Manolo Garcia verhilft in Guatemala indigenen Kommunen zu mehr Rechten
Seit fast zwanzig Jahren setzt sich Manolo García für ländliche Gemeinden in Guatemala ein. Er hilft vor allem Indígena-Kommunen, die unter den Militärdiktaturen am meisten gelitten haben und bis heute politisch ins Abseits gedrängt werden.
von Nils Brock und Markus Plate
Manolo García stellt sich seinen Besuchern meist schlicht als Anwalt vor. Doch dieser Titel beschreibt nur sehr ungenau die Arbeit des Gründers und Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation SERJUS. Seit mehr als vier Jahrzehnten setzt sich der heute 67-jährige Manolo García für bäuerliche Kooperativen und indigene Gemeinden im ländlichen Guatemala ein. Der Rechtsbeistand macht heute nur noch einen kleinen Teil der Arbeit aus.
Gerade sind Manolo und seine Mitarbeitenden zum Beispiel bestrebt, ein Bündnis für die Gründung von Abendschulen zu schmieden. Auf seinem Schreibtisch in Guatemala Stadt stapeln sich die Korrespondenz und die Projektentwürfe. Die bisherigen Angebote des Staates für die indigene Bevölkerung sind mehr als unzureichend: Noch immer liegt in dieser Gruppe der Analphabetismus bei über 40 Prozent, kaum eine Indígena-Frau kann lesen und schreiben.
Als Sohn wohlhabender Großgrundbesitzer erhielt Manolo früh einen Einblick in den harten Alltag der Kleinbauern und Tagelöhner, die sich zu Erntezeiten auf der Hazienda seiner Eltern verdingten. Während seiner Kindheit begannen zwei demokratisch gewählte Regierungen seit Ende der 1940er Jahre soziale Reformen. Doch das konnte die Armut nur wenig lindern, und ein Militärputsch beendete 1954 die zaghaften Versuche gesellschaftlicher Umverteilung. Anfang der 1960er Jahre, als Manolo sein Jura-Studium abschloss, war es eine feste Gewohnheit von Guatemalas Diktatoren geworden, Proteste entweder zu ignorieren oder von der Armee niederknüppeln zu lassen. Es waren die ersten Jahre des guatemaltekischen Bürgerkriegs, und der gerade graduierte Anwalt beschloss, ein Unterstützerprogramm für die christliche Arbeiterzentrale und eine Bauernorganisation auf die Beine zu stellen.
Doch die Diktatoren machten ihre eigenen Gesetze und damit Manolos juristische Arbeit irgendwann obsolet. Von 1979 an half er deshalb jenen Guatemalteken, die vor den Massakern des Militärs, der so genannten Politik der verbrannten Erde, ins mexikanische Exil flüchteten. Schließlich mussten auch der junge Anwalt, seine Frau und seine vier Kinder fliehen. Von der mexikanischen Hauptstadt aus organisierten sie fortan Hilfslieferungen nach Guatemala. Manchmal schmuggelte Manolos Familie auch eigenhändig Dollars bis zur Grenze, von wo aus das Geld mit Hilfe einiger engagierter Pastoren weiterverteilt wurde. "Es war für uns sehr traurig, nach Mexiko zu gehen zu müssen. Ich fühlte mich als Verräter, weil ich die Leute, die mich brauchten, zurücklassen musste", erinnert sich Manolo. Die ganze Familie hatte Schuldgefühle: "Meine vier Kinder aßen keine Süßigkeiten mehr, denn sie dachten immer an die Flüchtlingskinder in den Bergen, die gar nichts hatten."
Der Bürgerkrieg war noch nicht zu Ende, als Marco Vinicio Cerezo Arévalo, ein Christdemokrat und der erste zivile Präsident Guatemalas nach über drei Jahrzehnten Militärdiktatur, Manolo García 1986 persönlich einlud, die Rückkehr der zahllosen Flüchtlinge aus Mexiko zu koordinieren. "Cerezo war ein alter Studienkollege von mir", erklärt Manolo. In Zusammenarbeit mit den Medicos del Mundo (Ärzte ohne Grenzen) reiste Manolo fortan in vom Bürgerkrieg verwüstete Gegenden, zunächst an Orte, wo er bereits vor seiner Flucht ins Exil gearbeitet hatte. "Diese ersten Besuche waren sehr hart", erinnert er sich. "Viele Aktivisten hatte man ermordet. Wir mussten ganz von vorn anfangen und überall herrschte Angst, sich zu organisieren."
