Die meisten Gesellschaften kannten die Sklaverei, und ihrer Wirtschaft hat das nicht immer geschadet
Nicht Sklavenhalter-Gesellschaften sind weltgeschichtlich gesehen die Ausnahme, sondern Gesellschaften ohne Sklaverei. Westeuropa ist hier ein Sonderfall: Dort gab es seit 1350 kaum mehr Sklaven. Dies hat das europäische Wirtschaftswachstum gebremst. Dagegen setzten die Europäer in ihren Pflanzerkolonien Sklaven ein, und das brachte wirtschaftlichen Wohlstand - sogar für viele Sklaven. Dass Europäer und Nordamerikaner seit Ende des 18. Jahrhunderts für die weltweite Ächtung der Sklaverei sorgten, ist nicht mit wirtschaftlichen Zwängen zu erklären, sondern war Ausdruck einer kulturellen Wahl.
von Pieter C. Emmer
Das Wort Sklaverei ruft heutzutage bei allen im Westen ein Gefühl von Scham und Entsetzen hervor. Von dieser Institution haben wir in Westeuropa und Nordamerika mit Stolz Abschied genommen. Dabei übersehen wir jedoch, dass hinter dem Begriff "Sklaverei" allerlei unterschiedliche Abhängigkeitsverhältnisse verborgen waren, die nicht in jedem Einzelfall eine abstoßende Bedeutung hatten. Zu manchen Zeiten und in manchen Teilen der Welt drängten sich die Menschen geradezu, Sklaven zu werden, denn zuweilen konnte die Sklaverei vor dem Hungertod schützen und das Leben verlängern. In anderen Fällen fand im Gegenteil ein Sklavenaufstand nach dem anderen statt, um das Sklavenjoch abzuschütteln. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht konnte die Sklaverei völlig verschiedene Folgen haben. Es gab Regionen und Zeiten, in denen die Sklaverei sowohl für die Besitzer wie für die Sklaven selbst äußerst gewinnträchtig war, während dasselbe System anderswo und zu anderen Zeiten nichts als Armut und Ausbeutung bedeutete.
Die meisten Publikationen über Sklaverei und Sklavenhandel gehen davon aus, dass in erster Linie die Europäer auf diese Form unfreier Arbeit zurückgriffen, um Arbeitskräfte für ihre Kolonien zu beschaffen. Nichts ist falscher als diese Annahme. Sklavenhandel und Sklaverei gab es überall auf der Welt, und die Sklaven in den Kolonien Europas bildeten nur einen kleinen Prozentsatz aller Sklaven in der Welt. Als die damals größte Kolonialmacht, England, im Jahre 1833 die Sklaverei in seinen Kolonien verbot, erhielten gerade etwa vier Prozent aller Sklaven weltweit die Freiheit. Auch der europäische Sklavenhandel bildete nur einen geringen Teil des gesamten Sklavenhandels. Selbst auf dem Höhepunkt des transatlantischen Sklavenhandels wurden in Afrika mehr Sklaven auf dem Binnenmarkt verkauft als an den Küsten an die Europäer. Auch war der europäische Anteil am viel weniger erforschten Sklavenhandel in Asien relativ klein.
Dass manche US-Amerikaner die Sklaverei im Süden der Vereinigten Staaten als eine peculiar institution - eine besondere Einrichtung - einstufen, liegt daran, dass sie nicht über die Geschichte ihres eigenen Landes hinausblicken. Nicht die Sklaverei ist historisch gesehen ungewöhnlich, sondern freie Arbeit. Nur Westeuropa kannte seit 1350 keine Sklaverei mehr und war damit zu einer merkwürdig sklavenfreien Insel in einem Meer der Sklavenhaltung geworden. Die Sklaverei in den europäischen Kolonien war eine Folge davon, dass die Europäer außerhalb ihres eigenen Kontinents beinahe vier Jahrhunderte lang andere Normen und Werte zur Geltung brachten als zu Hause.
