Gesundheitspersonal in Ghana
Die Abwanderung von ausgebildetem Personal schädigt das Gesundheitswesen armer Länder. Das schildert Solomon Mamo, der seit 2001 als Fachkraft des EED in einem Krankenhaus in Ghana arbeitet und Chirurgen ausbildet. Mamo stammt aus Äthiopien, hat in Rumänien Medizin studiert und lebt seit 1978 in Deutschland, wo er zum Facharzt für Chirurgie ausgebildet und 1987 eingebürgert wurde.
Gespräch mit Solomon Mamo
Die Fragen stellte Bernd Ludermann
Sie arbeiten in Ghana als Chirurg?
Ja, im District Hospital Agogo, einem ländlichen Gebiet in der Ashanti-Region. Wir bilden Ärzte aus mit dem Ziel, dass sie Aufgaben selbstständig übernehmen und uns später nicht mehr brauchen. Man hat in Ghana erst kürzlich das erste chirurgische Kolleg gegründet, in Accra. Die Ärzte, die ich ausbilde, arbeiten hier im normalen Krankenhausbetrieb der chirurgischen Abteilung mit.
Wie viele Auszubildende haben Sie?
Letztes Jahr hatte ich drei. Zur Zeit gibt es leider keine. Das liegt an der ländlichen Lage unseres Krankenhauses und an den wenig attraktiven Rahmenbedingungen im Vergleich zu städtischen Ausbildungskrankenhäusern, zum Beispiel bei der Bezahlung, der Arbeitsbelastung und dem Mangel an möglichen Nebenjobs. Deshalb muss ich zur Zeit die Aufgaben eines Assistenzarztes übernehmen.
Kommt es vor, dass Mediziner, die Sie ausgebildet haben, nach Europa gehen etwa nach England?
Ja, das kommt oft vor. Mit Sicherheit stimmt es für das Pflegepersonal; da ist es nicht übertrieben, wenn man das als einen Exodus bezeichnet. Auch über Ärzte hört man das immer wieder.
Heißt das, man bildet mit Entwicklungshilfe Ärzte für Europa aus?
Das war bisher in der Tat ein Problem. Die Regierung Ghanas hat aber Maßnahmen ergriffen, um das zu ändern. Die Organisationen, die Entwicklungshilfe geben, haben wahrscheinlich in diese Richtung Druck ausgeübt.
Könnte die Regierung denn Abwanderung ins Ausland verhindern?
Die Möglichkeit gäbe es schon. Sie könnte zum Beispiel Pässe oder Visa restriktiver ausgeben. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass das Geld, das die im Ausland Arbeitenden nach Hause schicken oder investieren, eine der größten Devisenquellen für Ghana ist.
Warum wollen ghanaische Ärzte weg? In Ghana würden sie eine Stelle finden, oder?
Ja, sie haben kein Problem, in Ghana Arbeit zu finden. Sie verdienen im Ausland aber viel mehr. Manche Ärzte nutzen auch ihren Urlaub, um nach England zu fliegen und dort vorübergehend Geld zu verdienen der Jahresurlaub beträgt bis zu zwei Monate. Auf dem Land ist das Problem noch größer. Denn weil die Arbeit in Großstädten attraktiver und lukrativer ist, gehen ghanaische Ärzte nicht gerne in Hospitäler auf dem Land. Manchmal sind wir in Agogo nur drei bis fünf Ärzte für vier verschiedene Abteilungen. Ein Krankenhaus ähnlicher Größe und mit weniger ambulanten Patienten als unseres hat sonst pro Abteilung acht bis zehn Assistenzärzte. Die Regierung denkt jetzt darüber nach, das Leben für Ärzte auf dem Land attraktiver zu machen, um sie dort zu halten.
Sind die Ärzte schlecht bezahlt?
