Nachhaltig oder erschwinglich?
Die Krankenhäuser der lutherischen Kirche Tansanias müssen mit dauernder Auslandshilfe am Leben gehalten werden. Diese Hilfe kommt aber nicht in erster Linie der Mehrheit der Armen zugute. Die Frage, ob man sie einstellen soll, führt jedoch in ein Dilemma, und verschiedene kirchliche Werke beantworten sie unterschiedlich.
von Steffen Fleßa
Das Gesundheitswesen in Tansania ist in einer Krise, welche die Existenz aller modernen Gesundheitsdienste gefährdet. Die Kosten der Gesundheitsdienstleistungen steigen, während gleichzeitig die Fähigkeit der Bevölkerung, für diese Dienste zu bezahlen, ständig abnimmt. Neue Krankheiten, besonders AIDS, und das hohe Bevölkerungswachstum erfordern Investitionen, während die Bausubstanz der meisten Krankenhäuser immer mehr verfällt. Gesundheitseinrichtungen, die ihre Bauten und Geräte erhalten und ihre Mitarbeiter fördern möchten, müssen hohe Gebühren verlangen und schließen damit arme Bevölkerungsgruppen aus. Nachhaltigkeit und Erschwinglichkeit des Gesundheitswesens sind scheinbar nicht zu vereinbaren.
Dieser Zielkonflikt ist auch das Problem des Krankenhauswesens der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT). Ihr gehören etwa 6 Prozent der Bevölkerung Tansanias an, sie stellt jedoch knapp 11 Prozent der Krankenhausbetten zur Verfügung. Ihre 18 Allgemeinkrankenhäuser liegen mit wenigen Ausnahmen im ländlichen Raum. In vielen Fällen sind sie dort ohne Konkurrenz: Die Menschen in ihren Einzugsbereichen werden entweder vom lutherischen Krankenhaus versorgt, oder sie haben gar keinen Zugang zur modernen Krankenhausversorgung. Erschwingliche Krankenhausdienstleistungen entscheiden folglich über Leben und Tod.
Eine Analyse aus den Jahren 1996-97 hat gezeigt, dass die meisten Krankenhäuser ihre Kosten nicht aus Einnahmen decken können. Sie können deshalb Wartung, Renovierung und Personalfortbildung nicht finanzieren. Als Folge verfallen die Gebäude, von denen viele noch aus der Kolonialzeit oder der frühen Unabhängigkeit stammen; alte Anlagen werden nicht ersetzt, und das gute Personal verlässt frustriert die Einrichtungen. Dabei werden bereits fast 70 Prozent der Gesamtkosten aus Auslandszuschüssen gedeckt. Die Missionswerke, die traditionell mit der ELCT zusammenarbeiten, und auch Werke kirchlicher Entwicklungshilfe wie Brot für die Welt und der EED haben in der Vergangenheit das Gesundheitswesen dieser Kirche in Millionenhöhe unterstützt. Zum Teil wurden damit jedoch Strukturen geschaffen, die aus landeseigenen Mitteln gar nicht erhalten werden können.
Der Lebenszyklus eines typischen Krankenhauses der ELCT verläuft folgendermaßen: In der Aufbauphase fließt reichlich Geld aus der kirchlichen Entwicklungshilfe, so dass die Leistungsfähigkeit ständig erhöht werden kann. In den ersten Jahren danach werden die Institutionen weiterhin finanziell unterstützt, so dass das hohe Niveau erhalten bleibt. Nach Auslaufen aller Förderungen nimmt die Leistungsfähigkeit jedoch stetig ab, bis sie ein Niveau erreicht hat, das aus lokalen Mitteln finanziert werden kann. In der Regel ist die Qualität der Krankenhausleistungen in dieser Phase jedoch so schlecht, dass die Bevölkerung nicht bereit ist, dafür zu bezahlen: Die Krankenhausbauten sind jenseits ihrer technischen Lebensdauer, die Geräte unbrauchbar, die Fahrzeuge ohne Räder. Es fehlen Matratzen und Medikamente, und das Personal ist völlig unmotiviert.
