Palette statt Pinzette
Hautpflege hat immer Konjunktur, das Geschäft mit der Schönheit trotzt jeder Wirtschaftsflaute. Selbst in Weltregionen mit geringem Einkommen wächst die Bereitschaft, Hautpflegemittel und Kosmetika von international bekannten Herstellern zu kaufen. Zu den erfolgreichsten Hautpflegemarken zählt “Nivea”, hergestellt wird sie von der “Beiersdorf AG”. Ein Hamburger Apotheker mischte 1911 erstmals die Creme zusammen. Seitdem ist sie für viele Menschen zum Klassiker unter den Pflegeprodukten geworden. Allein im Jahr 2003 gingen 65 Millionen blaue Dosen in alle Welt, berichtet Konzernsprecher Klaus-Peter Nebel. Die Fragen stellten Renate Giesler und Renate Wilke-Launer
Als “Mutter aller Cremes” ist Nivea vielen raffinierten Töchtern auch heute noch überlegen. Haben Sie die besten Werbepsychologen unter Vertrag?
Wenn Sie von einer Creme Pickel bekommen, helfen die ganzen schönen Werbesprüche nichts mehr. Die Grundlage ist also Qualität. Nivea war die erste “Wasser in Öl”-Emulsion überhaupt, deshalb die Bezeichnung “Mutter aller Cremes”. Hautärzte bescheinigen ihr, dass sie den Feuchtigkeitsverlust der Epidermis stoppt. Wir geben über 100 Millionen Euro pro Jahr für Forschung und Entwicklung aus, 650 Wissenschaftler aus aller Welt erforschen Grundlagen der Dermatologie und entwickeln neue Produkte - somit haben wir eine Chance, uns gegenüber anderen Produzenten durchzusetzen. Es gibt heute weltweit nur drei Unternehmen, die intensive Hautforschung betreiben: Das sind L’Oréal, Shiseido und wir in Hamburg.
“L’Oréal” unterhält weltweit zwölf Institute, um herauszufinden, wie die Produkte in unterschiedlichen Kulturen an die Frau und den Mann zu bringen sind. Treibt Beiersdorf auch solch einen Aufwand?
Systematisch betreiben wir in 54 Ländern der Welt Marktforschung und können für diese Länder sagen, wie stark dort Nivea als Marke ist. Im Prinzip wird die blaue Dose weltweit in dem bekannten Design vertrieben, doch es gibt immer wieder Ausreißer. In Mexiko zum Beispiel wird Nivea auch in einem großen, geriffelten Glas verkauft, das nutzen die Verbraucher später für Bleistifte oder Blumen. Wir greifen in so einem Fall nicht ein - wir lassen zu, dass Mexikaner behaupten, Nivea sei ein mexikanisches Produkt. In dieser Hinsicht reagieren wir anders als Kosmetikkonzerne aus den Vereinigten Staaten von Amerika, die sehr auf Vereinheitlichung setzen.
Der Wettbewerbsdruck ist hoch. Im Durchschnitt fließen 20 bis 25 Prozent des Umsatzes eines Unternehmens in Werbung und Absatzförderung. Wie viel geben Sie pro Jahr weltweit für derartige Maßnahmen aus?
Das ist eine Frage der Definition. Letztlich muss man alle absatzwirtschaftlichen Maßnahmen zusammen sehen, darin sind auch die verschiedensten Rabatte für die Händler enthalten. Die reine Werbung, darunter fallen die Anzeigen, liegt bei etwa zehn Prozent.
“L’Oreal” zum Beispiel setzt rund ein Fünftel seiner Produkte in Schwellen- und Entwicklungsländern ab. Sind das auch für Nivea attraktive Märkte - und welche Bevölkerungsschichten wollen Sie dort erreichen?
Asien ist auf jeden Fall ein Wachstumsmarkt. In Afrika sind wir mit eigenen Gesellschaften in Marokko, Kenia und Südafrika vertreten. Nivea ist zwar nicht teuer, in den Ländern des Südens aber ist es doch eher die Mittelschicht, die wir erreichen. Ehrlich gesagt, unsere Produkte braucht man ja nicht unbedingt zum täglichen Leben.
Welchen Anteil am Nivea-Umsatz haben denn Lateinamerika, Asien und Afrika?
Um die 15 Prozent. Im Jahr 2003 wurde Nivea Visage in Guatemala die stärkste Marke im Gesichtspflegemarkt.
