Pekings neue Einschätzung des strategischen Werts Afrikas
Weshalb interessieren sich die Chinesen für einen Kontinent, der von Krieg, AIDS, Hunger, Armut und Korruption geplagt wird? Die zunehmenden Aktivitäten Chinas in Afrika basieren nicht nur auf dem Verlangen nach Öl, sondern zugleich auch auf strategischen Überlegungen. Und weil die Chinesen ihre Hilfe für Afrika nicht mit Forderungen nach Demokratisierung und Einhaltung von Menschenrechten versehen, sind sie auch bei Despoten beliebt und erhalten von diesen diplomatische Unterstützung.
von Xuewu Gu
China ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts in Afrika überall gegenwärtig. Auf fast jedem afrikanischen Markt werden chinesische Konsumgüter zum Verkauf angeboten, von Elektrogeräten bis zu Küchengeschirr. Fernsehgeräte der chinesischen Hisense-Gruppe erobern die Wohnzimmer afrikanischer Familien von Algerien bis Südafrika. Von China gestiftete Kanonenboote patrouillieren in den Gewässern vor Sierra Leone auf der Suche nach Piraten und Schmugglern. Die neu erbauten Kasernen des Burma Camp in Ghana spiegeln den Architekturstil der chinesischen Provinz Anhui wider, deren Baugesellschaft für Außenwirtschaft Anhui Foreign Economical Construction Corporation (AFECC) die drei Blocks erbaute. In der 13-Millionen-Einwohner-Stadt Lagos beherrschen die chinesischen Jin-Cheng-Motorräder den Stadtverkehr und machen etwa 90 Prozent der Motorräder in der nigerianischen Metropole aus. Chinesische Plastiksandalen haben Eingang in jedes afrikanische Dorf gefunden und dadurch das alltägliche Erscheinungsbild des Kontinents auffallend verändert.
Wirtschaftliche Interessen wie die Sicherung des Zugangs zu Rohöl spielen eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle in der chinesischen Politik gegenüber Afrika. Wenn Peking Afrika als Steigbügelhalter betrachtet, um den chinesischen Traum zu verwirklichen, eine Weltmacht zu werden, gilt sein Augenmerk pragmatisch dreierlei: erstens politischer Unterstützung durch afrikanische Länder für den chinesischen Standpunkt in der Menschenrechtsfrage; zweitens diplomatischer Unterstützung für China, um die Versuche Taiwans zu vereiteln, seine internationale Isolierung zu durchbrechen, und drittens der Belohnung etwa in Form von Öllieferungen, die China dringend benötigt, um seine Ölbezugsquellen zu diversifizieren.
Während die ersten beiden Fragen tägliche Routine für die chinesischen Diplomaten sind, gilt die dritte als Priorität des Regierungsprogramms. Tatsächlich haben sich alle obersten Führungskräfte angefangen beim früheren Staatspräsidenten Jiang Zemin über Ministerpräsident Zhu Rongji bis zu ihren Nachfolgern Hu Jintao und Wen Jiabao für das Ölgeschäft mit Afrika engagiert und die Gründung chinesischer Firmen auf dem afrikanischen Kontinent beschleunigt.
Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten, die sich auf das Öl Westafrikas konzentrieren, scheint Peking daran interessiert zu sein, Öl vom gesamten afrikanischen Kontinent zu kaufen. China plant eine Zunahme des Anteils von afrikanischem Öl an seinen Ölimporten von jetzt 16 auf 25 Prozent. Seit Jahren importieren chinesische Unternehmen Öl aus Nordafrika, darunter Algerien, Ägypten und Libyen. Allein im Juli 2005 kaufte die China National Petroleum Corp. (CNPC), Chinas größte Ölfirma, Erdöl im Wert von 800 Millionen US-Dollar von Algerien. Seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts versucht China jedoch auch, in afrikanischen Ländern südlich der Sahara neue Ölquellen zu erschließen.
