man noch wissen, dass dort die Lehrpläne für den Elementarbereich stark umgestellt wurden: Der Unterricht ist jetzt ganz praktisch ausgerichtet, Schwerpunkte sind Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung.
Wie muss man sich Cachuna vorstellen?
Es ist ein Dorf in den Anden, 30 Kilometer hinter Huánuco, im Tal des Mancapozo. Die rund 8.000 Menschen im Tal sind Kleinbauern. Sie haben schon von den klimatischen Bedingungen her ein hartes Leben. Und sie erlösen immer weniger für das, was sie produzieren. Die Anbauflächen sind knapp und zu klein. Dazu kommt, dass zurzeit viele Familien wieder zurückkehren, die in Urwaldgebiete abgewandert waren, eine Folge des schärferen Vorgehens der Regierung gegen den Koka-Anbau. Im Hochland heißt das: noch mehr wirtschaftlicher Druck.
Wie haben die Kinder von Cachuna auf das Unterrichtsprojekt reagiert?
Zunächst wussten sie wenig mit der Frage anzufangen, was ihnen Heimat bedeutet. Die meisten kennen nichts anderes als ihr Dorf, nur ein paar waren schon einmal in Huánuco. Deutlich zeigte sich, dass die Kinder nicht gewohnt sind, über sich zu reden. Ihre Kommunikationsfähigkeit ist kaum oder gar nicht trainiert, obwohl die Lehrer seit einiger Zeit verstärkt versuchen, vom Frontalunterricht wegzukommen. Aber mit der Zeit ging es besser. Auf die Frage "Wo fühlt ihr euch am wohlsten?" stürmten beispielsweise alle raus auf den Spielplatz. Denn die Kinder haben maximal eine halbe Stunde Pause am Tag Zeit, um einfach nur zu spielen. Wenn sie zuhause sind, müssen sie auf dem Hof mitarbeiten. Da bleibt wenig Raum für Kreativität oder Fantasie.
Ein Problem ist auch der extrem unregelmäßige Schulbesuch: Jeden Tag fehlt etwa ein Drittel bis die Hälfte der Kinder — wie soll man da konsequent unterrichten? An dem Punkt erweist sich übrigens der Ansatz von IDMA als sehr positiv. Denn über die gemeinsame Betreuung des Schulgartens wird der Kontakt zwischen Eltern und Schule verbessert, in Cachuna hält sogar ein Vater einige Stunden. Die Eltern sehen, dass ihre Kinder wirklich etwas "fürs Leben" lernen, und sind dann auch eher bereit, die Kinder regelmäßig zur Schule zu schicken.
Und was verbinden Kinder in Peru und in Deutschland mit dem Begriff "Heimat"?
Das Erstaunliche ist: eigentlich das Altbekannte. Dort wie hier stehen an erster Stelle Familie und Zuhause. Die Kinder in Stuttgart haben zum Beispiel Stammbäume geschrieben, die darstellen, wo ihre Eltern herkommen. Denn in der Grundschulklasse, die die Unterrichtseinheit "getestet" hat, sind insgesamt zwölf Nationalitäten vertreten. Dieses Phänomen ist ja an vielen Schulen zu beobachten. Das hatte uns angeregt, uns im Rahmen des Jahresthemas zur 42. Aktion von Brot für die Welt — "Auf eigenen Füssen" — mit "Heimat" zu beschäftigen.
Wie fließen Ihre Erfahrungen weiter ein in die Unterrichtseinheit?
Auf jeden Fall wird das Leben der Kinder in Cachuna dargestellt. Dass man dort mit einem Schulheft pro Jahr auskommen muss, beispielsweise, oder dass es keine Bücher gibt. Und wie Lehrer, Eltern und Kinder versuchen, Geld in die Schulkasse zu bekommen, indem sie die Produkte aus dem Schulgarten auf dem Markt verkaufen. Aber auch die Straßenkinder, die ich in Lima besucht habe, werden vorkommen. Natürlich habe ich auch Fotos vom Unterrichtsprojekt in Stuttgart nach Peru geschickt. Vielleicht kommen die beiden Schulen ja über Brot für die Welt in Kontakt. Unter dem Stichwort "globales Lernen" können wir uns auch vorstellen, Schulen in weiteren Ländern mit der Unterrichtseinheit bekannt zu machen.
aus: der überblick 03/2000, Seite 125