40 Jahre Dienste in Übersee
Nebenan werden Stoßdämpfer angepriesen. Das Bürogebäude des evangelischen Personalfachdienstes Dienste in Übersee liegt in einem Gewerbegebiet in der Nähe des Stuttgarter Flughafens. In der Arbeit von DÜ muss man ohne "Stoßdämpfer" auskommen. In der Vermittlung von Fachpersonal und der Arbeit in Übersee treffen Menschen aus unterschiedlichsten Berufen und Kulturen aufeinander. Das macht den Reiz dieser Arbeit auf, schafft aber auch Konflikte, die ausgehalten werden müssen. Auf diesen Geist der offenen Debatte treffe ich auf allen Etagen des Hauses Nikolaus-Otto-Straße 11. Irrtümer werden offen als solche benannt, und es wird geschildert, was man daraus gelernt hat.
von Frank Kürschner-Pelkmann
Ohne solche Offenheit wäre DÜ in seiner 40-jährigen Geschichte wohl schon mehrfach gescheitert. Am Anfang stand der Enthusiasmus, dass man nur genügend fachlich gutes und motiviertes Personal in den Süden der Welt senden müsse, dann würden die Leute vor Ort schon die nötigen Fähigkeiten erlernen, um selbst Autos zu reparieren und Brunnen zu bohren. Aber dies erwies sich als teure Art der Vermittlung von Wissen, die zudem oft nicht so wirksam wie erhofft war. Sich selbst überflüssig zu machen, dieses Ziel erwies sich mehr als einmal als Illusion. Also hat DÜ sich umgestellt und Unterrichtende für die Aus- und Fortbildung lokaler Fachkräfte vermittelt. Inzwischen sind Leute gefragt, die lokale Ausbilderinnen und Ausbilder schulen. Außerdem sind sehr viel mehr deutsche Fachkräfte als Berater in Bereichen wie Organisationsentwicklung und Personalplanung tätig. Andere DÜlerinnen und DÜler beraten kirchliche Organisationen und soziale Bewegungen, wie sie noch wirksamer auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen können.
Nicht mehr der Schraubenzieher ist das typische Handwerkszeug einer Fachkraft, sondern der Laptop mit Internetanschluss. In einem DÜ-Papier wird dieser Veränderungsprozess der letzten vier Jahrzehnte auf die Formel gebracht: "Vom Macher über den Lehrer zum Manager oder dem Ausbilder des Ausbilders". Entsprechend differenziert ist der Vorbereitungsprozess nach dem Baukastenprinzip, in dessen Mittelpunkt aber wie vor Jahrzehnten ein verbindlicher mehrwöchiger Ausreisekurs steht, der meist in der DÜ-Tagungsstätte in Stuttgart-Riedenberg stattfindet. Und wie damals geht es um Sprache, Kultur und Kirche des Landes und immer wieder neu auch um die Frage nach dem Verständnis von Entwicklung und dem christlichen an diesem Dienst in Übersee.
Mit dem Profil der Arbeit hat sich auch das Partnernetz von DÜ verändert. Arbeitete man zunächst vor allem mit Kirchen zusammen, so hat inzwischen der Anteil christlicher Organisationen und Initiativen sowie Nichtregierungsorganisationen zugenommen. Gleich geblieben ist, dass nur auf Anforderung Personal entsandt wird und dass die Fachkräfte vertraglich an die lokalen Partner gebunden und deren Beschäftigte sind. Sie sind also Arbeitnehmer in Lima oder Port Moresby. Es bleibt eine Mitverantwortung von DÜ für die vermittelten Fachkräfte und ihre sinnvolle Arbeit vor Ort. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stuttgarter Geschäftsstelle kommen als Partner zu den Organisationen vor Ort, die auf gleichberechtigte Zusammenarbeit angewiesen sind, damit das DÜ-Motto "Menschen bewegen" Realität werden kann.
Neben der Vermittlung von Fachkräften hat DÜ weitere Programme entwickelt, um den Anforderungen der Partnerorganisationen in Übersee entsprechen zu können. In Stuttgart spricht man von einem "gut sortierten Werkzeugkasten" zur Unterstützung bei der Personalplanung und -entwicklung der Partner. Besonders ambitioniert ist der Friedensfachdienst. Angesichts zahlreicher Kriege und innerstaatlicher gewaltsamer Auseinandersetzungen ist es in den neunziger Jahren immer wichtiger geworden, Kirchen und soziale Bewegungen in ihrem Friedensengagement fachlich zu beraten und zu unterstützen. Im Jahre 1998 war bereits ein Zehntel aller vermittelten Fachkräfte in der Friedensarbeit tätig.
