Das Auge des Betrachters schulen
Seit mehr als siebzig Jahren exportieren die Vereinigten Staaten von Amerika ihre heute allgegenwärtigen Bilder weiblicher Schönheit in alle Welt. Dabei verstrickte sich das Geschäft mit der Schönheit zunehmend mit ideologischen und politischen Zielen. Freiheit, Demokratie und Fortschritt wurden gleichbedeutend mit der durch Kosmetik künstlich hergestellten weiblichen Schönheit. Ein gepflegtes Aussehen ist folglich nicht nur ein Symbol für “westliche” Lebensweise, sondern durch und durch “amerikanisch”. Wie kam es zu der Gleichsetzung des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten mit Schönheit?
von Kathy Peiss
Schon lange vor dem Auftritt der US-amerikanischen Schönheitsindustrie auf dem Weltmarkt waren Vorstellungen von Schönheit an nationale Identitäten gebunden. Im westlichen Kulturkreis drückten sie sich in Bildern aus, die sich von Region zu Region unterschieden und wie eine Währung in Umlauf waren. Zu Beginn des modernen Welthandels mit Kräutern, chemischen Produkten, Färbemitteln und kosmetischen Fertigprodukten benutzte man zuweilen Ortsnamen oder benannte sie nach Symbolen ihres geographischen Ursprungs, um ihnen damit eine Aura des Exotischen oder der Exklusivität zu verleihen. Zu der Zeit, als die Nationalstaaten in Europa entstanden, der Zeit der Entdeckungsreisen und des Aufbaus von Kolonialreichen, dienten die unterschiedlichen Ideale weiblicher Schönheit als eine Art Kurzbeschreibung der damals wahrgenommenen gesellschaftlichen und kulturellen Eigenschaften von “Rassen” und Völkern. Weibliche Gesichter und Körper berichteten verschlüsselt vom Modebewusstsein der Franzosen, von der Reinlichkeit der Engländer und von der Sinnlichkeit orientalischer und mediterraner Völker. Im späten neunzehnten und im frühen zwanzigsten Jahrhundert kamen diese Bilder in die Vereinigten Staaten und wurden eingesetzt, um kosmetische Produkte zu vermarkten. Mittels dieser Verbindung zu einer weltweiten Tradition kosmetischer Kultur verringerte man den Widerstand amerikanischer Frauen gegen den Gebrauch von Kosmetika.
Die Vorstellungen von Schönheit, welche die USA zunächst importierten, entsprachen keineswegs den dann später exportierten. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich in Ansätzen eine heimische Schönheitsindustrie entwickelt. Der amerikanische Stil, der damals entstand, vermittelte Natürlichkeit, Jugendlichkeit, Gesundheit und Fitness. Mit ihm war zugleich eine positive Einstellung zum gesellschaftlichen Fortschritt verbunden, verkörpert durch freieren Umgang mit Sexualität, durch ein gesellschaftliches Leben jenseits von Haushalt und Familie und durch Selbstverwirklichung. Herstellerfirmen, Drogerien und Schönheitssalons übernahmen diese Bilder, um den Verkauf von Hautpflegemitteln anzukurbeln - und hatten damit Erfolg.
Das Entstehen der Filmmetropole Hollywood trug während des Ersten Weltkriegs und in den folgenden Jahren erheblich dazu bei, dass das US-amerikanische Schönheitsideal, zu dem nunmehr auch Make-up und “kleine Tricks” gehörten, angenommen wurde. Schminke, Scheinwerferlicht, Kameraführung und die Auswahl der Schauspielerinnen schufen eine Aura von Glamour, in der die Symmetrie der Form und regelmäßige Gesichtszüge nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. Gleichzeitig gelang es der Traumfabrik, Distanz und Exklusivität - ursprünglich mit dem Begriff Schönheit verbunden - über Bord zu werfen. In den Filmen konnte nun jede Frau Schönheit betrachten und mittels Töpfchen, Tuben und Tiegeln wurde sie ihr auch zugänglich.
