In Peru zieht ein zehnjähriger Prediger große Menschenmengen an
Manche meinen, der zehnjährige Nezareth sei der Messias. Er ist wohl der jüngste Prediger der Welt. Tausende Anhänger lauschen seiner Predigt, die eine Bühnenshow mit elektronischer Musik und dramatischen Beschwörungen ist. Er ist der Sohn eines Hirten, der nun dank üppiger Einnahmen nur noch sein eigenes Kind hütet. Der Junge ist Evangelikaler und begeistert die Menschen, die nicht mehr an die katholische Kirche glauben. Das werden im armen Peru immer mehr.
von Klaus Weidmann
Nezareth Castillo Rey stapft gemeinsam mit seinem Vater schweren Schrittes durch den Sand der Wüste im Norden Perus. Der Weg ist beschwerlich, weil die Wüste zu den Anden hin ansteigt. Regelmäßig gehen der zehnjährige Junge und sein Vater dorthin zum Gebet. Vor einem trockenen Busch legt Nezareth die Bibel in den Sand, kniet nieder, küsst sie und betet inbrünstig zu Gott. Er ist von Beruf Prediger in einer evangelischen Pfingstkirche. »Das Gebet entflammt das Feuer Gottes in meiner Seele«, sagt der Junge. »Es gibt mir die Weisheit, die Intelligenz, die Hingabe. Es erleuchtet mich, den Menschen das zu sagen, was ich ihnen sagen muss.« Der Vater hilft bei der Erleuchtung. Hält seinen Sohn auf den Armen und bietet ihn dem Heiligen Vater im Himmel an: »Nimm mein Kind in Deine Hände. Nimm es für immer. Herr Gottes, preise Deinen Sohn, damit er Dich preist.«
Die Wüste von Peru, eine Küstenregion karg und arm ist die Heimat der Familie des kleinen Nezareth. Nezareth predigt und verdient damit Geld. Jeden Samstag und Sonntag abend steht er in Schlips und Kragen auf der Bühne. Er singt über Christus, den Erlöser, gestikuliert und heizt der evangelikalen Gemeinde ein. Er macht Stimmung. Tröstet. Gibt Hoffnung. Und droht den Sündern. Die Leute glauben, es spreche Gottes Sohn. Mit geschlossenen Augen, mit erhobenen Händen, bitterlich weinend beten und singen sie mit. Nezareths Stimme überschlägt sich, er stampft mit den Füßen auf den Holzboden der Bühne: »Die Sünde rast zügellos durch unsere Gesellschaft. Der Kindesmissbrauch, die Pornographie, die Homosexualität, der Terrorismus...« Dann schreit sich der Junge den Wahn aus der Kehle. »Christus, der Sohn Gottes kommt. Christus erscheint... «
Weiß der Junge, wovon er spricht? Gefragt, ob er der Auserwählte sei, erklärt er: »Ja, ich glaube schon. Ich denke oft daran, dass Gott noch als ich im Bauch meiner Mutter war mich auserwählt hat, sein Botschafter zu sein, seine Worte zu predigen.«
Nezareth wohnt in der Stadt Trujillo. Die katholische Kirche seit der Kolonialzeit die bestimmende Kraft im Ort verliert seit Jahren ihre Anhänger zugunsten der evangelischen Pfingstkirchen wie überall in Peru. Nezareth besucht die Schule genauso wie die andern Kinder. Doch anders als seine Mitschüler erhält er am Nachmittag Privatunterricht in Theologie. Dort lernt der Zehnjährige Gut und Böse zu unterscheiden, Pornographie und Homosexualität zu verteufeln, vor dem Terrorismus zu warnen. Die Eltern Nezareths sind seine Manager. Sie bezahlen den Theologielehrer und einen Buchhalter, beschaffen Aufträge, organisieren die Reisen, planen den Terminkalender des Jungen.
Die Mutter zeigt Nezareths Kinderzimmer. Für die Verhältnisse in der ärmlichen Küstenregion ist es vergleichsweise komfortabel. Die Auftritte des kleinen Jungen sichern der Familie ein bescheidenes Einkommen. Matilde Marisela Rey Valderrama erzählt: »Gott hat uns auch materiell gesegnet. So möchte ich, dass mein Sohn das Geistliche wie das Materielle genießt. Als Gottes Diener und als Kind. Er ist doppelt gesegnet.«
Von den Gottesdiensten Nezareths vertreiben die Eltern Videos und DVDs. Das erbringt eine weitere Nebeneinkunft, eine finanzielle Stütze für den Vater. Der war früher als Hirte am Rand der Wüste bettelarm. Nezareth, so erzählen die Eltern stolz, habe im Alter von drei Jahren angefangen zu predigen. Videos von damals ähneln noch einer kindlichen Karaoke-Show. Aber Jahr für Jahr wurden seine Gestik, seine Auftritte denen massenwirksamer Prediger ähnlicher. Es folgten Fernsehauftritte, Auslandsreisen. Er ist ein Naturtalent. Und religiöser Eifer sowie die wirtschaftliche Not machen aus Nezareth den erfolgreichen Prediger: jedes Wochenende an einem anderen Ort. Während sich der Junge für die Gottesshow in Schale wirft, werden draußen Gläubige und Neugierige zur Kasse gebeten Kinderarbeit in Gottes Namen.
Leibwächter geleiten den Jungen durch die schmale Gasse, die zwei Ordnerketten durch die Menge bahnen, auf die Bühne. Die Massen hängen an seinen Lippen. Nezareth schimpft über Bürgermeister und Funktionäre, über Sünder und Heuchler. Und er droht ihnen immer wieder: »Christus kommt.« Bei den Leuten kommt so etwas an: »Ich bin sehr froh, dass er in unser Dorf gekommen ist«, bekennt eine Frau, »er hat uns gesegnet.« Eine andere betont: »Er predigt das wahre Wort Gottes.« Ein Mann versichert: »Ich bin dieses Jahr zu den Evangelikern bekehrt.« Und einer sagt optimistisch: »Das sind die Worte, mit denen wir unsere Stadt, unser Land verändern können.«
In Peru haben Staat und Katholische Kirche längst das Vertrauen vieler Menschen verloren. Seit Jahrzehnten hält der wirtschaftliche Niedergang an, nimmt die soziale Not zu. Da kommt Nezareth, ein Kind Gottes, ein Messias. Und doch nur eine unschuldige Seele, die am Ende den Leuten Hoffnung verkauft.
aus: der überblick 01/2005, Seite 37
AUTOR(EN):
Klaus Weidmann:
Klaus Weidmann ist Lateinamerika-Korrespondent für das ARD-Fernsehen mit Sitz in Rio de Janeiro, Brasilien. Sein Bericht über Nezareth Castillo Rey wurde im Weltspiegel vom 19.12.04 gezeigt.