Wer wurde zum Sklaven? In den meisten Gesellschaften entwickelten sich nach und nach hierarchische Strukturen: Die Führer fühlten sich über ihre Untertanen erhaben, die Eltern über ihre Kinder, die Männer über die Frauen. Außenstehende aus einem anderen Stamm oder einem anderen Land wurden meist als minderwertig angesehen, vor allem wenn sie im Krieg Gefangene geworden waren. Diese Außenseiter verfügten über weniger Rechte als die unterste Gruppe der eigenen Gesellschaft. In Europa wurden sie "Slawen" genannt - ein Hinweis darauf, dass nach dem Untergang des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus die meisten Sklaven osteuropäischer, slawischer Herkunft waren. Aber nicht nur in Europa gab es Sklaven, auch im Mittleren Osten, in Afrika südlich der Sahara, in Süd-, Südost- und Ostasien sowie im vorkolumbianischen Amerika; sie wurden nur anders genannt.
Es liegt nahe anzunehmen, dass die meisten erbeuteten Sklaven Frauen waren und dass diese die niedrigsten Arbeiten ausführen mussten. Männliche Kriegsgefangene tötete man lieber, da sie als Sklaven leicht weglaufen oder einen Aufstand anzetteln konnten. So war zumindest die Situation in der Welt des Alten Testamentes und Homers; außerhalb Europas dürfte es kaum anders ausgesehen haben. Mit der Zeit jedoch bildete sich eine Nachfrage nach männlichen Sklaven, die öffentliche Arbeiten ausführen, in Bergwerken und auf Schiffen arbeiten konnten. Um der Gefahr von Aufständen und Flucht zuvorzukommen, wurden männliche Kriegsgefangene in der Regel schnell in ferne Gebiete weiterverkauft. Langsam entwickelte sich eine Gesetzgebung zu Kauf, Verkauf und Behandlung von Sklaven. In nahezu allen Kulturen konnten Sklaven - nicht anders als Tiere - verkauft, gekauft, gehandelt, ausgeliehen, wie Hypotheken beliehen, weggegeben, verschenkt, als Pfand hinterlegt, als Mitgift gegeben und gepfändet werden.
Sklaven gehörten keineswegs zu allen Zeiten oder in allen Kulturen einer fremden "Rasse" an. Sie waren nicht einmal immer Außenstehende. Denn außer durch Kriegsgefangenschaft konnte man auch aufgrund von Verschuldung oder infolge eines Vergehens oder Verbrechens versklavt werden. Auch freiwillig Sklave zu werden, war möglich. Eigentum eines anderen zu werden bedeutete dann, dass der Herr seinen Sklaven mit Nahrung und Unterkunft versorgen und ihm Schutz bieten musste; in Zeiten der Hungersnot oder des Krieges war die freiwillige Versklavung zuweilen die einzige Möglichkeit zu überleben.
Übrigens bedeutete Sklave sein nicht stets die Pflicht, die schwerste und schmutzigste Arbeit zu verrichten. Sklaven konnten Aufseher oder Berater von Königen oder Sultanen werden, sie konnten aufsteigen zu Lehrern oder geachteten Handwerkern. Sklaven mussten auch nicht immer verkauft werden; es kam vor, dass sie von Generation zu Generation in den Händen einer Familie blieben und auf die Dauer so mit dieser verbunden waren, dass ihr Status als Diener nicht mehr sichtbar war. Trotzdem weiß bis heute zum Beispiel in Westafrika fast jeder, ob seine Vorväter Freie oder Sklaven waren.
Dies legt die Vermutung nahe, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Sklaverei in Afrika, Asien und im vorkolumbianischen Amerika einerseits und in den Kolonien Europas andererseits. Es heißt oft, das Los der Sklaven in den Kolonien - über das viel geschrieben worden ist - sei viel unmenschlicher gewesen als das von Sklaven mit nicht europäischen Herren (über das nur sehr wenig bekannt ist). Diese Annahme verträgt sich jedoch schlecht mit den Fakten. So mussten zwar die Sklaven der Tupinamba-Indianer in Brasilien keine schwere Arbeit verrichten, doch stattdessen wurden sie bei religiösen Feiern verzehrt wie heilige Tiere. Manche Gesellschaften kannten ein liberales Freikaufsrecht, während sie gleichzeitig ihre Sklaven massenhaft folterten und abschlachteten. Über eine Millionen europäische Reisende, Seeleute und Kriegsgefangene landeten als Sklaven in Nordafrika. Eine Anzahl konnte mit gesammeltem Geld von zu Hause freigekauft werden, und die Meisten von ihnen schworen nach ihrer Rückkehr Stein und Bein, dass die Behandlung sehr schlecht, die Arbeit vor allem in den Bergwerken hart und das Essen karg gewesen sei. Gleichzeitig konnten aber auch ein paar "Christensklaven" hohe Funktionen in den islamischen Staaten rund ums Mittelmeer bekleiden.
