"Manchmal versagen meine Hände den Dienst"
Als John 21 Jahre alt war, zog er in die westliche Kap-Provinz. Er sagt, er sei dazu genötigt gewesen, weil es in der Transkei keine Möglichkeit gegeben habe, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
von Jackie Sunde
John ist ein 49-jähriger Xhosa. Er wurde 1954 in einem kleinen Dorf in der Transkei geboren, das genaue Datum seiner Geburt weiß er nicht. Die Xhosa-Kultur ist eine der großen, einflussreichen afrikanischen Kulturen in Südafrika.
Die Transkei war eines jener reservatähnlichen, ländlichen "schwarzen Heimatgebiete" oder homelands, die insgesamt 13 Prozent der Bodenfläche von Südafrika umfassten und in denen nach dem Willen der Apartheidsplanung die schwarze Bevölkerung zusammengepfercht werden sollte, obwohl diese 87 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachte. Angesichts chronischer Armut und der systematischen Unterentwicklung der Transkei konnten viele Einwohner dort nicht überleben. Sie waren gezwungen, als Wanderarbeiter in den Goldbergwerken oder anderen wachsenden Wirtschaftszweigen ihren Lebensunterhalt zu verdienen, womit sie zu billigen Arbeitskräften für das "weiße Kapital" wurden.
Als John 21 Jahre alt war, zog er in die westliche Kap-Provinz. Er sagt, er sei dazu genötigt gewesen, weil es in der Transkei keine Möglichkeit gegeben habe, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Für die Kap-Provinz entschied er sich, weil seine Brüder hier bereits als Kontraktarbeiter tätig waren und ihm von ihrer Arbeit erzählt hatten. "Als Schwarzer konnte man damals nur als Kontraktarbeiter in der Kap-Provinz arbeiten, sonst wurde man ständig von der Polizei eingeschüchtert und schikaniert, weil man sich nicht ausweisen konnte", erinnert sich John.
Zunächst fand er durch die Vermittlung seiner Brüder Arbeit beim Entladen von Schiffen im Hafen Kapstadts. John blieb dort ein Jahr. Dann zog er 1976 nach Saldanha Bay, 120 Kilometer nördlich von Kapstadt, wo ein Fischereiunternehmen ihn als Kontraktarbeiter auf einem Dorschfang-Trawler beschäftigte. Zwölf Jahre arbeitete er für diese Firma. Während dieser Zeit wohnte John mit vielen anderen Männern zusammen unter schwierigen Bedingungen in dem firmeneigenen Heim für Wanderarbeiter.
Die Mannschaften fuhren meist für etwa zehn Tage aufs Meer hinaus und verbrachten dann zwei Tage im Hafen, bevor es wieder auf See ging. Für eine Zehn-Tage-Fahrt bekam John einen Lohn ausgezahlt, der - umgerechnet auf heutigen Wert - bei knapp 40 Euro lag. Seine Familie konnte er nur einmal im Jahr besuchen. Da er fand, dass er nicht genug verdiente, kündigte er 1988 und zog zurück nach Kapstadt, wo er bei einer kleinen Firma in einer Fischersiedlung am Rande der Stadt als Thunfischangler anfing. Hier wurde die gefangene Fischmenge unter den Mitarbeitern verteilt, wobei der Bootsbesitzer etwas mehr als die Hälfte des Gesamtfanges erhielt. In dieser Zeit wohnte John bei Freunden in einer nicht-amtlichen "wilden" Siedlung der Umgebung, die mittlerweile als Imizama Yethu bekannt ist. Die Männer teilten sich eine Wellblechhütte und konnten sich über Wasser halten, indem sie einander gegenseitig mit ihren kargen Löhnen unterstützten.