Eindrucksvoll ist dabei das Geschäft zwischen der CNPC und der sudanesischen Regierung, das im Mai 2003 abgeschlossen wurde, um die dortige Ölinfrastruktur zu verbessern. Dieser Vereinbarung zufolge investiert der chinesische Ölriese eine Milliarde US-Dollar, um die Kapazität der Raffinerie in Khartum von 50.000 auf 90.000 Barrel täglich zu steigern und eine 750 Kilometer lange Pipeline zu bauen. Diese soll das sudanesische Ölfeld Kordofan mit der Küste verbinden und damit über das Rote Meer einen Zugang zum Indischen Ozean schaffen. Und nicht zufällig erhielt kürzlich der Sudan von der chinesischen Regierung eine Finanzhilfe in Höhe von 1,2 Millionen US-Dollar.
Strategisch kann man diese Pipeline als Gegenstück zu der 665 Meilen langen Pipeline vom Tschad zu den Häfen am Atlantik in Kamerun betrachten, die von einem internationalen Konsortium gebaut wurde. Während die westafrikanische Pipeline, die von den Amerikanern kontrolliert wird, schon seit Oktober 2003 den Weltmarkt mit Öl beliefert, befindet sich die von den Chinesen geplante ostafrikanische Pipeline erst in der Frühphase des Baus. Selbst wenn diese Pipeline planmäßig bis 2010 fertig gestellt wird, wird es den Chinesen nicht möglich sein, das Öl von Ostafrika so einfach nach Hause zu schaffen wie dies für die USA von Westafrika aus der Fall ist.
Der Öltransport von Westafrika nach Nordamerika, insbesondere vom Golf von Guinea, hat sich als ziemlich sicher und kostengünstig erwiesen. Die starke militärische Präsenz der amerikanischen Marine im Atlantik und die direkte Route zwischen den beiden Kontinenten stellen sicher, dass die Öllieferungen aus Westafrika kaum wie auf anderen Routen durch Piratenangriffe bedroht oder durch Staus vor gefährlichen Meerengen verzögert werden.
Im Gegensatz zu den USA hat China im Indischen Ozean keine Marinestreitkräfte stationiert, die den Öltransport von Ostafrika nach China schützen könnten. Die lange Strecke vom Roten Meer zur chinesischen Pazifikküste durch die Straße von Malacca, die für Piratenüberfälle berüchtigt ist, würde hohe Transportkosten bedeuten. Deshalb wäre es aus chinesischer Sicht ideal, wenn China einen Hafen am Golf von Aden nutzen könnte. Dann könnte das Öl aus der geplanten sudanesischen Pipeline direkt zu einem Hafen am Indischen Ozean in Burma verschifft werden. So würde China die gefährliche und schwierige Straße von Malacca umfahren, und die Transportroute um fast ein Viertel verkürzen.
Deshalb lud Peking schon im März 2001 Dschibutis Präsidenten Ismail Omar Guelleh nach China ein. Mit dem Angebot höherer Entwicklungshilfe und von Investitionen hat es die Regierung dieses Landes am Golf von Aden dazu gebracht, einer intensiven Zusammenarbeit zuzustimmen. Dazu gehören die Suche nach Erdöl, der Bau von Hafenanlagen sowie die Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit zwischen China und Dschibuti. Auch in Burma unternimmt China offenbar verstärkte Anstrengungen, Straßen und einen Hafen zu bauen, um den Weg für einen Zugang zum Indischen Ozean zu ebnen.
Nicht nur in Ostafrika, sondern auch in Westafrika, wo die amerikanischen Ölfirmen traditionell eine führende Rolle spielen, versucht China sich niederzulassen. Schon 2001 wurde eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit in den Bereichen der Ölförderung und Öllieferung mit der angolanischen Regierung unterzeichnet. Presseberichten zufolge erhielt China im Frühjahr 2005 im Kampf um Ölförderrechte in einem angolanischen Offshore-Ölfeld den Zuschlag anstelle von Indien, indem es zwei Milliarden US-Dollar an Hilfe anbot und das indische Angebot von 200 Millionen US-Dollar ausstach.