Warum gab es in Europa seit dem späten Mittelalter keine Sklaven mehr? Es war lange ein "normaler" Kontinent mit vielen Sklaven gewesen. Wer hat nicht von Spartakus gehört, jenem berühmten Führer des Sklavenaufstandes in Italien zu Beginn unserer Zeitrechnung, wo damals auf 7 Millionen Einwohner 2 Millionen Sklaven kamen? Nach dem Fall des Weströmischen Reiches zählte Nordwesteuropa 22 Millionen Einwohner, 3 Millionen davon waren Sklaven. Doch seit Mitte des 14. Jahrhunderts scheinen Sklaverei und Sklavenhandel aus Europa zu verschwinden. Es war nicht länger möglich, Menschen als Sklaven zu kaufen, zu verkaufen oder zu verleihen. In Osteuropa blieb die Hörigkeit bis ins 19. Jahrhundert bestehen, doch das war etwas Anderes: Ein Höriger war an den Boden gebunden und konnte nicht wie ein Sklave in eine andere Gegend verkauft werden, wo Knappheit an Arbeitskräften herrschte.
Als Erklärung für das Verschwinden der Sklaverei aus Europa wird angeführt, dass Westeuropa dicht bevölkert war und es deshalb für Arbeitgeber vorteilhafter war, freie Arbeiter in Dienst zu nehmen statt Sklaven. Freie Arbeiter konnten pro Tag und selbst pro Stunde bezahlt und auf die Straße gesetzt werden, sobald sie nicht mehr in der Lage oder bereit waren zu arbeiten. Das klingt plausibel. Doch es gibt zwei Fälle, für die diese These nicht trägt: Erstens waren Teile Asiens ebenfalls dicht bevölkert, und doch war dort die Sklaverei weit verbreitet. Und zweitens blieb es unmöglich, Europäer zu versklaven, als die Staaten des Kontinents nach einiger Zeit wieder zahlreiche dünnbevölkerte Gebiete besaßen - etwa die Kolonien der Neuen Welt oder jene Teile Zentraleuropas, die nach dem Dreißigjährigen Krieg weiträumig entvölkert waren. Als die Sklaverei einmal aus Europa verschwunden war, war es offenbar auf Dauer unmöglich, sie wieder einzuführen. Die Folge davon war, dass allein in Europa Kriegsgefangene freigelassen wurden und Gesetzesbrecher im Gefängnis landeten, statt als Sklaven verkauft zu werden wie sonst in aller Welt.
Es besteht kein Zweifel, dass das europäische Wirtschaftswachstum durch die Entscheidung, keine eigenen Landsleute zu versklaven, gebremst wurde. Hätte die Möglichkeit bestanden, Europäer zu versklaven, dann hätte vor allem die Kolonisierung der Neuen Welt schneller und effizienter vorangetrieben werden können, als es tatsächlich geschehen ist. Es wäre wohl wesentlich einfacher gewesen, europäische statt afrikanische Sklaven zu kaufen und nach Übersee zu verfrachten. So spricht es schon fast für sich, dass die Europäer manchmal beinahe dazu übergingen, eigene Landsleute zu Sklaven zu machen. So haben die Franzosen eine große Zahl von männlichen Strafgefangenen auf die Galeeren verbannt, und die Engländer haben gelegentlich Aufständische und Gefangene als Zwangsarbeiter in ihre Kolonien deportiert. Doch die Strafe war meistens zeitlich begrenzt, und weder die ethnische Gruppe der Betroffenen noch ihre Familien oder Nachkommen wurden versklavt. Zudem blieb die Anzahl der Strafgefangenen und Zwangsarbeiter gering.
