Das ABC der chinesischen Entwicklungszusammenarbeit
von Carol Lancaster
China ist in Asien, Lateinamerika und insbesondere in Afrika ein wichtiger Geber von Entwicklungshilfe geworden. Insbesondere seit seiner völkerrechtlichen Anerkennung als Vertreter des chinesischen Volkes und dem Erlangen eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) engagiert sich das Land finanziell auf diesem Kontinent. Heutzutage scheint die chinesische Entwicklungshilfe allerdings stärker an Pekings Hunger nach Rohstoffen wie Öl, Mineralien und Bauholz gekoppelt zu sein. Diese werden benötigt, um die ungeheure Wachstumsmaschine in Gang zu halten.
Wie nahezu alle Geberländer von Entwicklungshilfe verfolgt auch China mit seiner Hilfe politische und strategische Interessen: Ausübung von Druck auf Regierungen, Taiwan die diplomatische Anerkennung zu versagen; nachweislich Aufforderung an Regierungen, Japan in seinem Streben nach einem Platz im UN-Sicherheitsrat keine Unterstützung zukommen zu lassen; Verbesserung seiner zunehmenden diplomatischen Präsenz in der Welt und Aufbau von guten Beziehungen mit Entwicklungsländern, die in internationalen Foren bereit sind, die chinesische Politik mitzutragen.
Über die chinesische Entwicklungshilfe sind eine Reihe von Eckdaten bekannt. Daraus geht hervor, dass Afrika ein besonderer Schwerpunkt von Chinas Entwicklungshilfe ist, und dass Peking versprochen hat, die Hilfe für die Region bis 2009 zu verdoppeln. Es ist weiter bekannt, dass die Chinesen ihre Hilfe in der Regel ohne die Bedingungen leisten, an die üblicherweise die Entwicklungshilfe westlicher Geberländer geknüpft ist also ohne Druck auf die Empfängerländer zur Einhaltung der Menschenrechte, zu effektivem wirtschaftlichen Management, zu Bemühungen im Bereich des Umweltschutzes und zur politischen Öffnung des Landes.
Geläufig ist auch, dass die chinesische Entwicklungshilfe ihren Schwerpunkt auf die von vielen armen Ländern dringend benötigte und erstrebte Infrastruktur setzt die aber die traditionellen westlichen Geberländer oft nur sehr widerwillig finanzieren. Man weiß auch, dass die Chinesen ihre Stipendienprogramme zur Ausbildung von Fachkräften aus Entwicklungsländern ausbauen sowie einer Reihe von armen Ländern medizinische Hilfe zukommen lassen. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass die chinesische Entwicklungshilfe üblicherweise in Form von Darlehen erfolgt, die ohne die normalen Sicherheitsanforderungen zur Verfügung gestellt werden (soft loans).
Einige dieser Praktiken sind für die westliche Entwicklungszusammenarbeit Anlass zur Besorgnis: Wird die chinesische Entwicklungshilfe dazu führen, dass afrikanische Länder nötige wirtschaftliche und politische Reformen verschleppen? Wird sie arme Länder in die Schuldenfalle führen nachdem jene dieser gerade erst durch den Schuldenerlass vieler Geberorganisationen entkommen sind?
Viele Fakten der chinesischen Entwicklungshilfe bleiben zudem im Dunkeln: Welchen Umfang hat sie und wie schnell wächst sie, wer trifft die Entscheidungen, welche Länder erhalten Unterstützung und in welcher Höhe, wie wird die Entwicklungshilfe innerhalb der chinesischen Regierung abgewickelt und wie wird sie evaluiert? Wer ist in China offizieller Ansprechpartner im Bereich der Entwicklungshilfe? Wie können wir die Chinesen besser in das bestehende Netzwerk internationaler Geberländer einbinden?
Dieser Artikel stützt sich auf vorhandene Studien und Unterlagen, Presseberichte und eine Reihe von Gesprächen mit chinesischen Funktionären der Entwicklungshilfe in Peking. Es handelt sich um einen Versuch, im dynamischsten Land der Erde das komplexe und sich rasch weiterentwickelnde System der Entscheidungsfindung und Abwicklung von Entwicklungshilfe herauszuarbeiten.
Chinesische Funktionäre sagen, dass der genaue Umfang der Entwicklungshilfe ein Staatsgeheimnis ist. Den Mangel an Transparenz begründen sie mit dem Druck, den einzelne Länder ausüben würden, um ebenso viel Hilfe wie die größten Empfängerländer zu bekommen. Vermutlich sind sie von ihrer Argumentation überzeugt, auch wenn die Logik ein bisschen fraglich ist.