Erst nach 1930 begannen US-amerikanische Firmen, ausländische Märkte für ihre Schönheitsprodukte zu erschließen. Sie bedienten sich dabei der Methoden, die sich auch in den USA bewährt hatten: Sie führten Marktanalysen durch, bauten Niederlassungen in den jeweiligen Ländern auf oder vergaben Gebietsvertretungen und entwickelten Werbekampagnen. Die Firma Pond’s setzte ihren Erfolg beim Verkauf preiswerter Gesichtscremes in den USA auf neuen Märkten in Kanada, Europa und Lateinamerika fort und untersuchte zudem die Absatzmöglichkeiten in Indien und Japan. Kaum drei Jahre nach der Einführung der Marke in den USA im Jahr 1927 begann auch der Kosmetikhersteller Max Factor, “Hoflieferant” der Hollywood-Stars für Make-up, eine Auslandsabteilung aufzubauen. Zehn Jahre danach betrug der Anteil der Exporte - die hauptsächlich nach Europa und Lateinamerika gingen - bereits 28 Prozent des Gesamtumsatzes.
In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren beauftragte Pond’s die Werbeagentur J. Walter Thompson, das Verbraucherverhalten in verschiedenen Ländern zu untersuchen. Die Berichte waren recht unterschiedlicher Qualität, doch einige lieferten detaillierte Beschreibungen der Körperpflegegewohnheiten in unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Milieus. Was die Verkaufsstrategien anging, wies die Agentur auf eine Reihe von Schwierigkeiten hin, mit denen sich Pond’s auseinander zu setzen hätte, wenn sie ihre Feuchtigkeitscreme im Ausland verkaufen wollten.
Eine der größten Herausforderungen, vor die sich US-amerikanische Firmen beim Absatz im Ausland gestellt sahen, war ihre Vorstellung von einem Massenmarkt, die so nicht übertragbar war. In den Vereinigten Staaten bedeutete Massenmarkt, eine breite Mittelschicht mit den entsprechenden Produkten zu versorgen und damit hohe Umsätze zu erwirtschaften. In den nicht-westlichen Ländern jedoch konnte sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten, Kosmetika zu kaufen.
In Bombay beschrieben die von Pond’s beauftragten Marktforscher die Kundinnen so: “Wir sprechen nicht von den indischen Frauen als homogener Gruppe”, sondern nur von den “indischen Frauen der oberen sozialen Schichten”, die “bestimmte kosmetische Produkte wie Gesichtscremes benutzen”. Die Untersuchung unterteilte die Bevölkerung Indiens nicht nur nach Einkommensgruppen, sondern fügte als Unterscheidungsmerkmale noch Rasse, nationale Herkunft und die Nähe zu moderner, westlicher Lebensweise hinzu. Daraus ergaben sich zwei Zielgruppen für kosmetische Produkte aus dem Ausland: zum einen die Weißen, also in Indien ansässige Personen britischer, amerikanischer oder deutscher Herkunft, und zum anderen die Anglo-Inder, Abkömmlinge aus indisch-europäischen Beziehungen. Beide Gruppen identifizierten sich mit den Werten der schönheitsbewussten englischen Oberschicht. Unter der indischen Bevölkerung ermittelten die Marktforscher nur die oberste soziale Klasse der aus Persien stammenden Parsen als potenzielle Käufergruppe. “Sie haben leicht abweichende Schönheitsvorstellungen. So haben sie dichtes schwarzes Haar, das gewöhnlich stark geölt wird”, hielt der Bericht fest. Ihr Umgang mit weißen Frauen habe aber dazu geführt, dass sie auf ihre äußere Erscheinung großen Wert legen, sie kleiden sich gut, pflegen ihren Teint, alles gute Vorzeichen für den Verkauf von Kosmetika westlicher Machart: “Je mehr sie sich westliche Gewohnheiten aneignen, um so stärker übernehmen sie europäische Schönheitsideale.”