In Afrika, Asien und im vorkolumbianischen Amerika war das anders: Dort waren zeitweise mehr als ein Drittel der Bevölkerung Sklaven und vererbten diesen Status von Generation zu Generation. Dies führte dazu, dass außerhalb Europas nahezu jede größere Aufgabe, die viel Arbeit erforderte, von Sklaven ausgeführt wurde - sei es in den Häfen, auf den Plantagen oder im Bauwesen. Auch das Personal in Krankenhäusern, Flotten und Armeen bestand oft zu einem großen Teil aus Sklaven. Das war in Europa unvorstellbar.
Auch die Position von Frauen und Kindern war außerhalb Europas völlig anders. In Europa wurden diese Gruppen mehr und mehr aus dem Wirtschaftsleben verdrängt, und in vielen Bereichen arbeiteten ausschließlich Männer, vor allem in den körperlich anstrengenden Arbeiten in Landwirtschaft, Handel und Handwerk. Dieser Ausschluss von Frauen und Kindern ist eine weitere kulturelle Wahl, die dem Wirtschaftswachstum in Europa beträchtlichen Schaden zugefügt hat.
Die europäische Wahl gegen die Sklaverei geriet in der Neuen Welt bald in Vergessenheit - vielleicht, weil als Sklaven nur Außenstehende aus anderen Kontinenten eingesetzt wurden. Als erste gingen die Spanier und Portugiesen dazu über. Sie waren mit dem Phänomen vertraut, da die Araber auf der iberischen Halbinsel von zahlreichen afrikanischen Sklaven Gebrauch machten. Anfangs wurden in der Neuen Welt auch Teile der indianischen Bevölkerung versklavt, doch schien das auf Dauer keine Lösung für die starke Nachfrage nach Arbeitskräften zu sein. Ihre Zahl nahm zudem durch aus Europa und Afrika eingeführte Krankheiten schnell ab.
Nach 1600 folgten England, Frankreich und die Niederlande dem iberischen Vorbild. England versuchte anfangs, seine amerikanischen Kolonien noch mit Kriegsgefangenen und Kontraktarbeitern aus dem eigenen Land zu bevölkern, doch auf Dauer blieb das Angebot viel zu klein. Die neuen Zucker- und Kaffeeplantagen etwa in der Karibik brachten eine schier unersättliche Nachfrage nach Arbeitskräften mit sich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es Jahre, in denen über 100.000 Sklaven aus Afrika in die Neue Welt verfrachtet wurden. Trotz der hohen Sterblichkeit auf den Sklavenschiffen und der vielen Aufstände waren die Plantagen äußerst gewinnträchtig. Für Sklaven wurden immer höhere Preise bezahlt; das zeigt, dass die Pflanzer eine goldene Zukunft vor sich sahen.
Die Einführung der Dampfmaschine sorgte auf den Zucker- Plantagen für noch höhere Gewinne, und die Nachfrage nach Sklaven stieg beständig. Afrika schien übrigens durchaus in der Lage zu sein, die Nachfrage zu bedienen; eine Angebotsknappheit gab es nicht. Selbst das Problem, dass die Sklaven sich in den tropischen Teilen der Neuen Welt nicht natürlich vermehrten, konnte durch den wachsenden Sklavenhandel gelöst werden. Im Süden Nordamerikas landeten allerdings wenig Sklavenschiffe, da dort das natürliche Wachstum unter den Sklaven in etwa so groß war wie unter den Kolonisten aus Europa. All diese Entwicklungen lassen erkennen, dass es keine ökonomischen Gründe gab, den Sklavenhandel und die Sklaverei abzuschaffen. Das Gegenteil war der Fall: Gerade das koloniale Sklavensystem bildete einen der Kerne des schnellsten Wachstums in der damaligen atlantischen Ökonomie. Die Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei wäre geradezu eine Form von Mord an der Wirtschaft gewesen.
Doch eine wachsende Zahl von Europäern konnte nicht länger in dem geistigen Spagat leben, dass die Sklaverei auf dem eigenen Kontinent als rückständig und verwerflich galt, anderswo aber nicht. Auf die Dauer gab es in Großbritannien zu viel Befürworter einer Abschaffung, als dass das Parlament darüber hätte hinweggehen können. 1808 wurde der Sklavenhandel verboten und 1833 die Sklaverei.