In der Tat gibt es noch einige andere Gründe für das Widerstreben, genaue Zahlen über den jährlichen Umfang der Entwicklungshilfe bekannt zu geben: Erstens kennen sie den Umfang selber nicht genau. Die chinesische Entwicklungshilfe läuft über das Handelsministerium (MOFCOM). Es ist gut möglich, dass dort noch keine Unterlagen über die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) geführt werden, in dem Sinne, wie sie durch den Entwicklungshilfeausschuss (DAC) der OECD definiert wird; diese Daten wären allerdings Voraussetzung, um die chinesische Entwicklungshilfe mit der anderer Geberländer vergleichen zu können. Entwicklungshilfe erfolgt oft im Rahmen von größeren Investitionspaketen und Handelsvereinbarungen mit Empfängerländern, und möglicherweise wird die chinesische ODA zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sauber von der Exportförderung und den Investitionsausgaben getrennt.
Außerdem wird noch darüber diskutiert, wie die Kosten für die chinesische Arbeitskraft zu berechnen sind, die benötigt wird, um die Infrastruktur aufzubauen oder Schlüsselaufgaben in den Empfängerländern wahrzunehmen, die aber letztlich Bestandteil der Entwicklungshilfe sind.
Hinzu kommt, dass die Einzelbudgets des MOFCOM für ein Jahr gar nicht von vornherein festgelegt sind. Ein ranghoher, mit Entwicklungshilfe befasster Mitarbeiter des MOFCOM berichtete mir, dass der jährliche Entscheidungsprozess zur Festlegung der Höhe der Hilfsmittel ähnlich abläuft wie in den meisten anderen Ländern: Anträge werden dem Finanzministerium vorgelegt (und oft noch gekürzt), so dass sich daraus ein jährlicher Gesamtbetrag ergibt. Sollte aber darüber hinaus Bedarf entstehen, kann das MOFCOM jederzeit beim Ministerium zusätzliche Mittel beantragen. (US-Amerikaner werden darin Parallelen zum eigenen System erkennen, wo alljährlich im Kongress im Nachhinein Anträge für zusätzliche Mittel gestellt werden).
Außerdem ist das MOFCOM nicht die einzige Quelle chinesischer Entwicklungshilfe. Auch andere Ministerien stellen Geld bereit einschließlich der Ministerien für Gesundheit und Bildung und ein Teil dieses Geldes stammt aus ihren Haushalten und nicht aus dem des Handelsministeriums. Ebenso leisten einige staatseigene Unternehmen Transfers ins Ausland, die der Entwicklungshilfe ähneln. Es sieht nicht so aus, als gäbe es eine konkrete Stelle in der chinesischen Regierung, welche die Bereitstellung der Summen überwacht und einen Gesamtüberblick hat.
Ein weiterer Grund, warum das Gesamtvolumen der chinesischen Entwicklungshilfe nicht veröffentlicht wird der allerdings nur beiläufig in den Gesprächen erwähnt wurde , ist, dass dies im Inland zu heftiger Kritik an der Regierung führen würde. "In China gibt es noch so viel Armut. Warum also helfen wir anderen Ländern, die zum Teil wohlhabender sind als China selbst?"
Wie hoch ist nun das Budget der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit der Chinesen pro Jahr? Die Regierung hat den Afrikanern 2006 beim China-Afrika-Gipfel versprochen, die Hilfe für die Region bis 2009 zu verdoppeln. Was ist also der Grundbetrag, den sie verdoppeln wollen? Über die jährliche chinesische ODA für Afrika können wir lediglich eine begründete Schätzung vornehmen, wobei es gilt, über die bereits erwähnten Vorbehalte hinaus noch zu bedenken, dass die Addition der veröffentlichen Daten pro Jahr nicht die gewünschte Information wiedergibt, weil derartige Verpflichtungen häufig Aktivitäten der Entwicklungshilfe umfassen, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken.
In einem kürzlich veröffentlichten Artikel über die chinesische Entwicklungshilfe in Afrika zitiert die Professorin Deborah Brautigam von der American University in Washington D.C. Zahlen aus Chinas Statistischem Jahrbuch für 2003 bis 2006 und stellt fest, dass die weltweite Hilfe der Chinesen sich 2005 auf 970 Millionen US-Dollar belief nach 650 Millionen US-Dollar im Jahr 2002. Andere vermuten, dass es um deutlich höhere Beträge geht; ein Mitarbeiter der Weltbank schätzte die chinesische Hilfe allein für Afrika auf 2 Milliarden US-Dollar, was bedeuten würde, dass die gesamte chinesische Entwicklungshilfe deutlich darüber läge.
