"Afrika braucht auch eigenständige Kompetenz"
Der EED fördert im Kongo auch kirchliche Hochschulen. Das mag verwundern, gehören doch die dort Studierenden selten zu den Bedürftigsten. Im Bildungsbereich liegt der Schwerpunkt der EED-Förderung auf der Grundbildung. Warum der EED im Kongo ausnahmsweise auch Hochschulen fördert und wie, erläutert Rudolf Heinrichs-Drinhaus, der im EED für Zentralafrika zuständig ist.
Nachgefragt bei Rudolf Heinrichs-Dinhaus.
von Bernd Ludermann
Der EED unterstützt im Kongo auch Universitäten. Welche sind das?
Zur Zeit unterstützen wir erstens die protestantische Universität in Kinshasa, an der 4000 Studentinnen und Studenten aus verschiedenen Landesteilen studieren, zweitens die "Freie Universität im Gebiet der Großen Seen" in Goma und drittens die evangelische Universität in Bukavu im Ostkongo. Getragen werden diese Hochschulen jeweils von mehreren Kirchen - in Bukavu von vier, in Kinshasa und Goma von acht, darunter in Goma auch protestantische Kirchen aus Ruanda und Burundi.
Sind diese Universitäten offen für alle Konfessionen?
Ja, da gibt es keine Einschränkung. Dazu muss man wissen, dass die früheren kirchlichen Hochschulen im Kongo und dann Zaire - die katholische Universität in Kinshasa und die protestantische in Kisangani - in den siebziger Jahren verstaatlicht worden sind. Danach war die Ausbildung der Pastoren nicht mehr sichergestellt. Deshalb haben die Kirchen - die katholische wie die protestantischen - eigene theologische Hochschulen gegründet. Als dann zu Beginn der neunziger Jahre das staatliche Hochschulwesen völlig zusammenbrach, haben die Kirchen beschlossen, an ihren Hochschulen weitere Fakultäten neben der Theologie zu bilden, so Wirtschaftswissenschaften, Recht, Gesundheitswesen, Pädagogik und demnächst Ingenieurberufe.
Das heißt mangels staatlicher Universitäten sorgen jetzt die Kirchen im Kongo für die Grundversorgung mit Hochschulplätzen?
Ja. Diese Rolle hatten sie vor den siebziger Jahren auch schon: In der belgischen Kolonie Kongo und in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit waren die Hochschulen von den Kirchen getragen.
Was sind heute die größten Probleme der kirchlichen Hochschulen?
An erster Stelle natürlich Geldmangel. Der Staat hat sich im Prinzip bereit erklärt, diese Hochschulen zu bezuschussen und die Lehrergehälter zu zahlen - genauso wie im Fall der Grund- und Sekundarschulen, von denen die meisten (abgesehen von einer kurzen Phase der Verstaatlichung) immer von Kirchen getragen waren. Da der Staat aber pleite ist oder, wie in den vergangenen Jahren, die Einkünfte in den Krieg gesteckt hat, sind die Hochschulen fast ausschließlich auf Studiengebühren angewiesen, die die Großfamilien der Studierenden aufbringen. Bei der Armut im Lande können sie nur sehr geringe Beträge zahlen.
Wie wird der Rest aufgebracht?
Nehmen wir das Beispiel der protestantischen Universität Kinshasa. Sie wird zu über 60 Prozent aus Studiengebühren und anderen direkten Leistungen der Studierenden und ihrer Familien finanziert. Hinzu kommen Stipendien, wie sie zum Beispiel Missionen für ihre Partnerkirchen leisten, aber auch zum Teil die kongolesischen Kirchen für ihre zukünftigen Pastoren. Die staatliche Verwaltung übernimmt die Rechnungen für Wasser und Strom, und zwar sowohl in Kinshasa wie im Ostkongo, der von Rebellengruppen kontrolliert wird. Und für eine begrenzte Zeit erhält die Universität Hilfe von internationalen Gebern. Solche Zuschüsse zahlt unter anderem der EED. Aber nicht zu den laufenden Kosten wie Gehälter, Material und Unterhalt der Gebäude. Der EED gewährt seine Zuschüsse für soziale Härtefälle und spezielle Qualifizierungsvorhaben.
Was bedeutet das genau?