Wie hat sich dieser Bewusstseinswandel vollzogen? Dafür müssen wir zunächst zum Beginn des achtzehnten Jahrhunderts zurückgehen, als eine Anzahl radikaler Protestanten aus Schottland sich von der anglikanischen Staatskirche abwandte und unter anderem die Abschaffung der Sklaverei forderte. Das war an sich nicht so außergewöhnlich. Überall in den europäischen Kolonialstaaten gab es schon kleine Gruppen, die sich für die Unterdrückten der Gesellschaft einsetzten wie Frauen, Kinder und Sklaven. Außergewöhnlich war jedoch, dass die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei in England, Schottland, Wales und im Nordteil der Vereinigten Staaten nach und nach massenhaften Zulauf fand. Bis heute sind in der Geschichte des britischen Parlaments nicht wieder so viele Petitionen eingegangen wie damals für die Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei. In den anderen europäischen Ländern war die Abschaffung viel weniger populär. Dabei profitierte England wie keine andere Nation von Sklavenhandel und Sklaverei. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts stammte fast die Hälfte des karibischen Zuckers und der Baumwolle aus britischen Besitzungen in Westindien; nahezu die Hälfte aller Sklaven wurde von britischen Schiffen in die Neue Welt verfrachtet.
Nun war England auch die erste industrialisierte Nation. Daher wurde eine Verbindung hergestellt zwischen dem aufkommenden Kapitalismus und der Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei. Sehr plausibel ist das nicht. Warum sollte die neue Industrie den Plantagen in der Neuen Welt ihren Erfolg missgönnen? Die westindischen und nordamerikanischen Plantagengebiete waren ja ausgesprochen gute Kunden der englischen Industrie. Die Wirtschaftspraxis sprach für die Fortsetzung von Sklavenhandel und Sklaverei.
Aber die Wirtschaftstheorie war vom europäischen Kapitalismus verändert worden. Die englischen Abolitionisten stammten größtenteils aus der neuen Unternehmerelite, wo die Überzeugung herrschte, dass freie Arbeit die Grundlage für die erstaunliche industrielle Revolution in ihrem Land war. Dem müsse auch der Rest der Welt folgen - trotz der Proteste aus der Praxis. So wurde das Los der Sklaven Sonntag für Sonntag in den Kirchen in den schwärzesten Farben gemalt, nicht aber das Los der zahlreichen Pauper, der völlig Verarmten, vor der eigenen Tür. Die Pflanzer wurden als Despoten geschildert, die außerhalb der Gesetze stünden, und nicht länger als moderne, innovative Manager.
Es schien jedoch nahezu unmöglich, den Sklavenhandel zu unterbinden - ganz abgesehen von der Sklaverei. Dabei versuchte die englische, französische und amerikanische Marine, so viele illegale Sklavenhändler wie möglich abzufangen. Doch ähnlich wie bei den heutigen Aktionen gegen den internationalen Drogenhandel wurden damals nicht mehr als 15 bis 20 Prozent der Sklaventransporte aufgebracht. Und wie im Fall der Drogen nahm die Nachfrage nach Sklaven zu - vor allem auf Kuba und in Brasilien, wo die Zuckerplantagen große Gewinne abwarfen. Um an Sklaven zu kommen, verlegten die Sklavenjäger ihr Jagdgebiet an die Küste von Mosambik, wo noch wenige Kontrollen vorgenommen wurden. Nordamerikanische Reeder setzten sogar Schnellsegler ein, die einige Tausend Sklaven aufnehmen konnten. Wurden im 16. und 17. Jahrhundert insgesamt etwa zwei Millionen Sklaven in die Neue Welt verfrachtet, so waren es im 18. Jahrhundert mehr als acht Millionen und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ungefähr zwei Millionen.
Übrigens bedeutete die Abschaffung des atlantischen Sklavenhandels noch lange nicht das Ende des Sklavenhandels insgesamt. Der arabische Sklavenhandel aus Ostafrika in den Mittleren Osten ging weiter und wurde erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts größtenteils unterdrückt. Soweit bekannt ist, ist der Handel mit Menschen noch immer nicht beendet. Immer wieder findet man Berichte, dass in Afrika noch Formen von Sklaverei und Menschenhandel vorkommen. Die British and Foreign Anti-Slavery Society, die 1839, drei Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei in Britisch-Westindien, gegründet wurde, ist nicht umsonst noch heute unter dem Name Anti-Slavery International tätig, um auf Sklaverei aufmerksam zu machen und dagegen vorzugehen.