Bereits im ersten Jahr seiner Rückkehr gründete Manolo SERJUS, um die Arbeit in den verschiedenen Gemeinden besser zu koordinieren und um vom Status einer juristischen Körperschaft geschützt zu sein. Denn noch immer beobachtete das Militär argwöhnisch jede gesellschaftliche Organisation: "Unser Privatleben hatte sich schlagartig geändert. Unser Schuldgefühl war verflogen, dafür mussten gerade meine Kinder außerhalb der eigenen vier Wände eine Maske tragen." Bloß nichts preisgeben, lautete die Devise – so tief saß bei allen Guatemalteken die Angst vor den Generälen und deren Mördern und Spitzeln.
"Hier in der Stadt herrschte Terrorstimmung. Viele, die mich kannten, hatten Angst mich zu grüßen", erzählt Manolo García von der Zeit nach seiner Rückkehr. Im indigen geprägten Hochland, wo die Armee und rechtsgerichtete Milizen ganze Dörfer massakriert hatten, äußerte sich das Trauma des Krieges in Form von Angst und Misstrauen gegenüber allen, die nicht aus der Gegend kamen: "Wir mussten hier erst wieder Vertrauen aufbauen und den Menschen beweisen, dass sie keine Angst vor uns haben müssen."
Als nach dem offiziellen, von den UN vermittelten Friedensschluss im Jahre 1996 Dutzende europäische nichtstaatliche Organisationen (NGOs) nach Guatemala kamen, arbeitete SERJUS bereits seit über einem Jahrzehnt intensiv mit der Landbevölkerung zusammen. Während die angereisten Entwicklungshelfer sich noch ein Bild von der Lage machten, veranstaltete Manolos Organisation längst Workshops zu landwirtschaftlichen Anbauweisen und Viehzucht, zu Hygiene und Umweltschutz, zu Frauenrechten und Gemeindeorganisation. So fiel SERJUS schnell eine Sonderrolle zu, meint Manolo rückblickend: "Wir versuchten die Gruppen miteinander in Kontakt zu bringen. Die abgelegene Region Ixcán zum Beispiel wurde nach dem Bürgerkrieg buchstäblich von NGOs überschwemmt. Anfangs wurde viel aneinander vorbei geplant, doch schließlich gelang es dort, einen regionalen Entwicklungsrat zu gründen, der bis heute besteht."
Von der Regierung in Guatemala Stadt kommt nach wie vor nur wenig Hilfe für die Sozialdienste und die Infrastruktur auf dem Land. Die im Friedensabkommen beschlossenen Sozialreformen wurden nie umgesetzt. So leben nach wie vor 80 Prozent der Bevölkerung in bitterer Armut, die öffentliche Gesundheitsversorgung ist auf dem Lande ungenügend. "Wie eh und je muss sich ein Heer von Landlosen und Kleinbauern auf den Latifundien der Großgrundbesitzer verdingen unter Bedingungen, die an Sklaverei erinnern", erregt sich Manolo García.
Und noch immer würden Kleinbauern, denen Landtitel fehlen, von ihren Schollen vertrieben, wenn – wie gerade in Ixcán – Wasserkraftprojekte geplant werden oder Öl gefördert werden soll. "Erschwerend kommt hinzu, dass sich viele internationale Entwicklungshelfer wieder zurückziehen. Und das gerade zu einem Zeitpunkt, wo die gesellschaftliche Teilhabe wächst und etwas vorankommt", fürchtet Manolo. Gerade deshalb sind beständige Partner wie der Deutsche Evangelische Entwicklungsdienst (EED) heute für SERJUS unerlässlich.