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ersetzte man diese frühen, unsicheren Exportanstrengungen für amerikanische Kosmetika durch professionelle Markterschließungen. US-amerikanische Firmen bauten Tochtergesellschaften auf, schlossen Verträge mit lokalen Importeuren, vergaben Lizenzen für ihre Produkte und errichteten Fabriken in Europa, in Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten und in Asien. Sie hatten sich mit den gleichen Herausforderungen auseinanderzusetzen wie andere Branchen auf internationalen Märkten auch: So mussten weltweit Erfolg versprechende Markenbilder aus der Zentrale von den ausländischen Niederlassungen und Vertretungen übernommen, jedoch überzeugende Verkaufsargumente für die verschiedenen Verbrauchergruppen in ihren jeweiligen kulturellen Umfeld erarbeitet werden. Die Lösung dieser Geschäftsprobleme hatte Folgen für die Verbreitung amerikanischer Schönheitsideale rund um die Welt.
Bereits während des Zweiten Weltkriegs hatten US-amerikanische Kosmetikfirmen begonnen, ihre Produkte erstmals ausdrücklich als amerikanisch zu vermarkten. An der Heimatfront verkaufte man Kosmetika, um die Moral zu stärken. Frauen wurden angehalten, ihren Lippenstift als “rotes Kennzeichen für Mut” zu tragen.
Nach Kriegsende versäumten die US-amerikanischen Kosmetikfirmen keine Minute, um aus Amerikas neuem Einfluss als wirtschaftliche Weltmacht Kapital zu schlagen. Eine aufstrebende Generation von Geschäftsleuten baute darauf, dass nationale Unterschiede durch immer ausgeklügeltere amerikanische Marketingmethoden ohne weiteres überwunden werden können. “Sicher gibt es Unterschiede bei Bräuchen, Gewohnheiten und Sprachen”, gab ein Werbefachmann zu. “Aber wichtig ist die Tatsache, dass die Verbraucher dieser Welt im Grunde auch viele Gemeinsamkeiten haben. Überall reagieren die Menschen auf die gleichen grundlegenden Emotionen, Antriebe und Motivationen”, fand William M. Peniche in seiner Untersuchung “Schönheit von Bangor bis Bangkok” aus dem Jahr 1961 heraus.
Die Überzeugung, dass amerikanische Schönheitsideale weltweit Anziehungskraft besäßen, war unter US-amerikanischen Kosmetikfirmen und ihren ausländischen Vertretungen weit verbreitet. Als beispielsweise die Firma Avon in den fünfziger Jahren in den Exporthandel einstieg, wurde Wert darauf gelegt, dass die Produktentwicklung unter der Federführung der heimatlichen Zentrale blieb und dass die amerikanischen Produktlinien im Ausland ohne allzu viel Rücksichtnahme auf örtliche Verkaufsbedingungen oder die dortigen Marktchancen abzusetzen seien. Ein einheitliches Markenimage war anscheinend nur mit Weisungen aus der US-amerikanischen Hauptverwaltung zu erreichen.