Und während seines Besuches in Gabun im Februar 2004 sicherte der chinesische Präsident Hu Jintao seinem Land einen umfassenden Zugang zu den Ölfeldern Gabuns, indem er mit seinem Kollegen Omar Bongo eine ganze Reihe von bilateralen Handelsvereinbarungen unterzeichnete. Dazu gehörte ein Memorandum »über die Übereinstimmung des Wunsches beider Parteien, die Erschließung, Ausbeutung, Weiterverarbeitung und den Export von Ölprodukten zu entwickeln.« Bevor diese Regierungsdokumente veröffentlicht wurden, hatte die zweitgrößte chinesische Ölgesellschaft China Petroleum & Chemical Corp (Sinopec) einen Vertrag mit der französischen Ölgesellschaft Total Gabon abgeschlossen, um Rohöl aus Gabun nach China zu verkaufen. Unter der Schirmherrschaft des chinesischen Präsidenten unterzeichnete Sinopec eine Vereinbarung mit dem Ölministerium Gabuns zur technischen Untersuchung von drei Ölfeldern an Land. Dieses Geschäft bot dem chinesischen Unternehmen die Gelegenheit, das Potenzial dieser drei Ölfelder einzuschätzen, bevor eine Entscheidung darüber getroffen würde, ob man einen Vertrag zur Exploration und gemeinsamen Produktion eingehen will. Falls große Ölvorkommen entdeckt würden, wäre Sinopec sicher schnell zur Stelle, um in den Ölfeldern Gabuns tätig zu werden und so die Ära amerikanischer Vorherrschaft in der Region zu beenden.
China scheint die Stellung der USA in den afrikanischen Ölfeldern nicht bewusst herausfordern zu wollen. Die chinesischen Ölunternehmungen auf dem Kontinent werden eher durch wirtschaftliche und weniger durch politische Erwägungen bestimmt. Vor dem Hintergrund des schnellen Wirtschaftswachstums während der vergangenen 25 Jahre ist der chinesische Ölbedarf sprunghaft angestiegen. Das Wachstum der chinesischen Rohölförderung fällt schon seit mehr als einem Jahrzehnt hinter den steigenden Bedarf zurück. Im Jahr 2003 betrug der chinesische Gesamtverbrauch von Rohöl gut 252 Millionen Tonnen, ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 10,15 Prozent. Die Wachstumsrate der heimischen Ölförderung erreichte dagegen in jenem Jahr nur 1,5 Prozent. Seitdem China im Jahr 1993 zum Netto-Ölimporteur geworden ist, muss es immer mehr Öl aus dem Ausland zu beschaffen. Gegenwärtig importiert China etwa ein Drittel seines Öls.
Was die chinesischen Ölstrategen am meisten beschäftigt, ist die »asymmetrische Struktur« dieser Ölimporte. Öl aus dem Nahen Osten machte 2003 etwa 50 Prozent der gesamten chinesischen Ölimporte aus. Chinesische Ölunternehmen versuchen deshalb sehr aktiv, neue Öl- und Erdgasquellen in Afrika, Australien, Südostasien, Lateinamerika, Zentralasien und in Russland zu erschließen, sind dabei aber auf unerwartete Schwierigkeiten oder sogar Widerstand gestoßen. »Ins Ausland zu gehen, ist sehr schwierig«, gestand der Vorsitzende von Sinopec, Wang Jiming, ein. Der Versuch seines Unternehmens, einen Anteil am nordkaspischen Ölprojekt in Kasachstan zu erwerben, wurde durch das gemeinsame Auftreten von Royal Dutch/Shell, ExxonMobil und der italienischen ENI Agip vereitelt. Ein Vertrag zwischen der CNPC und dem russischen Ölgiganten Yukos zum Bau einer 2400 Kilometer langen Pipeline von Angarsk in Ostsibirien nach Daqing in Nordostchina wurde durch die japanische Regierung und andere Ölunternehmen »sabotiert«, die das chinesische Unternehmen überboten. Dies sind nur zwei Beispiele für die schwierige Situation, in der sich China als »verspätete Nation« befindet. Nur in Afrika haben die Chinesen das Gefühl, dass sie wirklich willkommen sind. »Angesichts der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unserem Land und den ölreichen afrikanischen Staaten«, so lautet eine optimistische Prognose des chinesischen Africa Investment Network, »wird es uns möglich sein, neue oder größere Lieferanten zu finden.«