Die Stärkung der Gemeinden ist das erklärtes Ziel von SERJUS. "Die wirtschaftliche Lage Guatemalas wird auf lange Zeit schlecht bleiben und auf die Zentralregierung können die Menschen hier nicht zählen", erklärt Manolo. "Also müssen wir den Gemeinden Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie selbst ihr Leben langsam verbessern können." Dazu gehört zunächst die Rückbesinnung auf traditionelle Produkte und Anbaumethoden. "Wir versuchen, die Menschen unabhängiger zu machen von teuren Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln und Medikamenten", sagt Manolo. SERJUS fördert die Kollektivwirtschaft ebenso wie die Zusammenarbeit benachbarter Gemeinden und engagiert sich auch bei der Gründung und beim Betrieb kleiner Gemeinschaftsradios.
"Doch solange unsere Regierungen nur der Oligarchie Guatemalas verpflichtet sind, wird sich hier im Hochland nichts zum Besseren wenden", meint Manolo. Zur Zeit organisiert SERJUS deshalb Workshops, um die ländliche Bevölkerung über die Bedeutung der Kommunal-, Kongress- und Präsidentschaftswahlen im September 2007 zu informieren. Dafür holt sich SERJUS Unterstützung bei Fachleuten wie dem Soziologen Viktor Gálvez.
Der versucht, den bäuerlichen Kooperativen und Gemeinden ihre Einflussmöglichkeiten als Wähler bewusst zu machen. Zu Beispiel in San Martín Sacatepéquez, einem kleinen, indigen geprägten Verwaltungsbezirk aus 25 Weilern und Gemeinden. Mit alltagsnahen Vergleichen erklärt der Professor, worauf man bei Wahlen achten sollte: "Wir besteigen keinen Bus, ohne zu wissen, wohin er fährt und wie viel die Reise kostet, nur weil er eine tolle Farbe hat." Sein Vortrag regt an, den Kandidaten der verschiedenen Parteien vor den Wahlen eigene Forderungen und Entwicklungspläne vorzulegen. Statt seine Stimme für T-Shirts und Düngemittel zu verkaufen, wie es in Guatemala leider Usus ist, sollten die Gemeinden verbindliche Zusagen für Investitionen in den Straßenbau, die Gesundheitsvorsorge und das Schulwesen fordern. Sie könnten so Einfluss ausüben: Sowohl die Landbevölkerung als auch die Indígenas stellen in Guatemala die Mehrheit der Bevölkerung und der Wahlberechtigten.
Doch die Parteien sollten nicht allein die Zukunft Guatemalas bestimmen, meint Manolo García. Die Zivilgesellschaft müsse sich reorganisieren. Der Prozess habe begonnen, aber bis sie die Bedürfnisse der Bevölkerung auf lokaler und nationaler Ebene artikulieren kann, sei noch ein weiter Weg. Denn Unterdrückung und Korruption haben sich tief in das Bewusstsein eingegraben. Auch Frauen müssen immer noch darum kämpfen, sich Gehör zu verschaffen.
Damit sich das ändert, versucht SERJUS, das Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung zu stärken. Manolo möchte das Weltbild und die gelebte Kultur der Indígenas auch in soziale Projekte einfließen lassen und nicht auf schlichte Folklore reduzieren. Er zeigt auf den großen Maya-Kalender, der hinter ihm an der Wand hängt und für ihn mehr als Dekoration ist. "In der Vorstellung der Maya ist das Universum ein System von Systemen und die Gemeinschaft wird von Individuen gestellt. Die Vielfalt wird geachtet und geschätzt. Das entspricht vortrefflich dem Geist der UN- Menschenrechtscharta. Außerdem erinnern uns die Praktiken der Indígenas an einen wichtigen Aspekt der Menschenrechte, der oft vergessen wird: soziale und wirtschaftliche Rechte wie zum Beispiel der Zugang zu natürlichen Ressourcen, eine gesicherte Grundversorgung und kommunale Selbstbestimmung. Die Einsicht, dass die Hoffnung Guatemalas in seinen Gemeinden liegt, haben wir uns bei SERJUS längst zu eigen gemacht."
aus: der überblick 01/2007, Seite 161
AUTOR(EN):
Nils Brock und Markus Plate
Nils Brock arbeitet als freier Journalist und
Korrespondent in Mexiko-Stadt.
Markus Plate ist
freier Journalist und Redakteur im "Nachrichtenpool
Lateinamerika" (npla) in Berlin.