Unterschiede zwischen den Völkern der Welt vereinfachten die Vermarkter zu einer Frage von Verbraucherpräferenzen. Trotzdem musste die Rezeptur eines Produktes manchmal angepasst werden. Denn Unterschiede im Klima und im physischen Erscheinungsbild stellen besondere Anforderungen an die Hautpflege. Außerdem bevorzugen bestimmte Kulturen bestimmte Farben oder Düfte. Im Allgemeinen aber beschränkten US-amerikanische Firmen ihre Zugeständnisse an die örtlichen Bedingungen auf leichte Veränderungen bei der Verpackung ihres Produkts, bei der Farbpalette, bei der Wahl der Models und bei der Größe ihrer Anzeigen. Als die Firma Max Factor nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern Verteilernetze aufbaute, warb sie unverändert mit Hollywood-Stars. Sie verließ sich dabei auf deren Popularität und Vorbildcharakter auf der ganzen Welt. Solche Werbekampagnen stellten einerseits die Verbindung zum Amerika Hollywoods her, gleichzeitig jedoch wurden durch den Namen und das Aussehen der ausgewählten Stars unterschwellig nationale Identitäten angesprochen: Claudette Colbert kam in Frankreich groß heraus, Maria Montez trat in der lateinamerikanischen Werbung auf, Lucille Ball posierte in den chinesischen Zeitungen als “Drachenfrau”, während Lana Turner in den Kampagnen für Ägypten ihren Kopf bedeckte und so gut ankam. Dass man nationale Unterschiede anerkannte, war auch in einer Reihe von Fernsehwerbespots zu sehen, die Pond’s im Jahr 1961 drehen ließ. Vermittelt wurde ein durchgehend einheitliches Schönheitsideal, eingeschnitten jedoch waren kurze Szenen, die länderspezifische Produkte und Verpackungen zeigten.
Derartige Werbekampagnen vermengten amerikanische Schönheitsideale mit universellen Wünschen. Dabei nahm man an, dass nationale und kulturelle Unterschiede, wenn sie überhaupt existierten, nicht wirklich unter “die Haut gingen”. Das allerdings war zu einfach gedacht, und so gab es häufig Schwierigkeiten in Asien, Lateinamerika und in anderen Regionen.
Einige Firmen erkannten, dass die Beherrschung durch die Unternehmenszentrale alle Anstrengungen untergrub, die lokalen Verhältnisse zu verstehen. Nach einer kurzen Zeitspanne, in der sämtliche Weisungen für alle einheitlich aus der Zentrale kamen, änderte die Firma Avon den Kurs um 180 Grad und billigte den ausländischen Niederlassungen mehr Unabhängigkeit zu. Sie hielt dies nun für den bestmöglichen Ansatz, den Markt zu erschließen - bis zu dem Zeitpunkt, zu dem Avon dann “regelmäßig an jede Tür in der Freien Welt anklopfte”. Auf diese Weise würden alle Niederlassungen als “Garant des Image der Muttergesellschaft” handeln, gleichzeitig jedoch mehr Kontrolle über Marktforschung, Einführung von Produkten, Gestaltung der Verpackung und Verkaufsargumente haben. So begann die US-amerikanische Kosmetikindustrie in den sechziger Jahren, den Kurs in Richtung auf ein weltweit gültiges Markenimage einzuschlagen. Dazu erklärte der Manager H. D. Naideau: “Eine internationale Marke ist eher ein Arbeitskodex als eine Produktbeschreibung.” Sie gewährleistet ein beständiges Firmenimage, indem sie weltweit gültige Verbraucherbedürfnisse anspricht, gleichzeitig jedoch auf regionale Besonderheiten eingeht.
Mit der Zeit führten die Anforderungen, derer es bedurfte, um eine Weltmarke zu entwickeln, dazu, dass bei den US-amerikanischen Kosmetikfirmen das Interesse zunahm, mit unterschiedlichen nationalen und ethnischen Schönheitsbildern zu werben. Unabhängig vom Erscheinungsbild, das amerikanische Filmschauspielerinnen, Fernsehstars und Laufstegschönheiten gerade bevorzugten, bedienten sich amerikanische Gesellschaften nun eines Querschnitts nationaler Typen von Schönheit und Weiblichkeit, arbeiteten dabei einige charakteristische Züge heraus und ließen andere in den Hintergrund treten. Auf diese Weise machten sich die amerikanischen Produzenten zunehmend ein umfangreiches, aber ungeordnetes Bilderbuch der Weltbevölkerung für den Verkauf ihrer Produkte zunutze, passten die Bilder aber den besonderen Erfordernissen nationaler oder lokaler Märkte an.
