Viele Tansanier stöhnen über die hohe Zahl der Flüchtlinge in ihrem Land
In Tansania haben über eine Million Menschen Zuflucht vor Bürgerkriegen gefunden - die meisten aus Ruanda, Burundi und dem Kongo. Einige haben Land erwerben können, von dem sie nun leben. Hunderttausende aber leben in Flüchtlingslagern oder werden von bitter armen Bauern im Grenzgebiet aufgenommen. Die Klagen über die damit verbundene Belastung werden in Tansania lauter, zumal die Hilfe aus dem Ausland zurückgeht.
von Ludger Kasumuni
Die Menschen, die in Tansania nahe der Grenze zu Burundi leben, sind arm. Trotzdem müssen sie mit mittellosen Flüchtlingen teilen. Nicht nur die aus anderen Ländern nach Tansania Vertriebenen sind Opfer von Gewalt, sondern auch die Tansanier, in deren Gemeinden die Flüchtlinge ankommen, erklärt Dr. Sifuni Mchome vom Zentrum für das Studium der Zwangsmigration an der Jura-Fakultät der Universität Dar es Salaam. "Dorfbewohner berichten, dass Flüchtlinge in der Regel nachts über die Grenze kommen, um nicht von burundischen Soldaten entdeckt und zwangsweise nach Burundi zurückgebracht zu werden. Wenn sie sicher in tansanischen Dörfern angekommen sind, bitten sie um Nahrung und Wasser. Manche sind krank und brechen einfach zusammen", sagt Mchome.
Bürgerkriege sind die wesentliche Ursache dafür, dass häufig große Zahlen von Flüchtlingen nach Tansania strömen und im Aufnahmegebiet Konkurrenz um knappe Ressourcen verursachen. Seit der Unabhängigkeit hatte Tansania fast ständig ein Flüchtlingsproblem, da es von Ländern umgeben ist, aus denen zahlreiche Menschen fliehen: der Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Ruanda. Diese Länder gehören zu den afrikanischen Staaten, die in den letzten Jahren am stärksten von Bürgerkriegen betroffen waren.
Laut einem Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) hat Tansania unter allen Ländern der Erde die viertgrößte Anzahl von Flüchtlingen aufgenommen, nämlich mindestens 1,5 Millionen. Der Vertreter des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) gibt die Gesamtzahl der Flüchtlinge in Tansania mit mindestens einer Million an, davon rund 500.000 aus Burundi und rund 400.000 aus der Demokratischen Republik Kongo, die übrigen aus Somalia und Ruanda. Die Anzahl der Flüchtlinge aus Ruanda und Somalia ist jedoch in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die Regierung Tansanias erklärt allerdings, über die vom UNHCR erfassten Flüchtlinge hinaus gebe es noch weitere 477.000 aus Burundi, darunter jene, die sich seit den 1960er Jahren im Land befinden.
Da Tansania in Afrika und im Gebiet der Großen Seen das Land mit den meisten Flüchtlingen ist, haben viele Tansanier das Gefühl, dass die internationale Gemeinschaft nicht genug tut, um ihnen zu helfen. Bauern in den ländlichen Gebieten in Kigoma, der an Burundi grenzenden Region, klagen zum Beispiel über Umweltzerstörung und den Verlust von fruchtbarem Land und sagen, dass sie deshalb nicht weiter große Zahlen von Geflohenen beherbergen können. Aus Studien von Dr. Mchome über die Art, wie Flüchtlinge aufgenommen werden, geht hervor, dass Kommunen an Grenzübergängen oder in deren Nähe eine besonders schwere Last zu tragen haben. Das werde nicht gewürdigt oder aufgefangen. "Dorfbewohner müssen Flüchtlinge unter sich aufteilen. An manchen Tagen muss jeder Haushalt bis zu fünf Flüchtlinge aufnehmen", sagt Dr. Mchome. Zwar leben noch viele Flüchtlinge in Lagern und erhalten internationale Unterstützung, doch es ist sehr schwierig, ihre Bewegungen zu kontrollieren. Viele verlassen die Lager und versuchen ihre Bedürfnisse außerhalb zu decken, wo sie mit Ortsansässigen konkurrieren.