Mit Unterstützung der Bundesregierung ist jetzt ein neues Arbeitsfeld hinzugekommen. DÜ beteiligt sich - wie einige andere Friedensfachdienste - an dem Programm "Ziviler Friedensdienst". 1999 wurden staatliche Gelder für die Entsendung von sieben DÜ-Fachkräften in Krisenregionen bewilligt, in diesem Jahr soll das Programm noch ausgebaut werden. In Ländern wie Guatemala, Palästina und den Philippinen tragen diese gut ausgebildeten Friedensfachkräfte dazu bei, Konflikte auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu erkennen, einen Dialog der Beteiligten zu initiieren und eine gewaltlose Lösung zu suchen. In solchen Konfliktsituationen ist es von großem Vorteil, von außen zu kommen, also keiner der Konfliktparteien anzugehören. Großes Gewicht wird darauf gelegt, dass es engagierte kirchliche und nichtstaatliche Träger des Programms gibt: "Wir können nur dann wirksam arbeiten, wenn es vor Ort Partner gibt, die friedenschaffende Maßnahmen unternehmen", betont Jörg Schwieger, stellvertretender Leiter der DÜ-Geschäftsstelle.
Dort, wo es der Bevölkerung gelingt, demokratische Wahlen durchzusetzen, werden häufig internationale Wahlbeobachter eingesetzt, die durch ihre Präsenz dazu beitragen sollen, dass die Abstimmung möglichst ohne Manipulationen der politisch Mächtigen durchgeführt werden kann oder dass Unregelmäßigkeiten zumindest dokumentiert und im Lande selbst und international bekannt werden. Die Entsendung erfolgt in der Regel auf Bitten und im Auftrag des jeweiligen nationalen Kirchenrates. Besonders bekannt geworden ist die Wahlbeobachtung bei den ersten freien Wahlen in Südafrika. DÜ hat durch die Entsendung von insgesamt 80 Beobachtern in verschiedenen Ländern vor allem in Afrika dazu beigetragen, dass Wahlen wenigstens halbwegs fair stattfanden und auch die Verlierer das Wahlergebnis anerkennen konnten. Damit wurden neue gewaltsame Auseinandersetzungen vermieden.
Aber auch weniger erfolgreiche Initiativen werden bei DÜ offen benannt. Jörg Schwieger berichtet, dass man vor einigen Jahren versucht hat, den Süd-Süd-Austausch von Fachkräften von Stuttgart aus zu organisieren. Die Sache war entwicklungspolitisch die richtige Akzentsetzung, erläutert mein Gesprächspartner, sie erwies sich in der praktischen Umsetzung aber als schwierig. Deshalb geht DÜ jetzt einen anderen Weg und unterstützt Partnerorganisationen im Süden dabei, selbst solche Austauschprogramme ins Leben zu rufen. Ein Berater vermittelt die Erfahrungen von DÜ in 40 Jahren Personaldienst an diese Partner und baut Brücken zwischen ihnen. Solche Strukturen aufzubauen, braucht Zeit, aber vor allem im Pazifik und in Mittelamerika funktioniert dieser Austausch inzwischen. Ein Erfolg ist das Reintegrationsprogramm für Menschen aus dem Süden, die in Deutschland studiert oder eine Berufsausbildung erhalten haben und nun dabei unterstützt werden, in ihrer Heimat beruflich Fuß zu fassen.
