Zeichen der Zeit
Er verändert sich, der Körper. Mit dem Älterwerden geht die Elastizität der Haut verloren, Mimikfalten entstehen, die Muskulatur des Unterhautgewebes erschlafft. Die biologischen Veränderungen sind bei dem einen früher sichtbar und markanter als bei dem anderen. Eigentlich kein Problem - wären da nicht der soziale Druck und das Konkurrenzdenken. Wer sichtbar altert, wird schnell ausgegrenzt.
von Renate Giesler
“Schönheit wird mit jung, glatt und unverbraucht assoziiert. Folglich bedeuten Alter und Falten genau das Gegenteil. Ein Gesicht, das von den Niederungen und Höhen des Lebens gezeichnet ist, wird in der heutigen Gesellschaft nicht als schön bewertet”, sagt Gertrud M. Backes, Professorin für Soziale Gerontologie an der Universität Kassel. Es gilt als großes Kompliment, wenn man gesagt bekommt, dass man doch viel jünger aussehe. Und auch das “gefühlte” Alter liegt deutlich unter dem tatsächlichen - ein ganzes Jahrzehnt in etwa. Das bestätigen Studien wie die Berliner Altersstudie BASE aus dem Jahr 1996 oder auch eine Arbeit aus dem Max Planck-Institut für Bildung, vorgestellt auf dem Psychologenkongress im September 2004. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes infratest dimap im Auftrag der Wochenzeitung “Die Zeit” ergab folgendes: 72 Prozent der befragten, über 50-Jährigen glauben, dass sie jünger aussehen, als sie sind.
Heute gibt es grauhaarige Models, 55-jährige Väter, die ihren Nachwuchs vom Kindergarten abholen, und in der Werbebranche redet man gern von Best Agers oder Whoopies (Well Off Old People), um die finanzkräftige Altersgruppe ab Mitte 50 anzusprechen. Sie werden “Generation 50 plus” genannt oder “junge Alte” und somit klar abgegrenzt vom vierten Lebensalter, das aus der Sicht der Wissenschaftler mit 75 Jahren beginnt. Die Sozialpädagoginnen Anett Grüber-Hran und Uta Tschirge halten es nicht für sinnvoll, “junge Alte” und Hochbetagte zu unterscheiden, wenn es darum geht, das Altersbild von seinem negativen Beiklang zu befreien und es zu wandeln. Unsere Gesellschaft sei unfähig, den alten Körper und das Alter als etwas anzunehmen, dass zum Leben gehört, kritisieren die Autorinnen des im Jahr 1999 erschienenen Buches “Ästhetik des Alters”. Darin heißt es: “Trotz moderner Technologien und gesunder Lebensweise wird sich der alternde Körper - allein schon biologisch - früher oder später dem Ideal ‘Jugendlichkeit’ entziehen.”
Dass dem alternden Körper Attraktivität abgesprochen wird, ist nicht neu, berichtet die Psychologie-Professorin Insa Fooken von der Universität Siegen aus ihrem Forschungsgebiet. In Märchen, überliefert aus vergangenen Jahrhunderten, werden die Begriffe “alt” und “hässlich” sprachlich gleichgesetzt. “In vielen Texten schimmert die Hässlichkeit der Alten hindurch.” Ihrer Ansicht nach gab und gibt es jedoch zeitlose Altersschönheiten. “Manche Menschen gewinnen erst im Laufe ihres Lebens an Schönheit und Attraktivität. Alter ist im wahrsten Sinne des Wortes sehr vielfältig.”
Schönheitsideale galten in der Vergangenheit fast ausschließlich für Frauen. Die Gerontologin Gertrud M. Backes beobachtet bei ihren Forschungen, dass ältere Frauen nach wie vor stärker und spürbarer als ältere Männer benachteiligt werden. “Sie werden früher körperlich als alt angesehen und stärker an gängigen Schönheits- und Leistungsidealen gemessen. Im Zweifel werden sie als Neutrum wahrgenommen.” Als schön gilt eine Frau, wenn ihr das gelebte Leben nicht anzusehen ist.