Doch der Durst nach Öl ist nicht der einzige Faktor, der die Chinesen nach Afrika führt. Hinter Pekings aggressivem Vordringen in Afrika steht offenbar ein grandioser Plan, den letzten Kontinent zu durchdringen, in dem der Westen noch nicht fest Fuß gefasst hat. Ein Motiv, das die Chinesen veranlasste, in Afrika Fuß zu fassen, ist der Rückgang des Einflusses auswärtiger Kräfte auf dem Kontinent. Dem CIA-Diskussionspapier »Afrika 2020« zufolge hätten die USA ebenso wie die früheren europäischen Kolonialmächte und Russland seit dem Ende des Kalten Krieges in Afrika an Bedeutung verloren, und das werde sich bis zum Jahr 2020 fortsetzen. Ein Sonderbericht des US-amerikanischen Council on Foreign Relations (Rat für auswärtige Beziehungen) warnte die US-Regierung davor, Afrika zu vernachlässigen. Die Verfasser verwiesen auf die Notwendigkeit, im Interesse der Energiesicherung und strategischen Sicherheit auch die Armut zu bekämpfen. Bis jetzt haben die Vereinigten Staaten keine großen Militärstützpunkte in Afrika aufgebaut, abgesehen von Djibouti, wo seit 2003 rund 1800 Soldaten stationiert sind.
Afrika südlich der Sahara wird sich kaum zu einem Hauptschauplatz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus entwickeln, weil es sich für Terroristen mangels Infrastruktur und angesichts der Kommunikationsprobleme kaum als Ausgangsbasis oder gar Führungszentrum eignet. Deshalb werden die USA höchstwahrscheinlich ihr militärisches Engagement in Afrika weiter beschränken, auch wenn der Druck seitens der US-Industrie wächst, amerikanische Ölinteressen in Afrika zu schützen.
Die USA nehmen etwa ein Viertel der Exporte aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara auf und sind ihr größter Einzelmarkt. Trotzdem ist Afrika von geringer wirtschaftlicher Bedeutung für die USA abgesehen vom Ölimport aus Westafrika. Auf den Kontinent entfallen lediglich ein Prozent des gesamten Außenhandels und der Investitionen der USA. Um diese Situation zu ändern, wurde im Jahr 2000 der African Growth and Opportunity Act (AGOA) verabschiedet, der den meisten afrikanischen Ländern zum US-Markt bevorzugten Zugang für Ölprodukte, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Textilien bietet. Die Wirkung dieses Gesetzes zur Verstärkung des allgemeinen amerikanischen Einflusses auf die afrikanische Wirtschaft ist jedoch marginal.
Auch die europäische Präsenz in Afrika fällt kaum ins Gewicht. Wie bei den Vereinigten Staaten fehlt der Europäischen Union (EU) der Wille, sich deutlich in Afrika südlich der Sahara zu engagieren. Sofern es überhaupt eine gemeinsame europäische Afrikapolitik gibt, ist es ihr wichtigstes Anliegen, die nordafrikanischen Länder in den 1995 begonnenen Barcelona-Prozess einzubinden. Ziel ist, politische, wirtschaftliche und soziale Partnerschaften zwischen der EU und den Mittelmeer-Anrainern aufzubauen. Die anderen afrikanischen Länder abgesehen von Südafrika werden von der EU offenbar immer noch als wirtschaftliche Randregion betrachtet.
Die EU verfolgt seit 2001 mit ihrer Initiative Everything But Arms (Alles außer Waffen) das Ziel, Quoten und Zölle auf alle Güter aus den 49 am wenigsten entwickelten Ländern zu beseitigen. Europa leistet in Afrika vorwiegend humanitäre Hilfe, flankiert von gelegentlichen Militäreinsätzen. Nur Frankreich verfolgt bis zu einem gewissen Grad geopolitische Interessen, die sich vor allem auf Westafrika konzentrieren (vergl. »der überblick« 1/2004).