Dutzende von Gebern unterstützen unter Leitung des UNHCR die tansanische Regierung bei der Hilfe für die Flüchtlinge. Das Büro des UNHCR in Tansania wurde 1964 eingerichtet und unterstützte in den sechziger und siebziger Jahren Flüchtlinge aus Malawi, Mosambik und Südafrika. Schon damals kamen auch Flüchtlinge aus Burundi, Ruanda und Zaire (der jetzigen Demokratischen Republik Kongo). "Die Organisation hat sechs Büros im Land eingerichtet", sagt der UNHCR. Die Hauptpartner des UNHCR bei der Hilfe für Flüchtlinge sind UNICEF, das Welternährungsprogramm, das Rote Kreuz Tansania (Tansania Red Cross Society, TRCS) und das International Rescue Committee (IRC). Außerdem arbeitete der UNHCR im Jahr 2001 mit rund 20 einheimischen und internationalen nichtstaatlichen Organisationen zusammen.
Der Arbeitsansatz verändert sich: Neben der Flüchtlingshilfe bemühen sich diese Organisationen nun auch um die Unterstützung für Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen. Auch internationale humanitäre Organisationen, vor allem die Liga der Rot-Kreuz- und der Rot-Halbmond-Gesellschaften, räumen ein, dass die Hilfe für Flüchtlinge mit einem Programm zur Unterstützung der Aufnahmegemeinden Hand in Hand gehen sollte.
Bisher, so der Generalsekretär der TRCS Adam Kimbisa, haben viele Flüchtlinge Hilfe erhalten, die Einheimischen seien jedoch leer ausgegangen und in äußerster Armut geblieben. Auf einer von der TRCS organisierten Reise durch Kigoma in West-Tansania haben vier Studenten der Universität Dar es Salaam festgestellt, dass sich der Lebensstandard in Gemeinden nahe von Flüchtlingslagern verschlechtert. "Die Regierung sollte mit der TRCS zusammen soziale Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge, Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen für Dörfer in der Nähe von Flüchtlingslagern bereitstellen", sagt einer der Studenten, Daniel Kilimbiya. Die Studenten haben fünf Flüchtlingslager mit über 166.000 Flüchtlingen besucht, die Unterstützung von der TRCS erhalten.
Kimbisa erläutert, seine Organisation unterstütze Einwohner der drei Distrikte der Region Kigoma, vor allem Frauen. "Wir haben von der Amerikanischen Rot-Kreuz-Gesellschaft eine Spende von fünf Millionen US-Dollar erhalten, um dieses Projekt fünf Jahre lang zu betreiben. Hauptziel ist die Bekämpfung von Aids unter Frauen", sagt Kimbisa. Die TRCS unterstützt Flüchtlingsprogramme seit 1993, seit Tausende nach der Ermordung des burundischen Präsidenten Melchior Ndadaye nach Tansania geflohen sind.
Die tansanische Regierung erhält von Gebern Schätzungen zufolge zwischen 70 und über 100 Millionen US-Dollar im Jahr für Flüchtlingshilfe. Im vergangenen Jahr teilte der UNHCR, der über 500.000 Flüchtlinge in den Lagern unterstützt, jedoch besorgt mit, dass die Zuwendungen zurückgingen. "Wegen der Mindereinnahmen zu Anfang 2001 war der UNHCR gezwungen, die den Durchführungspartnern zur Verfügung gestellten Mittel um ein Fünftel zu kürzen", sagt ein leitender UNHCR-Mitarbeiter. Der stellvertretende Repräsentant des UNHCR in Tansania, Kai Nielsen, erklärt, dass aufgrund des akuten Geldmangels im letzten Jahr zahlreiche Tätigkeiten entweder gekürzt oder gestrichen worden sind: "Die Beschaffung von Lastwagen, Fahrzeugen, Wasseraufbereitungsgeräten, Material zur Gesundheitserziehung und einigen Medikamenten für Notfälle musste verschoben werden." Die Brennstoffzuteilungen für die Partner seien um die Hälfte gekürzt worden, und Seifenrationen wurden auf 125 Gramm pro Person und Monat halbiert.
Auch die Zentrale des UNHCR in Genf beklagt, dass die Mittel nicht zur Deckung des Bedarfs von weltweit über 21 Millionen Flüchtlingen ausreichen. Afrika ist mit über sechs Millionen Flüchtlingen der Kontinent mit der nach Asien zweitgrößten Anzahl von Geflohenen. Die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus osteuropäischen Ländern wie Kosovo, Albanien und Jugoslawien hat laut Experten ebenfalls dazu beigetragen, dass die Mittel für Flüchtlingshilfe in Afrika stark zurückgegangen sind.