Ich selber vermute, dass die komplette chinesische Entwicklungshilfe derzeit zwischen 1,5 und 2 Milliarden US-Dollar liegt und damit höher ist als in Chinas Statistischem Jahrbuch angegeben (das ohnehin nur Zahlen bis einschließlich 2005 enthält). Diese Schätzung stützt sich darauf, dass die Zahlen im Jahrbuch wahrscheinlich aus dem Haushalt des Handelsministeriums stammen, aber nicht die Ausgaben aus den Haushalten anderer Regierungsbehörden berücksichtigen was die chinesische Regierung offenbar selber nicht in ihre Kalkulation mit einbezieht.
Chinesischen Wissenschaftlern, die Einblicke in das nationale System der Entwicklungshilfe haben, halten einen Betrag in dieser Größenordnung für wahrscheinlich. Die Hilfe für Afrika beträgt so vermutlich zwischen einem Drittel und der Hälfte dieses Betrages ein chinesischer Experte berichtete mir, dass es sich um ein Drittel handelt; andere Daten in dem Artikel der Professorin Brautigam deuten darauf hin, dass in der Vergangenheit etwa die Hälfte der chinesischen Hilfe dorthin floss. Alle chinesischen Funktionäre betonten, dass China noch ein relativ armes Land ist, das keine großen Hilfsbeträge zur Verfügung stellen kann. Sie legen damit nahe, dass das Land unter den kleineren Geberländern wie Australien, Österreich, Belgien, Dänemark und der Schweiz rangiert.
Fest steht, dass die Verantwortung für die Handhabung der bilateralen chinesischen Hilfe vorrangig beim Handelsministerium liegt und die dortigen Mitarbeiter bestehen auch vehement auf ihrer Zuständigkeit. Die multilaterale Hilfe liegt wie in vielen anderen Geberländern in den Händen des Finanzministeriums. Aber die strategischen Entscheidungen im Hinblick auf diese Hilfe zum Beispiel größere Projekte in Afrika werden von "der chinesischen Führung" getroffen, womit nach meinen Informationen der Staatsrat gemeint ist. (Der Staatsrat ist das oberste Organ der chinesischen Regierung. Er besteht aus dem Ministerpräsidenten, den vier stellvertretenden Ministerpräsidenten, fünf Staatskommissaren, den Ministern und Vorsitzenden der Regierungsbehörden sowie anderen Offiziellen insgesamt etwa 50 Personen.)
Mir wurde auch berichtet, dass die chinesischen Botschafter gelegentlich zusammentreffen, um über die Höhe der Hilfsleistungen an die Länder, für die sie zuständig sind, zu beraten, und dass konkrete Projektanträge im Außenministerium von Länderreferenten geprüft werden. Mitarbeiter dieses Ministeriums beklagten sich mir gegenüber, dass es unvernünftig sei, dass sie nicht mehr Einfluss auf die chinesische Entwicklungshilfe ausüben könnten.
Im Falle großer Projekte müssen die Anträge außerdem dem Finanzministerium zur Prüfung vorgelegt werden: so etwa das Versprechen der Chinesen, einen 150 Millionen US-Dollar teuren Anbau an das Gebäude der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba zu finanzieren. Falls Projekte Spezialgebiete berühren, die in anderen Ministerien zum Beispiel dem für Gesundheit angesiedelt sind, werden auch diese Behörden mit eingebunden. Es hat den Anschein, dass Empfängerländer und chinesische Botschaften vor Ort häufig Hilfsprojekte zur Finanzierung vorschlagen ganz so wie in den auf Anfragen basierenden Hilfsprogrammen Japans und der skandinavischen Länder. Funktionäre der chinesischen Regierung oder chinesische Unternehmen kümmern sich um Machbarkeitsstudien für diese Projektanträge; oft ist es die Export Import Bank of China, welche die Projekte finanziert wobei sie gelegentlich die erforderlichen Mittel auf chinesischen Finanzmärkten aufnimmt. Die Ausführung selbst liegt üblicherweise in den Händen chinesischer Unternehmen.
Die chinesische Entwicklungshilfe erfolgt in Form von Beihilfen und Darlehen zu Sonderkonditionen, die durch das Handelsministerium, die Export Import Bank of China und andere Regierungsbehörden abgewickelt werden. Die Hilfe dient der Finanzierung von Projekten, Schulungsmaßnahmen und der technischen Zusammenarbeit. Mit den Worten eines Regierungsmitarbeiters geschieht sie immer "in materialisierter Form". Es gibt also keine Finanztransfers in Form von allgemeiner Budget-oder Programmhilfe. Somit ist unwahrscheinlich, dass sich die Chinesen in absehbarer Zukunft an den bei europäischen Geldgebern so beliebten Finanzierungspools beteiligen werden.