Bis in die siebziger Jahre wurde dieses Problem scheinbar dadurch gelöst, dass am Ende der Abbauphase erneut Finanzhilfe aus dem Ausland kam, so dass das Krankenhaus renoviert werden konnte. Meistens wurde auch Geld für Personal, Fahrzeuge und medizinische Geräte bereitgestellt. Diese zyklische Finanzierung kirchlicher Krankenhäuser von außen führt dazu, dass Patienten während der Aufbau- und Abbauphase schlechtere Leistungen erhalten als Patienten, die während der Konsolidierungsphase behandelt werden. Dies widerspricht dem christlichen Gerechtigkeitsverständnis. Die kirchliche Entwicklungshilfe ist zudem immer seltener in der Lage, komplette Krankenhausrehabilitierungsprogramme zu finanzieren. Auch die Bereitschaft dazu sinkt, da erkannt worden ist, dass dies keine nachhaltige Hilfe darstellt. Die Fähigkeit der Missionswerke, diese Erkenntnis in die Bewilligungspolitik umzusetzen, scheint allerdings gering.
Die Führung der ELCT diskutiert derzeit, ob die Gebühren stark angehoben werden sollen, um Einnahmen für die Deckung der Wartungskosten, der Abschreibungen und der Fortbildung zu erzielen. Derzeit werden knapp 30 Prozent der Kosten aus Patientengebühren gedeckt. Ohne Gebührenerhöhung verfallen die Gesundheitsdienste immer mehr, was langfristig zur völligen Auflösung der lutherischen Krankenhäuser in Tansania führen wird. Aber es ist nicht möglich, die Gebühren spürbar zu erhöhen, ohne Armutsgruppen auszuschließen.
Eine Analyse der Einzugsbereiche der Krankenhäuser zeigt allerdings, dass schon heute mehr als die Hälfte von ihnen die ursprüngliche Aufgabe der Versorgung der Bevölkerung in den Einzugsbereichen verloren hat. Einige sind zu Elitekliniken für die Reichen geworden, einige aufgrund von Qualitätsmängeln praktisch ohne Bedeutung für die Bevölkerung. Nachweislich führt eine Erhöhung der Gebühren zu weniger Nachfrage. Da das nächste andere Krankenhaus oft unerreichbar ist, bedeutet das: Gebührenerhöhungen führen dazu, dass Menschen leiden und sterben. Das lutherische Gesundheitswesen war also 1996-97 in der Situation, weder das Ziel Nachhaltigkeit noch das Ziel Erschwinglichkeit für Alle zu erreichen.
Die Führung der ELCT hat die Probleme analysiert und verarbeitet. Dieser Prozess war schmerzhaft. Man musste sich erstens eingestehen, dass die lutherischen Krankenhäuser im Durchschnitt fast zu 70 Prozent vom Ausland abhängig waren. Zweitens musste man verarbeiten, dass "der Stolz unserer Kirche" - so ein Bischof - in Wahrheit mehr der Ober- und Mittelschicht als den Armen half. Und schließlich erforderte es Mut, ungenutzte Kapazitäten abzubauen und damit auch Personal zu entlassen. Trotzdem hat die ELCT als strategische Planung der Gesundheitsarbeit das Managed Care Programme verabschiedet. Es enthält Schritte zur Verbesserung des Managements, einen Fahrplan zum Abbau überflüssiger Betten und die Einführung einer Krankenversicherung (vgl. Forum im "überblick" 1/01). Die Umsetzung kommt langsam in Gang.
Das Managed Care Programme konzentriert sich weiter auf die lutherischen Krankenhäuser. Sie sind jedoch nur ein Element der Gesundheitsversorgung. Der Staat Tansania, andere Kirchen und auch private Träger betreiben Krankenhäuser. Die Kooperation der lutherischen Hospitäler mit diesen Einrichtungen ist in der Regel auch dann relativ gering, wenn sie nahe beieinander liegen. Von größerer Bedeutung für die medizinisch-pflegerische Betreuung als die Krankenhäuser sind jedoch die Gesundheitszentren (Ambulatorien mit wenigen Betten), Dispensarien (Ambulatorien ohne Betten), Dorfgesundheitshelfer und traditionellen Heiler. Die ELCT betreibt bislang nur verhältnismäßig wenige Einrichtungen dieser unteren Ebenen und hat wenig Kooperationsprojekte mit ihnen. Das Managed Care Programme verstärkt diese Tendenz.
