Die Finanzierung von Wahlen und Parteien in Lateinamerika
Die Finanzierung von Parteien in allen Demokratien der Welt ist ein Einfallstor für Korruption. Jedes Land hat seine entsprechenden Skandalgeschichten. Unternehmen oder Privatpersonen leisten großzügige Spenden in der Hoffnung auf spätere wirtschaftliche Vorteile. In Lateinamerika sind die Variationen dabei besonders vielfältig. Auch wird der Vorwurf der Korruption an die jeweils andere Seite gerne als politisches Kampfmittel eingesetzt.
von Bruno Wilhelm Speck
Man muss nicht lange nach Beispielen für Parteispendenskandale suchen. In Kolumbien entging der damalige Präsident Ernesto Samper 1995 nur knapp einem Amtsenthebungsverfahren, nachdem bekannt geworden war, dass die Drogenmafia seinen Wahlkampf finanziert und dafür die Zusicherung erhalten hatte, dass es keine Auslieferungen in die USA geben werde. In Brasilien wurde im April 2006 aufgedeckt, dass Geld aus dem Landeshaushalt von Rio de Janeiro den Vorwahlkampf von Anthony Garotinho finanzierten: Das Geld wurde über den Umweg staatlicher Bezuschussung gemeinnütziger Organisationen in die Parteikasse der Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB) geleitet. Das könnte ihn die Nominierung als offizieller Präsidentschaftskandidat kosten.
Nicht immer können Amtspflichtverletzung und der Schaden für das Gemeinwohl nachgewiesen werden. Die Geheimniskrämerei um die Spenden führt bei den meisten Bürgern aber zu der Schlussfolgerung, dass es wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Bei Skandalen um die Politikfinanzierung erleidet das Ansehen der demokratischen Institutionen und der Politik auch ohne stichhaltige Beweise Schaden.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertraute man in Lateinamerika darauf, der Politikfinanzierung durch Gesetze ein Regelkorsett anlegen zu können. So wurden in vielen Ländern Obergrenzen für Spenden eingeführt, um die Abhängigkeit von Großspendern zu verhindern, etwa in Chile, Paraguay, Peru und Costa Rica. Argentinien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Guatemala und Mexiko haben versucht, die Gesamthöhe der Wahlkampfkosten festzulegen oder bestimmte Gruppen gänzlich von der Politikfinanzierung auszuschließen. So waren in Brasilien beispielsweise Spenden von Unternehmen im Wahlkampf grundsätzlich untersagt.
Doch die politische Praxis ließ sich nicht per Dekret in neue Bahnen lenken. Der Skandal um den Präsidenten Fernando Collor, der 1992 vom brasilianischen Kongress abgesetzt wurde, weil sein Wahlkampfmanager Paulo Cesar Farias ein breites Netz der Bestechung aufgebaut hatte, führte dazu, dass das rigide Verbot jeglicher Spenden seitens der Unternehmen wieder aufgehoben wurde. Brasilien war 1989 zu direkten Präsidentschaftswahlen zurückgekehrt und die hohen Wahlkampfkosten waren über Beiträge der Parteimitglieder und Kleinspenden von Freunden und Sympathisanten schlichtweg nicht mehr zu bestreiten.
Wie in vielen europäischen Ländern hat sich auch in Lateinamerika die Einsicht durchgesetzt, dass öffentliche Finanzierung von Parteien und Wahlen die Abhängigkeit der Politiker von privaten Spendern zumindest teilweise verringern kann. Der Vorreiter öffentlicher Politikfinanzierung ist Costa Rica, das Land mit der längsten demokratischen Tradition in Lateinamerika. Dort werden Parteien bereits seit den 1950er Jahren aus dem Staatssäckel finanziert. Das Wahlgericht überweist die Mittel allerdings erst nach der Wahl. Deshalb spielen Kredite von Banken oder anderen Institutionen eine wichtige Rolle, was die hehren Absichten dieser Art von Parteienfinanzierung unterläuft.