Wie gehen Sie in einem Land wie Südafrika vor, sprechen Sie die 4,5 Millionen Weißen anders an als die Farbigen und die große schwarze Mehrheit?
Wir waren ja in Südafrika mit Nivea bis Ende der 90er Jahre gar nicht vertreten; wir mussten die Marke erst zurückkaufen. An dieser Stellte muss ich etwas ausholen und auf die jüdische Vergangenheit des Unternehmens eingehen: 1933, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war die Existenz des Unternehmens bedroht. Herren aus dem Vorstand, Juden, sind ins Ausland gegangen und haben Tochterunternehmen gegründet in Polen, den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, und um Nivea zu retten, wurden die Markenrechte an die Tochterfirmen verkauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber haben die Alliierten auch diese Tochterfirmen als feindliche Firmen beschlagnahmt und damit auch die Markenrechte, die dann versteigert wurden. Nivea gehörte außerhalb Deutschlands verschiedenen Personen unterschiedlicher Nationen. Peu B peu wurden dann die Rechte zurückgekauft. Erst 1998 haben wir die Markenrechte aus Polen zurück bekommen. Nun zu Ihrer Frage: Wir sprechen die Menschen so an, wie sie angesprochen werden wollen. Die Grundaussagen aber sind immer gleich.
Wie weit geht Ihre kulturbezogene Anpassung? Setzen Sie in Ihrer Werbung farbige Models ein?
Ja, das ist so. In Asien arbeiten wir zum Beispiel mit asiatischen Gesichtern und in Afrika werben wir mit afrikanischen Models. Anders ist es in Lateinamerika, da spielt das nicht so eine Rolle. Der Trend läuft ja weltweit dahin, dass Gesichter austauschbar sind. Eine schöne Frau ist auch in Asien eine schöne Frau. Wir arbeiten international mit den gleichen Bildern, die werden allerdings lokal an die regionalen Gegebenheiten angepasst. Mit einer Bikinischönheit können wir im arabischen Raum nicht werben. Wir setzten immer auf Identifikation: mit dem Girl next door (dem Mädchen von nebenan), das bei uns allerdings immer eine Spur hübscher ist.
Entwickeln Sie spezielle Produkte für die Märkte im Süden? Anders gefragt: Kann es überhaupt eine Creme geben, die sowohl hell- als auch dunkelhäutige Menschen gut vertragen?
Die klassische Nivea-Creme enthält überall auf der Welt die gleichen Substanzen. Es sei denn, gesetzliche Bestimmungen in den einzelnen Ländern lassen bestimmte Stoffe nicht zu. Die weiße und die schwarze Hautstruktur sind ja nicht grundlegend anders. Es besteht aber ein Unterschied im Pigmentsystem der Haut. Die Melanozyten, die für die Pigmentbildung und damit für die Farbe verantwortlich sind, produzieren bei Schwarzen wesentlich mehr Pigmente. Während das Melanin bei Weißen nicht bis zur Hautoberfläche dringt, ist es bei Farbigen auch in der obersten Hautschicht zu finden. Je mehr Pigment sich in der Haut befindet, umso anfälliger ist man für Pigmentstörungen. Die Idee, Produkte für dunklere Haut auf den Markt zu bringen, ist nicht neu. Vor etwa zehn Jahren haben wir die Whitening-Creme entwickelt für Menschen, die gern eine hellere, leichter zu schminkende Haut haben möchten.
Gehen Sie bei diesem Produkt ähnlich aggressiv vor wie Ihre amerikanische Konkurrenz, die Asiatinnen und Afrikanerinnen weißmachen will, bei regelmäßiger Anwendung von Hautaufhellern bald wie westliche Frauen auszusehen und somit als Hellhäutige attraktiver zu sein für Männer der Oberschicht?
Aggressive Kampagnen werden Sie bei uns nicht finden. Es nutzt auf Dauer auch nichts, dem Verbraucher ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen. Er emanzipiert sich - und schon ist er weg. Wichtig ist, Bedürfnisse zu erkennen und die dann zu befriedigen. In Thailand und anderen Ländern Asiens gilt - anders als in Deutschland, wo trotz Warnungen der Dermatologen braungebrannte Haut noch immer als besonders schön bewertet wird - die Blässe als Zeichen natürlicher Schönheit. Dementsprechend wird dort Nivea Visage Whitening stark nachgefragt, weit mehr als in Afrika. Mit dieser Entwicklung leisten wir lokale Anpassung. Es gibt noch eine Neuentwicklung: Wir haben speziell für dunkelhäutige Menschen Nivea Body Natural Colour Protection entwickelt. Seit 2003 sind Creme und Lotion, die für einen gleichmäßigen Hautton sorgen, in Südafrika auf dem Markt. Das Pigmentsystem im positiven Sinne zu beeinflussen, ist keine leichte Aufgabe. Es ist uns mit dem Extrakt Licorice (Süßholz, die Red.) und einer gezielt angepassten Lichtfilterkombination gelungen, die Pigmentierung der Haut vor weiteren Schäden zu schützen.