Der tansanische Präsident Benjamin Mkapa erklärt, sein Land sei es leid, immer mehr Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Vor dem Parlament appellierte er Ende 2001 an die Geber, die Art der Hilfeleistung für entwurzelte Menschen, die in andere Länder fliehen, zu überdenken. Tansanias Wirtschaft sei nicht in der Lage, die zunehmende Zahl von Flüchtlingen zu versorgen. Mkapa schlug vor, die Geber sollten in Afrika die gleiche Strategie anwenden wie bei der Unterstützung für Flüchtlinge im Kosovo. In der Kosovo-Krise ist es der Europäischen Union als Hauptgeber gelungen, Flüchtlingen in ihrem eigenen Land zu helfen.
Verantwortlich für die Handhabung der Flüchtlingsfrage ist die Flüchtlingsabteilung des Innenministeriums. Die Einwanderungs- und Flüchtlingsgesetze Tansanias sehen vor, dass alle Flüchtlinge, die Asyl beantragen, überprüft werden müssen. In den Aufnahmezentren werden Asylbewerber zunächst von der Polizei auf Waffen durchsucht; gefundene Waffen werden beschlagnahmt, bevor die Flüchtlinge in ein Lager aufgenommen werden. Die Überprüfungen sind schwierig, da manche Flüchtlinge nicht über die offiziellen Grenzübergänge ins Land kommen und sich einfach unter die ansässige Ortsbevölkerung mischen.
Die Hauptsorge Tansanias ist die wachsende Unsicherheit infolge der zunehmenden Kriminalität in Flüchtlingslagern und Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen. Die Behörden in der westlichen Region beklagen, dass die hohe Konzentration von Flüchtlingen nicht nur Unsicherheit und Umweltschäden verursacht, sondern auch eine Welle von bewaffneten Raubüberfällen und Gangstertum ausgelöst hat. Im Mai letzten Jahres gab es sogar Berichte, dass es zu grenzüberschreitenden Angriffen gekommen sei, doch die tansanische Regierung hat das bestritten.
Flüchtlingsforscher meinen, internationale Unterstützung sei wegen der Eigenarten der Fluchtbewegungen nach Tansania zunehmend notwendig. "Eine der Besonderheiten des Flüchtlingsproblems in der Region der Großen Seen ist, dass Flüchtlinge in Massen kommen", sagt Dr. Mchome. Den dramatischsten Flüchtlingszustrom gab es am 24. April 1994 nach dem Völkermord in Ruanda. An einem einzigen Tag kamen 250.000 Menschen über die Grenze, und die Regierung war natürlich nicht in der Lage, ihnen sogleich zu helfen. Aus den Daten des Zentrums für das Studium der Zwangsmigration geht hervor, dass die Anzahl der Flüchtlinge in Tansania nach diesem Völkermord ihren Höchststand erreichte: Damals suchten über 800.000 ruandische Flüchtlinge Schutz in Tansania. Hunderte starben jeden Tag, vor allem Frauen und Kinder. Mit Hilfe des UNHCR begann die Regierung, die Flüchtlinge zu registrieren und in Hunderten Lagern in der Region Kagera in Nordwest-Tansania unterzubringen. Der UNHCR bezeichnet diesen Exodus als den schnellsten und größten in seiner Geschichte.
In den letzten Monaten hat es Anzeichen für einen Rückgang der Flüchtlingszahlen aus Burundi gegeben. Laut dem UNHCR haben sich rund 45.000 zur freiwilligen Rückkehr bereit erklärt. UNHCR-Sprecherin Ivana Unloova berichtet, dass seit Beginn eines Programms der freiwilligen Repatriierung im März dieses Jahres mindestens 10.000 von ihnen zurückgegangen seien - in die nördlichen Provinzen Burundis, da der südliche Teil des Landes noch unsicher sei. Im Rahmen des freiwilligen Repatriierungsprogramms werden Flüchtlinge in der Regel mit Lastwagen des UNHCR transportiert und von Vertretern der tansanischen und der burundischen Regierung sowie des UNHCR begleitet. Eine Massenrückführung von burundischen Flüchtlingen ist jedoch noch nicht möglich, da die politische Stabilität in Burundi noch nicht wiederhergestellt ist.
Wie die tansanische Regierung bittet die burundische die Staatengemeinschaft um Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Angehörige der burundischen Botschaft in Tansania teilten unlängst mit, der burundischen Regierung fehle es an ausreichenden Mitteln und Einrichtungen, um große Zahlen von im eigenen Land entwurzelten Personen sowie zurückkehrenden Flüchtlingen neu anzusiedeln. Diplomatische Quellen schätzen, dass mindestens eine Million Menschen aufgrund der Bürgerkriege im Land entwurzelt worden sind. In Burundi herrsche jedoch ein akuter Mangel an Grund und Boden.