Auch andere mittelamerikanische Länder unterstützen Parteien und Kandidaten mit beachtlichen Summen. So stellen Panama und Nicaragua ein Prozent des Staatshaushalts für die Erstattung von Wahlkampfkosten zur Verfügung. In Guatemala, El Salvador und Honduras sind es zwischen ein bis zwei US-Dollar pro Stimme. So viel demokratische Überzeugung mag erstaunen, wenn man bedenkt, dass die Finanzdecke für die notwendigsten sozialen Investitionen in diesen Ländern meist zu knapp ist. Dass es dennoch möglich ist, den politischen Wettbewerb mit so hohen öffentlichen Mitteln zu subventionieren, erklärt sich aus der Tradition der politischen Eliten, den Staat als Selbstbedienungsladen anzusehen.
Die öffentlichen Mittel reichen aber dennoch nicht aus, um die Kosten des Wahlkampfes zu decken. Deshalb bemühen sich die Parteien zusätzlich um private Spender und unterlaufen damit das Ziel einer neutralen Wahlkampffinanzierung. In Mexiko liegt die öffentliche Finanzierung wenigstens erheblich über den privaten Spenden: deren Anteil ist auf etwa zehn Prozent der Gesamtfinanzierung beschränkt. In Chile und Brasilien gibt es ebenfalls Geld aus den öffentlichen Kassen. Viel wichtiger ist aber, dass die Parteien hier kostenlosen Zugang zu den elektronischen Medien bekommen. Der Ankauf zusätzlicher Werbezeiten ist untersagt. In anderen Ländern in Lateinamerika müssen die Kandidaten einen Großteil der Mittel darauf verwenden, Werbezeit einzukaufen.
Über Spenden-Obergrenzen, Verbote und öffentliche Zuschüsse werden recht kontroverse Debatten geführt werden, Transparenz dagegen wollen fast alle. Nach Reformen in den letzten Jahren sieht die Gesetzgebung in vielen Staaten vor, dass Parteien und Kandidaten der Wahlbehörde Rechnung legen, und in einigen Ländern sind diese Daten dann auch den Bürgern leicht zugänglich. Nicht selten sträubt sich aber die politische Klasse gegen diese Bestimmungen und blockiert entsprechende Reformen bereits auf dem Wege zur Gesetzgebung. So sieht das Wahlgesetz in Panama vor, dass die Rechnungslegung der Parteien ausschließlich gegenüber der Wahlbehörde erfolgt, die Bürger aber keine Einsicht nehmen können. In Chile sieht das Parteiengesetz von 2003 vor, dass Kleinspender das Recht auf vollkommene Anonymität haben, während mittelgroße Spenden an die Wahlbehörde gemeldet werden müssen. Nur Informationen über Großspenden sind auch den Bürgern zugänglich.
Eines der wohl ausgefeiltesten Systeme der Rechnungslegung über die Politikfinanzierung hat derzeit Brasilien, wo die Kandidaten ihre Einnahmen und Ausgaben beim Wahlgericht elektronisch registrieren müssen. Diese Informationen können bereits kurz nach den Wahlen von jedem Bürger auf der Webseite www.tse.gov.br abgerufen werden. Allerdings zeigte der Korruptionsskandal im letzten Jahr, dass das beste Regelwerk nichts nützt, wenn nicht auch danach verfahren wird. Die meisten Kandidaten für politische Ämter in Brasilien verheimlichen immer noch einen Gutteil ihrer Wahlkampffinanzierung, weil die Kontrolle dieser Meldepflicht sehr lasch gehandhabt wird.
Argentinien ist neben Costa Rica das einzige Land, in dem die Kandidaten die Wahlbehörden und die Bürger bereits vor dem Urnengang über ihre Einnahmen und Ausgaben informieren müssen. Der spätere Sieger der Präsidentschaftswahlen von 2003, Nestor Kirchner, erklärte aber kurz vor Ende der Wahlkampagne, zwei Pesos ausgegeben zu haben, was kaum reicht, um einen Brief zu frankieren. Diese zynische Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen zusammen mit der Tatenlosigkeit des Wahlgerichts leistet dem Politikverdruss ebenfalls Vorschuss.
In vielen Ländern Lateinamerikas ist Politikfinanzierung zu einem wichtigen Thema geworden. Es gehört mit zu den Themen der institutionellen Reformen, die heute als Voraussetzung einer Konsolidierung der Demokratie in der Region angesehen werden. Das Einwerben von Geld für den Wahlkampf ist insofern ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass heute die Machtkämpfe meist nicht mehr auf den Straßen oder gar in den Kasernen entschieden werden, sondern an den Urnen. Zwar kränkeln viele der Demokratien in Lateinamerika immer noch oder schon wieder, aber die Grundbedingungen politischen Wettbewerbs sind in den meisten Ländern weitgehend gegeben. Heute lassen sich die Lateinamerikaner nicht mehr als Stimmvieh behandeln, sie wollen von verschiedenen Kandidaten umworben werden. Und diese potenziellen Wähler anzusprechen, kostet Geld. Dieses Problem haben autokratische Regime und patriarchalische Gesellschaften kaum.
