Gefühlen zum Ausdruck verhelfen
Ruth Mischnick ist eine Art Grenzgängerin. Die Deutsche versucht in Indonesien beim Abbau von Feindbildern und der Bearbeitung von Traumata zu helfen.
von Bernd Ludermann
Dazu vermittelt Ruth Mischnick nicht nur Techniken des gewaltlosen Umgangs mit Konflikten, sondern setzt auch Mittel der Gestalttherapie ein und probiert Formen des Theaterspielens aus. Wenn sie davon erzählt, ist zu spüren, wie viel Freude sie daran hat, mit Betroffenen zusammen Neues auszuprobieren.
Angestellt ist Mischnick am "Zentrum für Friedensforschung und -förderung" der protestantischen Universität in Yogyakarta auf Indonesiens Hauptinsel Java. An dem 1986 gegründeten Institut arbeitet sie als EED-Fachkraft des Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Sie gehört dort in mehrerer Hinsicht zu einer Minderheit, erzählt sie schmunzelnd: Anders als ihre neun Kollegen - Psychologen, Theologen und Soziologen - ist sie katholisch, und sie ist die einzige Frau. "Das zweite ist fast schwieriger", sagt sie.
Als Christin gehört Mischnick zudem wie ihre Kollegen zu einer Minderheit im Land: Rund vier Fünftel der Indonesier sind Muslime. Konflikte zwischen Anhängern verschiedener Religionen oder Volksgruppen sind immer wieder gewaltsam ausgetragen worden, seit der langjährige Staatschef Suharto 1998 die Macht abgeben musste. Die Gründe sind vielfältig und von Fall zu Fall verschieden. So hatte unter Suharto auf einer Reihe von Inseln die staatlich geförderte Zuwanderung aus dem dicht besiedelten, muslimischen Java das Zusammenleben der Religionen aus dem Gleichgewicht gebracht oder einheimische Völker zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Auch Konkurrenz um Land oder Konflikte zwischen örtlichen Eliten begünstigten die Gewalt. Die Verlagerung von Kompetenzen aus der Hauptstadt Jakarta in die Provinzen und Gemeinden hat das in den vergangenen Jahren noch gefördert, weil nun die Kontrolle über die lokalen Staatsorgane mehr Macht und Gewinn verspricht. Der wirtschaftliche Verfall infolge der Asienkrise 1997 und unsichere Regierungen nach dem Abtritt Suhartos haben das Gewaltpotenzial weiter erhöht. Und die Polizei und das Militär haben häufig bei Gewalttaten wie der Vertreibung von Christen aus einem Ort nicht eingegriffen oder Konflikte geschürt.
Kurz, der Bedarf an gewaltloser Konfliktbearbeitung in Indonesien ist groß. Das "Zentrum für Friedensforschung und -förderung" kann hier nur einen kleinen Beitrag leisten. Es bringt seit Jahren Führer verschiedener Religionsgruppen und nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) zusammen. Seit 2001 bildet es einheimische Trainer und Trainerinnen in Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung aus und veranstaltet Workshops mit Betroffenen. An diesem Programm arbeitet Ruth Mischnick mit.
Wie ist die zierliche Frau mit den vollen dunklen Haaren dazu gekommen? Die Wurzeln liegen in ihrer Ausbildung als Juristin und Soziologin und ihrem Beruf als Scheidungsanwältin. Während des Studiums hat Mischnick sich mit Mediation im Strafrecht befasst und darüber promoviert. Mediation ist ein außergerichtliches Verfahren zur Bearbeitung von Konflikten, zum Beispiel in der Familie, am Arbeitsplatz oder zwischen Täter und Opfer einer Straftat. Die Beteiligten suchen dabei freiwillig und mit Hilfe eines dafür ausgebildeten Dritten eine Lösung für den Einzelfall. Mischnick fand es merkwürdig, wie selten die deutsche Justiz dieses Mittel anwendet. Nach dem Studium hat sie dann als Scheidungsanwältin gearbeitet. "Da dachte ich, ich bin mitten im Krieg", erzählt sie. "Man wird mit starken Emotionen konfrontiert, darf das aber nicht ausleben."