Der japanische Einfluss ist noch geringer als der der USA und der EU. Als Land ohne historische oder koloniale Bindungen zu Afrika musste Japan seinen eigenen Weg finden, Beziehungen zu afrikanischen Ländern zu entwickeln. Da die japanische Verfassung es der Regierung verbietet, Soldaten zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu entsenden, hat Tokio sich auf Entwicklungshilfe konzentriert, um in Afrika präsent zu sein. Japan war in den vergangenen Jahrzehnten das größte Geberland in Afrika südlich der Sahara. Zu Tokios Enttäuschung hat die Rekordhilfe aber nicht dazu geführt, Japans politische und wirtschaftliche Position in Afrika zu stärken. In den Augen vieler afrikanischer Länder sind die Japaner die idealen Geschäftspartner, doch die japanischen Unternehmen halten sich wegen der schlechten Investitionsbedingungen in diesen Ländern zurück. Gewalt, Korruption sowie Gefahren für Gesundheit und Sicherheit lassen sie zögern.
Der begrenzte Einfluss der westlichen Staaten und Japans in Afrika bietet China als aufstrebender Macht die Gelegenheit, seine Afrikapolitik zu überdenken und den Wert des Kontinents für Chinas Rolle in der Welt neu einzuschätzen. In der chinesischen Führungselite scheint die Vorstellung weit verbreitet, dass China nach fünfundzwanzig Jahren atemberaubenden Wachstums seiner Wirtschaft nun die Fähigkeit und Möglichkeit hat, eine größere Rolle in der Weltpolitik und Weltwirtschaft zu spielen.
Peking scheint sich jedoch der Schwierigkeiten bewusst zu sein, denen sich eine spät industrialisierende Nation gegenüber sieht, wenn sie mit etablierten Kräften um Einfluss in der Welt konkurriert. Die Regierung glaubt, dass China nur dort eine Chance hat, wo die Stellung anderer Mächte noch schwach ist. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass China sich durch all die Probleme gestört fühlt, über die sich die Amerikaner, Europäer und Japaner hinsichtlich Afrikas ständig beklagen. In China wird Afrika nicht als wirtschaftliche Randregion angesehen, von der nur wenig Gewinn zu erwarten ist, sondern eher als potenzielles Eldorado für überseeische Unternehmungen. In diesem Sinne nennt die halboffizielle Website www.africa-invest.net, die chinesische Unternehmer mit Informationen über Afrika versorgt, den Kontinent einen vielschichtigen unerforschten Markt mit großem Potenzial, der sich durch einen extremen Mangel an Konsumgütern und durch eine starke Marktnachfrage auszeichnet. »Es wäre ein Irrtum«, so die Website, »wenn wir denken würden, dass man mit Afrika keine Geschäfte betreiben könne.« Das mächtige Handelsministerium der Volksrepublik sieht in Afrika sogar »eine der wichtigsten Regionen, um unsere nach außen gerichtete Strategie umzusetzen«.
Was Peking zur Zeit Sorgen macht, ist allerdings das Gefühl, dass China die Zeit davon rennt. Die Regierung glaubt fest daran, dass die westlichen Länder, Russland und Japan sich Afrika wieder zuwenden werden, sobald sie ihre gegenwärtigen Hauptprobleme in den Griff bekommen haben. Chinas führende Politiker und ihre Denkfabriken betrachten die ersten zehn Jahre des neuen Jahrhunderts als die günstigste Zeit, um sich in Afrika zu etablieren. Für viele Chinesen, die strategisch denken, jedoch die Bedeutung Afrikas zu überschätzen scheinen, entscheidet sich der Wettlauf der Mächte um ihre internationale Führung im 21. Jahrhundert in Afrika.
Die Chinesen haben diesen unerklärten Wettlauf begonnen und sind dabei erfolgreich. Schon im ersten Jahr dieses Jahrhunderts strömten Unternehmer und Kapital aus China auf den afrikanischen Kontinent. Die Afrikanische Entwicklungsbank hat anhand von 543 Großaufträgen in Afrika im Jahr 2001 eine Analyse darüber erstellt, welches Land jeweils den Zuschlag erhalten hat. Dabei führte China deutlich vor der internationalen Konkurrenz.