Hinzu kommt, dass die Wahlkämpfe technisch ausgefeilter und damit aufwändiger geworden sind. Das zeigt sich auch in der politischen Kommunikation, denn Werbespots in Fernsehen und Rundfunk nehmen im Wahlkampf eine wichtige Rolle ein. Die Wahlkampagnen sind längst zu einem hochprofessionellen und lukrativen Dienstleistungsmarkt in Lateinamerika geworden. Werbeagenturen, Meinungsumfrageinstitute und professionelle Wahlkampfmanager bieten ihre Dienste oft sogar über die nationalen Grenzen hinweg an. Die Firma DM9 des Brasilianers Duda Mendonca, eine der wichtigsten Figuren in dieser Branche, war im letzten Jahrzehnt auch in verschiedenen Wahlkampagnen in Argentinien und anderen Ländern aktiv.
Mittel zur Finanzierung des politischen Wettbewerbs stammen idealerweise aus von der Parteiorganisation erwirtschaftetem oder eingetriebenem Geld und Kleinspenden. Sie werden als Zeichen der gesellschaftlichen Verwurzelung des Parteiapparates betrachtet. Auch in entwickelten Demokratien decken diese Mittel jedoch nur einen Teil des Bedarfs. In Lateinamerika, wo die Parteien schlecht organisiert sind und nur über eine geringe Glaubwürdigkeit verfügen, kommt von diesen selbst kaum etwas. Und eine spendenbereite Mittelklasse gibt es auch nicht.
Den Parteien und Kandidaten bleiben deshalb nur die öffentliche Finanzierung oder Spenden von finanzkräftigen Wirtschaftsgruppen. Beide Quellen sind problematisch. Die privaten Großspender knüpfen an politische Spenden Erwartungen, die von der diffusen politischen Landschaftspflege bis zu materiellen Gegenleistungen reichen.
Mächtige Wirtschaftsunternehmen, deren Investitionen von staatlichen Entscheidungen abhängen oder welche direkte Geschäftsbeziehungen mit dem Staat unterhalten, bedienen oft mehrere konkurrierende Parteien mit Spenden. Dazu gehören vor allem Unternehmen, die öffentliche Bauaufträge ausführen oder Dienstleistungsaufgaben wahrnehmen. Auch Banken zählen zu den Großspendern.
Andere Spender, etwa aus der organisierten Kriminalität, wollen erreichen, dass die staatlichen Strafverfolgungsorgane ein Auge oder auch beide zudrücken. Auch Unternehmen, die Steuerschulden haben, können sich das Wohlwollen der politischen Klasse durch Spenden im Vorfeld sichern. Die späteren Unterlassungen bei der Eintreibung von Steuern oder der Verfolgung von Drogenkartellen sind nur schwer nachzuweisen.
Die Medien in Lateinamerika mischen sich ebenfalls oft in die Wahlen ein. Gerade in Ländern, in denen es keine pluralistische Medienlandschaft sondern monopolartige Strukturen gibt, wird die Wettbewerbschance der politischen Kontrahenten durch einseitige Berichterstattung erheblich eingeschränkt. Häufig nutzen die Medien ihre Schlüsselstellung als Werbeträger aus. In Argentinien erhalten manche Kandidaten Abschläge auf die Kosten der Werbespots im Fernsehen.
In Guatemala, wo der Mexikaner Miguel Ángel Gonzalez die Medienlandschaft dominiert, werden nicht nur die Preise sondern wird auch der Zugang zu den Medien kraft privater Entscheidungsmacht entschieden. Der Medienzar bestimmt aufgrund von Umfrageergebnissen, wie viel Werbezeit er den einzelnen Kandidaten verkaufen wird. Ein neues Wahlgesetz von 2004 sieht vor, diese Verzerrungen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im November 2007 zu vermeiden.