Hat das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren einmal einen Flop erlebt, was die Eroberung neuer Märkte im Süden betrifft?
Mir ist keiner bekannt. Wir gehen aber auch keine Risiken ein. Afrika wäre eher ein Risiko, weil es an Kaufkraft in der breiten Bevölkerung fehlt. Deshalb sind wir auch “nur” in Südafrika, Kenia und Marokko mit eigenen Gesellschaften vertreten und bedienen von dort aus den gesamten Kontinent.
Verteilen Sie auch Proben in den südlichen Ländern?
Mit Proben arbeiten wir wenig. Wir legen schon einmal einer Zeitschrift eine Probe bei oder hängen eine Spülung an ein Shampoo, aber das ist ein teures Geschäft. In erster Linie sind das Maßnahmen bei Ländern mit hoher Kaufkraft.
In Europa kommt in der Werbung jetzt stärker die Generation der über 50-Jährigen ins Blickfeld. Denken Sie auch über eine besondere Ansprache für ältere Menschen in Asien nach?
Wir haben Nivea-Vital für diese Zielgruppe entwickelt und waren die ersten, die mit einem älteren Model in der Kosmetik auf den Markt gegangen sind. Es gibt Gewissheiten, die dann doch keine sind. Hier in Europa ging man lange davon aus, dass Frauen nicht mit ihrem realen Alter angesprochen werden möchten. Das stimmt einfach nicht. Der Erfolg unserer Kommunikationsstrategie für die Pflegeserie Nivea-Vital bestätigt das. Es gibt kulturelle Unterschiede. In südeuropäischen Ländern war es nicht möglich, mit einer weißhaarigen Frau für diese Creme für die reife Haut zu werben.
Wie steht es mit den Männern dieser Welt als Zielgruppe für Hautcreme?
Es ist doch so, dass die südlichen Männer wesentlich pflegebewusster und pflegeorientierter sind als Männer in Deutschland. Sie bekennen sich auch dazu. Bei uns herrscht noch eine versteckte Kernseifen-Ideologie. Gesichtscreme für Männer ist ein kleiner Markt, aber einer, der sehr stark wächst.
Stichwort Vertrieb. Überlegen Sie, Schönheitssalons in Ländern des Südens zu eröffnen, die exklusiv Nivea-Produkte verkaufen?
Beiersdorf macht ungern Kleinkram. Unser Motto für Nivea ist: Palette statt Pinzette. Nur so können wir günstige Preise halten. Schönheitssalons wären also eher Pinzette. Etwas anderes ist es natürlich, Vertriebssysteme aufzuziehen, die das Gesamtsortiment von Nivea führen. In Deutschland gibt es bereits elf Nivea Shops in Kaufhäusern, die diesem Prinzip folgen. Unsere Tochtergesellschaft in Bolivien hat im März 2004 den ersten Nivea-Store am Flughafen von Cochabamba eröffnet. Ziel ist, einen direkten Kontakt zum Verbraucher herzustellen und professionelle Beratung in punkto Hautpflege zu bieten. Übrigens, Nivea ist seit den fünfziger Jahren die Hautpflegemarke Nummer eins in Bolivien.
Beiersdorf AGEmulsion macht MillionenZum Umsatz des Unternehmens von 4,7 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2003 trug die Sparte Kosmetik und medizinische Körperpflegeprodukte den Löwenanteil von 3,1 Milliarden Euro bei, erst mit großem Abstand gefolgt von medizinischen Produkten mit 0,84 Milliarden und Tesa mit 0,7 Milliarden Euro. Das Geschäftsergebnis für das Jahr 2003 belief sich für die Sparte “Kosmed” auf 440 Millionen Euro. Die Sparte “Medical” brachte es auf 45 Millionen und Tesa auf 35 Millionen Euro. |
aus: der überblick 04/2004, Seite 58