Vor etwa sechs Jahren zog John in ein anderes Fischerdorf im Bezirk Kapstadt, nach Kalk Bay, weil er glaubte, dass die Angelfischerei und das Geschäft mit Hechtmakrelen (snoek) mehr Gewinn versprachen. In Kalk Bay hat er keine feste Unterkunft, sondern schläft meist in einem der Boote, die im Hafen liegen. Um vier Uhr morgens fährt er aufs Meer hinaus und kehrt gegen ein Uhr mittags in den Hafen zurück. Schon seit einiger Zeit arbeitet er immer auf dem selben Boot, doch er kann nach dem so genannten pan a pan-System auf jedem beliebigen Boot ausfahren, das gerade verfügbar ist. Dabei arbeiten die Belegschaften nach einem "halbe-halbe"-Verfahren, bei dem die Mannschaft die Hälfte des Fangs auf eigene Rechnung verkauft, während die andere Hälfte dem Bootsbesitzer gehört. Die Fischer erhalten weder Arbeitskleidung oder sonstige Ausrüstung noch Proviant, sondern müssen sich auf eigene Kosten ausstatten und verpflegen. Gefangen werden Hechtmakrelen, Kabeljau, Gelbschwanz (yellowtail) und eine "Hottentotte" genannte Fischart. John und die anderen Crew-Mitglieder hören auf dem Boot den Funk ab und erfahren, wo Fische gesichtet wurden und entscheiden dann, ob sie dorthin fahren.
In der Hechtmakrelensaison fährt John oft nach Ysterfontein, einem kleinen Ort etwa 60 Kilometer nördlich von Kapstadt an der Westküste. Um dort hinzukommen, nimmt er spät abends den Zug von Kalk Bay in die Innenstadt von Kapstadt, und von dort ein Sammeltaxi zu einer Tankstelle am Stadtrand. An der Tankstelle übernachtet er dann im Freien und lässt sich am nächsten Morgen in der Frühe von einem Bootsbesitzer mitnehmen. Da die Bootseigner ihn mittlerweile kennen, nimmt ihn immer einer mit, sagt John. Gewöhnlich arbeitet er sieben bis zehn Tage in Ysterfontein auf einem Hechtmakrelenfänger. Jeweils etwa zehn Männer bilden normalerweise die Belegschaft eines Bootes, in Kalk Bay sind es um die sechzehn. "Es ist ein schreckliches Leben", sagt John, "aber was will ich machen? Ich bin eben arm. In Kalk Bay ist es oft besser, da gibt es verschiedene Fischarten, man kann besser verdienen ... geelbek und Cape salmon ... also gibt es auch mehr Geld. In der Hechtmakrelensaison bin ich viel unterwegs ... Ich fahre nach Imizama Yethu bei Hout Bay, wenn es dort günstig ist, und dann zurück nach Kalk Bay."
John hat eine Lebensgefährtin und zwei kleine Söhne im Alter von vier und zwei Jahren. Sie leben in Langa, einer der ältesten Townships für Schwarze in Kapstadt. Sein unbeständiges Arbeitsleben nötigt ihn, von einem Fischerdorf zum anderen zu ziehen. Doch wann immer er Gelegenheit dazu hat, wohnt er eine Weile bei seiner Lebensgefährtin und seinen Söhnen in Langa und sagt, dass dies sein Zuhause sei.
Zu Zeiten der Apartheid, als mit Hilfe des Group Areas Act gesetzlich bestimmt wurde, welche "Rassengruppe" wo zu wohnen hatte, war Langa zu einem Wohngebiet für Schwarze erklärt worden. Und obwohl diese gesetzlichen Bestimmungen längst aufgehoben worden sind, wirkt das städteplanerische Erbe der Apartheid bis heute fort: Langa ist ein sehr armes Viertel mit wenigen öffentlichen Einrichtungen, und die Wohn- und Lebensqualität ist im allgemeinen sehr gering. John und seine Familie leben in einer Wohnung in einem ehemaligen Wohnheim für Wanderarbeiter, das inzwischen umgebaut worden ist. Sie haben nur ein Zimmer und teilen Waschraum und Toilette mit mindestens zwölf anderen Familien.