Heute operieren mehr als 600 chinesische Unternehmen in 49 afrikanischen Ländern und haben dort fast 1,3 Milliarden US-Dollar investiert. Der bilaterale Handel zwischen China und Afrika hat im Jahr 2003 einen Wert von 18,54 Milliarden US-Dollar erreicht. Das ist ein Anstieg von 50,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und rund die Hälfte des Handelsvolumens der USA mit China. Im Jahr 2004 waren es bereits rund 30 Milliarden US-Dollar, etwa 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Aber auch das US-Handelsvolumen war vor allem wegen höherer Ölpreise im Jahr 2004 von fast 40 auf knapp 60 Milliarden Dollar geklettert. Nach chinesischen Quellen sind oder waren alle 53 afrikanischen Länder Empfänger chinesischer Entwicklungshilfe und Unterstützung. In 48 Ländern wurden mehr als 700 Projekte durchgeführt, insbesondere in der Landwirtschaft, der Fischerei, beim Aufbau der Infrastruktur, der Ausbildung von Fachkräften, in der Kommunikation und bei Fernsehsendern.
Anscheinend haben jedoch nur wenige afrikanische Politiker Pekings Absichten wirklich verstanden. Einer von ihnen ist Benjamin Mkapa, Präsident der Vereinigten Republik Tansania. Mit einem Sprichwort seines eigenen Landes hat er den springenden Punkt der chinesischen Afrika-Strategie scharfsinnig beschrieben: »Diejenigen, die zuerst an der Quelle sind, trinken das reinste Wasser.«
China weiß mit einem Kontinent umzugehen, der seit Jahrhunderten von auswärtigen Mächten enttäuscht wurde. Es gelang, das Tor nach Afrika zu öffnen, ohne die Fehler der »amerikanischen Imperialisten« und »europäischen Kolonialisten« zu wiederholen. Unternehmer und Regierungsbeamte, die mit Afrika zu tun haben, werden von der chinesischen Regierung ausdrücklich davor gewarnt, Afrikanern gegenüber arrogant oder gönnerhaft aufzutreten.
Im Rückblick kann man die Afrikareise des früheren chinesischen Präsidenten Jiang Zemin von 1996 als einen Versuch sehen, diese neue Strategie zu testen. Jiang präsentierte einen Fünf-Punkte-Vorschlag aufrichtige Freundschaft, Gleichheit, Einigkeit und Kooperation, gemeinsame Entwicklung und Nach vorne schauen für die Begründung langfristiger und stabiler sino- afrikanischer Beziehungen. Die Kernaussage war das Prinzip der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung. Damit wollte Jiang an die Afrikaner das Signal aussenden, dass China bereit sei, mit den afrikanischen Ländern das aufzubauen, was er als Allwetter- Partnerschaft bezeichnete. Um Jiangs fünf Punkte verständlicher zu machen, vereinfachte sie sein Nachfolger Hu Jintao zu den folgenden drei Begriffen: langfristige Stabilität, Gleichheit und gegenseitiger Nutzen.
Eines der effektivsten Instrumente Chinas, das Wohlwollen der Afrikaner zu kultivieren, ist die kontinuierliche Entsendung von Ärzteteams nach Afrika. Die chinesischen medizinischen Auslandsprogramme begannen 1963 und laufen schon seit mehr als vier Jahrzehnten. Damals entsandte China sein erstes Ärzteteam ins Ausland nach Algerien. Das nordafrikanische Land befand sich in einem harten Kampf, um unmittelbar nach seiner Unabhängigkeit von Frankreich seine Finanz- und Wirtschaftsprobleme in den Griff zu bekommen. Seitdem sind fast 20.000 chinesische Ärzte und Krankenschwestern nach Afrika gegangen. Zur Zeit arbeiten immer noch mehr als 40 medizinische Teams mit etwa 1000 Mitgliedern in Afrika, die häufig in entlegenen Gegenden des Kontinents den Menschen eine medizinische Basisversorgung bieten. Chinesischen Quellen zufolge sind seit 1963 mehr als 240 Millionen Patienten in 45 afrikanischen Ländern von chinesischen Ärzten behandelt worden. Die chinesische medizinische Versorgung hat im statistischen Durchschnitt jede afrikanische Familie erreicht.