Eine der ältesten Formen der Verzerrung von Wahlchancen ist der einseitige Missbrauch des Staatsapparates zugunsten von Kandidaten der Regierungspartei. Als Folge der im Jahr 2005 enthüllten Schwarzgeldkonten und der Abgeordnetenbestechung in Brasilien wird der Arbeiterpartei (PT) vorgeworfen, dass sie sich indirekt über staatliche Gelder finanzierte. Dies soll über ein aufwändiges Budget für Werbeausgaben, großzügige öffentliche Aufträge an Unternehmen oder staatliche Subventionen an Organisationen geschehen sein, welche sich ihrerseits dann mit Spenden revanchierten. Auch über Zwangsabgaben von Abgeordneten und Parteimitgliedern, die Ämter in dem aufgeblähten Regierungsapparat wahrnehmen, können staatliche Haushalte indirekt abgeschöpft werden.
Dieser Gefahr suchten die meisten lateinamerikanischen Länder durch das Verbot der Wiederwahl der Regierungschefs zumindest teilweise beizukommen. Allerdings haben in den letzten zehn Jahren mehrere Staaten dieses in der Verfassung verankerte Prinzip gelockert und die Möglichkeit der Wiederwahl zumindest für eine zweite Amtsperiode eingeführt. Aufgrund dessen konnten sich Carlos Menem 1995 in Argentinien und Fernando Henrique Cardoso 1998 in Brasilien wiederwählen lassen. Auch Alvaro Uribe in Kolumbien gelang das im Mai 2006, und Venezuelas Präsident Hugo Chavez kann sich Ende des Jahres ebenfalls gute Chancen für ein weiteres Mandat ausrechnen.
Die Frage der Kontrolle der Wahl- und Parteifinanzierung wird seit geraumer Zeit auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgegriffen. Die Organisation Poder Ciudadano in Argentinien hat angesichts sehr lascher Gesetze zur Politikfinanzierung die Kandidaten bereits in den 1990er Jahren dazu aufgefordert, ihre Wahlkampffinanzierung offenzulegen. Um die Glaubwürdigkeit dieser Angaben zu überprüfen, hat die Organisation die Werbezeit im Fernsehen gemessen und die Ausgaben für diesen Posten der kommerziellen Werbung abgeschätzt. Bei vielen Kandidaten stellte sich heraus, dass diese weit über den erklärten Einnahmen rangierten.
Mehrere Organisationen haben sich auf die Medienbeobachtung während der Wahlen spezialisiert. In vielen Fällen kann so nachgewiesen werden, dass manche Kandidaten sehr viel häufiger in Werbespots zu sehen waren als andere. So hatte Oscar Arias, der die Präsidentschaftswahlen in Costa Rica Anfang 2006 nur knapp gewann, doppelt so viel für Annoncen in Radio und Fernsehen ausgegeben wie sein Gegenkandidat.
In Kolumbien hat Transparencia por Colombia ein Profil der Kandidaten angelegt, in dem die Bürger sich nicht nur über deren politische Versprechen, sondern auch über ihren bisherigen Werdegang informieren können. Außerdem wird den Parteien ein Programm zu Verfügung gestellt, mit dem sie ihre Wahlkampffinanzierung im Internet offen legen können. Transparencia Brasil analysiert seit 2002 ebenfalls die offiziellen Zahlen der Wahlkampffinanzierung. Die Organisation Etica y Transparencia in Nicaragua kritisiert seit Jahren die parteipolitisch eingefärbte Zusammensetzung des nikaraguanischen Wahlgerichtes, von dem eine unabhängige Kontrolle kaum zu erwarten ist, da die Regierungspartei laut Gesetz die Mehrheit und den Vorsitz in dieser Kontrollinstitution innehat.
Doch auch dort, wo die Gesetze eine unabhängige Kontrolle vorsehen, darf, das zeigen wiederum viele Beispiele, die Wachsamkeit von Medien und Zivilgesellschaft, nicht nachlassen.
aus: der überblick 02/2006, Seite 46
AUTOR(EN):
Bruno Wilhelm Speck
Bruno Wilhelm Speck ist Professor für Politikwissenschaften an der Landesuniversität
UNICAMP, Campinas, Brasilien. Er hat
im vergangenen Jahr zusammen mit dem Goethe-Institut
von Sao Paulo eine internationale Tagung zur
politischen Korruption veranstaltet.