Eine enge Zusammenarbeit aller Gesundheitseinrichtungen in einem Distrikt könnte die Versorgung der Bevölkerung verbessern. Dadurch könnten auch die Finanzströme aus den unterschiedlichen Quellen gebündelt und in die Tätigkeiten geleitet werden, die am wirkungsvollsten die Gesundheit verbessern. Diesem Ansatz folgt das basket funding: Die Geber füllen einen gemeinsamen "Korb", aus dem dann gemäß der Prioritäten des jeweiligen Distrikts die einzelnen Dienste finanziert werden können. Auf diese Grundlage der Finanzierung des Distriktgesundheitswesens haben sich namhafte Geberorganisationen - darunter der EED und Brot für die Welt - sowie die tansanische Regierung geeinigt. Auch die Christian Social Services Commission als Dachorganisation der christlichen Sozialdienste in Tansania unterstützt dieses Verfahren. (Der EED hat die CSSC unterstützt, die das Verfahren mit entwickelt hat. Er und Brot für die Welt zahlen aber nichts in den Korb ein, da dies eine Art Zuschuss zum Budget von Behörden ist statt an nichtstaatliche Partner; Anm. d. Red.)
Das basket funding ist ein völlig neuer Abschnitt in der Finanzierung von Gesundheitsdiensten. Hier werden nicht künstlich neue Strukturen geschaffen, sondern das bestehende Distriktgesundheitswesen gestärkt. Zwar fehlt in vielen Distrikten noch qualifiziertes Personal, um das Geld zu verwalten, aber die Ausrichtung an den Bedürfnissen der armen Bevölkerungsmehrheit kann bereits festgestellt werden. Auch die ELCT erhält Zuschüsse aus dem Korb, ohne allerdings ihre eigenen Finanzströme darin einfließen zu lassen. Ein großes Problem sind hier kirchliche Partnerschaftsgruppen und Missionswerke, die außerhalb des Korbes weiterhin Strukturen aufbauen, die auf Dauer nicht zu tragen sind. Es ist nicht zu verantworten, wenn eine Partnerschaftsgruppe ein Gesundheitszentrum an einem falschen Standort aufbaut und anschließend die deshalb viel zu hohen Betriebskosten aus dem Korb finanziert werden müssen.
Das Krankenhauswesen der ELCT ist ein Musterbeispiel für einen Zielkonflikt, der kaum gelöst werden kann. Tansania kann seine Dispensarien und Gesundheitszentren aus eigenen Mitteln tragen, Krankenhäuser sind jedoch nicht für die Armen erschwinglich und zugleich nachhaltig zu betreiben. Angesichts der knappen Mittel für das Gesundheitswesen muss eine Rationierungsentscheidung getroffen werden: Soll das Geld in einige Krankenhäuser fließen, die wenigen helfen, oder in Basisgesundheitsdienste, die große Bevölkerungsgruppen versorgen? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen, aber sie tut weh. Sie hat tödliche Konsequenzen, weil beispielsweise Dialysepatienten und viele Krebspatienten in Tansania nicht überleben würden, wenn die Mittel für das Gesundheitswesen rational zugeteilt würden. Sie würden sterben - und Tausende andere, die bislang keine Chance haben, statt ihrer leben.
Das Dilemma des Krankenhauswesens der ELCT - Nachhaltigkeit oder Erschwinglichkeit - spiegelt das große Dilemma der Entwicklungshilfe: Sie möchte den Menschen heute helfen und schafft damit Strukturen, die wegen ihrer hohen Kosten die Versorgung in Zukunft in Frage stellen. Die kirchliche Entwicklungshilfe möchte den Nächsten lieben und vergisst zu leicht den Übernächsten der kommenden Generation. Ganz lösen kann man diesen Konflikt nicht. Aber die mutige Entscheidung einiger Träger der kirchlichen Entwicklungshilfe, nur noch soziale Grunddienste und keine prestigeträchtigen Krankenhäuser mehr zu fördern, ist ein Schritt in die richtige Richtung: die Armen heute zu unterstützen, ohne die nächste Generation zu betrügen.
aus: der überblick 02/2002, Seite 118
AUTOR(EN):
Steffen Fleßa:
Steffen Fleßa war von 1990 bis 1995 und von 1996 bis 1997 als Dozent für Krankenhausbetriebslehre und als Berater des kirchlichen Gesundheitswesens in Tansania tätig. Heute lehrt er Krankenhaus-Management an der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg. Ehrenamtlich ist er unter anderem im Beirat für Internationale Programme des EED tätig.