Was die Afrikaner sicher stark beeindruckt hat, ist Pekings feste Entschlossenheit, den afrikanischen Ländern Entwicklungshilfe zukommen zu lassen, obwohl China selbst immer noch Empfänger öffentlicher Entwicklungshilfe seitens der Europäischen Union und Japan ist. 2003 wandte China dafür um die zwei Milliarden US-Dollar auf. Das sichtbarste Zeichen chinesischer Hilfe in Afrika sind aufmerksamkeitsheischende Projekte, die mit Unterstützung seitens der chinesischen Regierung gebaut worden sind: die Regierungsgebäude in Gabun und Côte d'Ivoire sowie die Gebäude des Außenministeriums von Ruanda und das Kongresszentrum in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. Ebenso hat China das neue Flughafenterminal in Algerien errichtet, ein ländliches Stromnetz in Kenia installiert sowie das Nationalstadion und die Zentrale des Außenministeriums von Uganda in Kampala gebaut. Die Gebäude des Telekommunikationsnetzes in Äthiopien sowie zahlreiche neue Fußballstadien in den afrikanischen Hauptstädten sind ebenfalls »Geschenke« der chinesischen Regierung.
Um Vorwürfe der Heuchelei abzuwenden, hat Peking im Jahr 2000 versprochen, einigen der am höchsten verschuldeten Ländern Afrikas über eine Zeitdauer von zwei Jahren 10 Milliarden Yuan (umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar) an Schulden zu erlassen. Unter großer Anerkennung durch die afrikanische Welt, aber auch zur Überraschung der internationalen Gemeinschaft, haben die Chinesen tatsächlich ihr Versprechen erfüllt, sogar früher als angekündigt. Peking hat 156 Schuldverträge annulliert und damit 31 Länder von einer Schuldenlast von insgesamt 10,5 Milliarden Yuan (1,3 Milliarden US-Dollar) befreit. Durch diese Tat hat China nicht nur Misstrauen in einigen afrikanischen Ländern abgebaut, sondern ebenso die westlichen Länder in Verlegenheit gebracht.
Es ist kein Zufall, dass der japanische Ministerpräsident Junichiro Koizumi am 29. September 2003, also unmittelbar nachdem China sein Schuldenerlassversprechen erfüllt hatte, bekannt gab, dass Japan umgerechnet fast 3 Milliarden US-Dollar an Yen-Krediten an die am meisten verschuldeten armen Länder auf dem afrikanischen Kontinent abschreiben wolle. Auf diese Weise hat Japan die Aussicht, China beim Schuldenerlass für afrikanische Länder fast um das Dreifache zu übertreffen. Doch für China ist dies unbedeutend. Was Peking wirklich interessiert, ist das Anerkennen seiner führenden Rolle beim Erlass der afrikanischen Schulden. Indem Tokio Chinas Beispiel folgte, hat es unbeabsichtigt Peking dabei geholfen.
Die chinesische Regierung erwarb sich das Wohlwollen der afrikanischen Länder auch dadurch, dass sie den afrikanischen Ländern Wirtschaftshilfe »ohne daran geknüpfte politische Bedingungen« anbietet. Obwohl jede afrikanische Regierung weiß, dass sie nur dann Hilfe bekommt, wenn sie keine politischen Beziehungen zu Taiwan pflegt, scheint das bereitwilliger akzeptiert zu werden als die westlichen Bedingungen, die üblicherweise Demokratie und Menschenrechte verlangen.
