Gegenströmung
Schwarmfische, die in westafrikanischen Gewässern durch moderne Fangschiffe der Europäischen Union gefangen werden, landen zu einem hohen Anteil auf den Märkten Europas, während Westafrikas kleine Fischereibetriebe immer weniger zur Versorgung der lokalen Märkte fangen. Aber dort gibt es jetzt Fisch aus Europa zu kaufen.
von Christopher Zimmermann
Die meisten Exportfische aus Europa sind Schwarmfische. Sie werden vor allem in der nördlichen Nordsee, vor Norwegen und in Gewässern westlich der britischen Inseln gefangen. Freezer Trawler, bis zu 140 Meter lange Fabrik- und Kühlschiffe, die den Fang aus riesigen Netzen an Bord pumpen und in gekühlten Seewassertanks zwischenlagern fischen dort. Anschließend werden die Fische vollautomatisch in 20 bis 30 Kilogramm-Blöcken eingefroren und in Kartons verpackt. Die Kartons werden dann entweder noch auf See oder an Land in Frostfrachter umgeladen und zu den Bestimmungsländern transportiert.
Diese internationale und hoch-technisierte Fischerei zielt vor allem auf die Arten Makrele, Hering, Stöcker und Blauer Wittling ab. Diese bis zu 40 Zentimeter langen Fische lassen sich wegen des Vorkommens in großen Schwärmen verhältnismäßig leicht orten und fangen. Sie sind schon nach ungefähr drei Jahren geschlechtsreif und somit hochproduktiv; außerdem gibt es wenig Probleme mit unerwünschten Beifängen anderer Arten oder zu junger Tiere der gleichen Art.
Nach leidvollen Erfahrungen mit der Überfischung der Makrelen- und Heringsbestände in den siebziger Jahren werden diese heute aus wissenschaftlicher Sicht nachhaltig bewirtschaftet. Anders als vielen Bodenfischbeständen in europäischen Gewässern geht es den meisten pelagischen, also im freien Wasser lebenden Fischbeständen trotz der intensiven Fischerei heute besser als in den letzten 30 Jahren.
Obwohl die Europäische Union (EU) rund 50 Prozent ihres Fischkonsums durch Importe deckt, sind nicht alle in europäischen Gewässern gefangene Fische gleichermaßen im Binnenmarkt abzusetzen. Seit Mitte der achtziger Jahre erkundeten daher vor allem niederländische und norwegische Fischereiorganisationen neue Möglichkeiten, überseeische Märkte für den Absatz kleiner Schwarmfische zu erschließen. Die niederländische Fischereiorganisation PFA, die mit ihren Tochterunternehmen in Deutschland, Frankreich und England über den größten Teil der EU-Quoten für diese Arten verfügt, gründete für die Exportaktivitäten ein eigenes Unternehmen: The Group.
Während Hering fast ausschließlich innerhalb Europas vermarktet wird, gibt es zur Zeit zwei bedeutende Handelswege für Exporte der anderen Schwarmfische aus der EU: Der japanische Markt nimmt vor allem Makrelen und kleine Stöcker auf, die strengen Qualitätskontrollen unterliegen und dort höhere Preise als in der EU erzielen. Am anderen Ende der Preisskala sind blockgefrorene, nicht ausgenommene Makrelen, Stöcker und neuerdings auch Blaue Wittlinge zu finden.
Diese Arten sind in der EU schlecht absetzbar und werden vor allem nach Westafrika und zunehmend auch nach Ägypten und Ostasien (insbesondere China und die Philippinen) verkauft. Inzwischen werden fast 90 Prozent der EU-Makrelenfänge - im Jahr 2002 waren das rund 500.000 Tonnen - exportiert. Die Gesamtanlandungen von Makrele, Stöcker und Blauem Wittling aus europäischen Gewässern betrugen 2002 über 2,4 Millionen Tonnen.
Die Angaben über die Gesamtmenge des Exports von Frostfisch nach Westafrika schwanken stark; der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge betrug sie beispielsweise im Jahr 2001 über 125.000 Tonnen. Rund die Hälfte davon waren Stöcker. Blauer Wittling ist erst in den letzten drei Jahren wichtiger geworden als Makrele. Mit Abstand bedeutendster Handelspartner ist Nigeria, auf das 2001 vier Fünftel der Exporte nach Westafrika entfielen. Im vergangenen Jahr lieferte allein die niederländische Organisation The Group drei Kilogramm Fisch pro Kopf nach Nigeria. Der Fisch wird gefroren verschifft und befindet sich damit bis zum Kühlhaus vor Ort in hygienisch einwandfreiem Zustand. Die Frostkartons werden ab Lager für die lokalen Märkte verkauft und dort "wie sie tauen" an den Endkunden abgegeben.
Die Menschen in Westafrika decken zwischen 40 und 65 Prozent ihres Gesamtbedarfs an tierischem Eiweiß durch Fisch. Aber aus Geldmangel sind diese Staaten häufig zum Export von hochwertigem Fisch und Meeresfrüchten gezwungen, müssen andererseits aber das Grundnahrungsmittel Fisch wieder importieren. Die meisten westafrikanischen Länder (außer Senegal und Mauretanien) verzeichnen ein Außenhandelsdefizit bei Fisch, importieren also mehr Meeresprodukte als sie exportieren können. Das ist die Kehrseite der Fischereiabkommen mit der EU.
Der Export von Fisch aus der EU in westafrikanische Staaten erfolgt ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Das bedeutet auch, dass die europäischen Unternehmen den Export reduzieren werden, wenn entweder die Quoten im Norden reduziert werden, oder wenn ein lukrativerer Markt gefunden wird. Eine Reduzierung hätte erhebliche Auswirkungen auf die Proteinversorgung der Bevölkerung in Westafrika.
Andererseits wird durch den Export nach Afrika wertvoller Fisch für den menschlichen Verzehr verwendet, der andernfalls in der europäischen Fischmehl- und -ölproduktion enden würde. Ein erheblicher Teil der von nordeuropäischen Schiffen aus Norwegen, Dänemark und Island gefangenen Stöcker und Blauen Wittlinge endet tatsächlich erst über den Umweg über Aquakulturanlagen, Schweine- und Hühnerställe auf unserem Tisch - unter Verlust von neun Zehnteln der ursprünglich in den Fischen enthaltenen Energie.
Aus ernährungspolitischer Sicht ist daher der Export einiger europäischer Schwarmfischarten sinnvoller als die "Verwendung" in Europa. Energetisch, beschäftigungs- und entwicklungspolitisch noch günstiger wäre allerdings, wenn wenigstens der größte Teil der Fänge aus westafrikanischen Gewässern auch auf den dortigen lokalen Märkten landen würde.
aus: der überblick 02/2004, Seite 31
AUTOR(EN):
Christopher Zimmermann:
Dr. Christopher Zimmermann ist Diplombiologe am Institut für Seefischerei der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Forschung über "pelagische", also im freien Wasser lebende Fischbestände.