Gräber erzählen Geschichte
Hier ein schlichtes Holzkreuz, dort ein imposantes Monument. Dass Friedhöfe alles andere als langweilig sind, davon zeugen unterschiedlichste Grabplatten, Kreuze, Bilder und Verzierungen. Mit den Jahrzehnten hat sich die Friedhofskultur verändert. Und daran haben Einwanderer einen ganz besonderen Anteil.
von Alyson L. Greiner
Begräbnisstätten sind eine Art Sozialgeschichte und auch Sozialkommentar. Sie erfassen nicht nur Geschehnisse - das Ableben von Personen - in ihrem zeitlichen und räumlichen Kontext, sondern zeichnen auch demographische Umbrüche wie Kriege und Epidemien nach. Friedhöfe erinnern uns an die Persönlichkeiten an einem Ort und in einem Land, an die wir gerne zurückdenken, und auch an einige, die wir lieber vergessen würden. Begräbnisstätten können einer Gemeinschaft von Gläubigen als heiliger Ort dienen oder weitgehend weltlich sein. Die Störung der Toten ist aber immer ein soziales Tabu.
Als Gemeinschaft der Toten sind Friedhöfe ein Spiegel der Gesellschaft. Manche sind zu Schauplätzen opulenter Pracht geworden, und die Größe, Eleganz oder kunstvolle Gestaltung der Grabsteine dient dazu, die wohlhabenderen Glieder der Gesellschaft auszuzeichnen und soziale Klassen zu bilden - auch im Tod. Der Ort, an dem Menschen leben, spielt meistens eine Rolle dabei, wo sie begraben werden.
So wie unsere Städte sich verändern, so verändern sich auch unsere Friedhöfe, oft in überraschender Parallelität, und geben dabei Aufschluss über gängige Vorstellungen von Landnutzung und Landschaft. Mit dem aktuellen Streben nach Wirtschaftlichkeit und Effizienz beispielsweise sind viele Friedhöfe und Grabsteine stark standardisiert worden und reproduzieren für die Toten die Aneinanderreihung identischer Einheiten, die heute unsere US-amerikanischen Vorstädte charakterisieren. Wie wir uns der Toten entledigen und welche Landschaften wir dabei schaffen, sind Komponenten der immer währenden Spannung zwischen Tradition und Wandel.
Die USA sind lange als "Schmelztiegel" vieler verschiedener Kulturen, Ethnien und Identitäten bezeichnet worden, aber diese Beschreibung ist bis heute ein Mythos.
E Pluribus Unum - aus Mehreren Eines - verschleiert die Tatsache, dass sich der Anpassungsprozess selten durch vollständige Aufgabe der eigenen kulturellen Identität vollzieht. Das Fortbestehen unterschiedlicher kultureller Praktiken, von denen viele auf Friedhöfen deutlich zu sehen sind, macht das Studium unserer Landschaften der Toten so faszinierend.
Friedhöfe können aus beliebig vielen unterschiedlichen Perspektiven erforscht werden. Für eine umfassendere Würdigung der Komplexität und Unterschiedlichkeit amerikanischer Friedhöfe muss man jedoch wissen, welche Rolle die Migration nicht nur bei der Besiedlung der Vereinigten Staaten, sondern auch bei der Herausbildung vieler kultureller Muster des Landes gespielt hat.
Der Friedhof von heute ist eine Kombination aus wirtschaftlichen Einflüssen, technologischen Neuerungen und Individualismus. Vor allem in städtischen Gebieten hat die räumliche Beengtheit dazu geführt, Begräbnisstätten effektiver nutzen zu wollen. Das kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass Särge in Gräbern übereinander und nicht nebeneinander platziert werden. Die meisten US-Bundesstaaten schreiben Friedhöfen gesetzlich vor, Mittel für den laufenden Unterhalt bereitzuhalten. Das bedeutet, dass eine Gebühr in Höhe von 20 bis 30 Prozent der Kosten für die Grabstätte erhoben und hinterlegt wird. Zinsen aus diesen Geldkonten müssen für die Friedhofspflege, für das Mähen, Bewässern und den allgemeinen Unterhalt des Friedhofs und der Anlagen verwendet werden.