Um sich vom Westen abzugrenzen, definiert China alle seine Afrika-Aktivitäten als »Süd-Süd-Kooperation«. »China ist das größte Entwicklungsland der Welt und Afrika ist der Kontinent mit der größten Zahl an Entwicklungsländern«: Chinesische Regierungsbeamte bedienen sich stets dieses Slogans, um das Verhältnis zwischen China und Afrika zu charakterisieren. Manchmal stellt es sich auch ganz offen auf die Seite Afrikas und gegen die USA. Im April 2002, als die Welt sich mit Washingtons Phrasen von der »Achse des Bösen« auseinandersetzte, besuchte der chinesische Präsident Jiang Libyen, Nigeria, Tunesien und den Iran, wohl wissend, dass US-Präsident George Bush zwei der Länder als »Schurkenstaaten« betrachtete. In Libyen hielt sich Jiang stundenlang an dem Ort auf, an dem im Jahr 1986 die Tochter des libyschen Staatsführers Muammar Gaddafi und etwa 3000 weitere Menschen durch einen amerikanischen Bombenangriff getötet wurden. »Amerika kann eure Häuser zerstören, aber es wird keinen Erfolg dabei haben, libysche Werte und Prinzipien zu zerstören«, betonte Jiang gegenüber Gaddafi.
Peking bemüht sich, den Eindruck zu vermeiden, dass es Afrika diktiere, was es tun solle, um aus seiner schwierigen Lage herauszukommen. Zumindest öffentlich zeigte sich die chinesische Regierung als Anhänger der New Partnership for Africa's Development (NEPAD), der »Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung« (vergl. »der überblick« 1/2005). Während seiner Afrikareise im Januar/Februar 2004 sagte Hu Jintao den afrikanischen Staatsmännern, dass die Zusammenarbeit zwischen China und Afrika in Zukunft ihren Schwerpunkt mehr auf Infrastruktur, Landwirtschaft und die Erschließung von Bodenschätzen legen könnte, Bereiche, die ganz oben auf der Tagesordnung von NEPAD stehen. Um Personal für die Verbesserung der Verwaltung in Afrika auszubilden, richtete Peking 2004 dafür den Africa Human Resources Development Fund ein mit dem Ziel, während der nächsten drei Jahre bis zu 10.000 Afrikaner auszubilden.
Chinesische Unternehmen werden von der Regierung ermutigt, aktiv in afrikanische Infrastrukturprojekte zu investieren. Tatsächlich haben chinesische Investoren und Bauunternehmen ihre Spuren im afrikanischen Verkehrswesen, in der Telekommunikation, der Energieversorgung und beim Bau von Gebäuden hinterlassen: von der Modernisierung der legendären Tansania-Sambia-Bahn (siehe den Artikel von Jamie Monson) bis zum größten Wasserregulierungsprojekt in Afrika, dem Wasserkraftwerk am Takazze, einem Nebenfluss des Nil in Äthiopien, vom Telekommunikationsnetz im Süden und Osten Angolas bis zu Elektrizitätswerken in Nigeria und dem GSM-Mobilfunknetz für 46 Städte in Libyen einschließlich der Hauptstadt Tripolis. Chinesische Firmen haben auch hohe Summen in die Entwicklung der Tourismusindustrie von Sierra Leone, Produktionsanlagen für Stromnetze in Kenia und in die Telekommunikation von Angola investiert. 2004 betrugen die Direktinvestitionen privater chinesischer Unternehmen 135 Millionen US-Dollar. Allein im ersten Quartal 2005 wurden neue Verträge für Maschinenanlagen mit afrikanischen Ländern im Wert von 1,53 Milliarden US-Dollar unterzeichnet.
Pekings Goodwill-Strategie funktioniert offensichtlich. Der Ministerpräsident von Niger, Hama Amadou, wird mit den Worten zitiert, dass sein »Land und Volk China als wahren Freund betrachten« und dankbar seien für die »selbstlose Hilfe ohne daran geknüpfte politische Bedingungen.«
Die chinesische Regierung ihrerseits hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie interessiert ist, aus der Freundschaft mit den Afrikanern selbst Vorteile zu ziehen. Präsident Hu Jintao machte dies deutlich, als er im Februar 2004 drei afrikanische Länder besuchte. »Wir werden unsere Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen verstärken, um die allgemeine Entwicklung zu fördern, so dass beide Seiten davon profitieren«, versicherte er den afrikanischen Staatsmännern.
aus: der überblick 04/2005, Seite 12
AUTOR(EN):
Xuewu Gu
Professor Xuewu Gu ist Inhaber des Lehrstuhls für Politik Ostasiens und Leiter der Sektion Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität Bochum.