Zum einen helfen wir armen Studierenden, die ihre Studiengebühren nicht vollständig aufbringen können, aus einem Übergangsfonds. Dabei werden Frauen, die etwa die Hälfte der Studentenschaft ausmachen, vorrangig berücksichtigt. Zum anderen machen wir uns dafür stark, dass an den Hochschulen nicht nur aus alten, zum Teil überholten Büchern vorgelesen wird, sondern man sich auch mit der gesellschaftlichen Realität auseinandersetzt - im Studium und als Hochschullehrer. Das Besondere an Hochschulen ist ja, dass sie nicht nur lehren, sondern auch forschen. Der EED hilft den Unis, dies zu finanzieren. Er fördert erstens Praktika, die Studierende in ihrem sozialen Umfeld leisten - etwa wenn Juristen sich mit Menschenrechts- oder Bodenrechtsfragen befassen, Betriebswirte mit kleinen Wirtschaftsbetrieben oder Agrarwissenschaftler mit Problemen der örtlichen Landwirtschaft und Umwelt. Aus solchen Praktika können Forschungen und Abschlussarbeiten hervorgehen. Zweitens unterstützt der EED die Qualifizierung des Hochschulpersonals. Die meisten Dozenten haben keine Forschungsarbeit, keine Promotion abgeschlossen. Denen versuchen wir eine Weiterqualifizierung zu ermöglichen.
Wo findet diese Fortbildung statt? An Hochschulen im Kongo?
Da gibt es zwei Wege. Der eine ist, dass Dozierende, die weiter an Hochschulen im Kongo lehren werden, vom Ökumenischen Studienwerk ein Stipendium für ein Aufbaustudium an anderen Universitäten bekommen, auch im Ausland. Das dauert aber lange, ist aufwändig und nicht für alle möglich. Deshalb haben die drei von uns geförderten Universitäten mit Hilfe von Beratung aus Europa und Afrika ein Aufbaustudium entwickelt - an ihrer eigenen Hochschule, aber in Kombination mit anderen Hochschulen in Afrika und Europa. Die Universität in Goma arbeitet zum Beispiel mit staatlichen Hochschulen in Kamerun zusammen, und die in Kinshasa hat Beziehungen nach Belgien und Frankreich sowie zu einer Bank-Akademie in Frankfurt am Main.
Heißt das, dass Dozenten aus Kamerun, Belgien oder Frankfurt eine Zeitlang in Kinshasa oder Goma lehren?
Ja. Und die Dozenten im Kongo bilden untereinander Studienzirkel.
Wie viel Geld wendet der EED für diese Unterstützung der Hochschulbildung im Kongo auf?
Insgesamt ungefähr eine halbe Million Euro im Jahr. Darin sind auch zusätzliche Investitionen in Gebäude oder Bibliotheken und Kommunikationseinrichtungen enthalten. Diese Förderung ist für uns ein wichtiger Bereich, aber nicht der quantitativ vorrangige. Wir sind in Afrika viel stärker in der Grundbildung engagiert.
Ist der Kongo das einzige Land Afrikas, in dem der EED Hochschulen fördert?
Zur Zeit ja. Das ist eine Ausnahme, begründet zum einen im Zusammenbruch des Staates und zum anderen in der langen Tradition des kirchlichen Hochschulwesens im Kongo. Aber es gab früher auch anderswo Förderungen für den Bereich der Hochschulbildung. Denken Sie an Südafrika zur Zeit der Apartheid: Dort haben Kirchen viel Geld investiert, um schwarzen Südafrikanern eine angemessene Hochschulbildung zu ermöglichen. Auch heute werden mit Stipendien Studierende aus anderen Ländern gefördert. Und es zeichnet sich ab, dass die Kirchen zukünftig gerade von der armen Bevölkerung vermehrt um gute Ausbildungsplätze für ihre Kinder angefragt werden. Denn auch in anderen Ländern öffnet sich die Schere zwischen Bedarf und Angebot. In vielen afrikanischen Ländern werden schon heute zu wenig Lehrkräfte ausgebildet, um die zahlenmäßig starken jungen Jahrgänge zu unterrichten. Kirchen in Kamerun, Westafrika und Tansania unternehmen deshalb Initiativen, um die Lehrerausbildung sicherzustellen - soweit möglich an staatlichen Hochschulen, wenn nötig auch an kirchlichen.
In der entwicklungspolitischen Debatte heißt es meistens, dass Werke wie der EED sich auf die Förderung der Grundbildung konzentrieren sollen. Halten Sie das für nicht ausreichend?