Friedhöfe sind heute das Ergebnis intensiver Planung. Sie erfolgt durch die Friedhofsbetreiber oder -planer und durch die Bürger. Seit vielen Jahren weisen Bestattungsdienste auf Vorsorgeleistungen wie den Verkauf von Grabstellen hin. Friedhöfe haben im Lauf der Zeit immer mehr Facetten der Sorge für die Verstorbenen übernommen, und im Zuge dessen ist eine neue Friedhofslandschaft entstanden. Es ist der Memorial Park. In mancher Augen ist so ein Gedenkpark für Friedhöfe das, was McDonald's für Restaurants ist: effizient, aber relativ unpersönlich mit einem Standardangebot. Memorial Parks sind Orte, wo Grabmäler, wenn überhaupt, nur in bestimmten Bereichen erlaubt sind, wo Blumen und Grabschmuck kontrolliert und in einigen Fällen auf bestimmte Zeiten des Jahres beschränkt werden. Flächennutzungsbestimmungen beschränken und regulieren die Standortwahl und Ausdehnung von Friedhöfen.
Seit rund fünfzig Jahren entscheiden sich immer mehr Amerikaner für eine Feuerbestattung ihrer Toten. Obwohl viele Friedhöfe heute über Urnenkammersysteme verfügen, scheinen Amerikaner die Asche lieber zu behalten oder an einem besonderen Ort auszustreuen. Die Feuerbestattung hat auch Geschäftszweige hervorgebracht, wie es sie so nur in Amerika geben kann. So kann die Asche zum Aufbau von Unterwasserriffs vor den Küsten von South Carolina, Florida und Texas verwendet werden. Andere Unternehmen bieten Feuerwerksshows an, die den Himmel in den Lieblingsfarben der Verstorbenen erstrahlen lassen. Ungeachtet dieser - zugegeben bizarren - Praktiken scheint klar, dass Veränderungen in der amerikanischen Familienstruktur, die Mobilität und die damit möglicherweise verbundene schwächere Bindung an einen speziellen Ort sowie die hohen Kosten eines Erdbegräbnisses auch in Zukunft zur Beliebtheit von Feuerbestattungen beitragen werden.
Um die spätere Entwicklung amerikanischer Friedhöfe zu verstehen, werfen wir einen Blick zurück auf die europäische Besiedlung Nordamerikas. Im 17. Jahrhundert entstanden drei wichtige Siedlungszentren an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Das erste lag an der Chesapeake Bay und im Wattengebiet der heutigen Bundesstaaten Virginia und Maryland. Das zweite erwuchs aus der Puritanersiedlung der Massachusetts Bay Colony in der Nähe von Boston. Das dritte Zentrum entwickelte sich im südöstlichen Pennsylvania und in Delaware in der Nähe von Philadelphia.
Diese drei Siedlungszentren trugen erheblich zur unterschiedlichen Ausprägung der amerikanischen Landschaft und der entstehenden kolonialen Wirtschaften bei. Im südlichen Wattengebiet halfen Menschen aus der englischen Oberschicht, vor allem aus London und seinem Hinterland, beim Aufbau der zweigeteilten Gesellschaft von Plantagenbesitzern und ihren Arbeitskräften, die in großen Zahlen als zwangsverpflichtete Arbeitskräfte kamen, bis sie durch Sklaven ersetzt wurden. Die Midland-Region zeigt besondere Vielfalt hinsichtlich der Herkunft der Bevölkerung. Menschen deutscher, englischer, schottisch-irischer und - in geringeren Zahlen - walisischer, niederländischer, schwedischer, finnischer und französisch-hugenottischer Herkunft siedelten dort. Am homogensten war vielleicht das Siedlungszentrum in New England, wo sich mehrheitlich Menschen aus England und insbesondere aus East Anglia nördlich von London niederließen. Weder die Siedler in New England noch die im südlichen Wattengebiet drangen so massiv nach Westen vor wie die Midland-Siedler. Die Siedler in New England (Yankees) waren Kaufleute, Seeleute und Städter, die in Midland dagegen waren stark landwirtschaftlich orientiert und eng an die Familienfarm gebunden. An den südlichen Küsten siedelte ebenfalls überwiegend Landbevölkerung, die vom Export von Agrarhandelsprodukten wie Tabak und Baumwolle über Hafenstädte lebte.
Jedes dieser kolonialen Zentren hat auch besondere Beerdigungstraditionen ausgebildet. Der Klarheit halber sollte man von "nördlicher" und "südlicher" Bestattungspraxis sprechen, wobei sich "südlich" auf die Traditionen der Midland- und Südküsten-Siedler bezieht.