Als in den siebziger Jahren die Marke Elusive als neue Duftnote in Japan und Mexiko eingeführt werden sollte, setzte Avon ein blondes amerikanisches Model ein, das Haremskleidung und kunstvollen Schmuck trug. Das Produkt sollte verschwommen mit Persien assoziiert werden, vor allem aber mit Luxus und Rätselhaftigkeit. Im Avon-Katalog für Japan waren die einzigen japanischen Models Kinder, einige in traditioneller, andere in westlicher Kleidung. In Mexiko dagegen warben ausschließlich Einheimische mit schwarzen Haaren und vollen Lippen. Die Avon-Werbung zeigte dramatische Szenen, Bilder voller Sinnlichkeit und Leidenschaft.
Noch wichtiger als die Mischung nationaler Typen und Stile war für den Verkauf US-amerikanischer Kosmetika auf Exportmärkten, lokale Vertretungen und Fachleute für Schönheitsfragen einzubeziehen. Denn sie konnten die Schönheitsideale amerikanischer Lesart mit den Problemen, dem Aussehen und den Wünschen ihrer weiblichen Landsleute in Übereinstimmung bringen. Produktvorführungen und Beratungsgespräche von Frau zu Frau hatten das Wachstum der US-amerikanischen Schönheitsindustrie nach 1900 deutlich beschleunigt. Frauen im Gebrauch von Kosmetika zu unterweisen, das Schminken wie ein Rital zu zelebrieren und Schönheitspflegemittel in der Öffentlichkeit vorzustellen, waren genauso entscheidend für die Entwicklung der amerikanischen Schönheitskultur wie bestimmte Schönheitsideale in Werbung und Massenmedien zu verbreiten.
US-amerikanische Firmen setzten ähnliche Techniken auch im Ausland ein. Max Factor verließ sich beim Verkauf seiner Produkte nicht alleine auf das starke Image der Hollywood-Stars, sondern organisierte auch “Kurse in der Kunst des Schminkens”, praktische Vorführungen, die Frauen scharenweise in die Kaufhäuser und Drogerien von Havanna, Medellin, Bangkok und anderen Städten lockten. Ein Fotoalbum der Firma aus der Mitte der vierziger Jahre zeigt tadellos aufgemachte einheimische Vorführdamen beim Auftragen von Gesichtscreme und Lippenstift, während sich die Kundinnen vor den Verkaufstheken drängen. Diese Verkäuferinnen hatten keineswegs die helle Hautfarbe oder die westlichen Gesichtszüge der amerikanischen Filmschauspielerinnen, brachten aber ihre Identifizierung mit den Hollywood-Größen durch unmissverständliche Signale zum Ausdruck: Augenbrauen mit scharfen, gebogenen Konturen, stark geschminkte Augenlider, wohlgeformte, dunkle Lippen. Ihr Selbstverständnis als Schauspielerinnen, die eine Rolle ausfüllen, ist geradezu fühlbar. Als Mittlerinnen zwischen einer weit entfernten US-amerikanischen Firma und den Frauen am jeweiligen Ort demonstrierten die Leiterinnen dieser Schminkkurse, dass das westliche Schönheitsideal als solches zwar nicht erreichbar, dass es jedoch durchaus möglich sei, die Aura amerikanischen Glamours um sich zu verbreiten - und zwar, indem man importierte Kosmetika verwendete.