Warum war es möglich, Sklaverei und Sklavenhandel abzuschaffen? Die Befürworter einer Abschaffung schienen über eine Reihe wasserdichter Argumente zu verfügen. Könnte nicht freie Arbeit preiswerter sein als Sklavenarbeit? Muss nicht für jeden Sklaven ein Aufseher angestellt werden? Wird nicht ein Sklave alles daran setzen, möglichst wenig zu arbeiten, da er doch für einen größeren Einsatz nicht mehr erhält? Außerdem glaubte niemand, dass auf Dauer Sklaverei und zunehmender Maschineneinsatz vereinbar wären.
Auch die neue Wissenschaft von der Ökonomie, allen voran Adam Smith, gab den Befürwortern der Abschaffung Recht. Karl Marx dagegen wusste in diesem Punkt die ökonomische Realität besser einzuschätzen. Er begriff, dass die Arbeitsbedingungen in den dünn bevölkerten Kolonien gänzlich anders waren als in Europa, und gab damit indirekt den Pflanzern Recht. Doch die liberale Ideologie gab den Ausschlag. Immer mehr Menschen sahen in der Sklaverei ein ineffizientes Auslaufmodell. Nach England schafften Frankreich und Dänemark 1848 die Sklaverei in ihren Kolonien ab, die Niederlande 1863, die Vereinigten Staaten 1865, Kuba 1886 und Brasilien 1888.
Die Abschaffung der Sklaverei hatte freilich in Wirklichkeit ganz andere Auswirkungen, als die Abolitionisten und liberalen Ideologen angenommen hatten. In den meisten Regionen waren die freigelassenen Sklaven nicht zu mehr Arbeit bereit als vorher, sondern nur zu weniger - auch wenn sie nun entlohnt wurden. Die meisten früheren Sklaven wollten nur so viele Tage in der Woche für andere arbeiten, dass sie mit ihrem Verdienst Kleidung kaufen und Steuern zahlen konnten. Den Rest des Jahres bearbeiteten sie lieber ihr eigenes Fleckchen Boden. Das bedeutete, dass die Freigelassenen über weniger Einkünfte verfügten als vorher, als sie noch Sklaven waren.
Auch die Abschaffung der Sklaverei in Asien und Afrika brachte entgegen den Erwartungen wirtschaftliche und soziale Nachteile mit sich. So hatte die Sklaverei in Indien das Gegenstück zur Armutsgesetzgebung in Europa gebildet. Sklaverei hatte es erlaubt, dem Hungertod zu entgehen; oft war der Verkauf der eigenen Kinder auf dem Sklavenmarkt die einzige Möglichkeit gewesen, dass diese überlebten.
Das mag erklären, warum der Sklavenhandel und die Sklaverei so schwer auszurotten waren - vor allem dort, wo die mächtige Lobby der englischen Abolitionisten wenig Einfluss hatte. Zähneknirschend mussten sie zusehen, wie die ehemaligen Sklaven auf den Plantagen der Karibik von jungen Männern aus Asien verdrängt wurden, die sich als Kontraktarbeiter hatten anwerben lassen. Kontraktarbeit von Chinesen, Indern und Polynesiern bildete auch die Basis für die neuen Plantagen auf Mauritius, den Fidschi-Inseln und Hawaii sowie im australischen Queensland, im südafrikanischen Natal, im indonesischen Sumatra und in Assam in Indien. Die Abolitionisten beschwichtigten ihr Gewissen damit, dass diese Arbeiter nach Ablauf ihres Kontraktes nach Hause zurückkehren würden; das war den Sklaven nicht möglich gewesen. Die Abschaffungslobby wunderte sich jedoch über das große Angebot von Kontraktarbeitern. Wie war es möglich, dass Menschen freiwillig die Arbeit von ehemaligen Sklaven verrichteten? Hatten die Pflanzer doch Recht mit ihrem Einwand, dass es den Sklaven besser gehe als dem Proletariat in Europa? Einzig in den Vereinigten Staaten entstand nach der Abschaffung der Sklaverei eine andere Situation: Dort konnten Baumwollplantagen unter Ex-Sklaven aufgeteilt und so der Baumwollanbau ohne großen Anstieg der Produktionskosten fortgesetzt werden.