Nördliche Friedhöfe spiegeln den calvinistischen Glauben der frühesten europäischen Einwanderer dieses Gebietes wider. Friedhöfe waren keine heiligen Orte, es gab in der Regel keine symbolische Bepflanzung, und Grabsteine waren bescheiden und schlicht. In der Vergangenheit überwogen Begräbnisse auf Kirchhöfen, aber Mobilität und Säkularismus wirkten dieser traditionellen Praxis entgegen. Die Friedhöfe des Nordens sind als ausgedehnte Grasflächen mit einzelnen Gräbern angelegt. Die Grabsteine sind häufig mit Bildwerk versehen, das die Entwicklung der Einstellungen zum Tod von brutaler Aufrichtigkeit, um nicht zu sagen Grausamkeit, hin zu sanfteren Bildern des Todes in der viktorianischen Periode zeigt. Auf älteren Steinen findet man nicht selten den Sensenmann, abgelaufene Stundengläser und Totenköpfe, die Passanten an das Schicksal gemahnen, das auch sie erwartet. Solche Symbole wurden im Lauf der Zeit durch Trauerweiden, Urnen und Engel ersetzt.
Der Friedhof des Südens dagegen gibt dem Land eine erkennbar andere Prägung. Mit Beton oder einem anderen Material eingefasste Familiengräber sind die Regel. Das mag ein Abbild sein für die im Süden typische lockere Siedlungsweise und auch für die Tatsache, dass die Familie zugleich Lebensgemeinschaft war. Manche Friedhöfe, vor allem die privaten Familienbegräbnisstätten, dürften von örtlichen Geistlichen geweiht worden sein, aber im Allgemeinen ist der Friedhof im Süden eher öffentliches, nicht heiliges Gemeindeland. In der Vergangenheit kamen Mitglieder des Gemeinwesens im Frühling, um den 1. Mai herum, auf dem Ortsfriedhof zusammen, reinigten und schmückten die Gräber und veranstalteten ein großes Festmahl. Diese Tradition wird durch die allgemeine Einführung ganzjähriger Pflegeprogramme und die Abwanderung vom Land in die Stadt zurückgedrängt.
Der Friedhof des Südens ist ein Ort mit hohem Symbolgehalt. Die Toten werden in Ost-West-Richtung gebettet, wobei die Füße und der Blick nach Osten zeigen. Diese Praxis geht aus uralten, vom Judentum und Christentum übernommenen Traditionen zurück. Die im Osten aufgehende Sonne ist dabei das Symbol für das Licht der Welt, den (wiederkehrenden) Messias. Traditionell waren Gräber auf südlichen Friedhöfen durch aufgeschüttete Erdhügel gekennzeichnet, die sorgfältig von Gras und Unkraut freigehalten wurden. Eine gängige Lösung, um diese arbeitsintensive Aktivität zu umgehen, besteht heute darin, Beton über die Grabstätte zu gießen.
Die Gräber wurden von Bewuchs freigehalten, nicht so der Rest des Friedhofs. Hier wurden häufig immergrüne Bäume, Weiden und verschiedene Blütensträucher gepflanzt. Sie symbolisierten das ewige Leben, aber auch das Leid und die Trauer, die mit dem Verlust einer geliebten Person verbunden sind. In vielen südlichen Friedhöfen gibt es neben kleinen Hainen auch Rosensträucher und Lilien. Rosen wurden lange mit der Jungfrau Maria, Lilien mit der Wiederauferstehung in Verbindung gebracht. Häufig sind Muscheln auf den Grabhügeln zu finden. Sie dienen auch als gängiges Motiv bei den Symbolen auf Grabsteinen. Die Muschel wird mit Fruchtbarkeit assoziiert und in der Tradition des Südens auch mit Liebe. Ein inzwischen verschwindendes Element südlicher Friedhöfe ist die Grabhütte. Die Grabhütte ist eine hausähnliche Giebelkonstruktion über dem Grab. Vielleicht wurde sie aus praktischen Gründen gebaut, etwa als zusätzlicher Schutz für die Grabstätte, vielleicht hatte sie aber auch metaphorische Funktion und symbolisierte den Prozess des Heimgehens.
Deutsche Einwanderer trugen massiv zur Besiedlung der USA bei. Nach neuesten Erhebungen geben knapp vierzehn Prozent der Amerikaner "Deutsch" als erste dokumentierte Abstammung an. Die deutsche Einwanderung begann zwar bereits Ende des 17. Jahrhunderts, hatte ihren Höhepunkt aber im 19. Jahrhundert. Deutsche unterschieden sich von den meisten anderen Einwanderergruppen dadurch, dass sie sich stark assimilierten und damit zur Herausbildung der amerikanischen nationalen Identität beitrugen.