In ihrer Studie “Schönheit im Alter” aus dem Jahr 2002 beschäftigen sich die Kulturwissenschaftlerinnen Kathrin Fiedler und Christine Lehmann-Kilic mit “jungen Blicken auf alte Falten”. Die von ihnen befragten Studenten und Studentinnen nannten zahlreiche positive Eigenschaften des Alters: Reife, Erfahrung, Weisheit, interessantes Gesicht. Auffällig war, dass die Studierenden “weibliche Falten” eher mit Sorgen und Leid verknüpften. Mit “männlichen Falten” verbanden sie hingegen entweder Lebenserfahrung im Sinne von Weisheit oder unterstellten, dass der Mann sein Leben lang im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestanden habe. Face-Liftings und überschminken lehnten die Befragten ab: “Ab eines bestimmten Alters wirkt ein Gesicht ohne Falten unwirklich.”
Den Falten im Gesicht längst den Kampf angesagt haben hingegen Kosmetikindustrie und Schönheitschirurgen. Es gebe keine Altersgrenze für Schönheitsoperationen, sofern die Gesundheit mitspiele, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie in einer Presseinformation vom 22. November 2002. “Ältere Frauen stellen für die Schönheitsindustrie ein lukratives Geschäftsfeld dar”, stellt die Soziologin Waltraud Posch fest. Die äußere Hülle ist die eine Seite der Medaille, die innere Haltung die andere. Posch erinnert daran, dass die US-amerikanische Schauspielerin Jane Fonda sich aufs Laufband stellte und hart trainierte, um fit und schlank zu bleiben. Schönheit im Alter habe für Fonda vor allem mit Kontrolle und harter Körperarbeit zu tun. Doch es gibt auch Widerstand gegen das Schönheitsdiktat. “Die Generation, die jetzt graue Haare bekommt und zu der Frauen wie Alice Schwarzer zählen, lässt sich nicht mehr so einfach von außen definieren und sich vorschreiben, was als schön zu gelten hat. Sie hat ein anderes Selbstverständnis”, stellt die Psychologin Insa Fooken fest. “Anders als in den USA, wo die Frauen viel früher dressiert werden, nicht ungeschminkt aus dem Haus zu gehen, und es auch für ältere Menschen zur Selbstverständlichkeit gehört, über Schönheitsoperationen zu reden, steht bei uns statt Faltenlosigkeit die Vitalität und individuelle Attraktivität im Fokus des Interesses.”
Die Filmregisseurin Margarethe von Trotta jedenfalls meint, ein Recht auf ihre Falten zu haben. Selbstkritisch räumt die im Jahr 1942 Geborene ein, dass “Älterwerden auch heißt, dass der Körper hässlicher wird”. In dem Buch “Frauen über 50" schreibt sie: “Was an ‘Weisheit’ und Gelassenheit hinzugewonnen wurde, kann uns nur ungenügend mit dem Verfall der ‘Schönheit’ versöhnen.” Dennoch möchte Margarethe von Trotta nicht durch Operationen in einen Zustand versetzt werden, der sie zwanzig Jahre jünger aussehen lässt. Von Face-Liftings und Anti-Falten-Cremes halten auch die aktiven Frauen bei New Generation nichts. Lilo Bernhardt zum Beispiel ist bei dieser gemeinnützigen Einrichtung für Menschen ab Fünfzig in Hamburg. Die 68-Jährige braucht nicht viele Worte zum Thema Schönheitszwang: “Das ist nur Geldschneiderei.” Entscheidend ist für sie noch ein anderer Gedanke: “Wenn man die Alterung des Körpers mit einbezieht in sein Denken, dann erleichtert das den Abgang ins Jenseits. Würde ich denn sterben wollen, wenn ich jung und schön wäre?”
aus: der überblick 04/2004, Seite 73
AUTOR(EN):
Renate Giesler:
Renate Giesler ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet alsfreie Journalistin in Hamburg.