Allerdings ist die Wohnung relativ billig, und Johns Hauptausgabe sind die Fahrten zwischen der Wohnung und den Fischerhäfen. John erklärt, dass die Fischer aus dem Township meist nach dem Gazat-System Geld zusammenlegen, um mit dem Sammeltaxi zum Hafen zu fahren, in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Wenn es im Hafen nichts zu tun gibt, können sie den Taxifahrer nicht bezahlen. Das müssen sie dann nachholen, sobald es wieder Arbeit gibt, auch wenn das erst einige Tage später der Fall ist. Die Fahrtkosten sind ein großes Problem für die Fischer.
Es gibt kein soziales Netz für kleine Fischer in Südafrika, und da sie als "selbständige Vertragskräfte" gelten, fallen sie auch nicht unter den Schutz des Gesetzes über die Bedingungen der Lohnarbeit oder eines der anderen Arbeitsgesetze, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden.
Die jahrelange Fischerarbeit bei Nässe und Kälte hat Johns Gesundheit beeinträchtigt. In seinem ganzen Körper spürt er die Müdigkeit, sagt er, und das ständige Arbeiten bei Feuchtigkeit hat seinen Händen zugesetzt. "Morgens versagen mir die Hände manchmal den Dienst, und ich habe Probleme mit den Beinen", sagt er. Im Hafen gibt es zwar Toiletten, aber keine Dusch- oder Waschräume für die Fischer. Auch existiert keine formelle Lebensversicherung für die Fischer von Kalk Bay. Aber John berichtet, dass es ein informelles System gibt, nach dem die Bootsbesitzer bei tödlichen Arbeitsunfällen den Angehörigen eine einmalige Abfindung von 3000 Rand (etwa 366 Euro) zahlen. Außerdem veranstalten die Fischergemeinschaften in solchen Fällen Spendensammlungen zugunsten der Angehörigen, bei denen jeder etwas gibt. Eine Unfall- oder Invalidenversicherung für Kontraktfischer gibt es nicht.
John sagt, es sei schwer, sein Monats- oder Jahreseinkommen zu beziffern, da es von Woche zu Woche je nach Wetter, Jahreszeit und Fischvorkommen schwankt. In den Sommermonaten, von Oktober bis Februar, sind die Fangmengen gut, und er kann bis zu 4000 Rand (488 Euro) pro Monat (oder etwa 130 Euro am Tag) verdienen. Außerhalb der Saison jedoch kann der Verdienst bis auf 30 Rand (3,66 Euro) pro Tag zurückgehen, und manchmal können die Fischer nicht mehr als acht Tage im Monat arbeiten. Er schätzt, dass er im Jahresdurchschnitt etwa 800 bis 1000 Rand (98 bis 122 Euro) pro Monat verdient.
Nach der ersten demokratischen Wahl in Südafrika 1994 wurde ein neues Verfahren zur Zuteilung von Nutzungsrechten in der Fischwirtschaft eingeführt. Ziel war es, eine Umverteilung von Nutzungsrechten zu bewirken, indem man bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie Schwarze, Farbige und Inder sowie neu hinzugekommene schwarze Fischer und Unternehmer ermutigte, sich um Fischereirechte zu bewerben.
2001 half ein Bootsbesitzer John und neun anderen traditionellen Fischern, sich um eine Quote für Langustenfang zu bewerben. 2002 wurde ihnen eine relativ kleine Quote von 800 Kilogramm Langusten zugeteilt. In diesem ersten Jahr wurde jedem Fischer der Gruppe ein Teil der Fangmenge ausgezahlt, und John legte davon etwas Geld zurück, um auf die Anzahlung für ein Boot zu sparen - ein eigenes zu haben, ist schon lange sein Wunsch. Im nächsten Jahr beteiligte der Bootsbesitzer fünf Freunde und Verwandte an dem Unternehmen und am erwirtschafteten Gewinn, obwohl diese fünf nicht in dem Antrag auf eine Fangmenge eingetragen worden waren. Als John sich beschwerte, weigerte sich der Bootsbesitzer, die John und seinen Freunden zugeteilte Fangmenge auszuschöpfen und brachte nur 120 Kilogramm an Land. In diesem Jahr erhielten John und seine Freunde überhaupt kein Geld.