Unter dieser Voraussetzung könnte man annehmen, dass deutsche Friedhöfe keinen eigenen Charakter hätten, was aber keineswegs der Fall ist. Deutsche waren nicht sofort assimiliert und gaben nicht alle ihre Beerdigungsbräuche auf. Tatsächlich ist der konservative Charakter des Friedhofs hilfreich, um einen Einblick in deutsche Einflüsse auf die Friedhofslandschaften der USA zu gewinnen. Insbesondere deutsche Lutheraner, Katholiken, Methodisten, Mennoniten und Freidenker haben die USA mit Denkmälern für ihre Toten übersät.
In erster Linie für deutsche lutherische und katholische Friedhöfe in den Vereinigten Staaten gilt, dass für die meisten Deutschen der Friedhof ein heiliger Ort war und in der Regel durch ein großes Kreuz, oft nahe der Friedhofsmitte, als solcher gekennzeichnet wurde. Nicht selten sind deutsche Friedhöfe nahe bei oder direkt neben Kirchen gelegen. Traditionell zogen die Deutschen Einzelgräber oder Gräber für Ehepaare den im Süden üblichen Familiengrabstätten vor. Das zeigt sich auch in der Einrichtung spezieller Bereiche für Kinder, die auf deutschen Friedhöfen getrennt von ihren Eltern begraben wurden. Auch wenn Deutsche in den USA ihre Gräber nicht einheitlich ausrichteten, sind deutsche Friedhöfe doch bekannt für ihr ordentliches Erscheinungsbild und ihre übersichtliche Anlage.
Was an deutschen Friedhöfen am meisten beeindruckt, sind zweifellos die Grabzeichen und der Schmuck auf den Gräbern. Charakteristisch sind vor allem fein gearbeitete Metalltafeln, die von der Kunstfertigkeit dieser Einwanderer zeugen. Kunstvoll gearbeitete Stein- und Holzgrabzeichen sind noch zu finden, aber viele haben der Zeit und den Kräften der Natur nicht standgehalten. Auch mit Blumen- oder Kranzkästen wurde das Grab häufig geschmückt. Oft sind diese am Grab befestigt oder verankert, sie sind verschlossen und damit wind- und wettergeschützt und erwecken so den Eindruck, die Blumen seien immer frisch und die Gräber gerade neu geschmückt. Sonnensymbole - einschließlich des Hakenkreuzes, das später von der NSDAP als Symbol für die Partei gewählt wurde - und verschiedene andere Symbole wie Pentagramm und Hexagramm sind ebenfalls zu finden. Viele dieser Symbole stammen aus der deutschen Volkskunst. Herzen und Kruzifixe sind weitere gängige Motive auf den Grabsteinen. Die Grabschriften kennzeichnen nach wie vor deutsche Gräber, sind aber nach den zwei Weltkriegen immer seltener zu finden.
Außer in Florida, das eine andere Geschichte hat, ist das spanische Erbe in den USA langlebig und geht zurück auf das Missionswesen, das zur Bekehrung der Indianer spanische Priester nach Nordamerika brachte. Das Gebiet von Südkalifornien bis Südtexas wird gemeinhin als Hispanic Borderland bezeichnet. Menschen spanischer und mexikanischer Abstammung spielten eine wesentliche Rolle bei der Prägung des kulturellen Charakters dieser Region.
Mexikaner kennzeichnen ihre Friedhöfe als einen heiliger Ort in der Regel durch Kreuze und oft durch ein großes Kreuz nahe der Friedhofsmitte. Häufig werden Friedhöfe nach Heiligen benannt. Auch in mexikanischen Friedhöfen gibt es überwiegend Einzelgräber. Üblicherweise sind mexikanische Friedhöfe nahe an Kirchen gelegen, außer dort, wo die Mexikaner keine eigenen Friedhöfe anlegten, und in ländlichen Gebieten. Wer zum ersten Mal einen mexikanischen Friedhof besucht, den werden die Farbenpracht mit leuchtenden Blau-, Grün- und Orangetönen und der reiche Schmuck dieser Friedhöfe überraschen. Die Schmuckkonzentration pro Grab dürfte auf mexikanischen Friedhöfe höher sein als auf den Friedhöfen jeder anderen ethnischen Gruppe. Blumensträuße, oft auch künstliche, zieren die Gräber. Das Kreuz ist auf mexikanischen Friedhöfen allgegenwärtig und auf nahezu jedem Grab zu finden. Bilder von Heiligen, der Madonna und Christus sind ebenfalls weit verbreitet. In der Tat sind in vielen Grabzeichen Nischen eigens für die Unterbringung dieser Ikonen eingearbeitet. Weil die Jungfrau von Guadalupe im mexikanischen Katholizismus eine besondere Rolle spielt, sind auch von ihr sehr viele Bilder zu sehen.
