In Zentralasien und im Kaukasus sind die Überweisungen von Arbeitsmigranten ein bedeutender Teil des Nationaleinkommens
Gastarbajter werden sie genannt. Die jungen Männer und Frauen aus Zentralasien und dem Kaukasus, denen es in ihren Heimatländern an wirtschaftlichen Perspektiven mangelt. Sie bieten in Moskau ihre Arbeitskraft an - als Handlanger auf dem Bau, Straßenverkäufer, Kistenschlepper oder Industriearbeiter. Das starke Bevölkerungswachstum erhöht den Druck zur Abwanderung aus der Heimat zusätzlich. So sehen sie oftmals keine andere Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren, als in die Fremde zu ziehen.
von Barbara Schneider
Monat um Monat schicken sie einen Großteil des im Ausland verdienten Geldes zurück in ihr Land. Inzwischen ist in Aserbaidschan, Armenien und Kirgisistan jede dritte Familie vom Geld ihrer im Ausland arbeitenden Verwandten abhängig. In die drei zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan fließen so umgerechnet rund vier Milliarden US-Dollar. Diese Remittances machen in den drei Ländern zusammen etwa 29 Prozent des Bruttonationaleinkommens aus, das laut Weltentwicklungsbericht für das Jahr 2003 bei umgerechnet 14 Millionen US-Dollar lag. Das Geld aus dem Ausland fließt oft über dunkle Kanäle, weil ein System für zwischenstaatliche Banküberweisungen fehlt. Deshalb versickert manches auch unterwegs. Wenn es jedoch im Heimatland ankommt, trägt es dort zur Bildung einer wirtschaftlich starken Mittelschicht bei. Im Durchschnitt transferierte in den Jahren 2001 und 2002 jeder Arbeitsemigrant jährlich rund 1300 US-Dollar in sein Herkunftsland.
Magneten der Arbeitsmigration sind vor allem Russland und die neue Wirtschaftsmacht Kasachstan. Durch das Geschäft mit Rohstoffen ist dort Reichtum entstanden, der den Zuwanderern verheißt, etwas von dem Wohlstand abzubekommen. Deshalb bemühen sich so viele in Astana oder Moskau, in Omsk oder Almaty eine Arbeit zu bekommen. Russland ist das Zuwanderungsland Nummer eins für Arbeitskräfte aus Zentralasien geworden: Bis zu 1,5 Millionen Personen sind der jüngsten Studie der Global Commission on International Migration (GCIM) zufolge aus Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan nach Russland eingewandert. In Kasachstan arbeiten rund 200.000 Migranten aus den umliegenden zentralasiatischen Ländern. Damit ist es der Staat mit der zweitgrößten Zuwanderungsrate in der Region.
Die illegal Eingewanderten sind darin noch nicht eingerechnet. Deren Zahl lässt sich nur mutmaßen: Der GCIM-Bericht enthält keine Angaben, aber Michael Ludwig schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. November 2005, dass allein in Moskau eine Million illegal Eingewanderte leben sollen. Die in der Schattenwirtschaft Beschäftigten zahlen bereits an der Grenze Bestechungsgelder und müssen sich mit korrupten Staatsdienern herumschlagen. Die drohende Abschiebung immer vor Augen, geraten sie häufig in die Hände von Menschenschiebern und kriminellen Vermittlungsagenturen.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion kamen auch viele Menschen als Flüchtlinge in die Nachbarstaaten. Das Jahr 1997 war Höhepunkt erzwungener Migration, als in Tadschikistan jeder achte Einwohner, in Aserbaidschan jeder zehnte und in Armenien jeder zwölfte Bewohner den Status eines Flüchtlings hatte. Ursache hierfür war zum einen der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Exklave Nagorny Karabach. Daneben löste aber auch die politische Situation in Tadschikistan und der Georgien-Abchasien-Konflikt eine Fluchtwelle aus. Flüchtlingscamps, provisorische Unterstände und Lager in ausrangierten Eisenbahnwagen gab es vor allem in den Grenzregionen der betroffenen Gebiete. Die Zahl der Flüchtlinge erreichte in diesem Jahr die Höchstmarke von 3,6 Millionen.
Noch ein paar Jahre zuvor stößt man auf ein weiteres Phänomen der Migration: die Repatriierung. Bereits Anfang der neunziger Jahre sorgte ein groß angelegtes Heimkehrerprogramm dafür, die Einwohner der ehemaligen UdSSR in ihr jeweiliges Heimatland bzw. ihren Nationalstaat rückzusiedeln. Diese Repatriierung erfolgte vielfach unter Zwang. So wanderten Kasachen zurück nach Kasachstan, Tadschiken nach Tadschikistan. Die Ausmaße dieser Völkerwanderung lassen sich ansatzweise an der halben Million Menschen ermessen, die in der Zeit zwischen 1990 und 1995 den Südkaukasus und Zentralasien in Richtung Weißrussland und der Ukraine verlassen haben. So leben im Südkaukasus und in Tadschikistan heute kaum Ukrainer oder Weißrussen mehr. Die anderen zentralasiatischen Länder haben bis 1995 etwa 30 Prozent ihrer russischen Bevölkerung verloren. Eine Migrationsbewegung, die eine schmerzliche Lücke in die sich neu formierenden Staaten gerissen hat: Es waren vor allem Intellektuelle und qualifizierte Arbeitskräfte, die abwanderten.
aus: der überblick 01/2006, Seite 60
AUTOR(EN):
Barbara Schneider
Barbara Schneider hat beim "überblick" hospitiert und ist jetzt Volontärin bei der Zeitschrift Zeitzeichen.