Überhaupt stieß ihr auf, dass in der Justiz die mit Konflikten verbundenen Gefühle stets verdrängt werden. Neugierig geworden, begann sie sich mit Friedenspädagogik zu befassen. Sie machte eine Ausbildung in Mediation in Österreich, arbeitete 1996/97 ein Jahr in Estland an Konflikten zwischen Esten und der russischen Minderheit und unterrichtete ein Jahr Mediation in Tokio. Hier, so erzählt sie, experimentierte sie erstmals mit dem Theaterspielen. 1998 leitete sie auf dem Balkan ein Projekt mit Traumatisierten.
Nun arbeitet sie am Friedens-Institut in Indonesien mit, wo zum einen Einheimische in Mediation ausgebildet werden. Rund zwei Drittel der Arbeit entfallen jedoch auf Workshops und Einsätze außerhalb der Universität - an Orten, wo das Zusammenleben von Gewalt belastet ist oder Konflikte gären. Wenn es um Mediation zwischen Christen und Muslimen geht, zieht das Institut auch externe muslimische Mitarbeitende heran.
Auf einer Reihe der indonesischen Inseln hat Mischnick an solchen Workshops mitgewirkt. Sie finden, so betont sie, immer auf Anfrage statt. Angefordert werden die Mediatoren von Konfliktparteien oder auch von NGOs und Organisationen der Vereinten Nationen, die im betroffenen Gebiet tätig sind. Sie zahlen dafür; daraus finanziert das Institut einen Teil seiner Arbeit. Auf die Auswahl der Teilnehmenden haben die Meditatoren keinen Einfluss - sie werden meist von den Einladenden ausgesucht.
Ruth Mischnick kommt es nicht zuletzt darauf an, dass Gegner ihre Emotionen ausdrücken. In einem Fall ließ sie zum Beispiel jede Seite einen fiktiven Konflikt aufschreiben, den die gegnerische Partei dann als Theater darstellen musste. So etwas führt häufig dazu, dass beide Seiten ihre gemeinsamen Erfahrungen als Opfer entdecken und eine Gesprächsebene geöffnet wird, versichert Mischnick. Sie gibt zu, dass das riskant sein kann. "Einmal kam es zu einer Eskalation", erzählt sie: Ein Muslim wollte einem Christen vorschreiben, wie er das Stück zu spielen hätte, und die Aggressionen schlugen hoch. Hier, so sagt sie, liegt jedoch ein Vorteil des Theaters: Es werden authentische Gefühle ausgedrückt, aber zugleich ist es ein Spiel, ein "Als-Ob". Mit dem Hinweis darauf kann man de-eskalieren. Und die Betroffenen können sich mit weniger Risiko darauf einlassen als auf eine direkte Debatte über ihre Konflikte.
Meist, so Mischnicks Erfahrung, bricht etwa zwei Jahre nach Gewaltausbrüchen die Sehnsucht nach Verständigung und Kontakt zu den Gegnern durch. Mediations-Workshops werden denn auch in der Regel nicht auf dem Höhepunkt eines Konflikts angefordert und auch selten vorher, wenn schwelende Spannungen mühsam unter der Decke gehalten werden, sondern meist erst danach.
Eine Ausnahme war ein Workshop in Süd-Sulawesi. Er fand während gewaltsamer Kämpfe zwischen christlichen und muslimischen Dörfern und Nachbarschaften in Zentral-Sulawesi statt und sollte verhindern, dass diese auf den Süden der Insel übergriffen. Je 15 Christen und Muslime nahmen teil. Aus Angst, in ein Gebiet zurückzukehren, aus dem sie vertrieben worden waren, erschienen die Christen allerdings erst am zweiten Tag. Mischnick und ihre Kollegen ließen die Teilnehmenden ihre Gefühle mimisch darstellen. "So entdeckten beide gegenseitig ihre Erfahrungen als Opfer", berichtet die Deutsche. Die zwei lokalen Organisationen - eine christlich, eine muslimisch -, die den Workshop angeregt hatten, haben inzwischen ein Netz gebildet, um sich gegenseitig bei gefährlichen Situationen zu informieren; sie werden weiter vom Zentrum für Friedensforschung begleitet.