Der tansanischen Regierung ist deshalb vorgeschlagen worden, einige der Flüchtlinge einzubürgern - vor allem solche, die schon in den sechziger und siebziger Jahren ins Land gekommen sind. Der UNHCR weist ausdrücklich auf die Option hin, burundische Flüchtlingen in Tansania zu assimilieren: "Mittel- bis langfristig hofft der UNHCR, dass die Regierung Tansanias erkennt, welche potenziellen Vorteile das für das Land haben kann", heißt es in einem UNHCR-Bericht. "Die brach liegenden Fähigkeiten der Flüchtlinge, seien es Bauern, Händler, Arbeitnehmer oder andere, müssen genutzt werden."
Die tansanische Regierung hat jedoch aus Sicherheitsgründen Bedenken, vielen Flüchtlingen die tansanische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Einmal, vor 50 Jahren, hat die damalige Kolonialregierung laut dem UNHCR rund 500 Flüchtlinge aus Burundi und Ruanda in Tansania eingebürgert. Es sind aber in den 1970er Jahren mindestens 350.000 Geflohene aus Burundi in der Region Tabora, die westlich an Kigoma anschließt, angesiedelt worden. Tausende von ihnen konnten Land erwerben. Die Staatsbürgerschaft haben sie aber nicht erhalten. Vor kurzem hat die Regierung auch einigen Grund und Boden im Distrikt Handeni im Nordosten des Landes für eine Integration von Geflohenen aus Somalia freigegeben. Auch diese sind aber nicht eingebürgert worden. Der UNHCR zählt die angesiedelten Burunder nicht mehr zu den Flüchtlingen; unter anderem deshalb gibt er eine geringere Gesamtzahl der Flüchtlinge an als die Regierung Tansanias.
Gut ausgebildete Flüchtlinge wie Lehrer, Ärzte, Ingenieure und Journalisten erhalten eine vorübergehende Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Von ihnen gibt es Hunderte; für sie kann auf Antrag unter bestimmten Umständen eine Einbürgerung erwogen werden. Vor kurzem ist jedoch der 58-jährige Jenerali Ulimwengu, der in Nordwest-Tansania geboren ist, zum Ausländer erklärt worden, weil seine Eltern beide aus Ruanda stammen. Dabei galt er als Bürger Tansanias und hatte lange Zeit hohe Ämter inne wie Distriktleiter und Mitglied des Zentralkomitees der regierenden Partei CCM. Ulimwengu, der das Medienunternehmen Habari Corporation besitzt, arbeitet jetzt auf der Grundlage einer Arbeitserlaubnis weiter.
Da Flüchtlinge - auch die Angesiedelten - nicht eingebürgert werden, dürfen sie nicht wählen oder sich als Kandidaten aufstellen lassen. In Westtansania werden häufig Wahlen angefochten, weil angeblich Personen ihre Stimmen abgegeben haben, die keine tansanischen Staatsbürger sind.
Dennoch kann die Regierung die Vermischung von Flüchtlingen und Einheimischen nicht verhindern - umso weniger, als manche Einheimische die gleiche Muttersprache sprechen wie die Flüchtlinge. So kommt es leicht zu sexuellen Kontakten und Mischehen zwischen Angehörigen der beiden Gruppen. Ein trauriger Beleg für den Austausch zwischen Flüchtlingen und der einheimischen Bevölkerung ist, dass die Zahl von HIV/AIDS-Fällen in Flüchtlingslagern und den Flüchtlinge beherbergen-den Dörfern steigt. Nach Angaben des UNHCR waren in Kigoma im Jahre 2001 40 Prozent aller Flüchtlinge im Alter von 15 bis 49 Jahren HIV-positiv. Auch in den Ortsgemeinden ist HIV weit verbreitet; nach Angaben des Tansanischen Aids-Bekämpfungsprogramms (TACP) ist jeder Fünfzehnte HIV-positiv.
Viele Kommunen sind überzeugt, dass sich das Flüchtlingsproblem nur dauerhaft lösen lässt, wenn in der Demokratischen Republik Kongo und in Burundi Frieden und politische Stabilität einkehren. Auf der UN-Generalversammlung Mitte letzten Jahres wies denn auch Außenminister Jakaya Kikwete auf die schwere Belastung hin, die die große Zahl von Flüchtlingen für Tansania bedeutet. Er appellierte an die Staatengemeinschaft, die eigentlichen Ursachen der Flüchtlingskrise in der Region der Großen Seen anzugehen, um Tansania von der Last des endlosen Zustroms von Flüchtlingen zu befreien.
aus: der überblick 02/2002, Seite 34
AUTOR(EN):
Ludger Kasumuni:
Ludger Kasumuni ist Journalist bei der "Habari Corporation" in Tansania.