Die Ärzte selbst sehen das so. Aber gemessen an den Verhältnissen in Ghana stimmt das meiner Meinung nach nicht. Im Durchschnitt ist aber die Disziplin schlechter als in Deutschland. Es gibt natürlich verantwortungsvolle Ärzte, die sich einsetzen, aber andere erscheinen nicht oder verspätet zur Arbeit. Oder jemand kommt heute und erklärt, ab morgen nehme ich meinen Jahresurlaub. Ein Grund ist, dass Ärzte, die nicht arbeiten, keine Konsequenzen fürchten müssen, da es an Ärzten mangelt. Dazu kommt die lukrative Möglichkeit, in einer der zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen, die sich mit Gesundheit befassen, tätig zu werden. Dort kann man im Büro arbeiten oder an Feldstudien, die besser bezahlt sind; man braucht keine Nachtdienste zu machen und kann wegen der geregelten oder selbst festgelegten Arbeitszeiten Teilzeitjobs in Privatkliniken übernehmen.
Wie finanziert sich das Krankenhaus in Agogo?
Zum einen erhält es Zuschüsse von der presbyterianischen Kirche. Das Krankenhaus ist 1931 von der Basler Mission gebaut worden und heute in Trägerschaft der presbyterianischen Kirche. Die Schweizer unterstützen uns noch mit technischer Ausrüstung, aus Deutschland kommt Personal, auch aus den Niederlanden bekommen wir Hilfe. Zum anderen ist die Behandlung kostenpflichtig, und diese Gebühren decken die Kosten. Das kirchliche Krankenhaus bietet jedoch den Vorteil, dass wegen der Zuschüsse die Preise für die Patienten viel niedriger sind als in Krankenhäusern in Großstädten. Für eine Schilddrüsenoperation bezahlt ein Patient bei uns zum Beispiel insgesamt einschließlich Medikamenten, Pflege etc. etwa 300 Euro. In einer Großstadt würde es mindestens das Doppelte kosten.
Welchen Finanzbeitrag leistet der Staat?
Der Staat schickt die Ärzte und Schwestern und zahlt die Gehälter. Insoweit ist das Gesundheitswesen öffentlich finanziert.
Wie groß ist das Einzugsgebiet des Krankenhauses?
Ungefähr 150.000 Personen. Wir unterhalten auch einige ambulante Gesundheitszentren.
Funktioniert die Gesundheitsversorgung auf dem Land im Großen und Ganzen gut?
Ein großes Problem ist, dass viele Menschen nicht ins Krankenhaus kommen, weil sie kein Geld haben. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Viele Patienten mit eingeklemmten Leistenbrüchen kommen erst lange nachdem sie die ersten Beschwerden hatten. Sie verschleppen das so lange, bis nur noch eine Operation mit Verkleinerung des Darms hilft. Auch nach Unfällen werden viele Patienten erst sehr spät eingeliefert. Die Aufklärung der Bevölkerung müsste da verstärkt werden. Denn manche kommen auch aus kulturellen Gründen erst spät sie gehen erst zum traditionellen Medizinmann (bonesetter).
Was sind die häufigsten Krankheiten, die Sie behandeln?
Am häufigsten sind Verkehrsunfälle. Das hat damit zu tun, dass man ganz leicht ohne jede Prüfung oder Schulung einen Führerschein bekommt, und manche fahren auch einfach ohne. Es gibt zwar eine Art TÜV, der scheint aber nur der Einnahme von Gebühren dienen ob die Autos verkehrstauglich sind, wird nicht geprüft. Verkehrsunfälle sind in Ghana sehr gefährlich. Es gibt auch nirgends ein richtiges medizinisches Notfallsystem. Verletzte werden von Verwandten mit Bussen oder Taxis ins Krankenhaus gebracht oder von hilfsbereiten Menschen mit Privatwagen eingeliefert. Viele Patienten bzw. ihre Angehörigen verlieren wertvolle Zeit, um vor der Einlieferung das Geld für die Behandlung zu besorgen. In unserem Haus wird zwar jeder sofort auch ohne Geld behandelt, das ist aber den Patienten oft nicht bekannt.
Dass sie so viele Unfälle behandeln, liegt sicher daran, dass Sie Chirurg sind, oder?
Ja, das betrifft uns natürlich besonders. Das Krankenhaus behandelt ansonsten alles. Wir sind ein Hospital der Grundversorgung, und es gibt kein weiteres Krankenhaus in 70 Kilometer Umkreis. Wir haben zum Beispiel sehr viel mit Malaria zu tun und mit einer sehr schweren Form von Typhus dies vor allem in der Regenzeit, wenn das Wasser verschmutzt ist.
aus: der überblick 01/2005, Seite 118