Neben Workshops hat Mischnick ein zweites Projekt auf den Weg gebracht: die Bearbeitung von Traumata mit Hilfe des "playback-Theaters". Hierbei stellen Schauspieler auf der Bühne Geschichten dar, die ihnen aus dem Publikum zugerufen werden. Ausprobiert hat sie das bereits mit Teilnehmenden aus Sulawesi, Aceh, Ambon und den Molukken - sämtlich Inseln, wo es zu Gewaltausbrüchen gekommen ist. "Man kann davon ausgehen, dass diese Menschen traumatisiert sind", sagt Mischnick. "Und es gibt in Indonesien keine Trauma-Behandlung für sie." Doch sie bietet ihre Workshops nicht unter dem Thema Traumatisierung an, "damit das nicht vermittelt: Ihr braucht eine besondere Behandlung".
Es ist Mischnick wichtig, dass sie nicht einfach ihr Wissen importiert, sondern immer Elemente aus der einheimischen Kultur aufgegriffen hat: "Ich habe ein Jahr lang beobachtet, was in der Kultur Indonesiens Ansatzpunkte bietet", erzählt sie. Einen fand sie in der Tradition des Theaters, die sich im bekannten Schattenspiel mit Marionetten zeigt.
Warum ist es dann sinnvoll, eine Ausländerin mit dieser Arbeit zu betrauen? Ihren wichtigsten Vorteil sieht Mischnick darin, dass sie nicht im selben Maße an örtliche Konventionen gebunden ist wie Einheimische. "Ich darf Verrücktheiten tun, ohne dass es mir übel genommen wird", sagt sie und lacht über das ganze Gesicht.
Sie ist überzeugt, dass ihre Arbeit die gewaltlose Konfliktbearbeitung fördert, indem sie zum Beispiel den Friedensbereiten verfeindeter Seiten hilft, Kontakt aufzubauen. Und die sind nach ihrer Erfahrung die große Mehrheit: "Auf Ambon wollten 95 Prozent der Bevölkerung Frieden, und die restlichen 5 Prozent haben ihn verhindert", sagt Mischnick. Hier liegt allerdings auch die Grenze ihrer Methode: An die Friedensgegner, so räumt sie ein, kommt man so nicht heran. Leute an den Hebeln der Macht, die Konflikte schüren, benutzen oder davon profitieren, kommen nicht zu den Workshops.
Dass man die Wirkung solcher Einsätze des ZFD messen kann, bezweifelt Mischnick. Bei einer Arbeitsweise, die vom Experiment und dem Ausdruck der Emotionen lebt, kann das nicht überraschen. Die Folgen sind kaum planbar und teilweise so langfristig, dass man nach einem Workshop schwer sagen kann, wo er Gewalt verhütet.
Doch dass ihre Arbeit nützlich ist, daran hat Mischnick keinen Zweifel. Und sie empfindet sie bei aller Belastung, die der Umgang mit Hass und schrecklichen Erinnerungen bedeutet, auch für sich selbst als tief befriedigend. Zum Beispiel wenn die Teilnehmenden eines Kurses ihre Gefühle körperlich ausdrücken und durch das gemeinsame Spielen gleichzeitig Vertrauen unter ihnen wächst. "Es ist eine wunderbare Erfahrung zu sehen, wie Menschen sich so von ihren Traumata befreien", erzählt sie, "wie sie trauern und dann abends singen."
Ruth Mischnick ist per E-Mail zu erreichen unter rmischnick@ukdw.ac.id.
aus: der überblick 02/2003, Seite 113
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".