Mit ähnlichen Methoden entwickelte sich Avon zu einer der erfolgreichsten internationalen Kosmetikfirmen. Sie setzt lokales Verkaufspersonal ein, das örtliche Gewohnheiten und Anliegen anspricht und gleichzeitig Träume von amerikanischer Schönheit bedient. In den Vereinigten Staaten selbst nutzte Avon die Methode der Haustürverkäufe, um sich über ihren - zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts hauptsächlich ländlichen - Kundenstamm hinaus zu entwickeln. Neue Zielgebiete waren zunächst die US-amerikanischen Städte, und dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, die Vorstädte. Das Unternehmen blickt auf zwei internationale Expansionswellen zurück: In der ersten, von den späten fünfziger Jahren bis zum Beginn der siebziger, gründete es in Lateinamerika, Europa und Australien hundertprozentige Tochtergesellschaften. Die zweite Welle begann nach 1990, als es Märkte im postkommunistischen Osteuropa und in Russland sowie in Südamerika und in Asien erschloss.
Die internationale Avon Lady, deren Image der Konzern in den fünfziger Jahren aufbaute, hatte mit dem amerikanischen Frauenideal vieles gemeinsam: Sie war voller Energie, aus sich selbst heraus motiviert, verfügte über einen guten Ruf, und sie machte einen gepflegten Eindruck. Aber sie sollte sich auch in die Lebenswelt der Frauen, denen sie ihre Produkte anbot, hineinversetzen können. Dazu musste sie in der Lage sein, die Kundinnen in deren Sprache anzusprechen. “Viele komplexe Faktoren - dazu gehören die Sprache, Gewohnheiten, Überlieferungen, der Lebensstandard, der kulturelle Hintergrund, die industrielle Entwicklung, besondere Empfindlichkeiten und der Nationalismus - machen jeden Absatzbezirk zu einem Sonderfall.” Die US-amerikanischen Manager bei Avon nahmen das zur Kenntnis und stellten sich darauf ein, dass sich die Menschen an jedem Ort der Welt als einzigartig und besonders sehen, und dass sie ein Verkaufsumfeld erwarten, das auf diese Wahrnehmung ihrer selbst eingeht. Genauso wichtig war die Überzeugung der lokalen Vertreterinnen, dass sie mit ihrem einmaligen Standortvorteil eben diese Besonderheiten am besten berücksichtigen können. Gleichzeitig verband man dieses betonte Eingehen auf Verbraucherwünsche - das in der Eigenwerbung zum Credo erhoben und durch die Gebietsverkäuferinnen praktisch umgesetzt wurde - mit dem amerikanischen Schönheitsbild, mit wirtschaftlichen Zielvorstellungen, ja sogar mit der Freiheitsidee.
Frauen in vielen Ländern verbinden die amerikanische Schönheitskultur heute sehr direkt mit wirtschaftlichen Chancen und Modernisierung, obwohl sie ein Frauenbild präsentiert, das oft schwer nachzuahmen ist. In der chinesischen Provinz Guangdong, die eine der Speerspitzen der Revolution zur freien Marktwirtschaft in China ist, verkaufen Frauen Avon-Kosmetika an Verbraucherinnen der Mittelschicht. Für diese Zielgruppe sind die in den USA hergestellten Produkte der Inbegriff von Urbanität und Raffinesse. In den Bergbausiedlungen und in den Uferstädten des Amazonasgebietes geben Brasilianerinnen ihre traditionellen Tätigkeiten auf und werden stattdessen Avon-Verkäuferinnen. Dabei akzeptieren sie oftmals Lebensmittel, Goldkrümchen oder Dienstleistungen als Bezahlung anstelle von Geld. Diese Frauen wissen es zu schätzen, von patriarchaler Bevormundung befreit zu sein und genießen die höhere Selbstachtung, die mit einer Verkaufstätigkeit verbunden ist. In Thailand gelten junge Frauen, die als Verkäuferinnen für Avon- und Amway-Kosmetika tätig sind, als Vorhut der Moderne. Ihr unabhängiges Einkommen definiert ihre Stellung in Familie und Verwandtschaft neu. Darüber hinaus verbindet die Arbeit für einen multinationalen Konzern die Frauen mit der Welt außerhalb ihrer lokalen Gemeinschaft. Sie umgeben sich mit Symbolen einer erfolgreichen Welt, sie haben die Möglichkeit zu reisen und andere Geschäftsfrauen zu treffen.