Wie planen die Chinesen ihre Hilfe? Gibt es wie in den Vereinigten Staaten eine länderspezifische strategische Planung? Ist die Hilfe wirkungsorientiert? Werden die Ergebnisse und Auswirkungen der Hilfsmaßnahmen evaluiert? "Nein" scheint die schlichte Antwort auf all diese Fragen zu sein, obwohl natürlich sichergestellt wird, dass Hilfsgelder für den vorgesehenen Verwendungszweck ausgegeben werden. Abgesehen davon, dass der chinesischen Regierung augenscheinlich die Kapazitäten für eine derartige Analyse fehlen, würde eine strategische Planung auch ihrer Politik widersprechen, auf die Wünsche der Empfänger zu reagieren und eben nicht die Wirtschaftssysteme in den Empfängerländern umzugestalten.
Nach Angaben eines ranghohen Mitarbeiters des Handelsministeriums gibt es auch noch kein Evaluierungssystem, obwohl der Bedarf dafür gesehen wird und es Planungen gibt, recht bald eines einzuführen. Es versteht sich von selbst, dass man sich dort auch nicht mit den Irrungen und Wirrungen "wirkungsorientierter Steuerungsinstrumente" herumschlagen muss.
Welches Bild zeichnet sich somit von der chinesischen Entwicklungshilfe ab? Es handelt sich um ein System, das erst im Entstehen begriffen ist, das fragmentiert ist aber vermutlich weniger als das entsprechende System in den USA oder Frankreich , bei dem die Prozesse zur Planung, Durchführung und Evaluierung von Entwicklungsprojekten gerade erst professionalisiert werden, das in einer dynamischen haushaltspolitischen und politischen Umgebung angesiedelt ist, wo die Entwicklungshilfe zunehmend als herausragendes und nützliches Instrument der chinesischen Diplomatie ins Blickfeld rückt.
Anders als in der Entwicklungshilfelandschaft vieler westlicher Länder gibt es in China keine Lobby, die sich unmittelbar für den Einsatz von Geld zur Armutsbekämpfung einsetzt weder innerhalb der Regierung (in Form einer eigenen Behörde, die Entwicklungshilfe bereitstellt) noch außerhalb der Regierung (in Form von nichtstaatlichen Organisationen für Katastrophen- und Entwicklungshilfe).
Hinzu kommt, dass offenbar keine der vielen Denkfabriken, die Teil der chinesischen Regierung sind und einen Großteil der analytischen Arbeit leisten etwa die Institute der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, die Chinesischen Institute für Gegenwärtige Internationale Beziehungen, die zentrale Parteischule, die Chinesische Stiftung für Internationale Strategische Studien und viele andere , sich speziell der Thematik der Entwicklungshilfe verschrieben hat, wie es zum Beispiel beim Center for Global Development in den USA oder dem britischen Overseas Development Instititute der Fall ist.
Das Institut für Westasiatische und Afrikanische Studien sowie das Institut für Europäische Studien der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften haben sich zwar an der Diskussion über die chinesische Entwicklungshilfe beteiligt Ersteres primär im Hinblick auf die Hilfe für Afrika und Letzteres schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit der ausländischen Hilfe in China und nur in jüngster Vergangenheit mit der chinesischen Entwicklungshilfe im Ausland. Aber beide Institute haben ihren eigentlichen Schwerpunkt und ihre Kernkompetenz in anderen Bereichen.
Der chinesischen Regierung fehlt somit eine zentrale Stelle, aus der sie Konzepte über Hilfsprogramme und Entwicklung beziehen könnte, um sich selbst ein Bild zu machen. Und das bedeutet, dass auch westliche Hilfsorganisationen und ausländische Denkfabriken momentan in Peking keinen einzelnen, gut informierten Ansprechpartner haben, mit dem sie sich über derartige Themen austauschen könnten.
Chinesische Regierungsmitarbeiter, die mit Entwicklungshilfe zu tun haben, stehen durch das verstärkte Engagement ihrer Regierung in diesem Gebiet und die rasch zunehmende Arbeitslast offenbar stark unter Druck. Das ist verständlich, denn, wie mir berichtet wurde, sind zum jetzigen Zeitpunkt nur 70 hauptamtliche Mitarbeiter im Handelsministerium mit der Abwicklung der chinesischen Entwicklungshilfe befasst.