Unser Schwerpunkt liegt auf der Grundbildung. Die wird aber von einheimischen Fachkräften getragen, die im Land ausgebildet werden müssen. Nun reicht die Grundschule allein nicht für die Ausbildung ihrer Lehrkräfte und die weiterführende Schule allein nicht für die Ausbildung von Sekundarschul-Lehrkräften. Ebenso genügt für verantwortliche Aufgaben im Gesundheitswesen, in der Selbsthilfeförderung oder im Rechtswesen eine Grundbildung allein nicht. Afrika braucht auch eine fachliche Ausbildung auf tertiärer Ebene und eigenständige Kompetenz in Forschung und Lehre.
Aber finanziert man nicht mit der Hochschulförderung auch den Brain Drain, weil viele der fähigen Fachleute aus Afrika weggehen?
Das Phänomen gibt es natürlich. Die Frage ist aber, ob und für wen das ein Verlust ist. Aus Kongo gehen zum Beispiel Lehrer nach Gabun oder andere Nachbarländer, wo etwas höhere Gehälter gezahlt werden. Das ist für den Kongo ein Verlust, für die Nachbarländer ein Gewinn. Wenn ein kongolesischer Arzt in Kamerun praktiziert, ist das aus Sicht des EED kein Verlust. Dennoch muss man mehr tun, um die Fachleute im Kongo zu halten. Die Hochschulen, die wir fördern, versuchen das - genauso wie Krankenhäuser, Gesundheitsprogramme oder Frauenförderungs-Initiativen. Die Partner von außen können mit überlegen, wie erreicht werden kann, dass die gut Ausgebildeten auch im Heimatland ihre Familien ernähren können. Und es geht nicht nur um Gehälter. Man muss Arbeitsbedingungen schaffen, unter denen die jungen Leute wirklich mit Engagement und Verantwortungsbewusstsein arbeiten können. Selbst wo Brain Drain nach Europa oder Amerika stattfindet, kann er im übrigen auf lange Sicht ein Gewinn sein. Zum Beispiel habe ich einige junge Kongolesen, die 1980 nach Köln gegangen waren, später in Kinshasa wiedergetroffen. Sie bringen nicht nur Neuerungen mit, sondern vor allem persönliche Kontakte und Verbindungen in andere Länder. Die kirchlichen Hochschulen nutzen inzwischen die Tatsache, dass einige ihrer Absolventen in den USA oder Europa sind, und binden sie in Freundeskreise und Fachgruppen ein. Vielleicht ist das ein Anfang, um Absolventen und Dozenten, die eine Zeitlang im Ausland eine gute Stelle haben, für ein Netz des Austausches und auch der finanziellen Förderung zu gewinnen.
Sie haben gesagt, dass der Zugang zu den Hochschulen begrenzt ist. Bedeutet das, dass der EED mit der Hochschulförderung eine kleine begünstigte Elite fördert?
Begünstigt werden die Geförderten durch ihre Ausbildung, nicht aufgrund ihrer Herkunft. Die Studierenden an den kirchlichen Hochschulen, übrigens etwa zu gleichen Teilen Männer und Frauen, stammen aus allen Schichten der Bevölkerung. Natürlich kann man nur eine kleine Anzahl fördern. Zur Zeit lernen im Kongo nur 1,5 Prozent eines Jahrgangs überhaupt an einer Hochschule. Diese Zahl ist viel zu klein. Sie kann nur dann wesentlich vergrößert werden, wenn die Wirtschaftskraft der Bevölkerung wächst. Von außen kann man das nur begrenzt beeinflussen. Aber überall dort, wo wir helfen können, sollen wir es tun.
Wie beurteilen Sie bisher den Erfolg der Förderung?
Wenige Jahre nach dem Beginn der Förderung kann man das noch nicht endgültig beantworten. Die Zahl der Geförderten war ja gering, noch haben zu wenige ihre Studien abgeschlossen. Wir wissen, dass einige gute Zeugnisse bekommen haben und sich in ihrem Land aktiv einsetzen - ob das im Bereich der kirchlichen Gesundheitsversorgung ist, in staatlichen Einrichtungen, internationalen Hilfswerken oder in der Privatwirtschaft. Ihr berufliches und gesellschaftliches Engagement in Verantwortung vor Gott und den Menschen ist für die Entwicklung des Landes besonders wichtig. In einigen Jahren wird eine genauere Einschätzung möglich sein. Zusammen mit den kirchlichen Hochschulen im Kongo planen wir, den beruflichen Werdegang der ehemaligen Studentinnen und Studenten nachzuzeichnen und so Grundlagen für eine Erfolgsbewertung zu erhalten.
aus: der überblick 01/2003, Seite 118
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".