John steht mit dieser Erfahrung nicht allein da. Das neue Verfahren ermöglicht es Leuten, die sich Boote verschaffen und "wissen, wie's läuft", sich im Namen armer schwarzer Fischer um Fangmengen zu bewerben. Es existiert also ein Quotensystem auf Papier, bei dem in der Realität jedoch viele gutgläubige Fischer nicht die Anteile erhalten, die ihnen zustehen. John ist bitter enttäuscht von dem derzeitigen Zuteilungsverfahren. Er meint, die zuständige Behörde (Meeres- und Küstenverwaltung, MCM) habe sich nicht um die Meinungen der Fischer gekümmert und ihre Forderungen ignoriert. Vor einigen Jahren hatte er sich an einem Protest gegen die MCM beteiligt und hat heute das Gefühl, das dies erfolglos war. Er findet das neue Verfahren "schrecklich, schlimmer als vorher ... entsetzlich für die Fischer in den Townships ... die schwarzen Fischer."
Viele weiße und farbige Bootsbesitzer haben bei der letzten Zuteilungsrunde keine Zulassungen erhalten, so John, mit dem Ergebnis, dass jetzt viele Fischer arbeitslos seien. Hintergrund ist, dass die Fischereibehörde unlängst ein neues Zulassungssystem eingeführt hat, nach dem nur sehr wenige Bootsbesitzer die Genehmigung erhalten, mit einer Mannschaft im Hechtmakrelenfang oder in der Angelfischerei tätig zu werden. Diese Einschränkungen werden mit den Warnungen von Meeresbiologen begründet, dass die Fischbestände bedroht seien. Für viele Fischer im Kleingewerbe haben die neuen Bestimmungen fatale Auswirkungen.
John empfindet es als unfair, dass die MCM den Booten von Kleinunternehmern die Zulassung versagt, während die großen Trawler nach wie vor große Fangmengen zugeteilt bekommen, denn letztere sind es, welche die Fischbestände bedrohen. Ein weiteres Problem sei, dass es "unter den Fischern immer noch Rassismus gibt. Die farbigen Bootsbesitzer treffen sich oft mit den farbigen Fischern, aber die schwarzen Fischer werden nicht zu diesen Versammlungen geladen. Die Treffen finden ohne sie statt."
John würde sich gern ein eigenes Boot kaufen und mit eigener Mannschaft ausfahren. Er möchte einen Lehrgang über Sicherheitsvorkehrungen für Bootsführer machen. Dieser Kurs findet in Kapstadt statt, dauert zwei Wochen und kostet ungefähr 1000 Rand. Für die Kursgebühren und Fahrtkosten muss er selbst aufkommen. Doch der Arbeitsausfall während des Lehrgangs macht ihm Sorgen, und er zweifelt, ob er jemals an dem Kurs teilnehmen kann. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, so hat John durchaus erkannt, werden die kommerziellen Unternehmer begünstigt, die bereits Kapital investiert haben. Er weiß, dass er nur eine Chance hat, wenn er versucht, in diesem bereits hart umkämpften Feld konkurrenzfähig zu bleiben.
aus: der überblick 02/2004, Seite 39
AUTOR(EN):
Jackie Sunde :
Jackie Sunde hat zur Zeit einen Forschungsvertrag bei der nichtstaatlichen Entwicklungsgesellschaft "Masifundise Development Organisation" und arbeitet dabei mit Fischergemeinschaften und Gemeinden an der Küste Südafrikas zusammen.