Im Gespräch haben mir chinesische Funktionäre stets den Eindruck vermittelt, dass sie versuchen, Einfluss auf den Zuschnitt des Hilfsprogramms und auf das Maß der Zusammenarbeit mit westlichen Geldgebern zu nehmen. Sie wollen eindeutig nicht einfach ein weiteres Mitglied im "Club" der reichen Geberländer sein. Aus politischen Erwägungen möchten sie in Asien, Afrika und Lateinamerika ihr besonderes Image bewahren geprägt von der Süd-Süd-Zusammenarbeit und einem besonderen Verständnis und Mitgefühl, weil man Probleme der Armut ja mit den anderen teile. China möchte das Bild einer Nation verbreiten, die diese Probleme rasch (wenn auch noch nicht vollständig) hinter sich gelassen hat, wodurch eine besondere und privilegierte Partnerschaft mit den Regierungen möglich werde, denen China hilft und mit denen es Beziehungen pflegt.
Aber auch in China ebenso wie in Washington, Paris und Tokio gibt es Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Regierung, bei denen es darum geht, wer das Hilfsprogramm zu welchem Zweck kontrolliert. Es ist also wenig überraschend, dass die chinesische Regierung einen Prozess der Neuorientierung begonnen hat, um festzustellen, wie sie ihre Hilfe besser organisieren und abwickeln kann.
Nach meiner Beobachtung ist die Schaffung einer separaten Behörde, die für Entwicklungshilfe zuständig ist, eine der Optionen, die geprüft werden. Ich habe auch gehört, dass das Institut für Europäische Studien der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften und gegebenenfalls auch andere Regierungsstellen, Denkfabriken und Universitäten beauftragt wurden, rechtzeitig vor dem 17. Parteikongress im Oktober 2007 beziehungsweise vor dem Amtsantritt der neuen Regierung 2008 einen Bericht zu verfassen, wie die Reform der chinesischen Entwicklungshilfe aussehen sollte.
Ungewiss ist, ob schon zu diesem Zeitpunkt konkrete Reformen der Strukturen der chinesischen Entwicklungshilfe angekündigt werden oder ob es sich lediglich um den Beginn eines längeren Umdenkungsprozesses seitens der Regierung über das Entwicklungshilfeprogramm handelt. In Peking sind wie andernorts auch viele Interessen mit dem bestehenden Hilfssystem verbunden, was einer der Gründe ist, weshalb es überall auf der Welt so schwierig ist, grundlegende Veränderungen daran vorzunehmen.
Die chinesische Regierung hat auch begonnen, direkt mit ausländischen Entwicklungshilfeorganisationen Kontakt aufzunehmen, um aus ihren Vereinbarungen und Verfahrensweisen zu lernen und versuchsweise mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie hat Teams nach London und Stockholm geschickt, um zu sehen, wie die dortigen Regierungen ihre Hilfsprogramme abwickeln. Sie steht mit dem britischen Ministerium für Internationale Zusammenarbeit in einem regen Austausch über Fragen der internationalen Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie hat begonnen, mit der kanadischen Regierung im Bereich der technischen Zusammenarbeit in Entwicklungsländern zu kooperieren. Sie hat mit der Weltbank-Tochter International Finance Cooperation ein Memorandum of Understanding über die Zusammenarbeit im Bereich umweltverträglicher Projekte in Schwellenländern unterzeichnet. Und sie beteiligt sich in einer Reihe afrikanischer Länder an Koordinationsgruppen von Geldgebern beziehungsweise hat ihr Interesse an einer solchen Beteiligung zum Ausdruck gebracht.
China ist das dynamischste Land der Welt, in dem Wachstum und Veränderungen in einem absolut schwindelerregenden Tempo vonstatten gehen. Die Aufregungen und Anspannungen des raschen Wandels sind in Peking und Shanghai sowie in "kleinen" Städten wie Kunming (Einwohnerzahl: über fünf Millionen) greifbar. Sie treten auch zunehmend in Chinas Entwicklungshilfeprogramm zutage, von dessen Struktur und Funktionsweise wir soeben erst beginnen, uns ein Bild zu machen. Die Herausforderung für die Geldgeber in Europa, Nordamerika und Japan besteht darin, die Kommunikation zu fördern und so weit als möglich zu einer Zusammenarbeit mit den Chinesen zu gelangen, die sicherlich schon bald in der weltweiten Gemeinschaft der Geberländer eine herausragende Rolle spielen werden.
aus: der überblick 03/2007, Seite 116
AUTOR(EN):
Carol Lancaster
Carol Lancaster ist Gastdozentin am "Center for Global Development"
und Professorin an der "Georgetown University",
Washington. D.C., USA.
Der leicht gekürzte
Abdruck dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung
des "Center for Global Development".