Für die Sklavenhalter bedeutete die Abschaffung der Sklaverei in vieler Hinsicht einen empfindlichen Aderlass. Manche erhielten zwar Kompensation für den Verlust ihrer Sklaven; doch die Zahlungen reichten nicht, um den wirtschaftlichen Nachteil voll auszugleichen. Beim Anbau von Kaffee und Zucker scheint die Effizienz von Sklavenplantagen höher gewesen zu sein als die jener Produzenten, die ohne Sklaven arbeiteten.
Haben nun wenigstens die Ex-Sklaven von der Aufhebung der Sklaverei profitiert? Es scheint, dass davon keine Rede sein kann. Auf ein oder zwei dicht besiedelten Inseln der Karibik blieb den früheren Sklaven kaum etwas anderes übrig, als weiter auf den Plantagen zu arbeiten. Es gab kaum andere Arbeit, und freier Boden war nicht verfügbar. Die Kräftigeren von ihnen konnten nun zwar mehr verdienen als zuvor; Kinder, Kranke und Alte dagegen hatten oft keine Einkünfte oder viel weniger als zu Zeiten der Sklaverei.
In den dünn besiedelten Gegenden konnten die Freigelassenen zwar die Plantagen verlassen. Sie hatten jedoch meistens nur eine Alternative: die karge Existenz eines Kleinbauern, der ausschließlich für den Eigenbedarf produziert. Eine kleine Gruppe früherer Sklaven war erfolgreich im Export von landwirtschaftlichen Produkten; für den größten Teil traf das jedoch nicht zu. Und anders als in Europa kümmerte sich die kleine Elite nicht um den Rest ihrer armen Leidensgenossen. Viele ehemalige Sklaven ließen sich im Inneren des Landes nieder, weit weg von den Ansiedlungen. Das bedeutete, dass sie kaum Zugang zu Schulen und Gesundheitsversorgung hatten. Das dramatischste Beispiel für den Wohlstandsverfall vollzog sich auf Haiti, wo im großen Sklavenaufstand zwischen 1794 und 1804 alle Plantagen mit einem Schlag hinweggefegt worden waren.
So zeitigte die Abschaffung der Sklaverei allein im Süden der Vereinigten Staaten einen gewissen Erfolg, weil dort die Sklaven nach ihrer Emanzipation die Chance nutzten, als Pächter einen Anteil am Anbau der stark nachgefragten Baumwolle zu erringen. Jüngste Untersuchungen haben freilich herausgefunden, dass auch in den Vereinigten Staaten die früheren Sklaven ein Sinken ihrer Einkünfte und ihrer Lebenserwartung hinzunehmen hatten. Diese neuen Erkenntnisse bestätigen, dass die Abschaffung des Sklavensystems ihren Preis hatte, den nicht nur die Eigentümer und Steuerzahler in Europa, sondern auch die Sklaven zahlen mussten.
Hätten wir also die Sklaverei besser nicht abschaffen sollen? Die Antwort darauf heißt eindeutig Nein. Sklaverei mag eine Reihe wirtschaftlicher und soziale Vorteile gehabt haben, doch das System beruht auf einer fundamentalen Ungleichheit, die sich nicht mit den Grundsätzen der Demokratie verträgt. Die Möglichkeit, Menschen wie Vieh oder Waren zu verkaufen, ist ein Angriff auf die Menschenwürde.
Diese Schlussfolgerung wird durch neuere Untersuchungen über wirtschaftliche Vorteile der Sklaverei nicht widerlegt. Es ist aber deutlich geworden, dass Sklaverei nicht ausschließlich abstoßende Seiten hat. Das gilt für die Sklaverei in den europäischen Kolonien wie für die autochthone Sklaverei in Afrika, Asien oder im vorkolumbianischen Amerika. Wäre es anders gewesen, hätte das Sklavensystem nicht so lange Bestand gehabt und wäre nicht so schwer abzuschaffen gewesen.