Unterschiedliche Erfahrungen hat DÜ in seiner Arbeit in Deutschland gemacht. In den ersten Jahrzehnten der Arbeit gehörte die Organisation mit der Zeitschrift "der überblick", dem Überseeregister mit Tausenden meist jüngerer Menschen mit Interesse an einem Übersee-Einsatz sowie mit zahlreichen Bildungsveranstaltungen zu den Pionieren der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Inzwischen ist das Angebot entwicklungspolitischer Bildungsprogramme breiter geworden. Das ist erfreulich, hat aber immer wieder die Frage aufkommen lassen, worin das Spezifische der Bildungsarbeit von DÜ besteht. Diese Arbeit hat mit der Auflösung der Inlandsabteilung vor zwei Jahren und der Verlagerung von Fachstellen zu anderen Trägern sichtbar an Stellenwert verloren. Aber das weiterhin bestehende Inlandsengagement wie zum Beispiel im Haus am Schüberg in Hamburg (siehe den Beitrag in diesem "Forum") und durch die Fachstelle Tourism Watch in Stuttgart sind unverzichtbar für die entwicklungspolitische Bildung in Deutschland. Zu dieser Entwicklungsarbeit im eigenen Land tragen auch die Rückkehrerinnen und Rückkehrer wesentlich bei. Das "Überseeregister" umfasst 5.000 Personen, die in Übersee waren, an einem Einsatz in der Entwicklungsarbeit interessiert sind oder sich auf andere Weise entwicklungspolitisch engagieren. Werner Gebert, zuständig für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, macht auf den hohen Anteil von Rückkehrerinnen und Rückkehrern sowie Überseeregister-Mitgliedern im Eine Welt-Bereich aufmerksam: "Viele neue Ideen, Aktionen und Konzepte in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit gehen auf authentische, kreativ umgesetzte Erfahrungen von DÜlerinnen und DÜler zurück."
Wenn DÜ in diesem Herbst das 40-jährige Bestehen feiert, kann man auf zahlreiche Erfolge zurückblicken, und das sind vor allem Erfolge der Menschen, die für einige Jahre nach Übersee gegangen sind, um Initiativen vor Ort dabei zu beraten und zu unterstützen, Armut zu überwinden und Gerechtigkeit zu schaffen. Neben fachlicher Qualifikation sind dabei persönliche Qualitäten und Offenheit gegenüber anderen Kulturen gefragt. Auf dieser Grundlage, so ist man bei DÜ überzeugt, können Fachkräfte aus Deutschland auch in Zukunft einen wichtigen Dienst leisten. Deshalb bedauern Jörg Schwieger und seine Kolleginnen und Kollegen, dass manche Kritiker "den Wandel im Personaldienst DÜ und die Breite des Programms nicht zur Kenntnis nehmen".
Der Rückgang der kirchlichen Einnahmen trifft auch DÜ. 1999 musste man mit 10 Prozent weniger Verwaltungskosten auskommen, es gelang aber, den Stand der Personalvermittlungen nach Übersee in etwa auf dem Niveau der Vorjahre zu halten. Finanzielle Einbrüche gab es vor allem bei den Inlandsverträgen für zurückgekehrte Fachkräfte und beim Programm "Ökumenische Dienste in Deutschland", also dem Einsatz von Fachkräften aus der weltweiten Ökumene in der hiesigen Bildungsarbeit. Ende 1999 befanden sich 225 Fachkräfte in einem Übersee-Einsatz, davon mehr als die Hälfte in Afrika und jeweils knapp ein Viertel in Lateinamerika sowie in Asien und der pazifischen Region.
Die Arbeit von DÜ wird in Zukunft im Rahmen des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) mit Sitz in Bonn fortgeführt werden. Es ist Konsens, dass der Personaldienst ein wichtiges Instrument in der EED-Arbeit werden soll. Die Vermittlung von Fachkräften ist also kein Auslaufmodell. Allerdings, für viele jetzige DÜ-Beschäftigte wird der Umzug nach Bonn im kommenden Jahr das Ende ihrer Mitarbeit bedeuten, weil es ihnen ihre persönliche Situation nicht erlaubt, von Stuttgart wegzuziehen. Wer in diesen Wochen durch die Etagen von DÜ wandert, spürt deshalb kein wütendes Aufbegehren, sondern Trauer, dass eine Ära zu Ende geht, und zugleich die Hoffnung, dass der EED diese Arbeit in guter Weise fortführen wird. Das 40-jährige Bestehen von DÜ ist das letzte Jubiläum dieser kirchlichen Einrichtung und doch ein Grund zum Feiern.
aus: der überblick 03/2000, Seite 112
AUTOR(EN):
Frank Kürschner-Pelkmann:
Frank Kürschner-Pelkmann ist Redakteur der FORUM-Seiten im überblick