In mexikanischen Friedhöfen ist das Geburtsdatum der Verstorbenen oft mit dem fünfzackigen Stern, das Todesdatum mit einem Kreuz gekennzeichnet. Grabeinfassungen richten sich nach dem Wohlstand und danach, ob der Friedhof auf dem Land oder in der Stadt gelegen ist. Häufig anzutreffen sind auch Grabhügel und handgefertigte Grabzeichen, die schön und von schlichter Eleganz sind. In der mexikanischen Tradition wird am "Tag der Toten" eines der größten Feste gefeiert. Dieses Fest hat seine Wurzeln in alten Bräuchen der Azteken und Mayas und ist durch den Katholizismus geprägt worden. Als Teil der Feierlichkeiten besuchen, reinigen und schmücken Familien die Gräber ihrer Lieben. In den Häusern werden Altäre gebaut und mit Andenken an tote Verwandte verziert. Manchmal werden auf diesen Altären auch Speisen, Zigaretten und Alkohol angeboten für die Seelen der geliebten Verstorbenen, die nach dem Volksglauben einmal im Jahr ihr Zuhause besuchen. Pralinen, Konfekt und Plätzchen in Form von Totenschädeln und Särgen sind überall erhältlich und tragen zur festlichen Atmosphäre dieses Gedenktags bei (siehe auch den Artikel von Kirsten Einfeldt in diesem Heft).
Navajo-Friedhöfe bieten einen weiteren Einblick in die ethnische Komplexität, zeigen aber auch die langsamen, gleichwohl tiefgreifenden Veränderungen traditioneller Beerdingungsbräuche. Das Navajo-Reservat, das sich über Teile von Utah, New Mexico und Arizona erstreckt, ist das größte Indianerreservat der USA. Die Navajo betreiben überwiegend Weidewirtschaft und begruben ihre Toten traditionell einzeln. Bis in die jüngste Vergangenheit gab es keine Begräbnisstätten der Navajo im eigentlichen Sinn, denn kein Land war speziell für Beerdigungszwecke ausgewiesen. Bevorzugte Orte für die Toten waren unter anderem Felsnischen oder ähnliche entlegene Stellen. Die Gräber wurden mit Steinen oder Zweigen bedeckt. In seltenen Fällen wurden die Toten unter der traditionellen Navajo-Behausung begraben, die nach dem Begräbnis verschlossen und verlassen wurde. Nach der Kosmologie der Navajo trennen sich das Gute und das Böse, wenn eine Person stirbt, um dann in verschiedene Reiche einzugehen. Die Ausrichtung der Toten von Nord nach Süd (im Norden wohnt das Böse, im Süden das Gute) erleichterte diesen Prozess und war gängige Praxis. Die Navajo mieden die Toten wegen ihrer Verbindung mit dem Bösen.
Im Lauf der Zeit übernahmen christliche Missionare im Navajo-Land die Rolle der Totenpflege und Bestattung. Sie legten Friedhöfe an und führten die Praxis der Totenbettung in Ost-West-Richtung und der Grabkennzeichnung mit einem Kreuz ein.
Die Rückführung von Navajo, die während des Einsatzes im zweiten Weltkrieg gestorben waren, ist insofern ein weiterer wichtiger Wendepunkt in der Begräbnispraxis der Navajo, als sie die Einstellung zum Tod verändert und die Einführung soliderer Grabzeichen gefördert haben könnte. Ein Familienmitglied zu haben, das sein Leben im Dienst für sein Land verloren hatte, wurde für viele Navajo zu einer Auszeichnung. Das Militär stellte für diese Personen Grabsteine bereit. Die Vertrautheit mit militärischen Grabzeichen mag dazu beigetragen haben, dass sich nach und nach einige Navajo für größere, monumentalere Grabzeichen entschieden. Noch heute ist die Navajo-Friedhofslandschaft eine bunte Mischung aus Einzelgräbern, teils mit, teils ohne Erdhügel, teils mit einem Kreuz, teils mit Monumenten versehen.
Friedhöfe sind soziale Kreationen. Und als solche sind sie wundervoll eigenwillige Einrichtungen, die sich vereinfachenden Verallgemeinerungen standhaft entziehen und widersetzen. Wer auch nur ein wenig neugierig ist auf die Geografie und insbesondere auf die örtlichen Variationen kultureller Praktiken, ist gut beraten, Friedhöfe zu studieren.
aus: der überblick 02/2003, Seite 30
AUTOR(EN):
Alyson L. Greiner:
Alyson L. Greiner ist Herausgeberin des "Journal of Cultural Geography" und lehrt an der "Oklahoma State University".