Die Vorteile erklären auch, warum die Sklaven - außer in Haiti - ihr Joch nicht selbst abgeschüttelt haben. Große Gruppen von Sklaven versuchten nun einmal lieber, das Beste aus dem System zu machen, als sich aufzulehnen. Gegen Ende der Sklaverei kämpften die Sklaven selbst darum, einen größeren Anteil am nationalen Einkommen zu erhalten. Das schlug sich nieder in besserer Nahrung, besserer Kleidung und Unterkunft sowie in besserer medizinischer Versorgung. Berechnungen zeigen, dass die Sklaven in Britisch-Westindien zwischen 1750 und 1830 eine Einkommenssteigerung von 40 Prozent verzeichneten, während in der gleichen Periode die Einkommen des britischen Proletariats steil fielen.
Zudem waren die Einkünfte von Sklaven breit gestreut; auch Sklaven, die nicht mehr arbeiten konnten, hatten Anrecht auf Unterkunft, medizinische Versorgung sowie auf Nahrung und Kleidung. Die Sklaven im schnell wachsenden Baumwollsektor im Süden der Vereinigten Staaten bildeten in materieller Hinsicht zweifellos die Spitze: Ihr Lebensmittelpaket war besser als das eines durchschnittlichen FIAT-Arbeiters in Italien am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Gute Ernährung lässt die Menschen größer werden, und Skelettmessungen auf Sklavenfriedhöfen haben gezeigt, dass die Sklaven in der Neuen Welt im Durchschnitt größer wurden als in Afrika.
Die Anziehungskraft des Sklavensystems für Sklavenbesitzer wie für Sklaven macht begreiflich, dass immer wieder Berichte auftauchen, wonach die Sklaverei noch nicht verschwunden ist. Jedes Jahr werden mehrere Tausend Kinder auf die Kaffeeplantagen von Nigeria und Gabun geschmuggelt; im Durchschnitt sind sie nicht älter als zehn Jahre. Ihren Eltern kann man das nicht verdenken: Sie sind zu arm, um ihre Kinder zu ernähren, und in Afrika ist es üblich, dass Kinder mit sechs, sieben Jahren auf eigenen Füßen stehen. Einem Kind eine lange Kindheit zu gönnen und es auf die Schule zu schicken, können sich viele Familien in Afrika und Asien nicht leisten.
Nur Wirtschaftswachstum kann Sklaverei und Kinderarbeit aus der Welt schaffen. Aber mehr Wohlfahrt allein reicht dazu nicht aus. Wie schon im Fall der Abschaffung der Sklaverei in Europa werden in Afrika und Asien andere kollektive Entscheidungen getroffen. Große Teile Afrikas und Asiens sind heute nicht ärmer als Europa zwischen 1850 und 1900, als dort die Kinderarbeit gesetzlich verboten wurde. Doch in Afrika und Asien ist sie noch nicht überall verboten, oder das Verbot wird nicht durchgesetzt. Dazu bedarf es einer kräftigen Lobby, welche die Regierungen zwingt, einen größeren Teil des Wirtschaftswachstums als jetzt in die Abschaffung von Sklaverei und Kinderarbeit zu investieren. In Europa ist das gelungen. Auch wenn die Gegner von Sklaverei und Kinderarbeit oft falsche Argumente vorgetragen und die Nachteile ihrer Ideale verschwiegen haben, hat sich doch die Abschaffung des Sklavenhandels, die Emanzipation der Sklaven und das Verbot von Kinderarbeit auf die Dauer als Investition in eine bessere Welt erwiesen.
Literatur
Seymour Drescher und Stanley L. Engerman (Hrsg.): A Historical Guide to World Slavery, New York und Oxford 1998.
David Eltis: The Rise and Fall of African Slavery in the Americas, New York 2000.
aus: der überblick 01/2002, Seite 12
AUTOR(EN):
Pieter C. Emmer:
Pieter C. Emmer ist Professor für Geschichte der europäischen Expansion am Fachbereich Geschichte der Universität Leiden in den Niederlanden. Er ist unter anderem Autor von "De Nederlandse slavenhandel 1500-1850" (Amsterdam 2000) und "The Dutch in the Atlantic Economy" (Aldershot 1998) sowie zusammen mit Magnus Mörner Herausgeber von "European Expansion and Migration" (Oxford, 1992).