Die weltweite Vermarktung der Schönheitskultur der Vereinigten Staaten hat aber auch Auswirkungen, die Besorgnis erregend sind. Zum Beispiel haben US-amerikanische Firmen mit aggressiver Werbung Hautbleichcremes an afrikanische und asiatische Frauen verkauft. Die Werbung suggeriert, dass der Gebrauch dieser Produkte den Körper “westlicher” erscheinen lässt. Eine hellere Haut soll die gesellschaftlichen Aufstiegschancen verbessern, denn blassere Frauen sollen für Männer mit höherem Sozialstatus attraktiver sein.
Paradoxerweise waren es Afrikanerinnen, Einwanderinnen und Touristinnen, die in den USA einen informellen transatlantischen Handel mit Hautaufhellern und anderen Kosmetika angekurbelt haben. Denn nur dort gibt es die Produkte, die für die Verbrauchergruppe der schwarzen Amerikanerinnen entwickelt wurden, und die auf europäischen oder lokalen Märkten nicht ohne weiteres zu haben sind.
Die Historikerin Yvette Monga hat mit Frauen aus Kamerun über amerikanische Kosmetika gesprochen und darüber einen Artikel (“Dollars und Lippenstift: Die Vereinigten Staaten aus der Sicht von Afrikanerinnen”) geschrieben. In dem Text aus dem Jahr 2000 wird deutlich, dass der Verkauf und der Gebrauch US-amerikanischer Schönheitsprodukte nicht nur mit wirtschaftlichen Chancen assoziiert wird, sondern dass damit auch eine Vision von Wohlstand für Schwarze, Weltoffenheit und positive Erwartungen für die Zukunft verbunden werden. Obwohl sich Afrikanerinnen im Allgemeinen kritisch zur US-amerikanischen Politik gegenüber Schwarzen und anderen Minderheiten und zur dortigen Einkommensverteilung äußern, träumen sie dennoch davon, “sich durch den Anschluss an die amerikanische Kultur von der Gefahr einer geopolitischen Randstellung abzukoppeln, die über Afrika schwebt, von dem Unsichtbarkeitssyndrom, unter dem seine Einwohner leiden.”
US-amerikanische Schönheitsprodukte stehen für kulturelle Überlegenheit und sind gleichzeitig Symbole für neue Chancen und Freiheit. Auf verschiedenen Schauplätzen haben importierte Kosmetika unterschiedliche Wirkungen auf die Identität der aufstrebenden städtischen Mittelschichten besonders in Asien und Afrika. Amerikanische Schönheitsprodukte bringen einen zunehmenden Abstand der Frauen von patriarchalischen Familienstrukturen und örtlichen Traditionen zum Ausdruck, genau wie sie dazu anregen, die westlichen Schönheitsideale zu übernehmen. Wie zunächst in den heimischen Staaten hat die US-amerikanische Kosmetikindustrie aus diesen Widersprüchen später überall auf der Welt profitiert und sie deshalb gepflegt. Durch die Verbindung von ästhetischen Idealen und Schönheitsritualen mit amerikanischer Lebensweise ist es ihr gelungen, Feuchtigkeitscremes, Lippenstifte und Hautaufhellungsmittel - entgegen aller Erwartungen - zu Wahrzeichen von weiblicher Modernität und Unabhängigkeit zu machen.
aus: der überblick 04/2004, Seite 46
AUTOR(EN):
Kathy Peiss:
Kathy Peiss ist Professorin für amerikanische Geschichte an der Universität von Pennsylvania.
Ihren Artikel haben wir, leicht gekürzt und mit freundlicher Genehmigung, der Herbstausgabe
2002 der Zeitschrift Daedalus der "American Acadamy of Arts and Sciences" entnommen.