Für die Schlacht kommt schnell eine Million zusammen
Fast ein Drittel der tamilischen Bevölkerung Sri Lankas ist vor dem Bürgerkrieg ins Ausland geflohen – die meisten nach Indien, Nordamerika oder Europa. Doch viele Exiltamilen, vor allem der älteren Generation, fühlen sich dem Kampf für einen eigenen tamilischen Staat verbunden. Die Rebellenbewegung LTTE hat sich auch unter der Diaspora zum Teil gewaltsam zur einzig bedeutenden Vertreterin der tamilischen Sache aufgeschwungen; sie erhält von Exiltamilen enorme Geldsummen, ohne die sie den Krieg in Sri Lanka nicht in der bisherigen Form fortsetzen könnte.
von Walter Keller
Die Befreiungstiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE), die in Sri Lanka für einen unabhängigen Tamilenstaat kämpfen, betrachten sich als legitime Vertretung des tamilischen Volkes. Sie verfügen in den von ihnen reklamierten Nordost-Gebieten der Insel über ein beachtliches Unterstützungs- und Sympathisantenpotenzial. Auch ihr Einfluss auf die etwa 700.000 Tamilen zählende Diaspora, die in verschiedenen Ländern Europas, in Nordamerika und in Indien lebt, ist groß.
Tigers oder die sinhalesische Bezeichnung Kotiya ist in Sri Lanka ein Synonym für die Kämpferinnen und Kämpfer der LTTE. Seit nunmehr 25 Jahren bemüht sich eine ständig steigende Anzahl von Regierungssoldaten vergeblich, diese Bewegung, die als eine der am besten organisierten und militärisch schlagkräftigsten Guerillaorganisationen der Welt gilt, zu besiegen. Auch einer 100.000 Mann starken indischen »Friedenstruppe«, die zwischen 1987 und 1990 im Nordosten Sri Lankas stationiert war, gelang die Wiederherstellung des Friedens auf der Insel genauso wenig wie die Zerschlagung der LTTE. 1990 zogen sich die indischen Truppen unter erheblichem Gesichtsverlust wieder aus Sri Lanka zurück. Zur Zeit stehen insgesamt etwa 200.000 Soldaten der sri-lankischen Streitkräfte einschließlich para-militärischer Einheiten schätzungsweise 10.000 bis 15.000 hoch motivierten Kadern der LTTE gegenüber.
Knapp drei Viertel der heute etwa 19 Millionen Einwohner Sri Lankas sind Sinhalesen, etwa 18 Prozent zählen zu verschiedenen tamilischen Volksgruppen, der Rest der Bevölkerung verteilt sich auf kleinere Ethnien. Nach der politischen Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Sinhalesen und Tamilen zunehmend. Weil sich die Tamilen seit dieser Zeit von der Regierung, die von der sinhalesischen Mehrheitsbevölkerung dominiert wurde, diskriminiert fühlten, nahmen die Tamil Tigers Ende der siebziger Jahre den bewaffneten Kampf für einen eigenen Staat auf; sie nannten ihn Tamil Eelam und wollten ihn im Norden und Osten der Insel etablieren. Dabei handelt es sich um Gebiete, die sie als »traditionelle Siedlungsgebiete der Tamilen« (Homelands) bezeichnen.
Die LTTE hat vor allem seit 1983 großen Zulauf aus der tamilischen Bevölkerung erhalten, nachdem im gleichen Jahr ein sinhalesischer Mob, der von Mitgliedern der damaligen Regierung der United National Party gesteuert war, pogromartige Übergriffe auf tamilische Zivilisten verübt hatte. Vorausgegangen war ein Anschlag der LTTE auf sinhalesische Soldaten, die auf der nördlichen Halbinsel Jaffna stationiert waren. Dabei hatten dreizehn Menschen den Tod gefunden.
Eng verbunden mit der Geschichte der LTTE ist Velupillai Prabakaran, der Führer der Bewegung. Für viele Tamilen ist er ein Volksheld. Die sri-lankische Regierung und andere sehen in ihm einen skrupellosen Terroristen. Prabakaran ist Ende 40 und Angehöriger der tamilischen Fischerkaste. Er engangierte sich bereits als junger Mann politisch - zunächst in der Jugendorganisation einer gemäßigten Tamilenpartei, die er aber schon bald ablehnte, weil sie auf den Parlamentarismus setzte. Seiner Meinung nach trat die Partei nicht konsequent genug für die Rechte der tamilischen Bevölkerung ein. 1972 gründete er mit einigen Gefolgsleuten die Tamil New Tigers (TNT), aus denen 1976 die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) hervorgingen. Prabakaran wurde der Kopf eines Zentralkomitees und Oberbefehlshaber des militärischen Flügels der Bewegung. Die LTTE begann zu dieser Zeit damit, die in den tamilischen Landesteilen stationierten staatlichen Streitkräfte, die sich fast ausschließlich aus der sinhalesischen Mehrheitsbevölkerung rekrutierten, durch Anschläge - so genannte hit and run-Aktionen - zu bekämpfen.
Schon bald nach der Gründung der LTTE begann im tamilischen Lager eine Zeit interner Macht- und Flügelkämpfe. Diejenigen, die Prabakarans Machtstreben im Wege standen, wurden ausgeschaltet. Die Folge war die Aufsplitterung der tamilischen Bewegung in zeitweise bis zu 30 verschiedene Gruppen, die alle für einen unabhängigen Tamilenstaat kämpften. Mitte der achtziger Jahre brachte Prabakaran seine Vision auf den Punkt und postulierte: »Die Liberation Tigers müssen die einzig rechtmäßige Vertretung des tamilischen Volkes werden.«
Wenn die LTTE auch noch weit entfernt ist von der Durchsetzung eines eigenen Tamilenstaates, so hat sie zumindest erreicht, dass sie heute in den Nordost-Gebieten Sri Lankas über beachtlichen Einfluss verfügt. Die LTTE war sogar immer wieder in der Lage, über kürzere und längere Phasen Teile dieser Gebiete zu kontrollieren. Auf der Halbinsel Jaffna gelang es ihnen zwischen 1990 und 1995, eine Parallelregierung zu etablieren, die Gesetze erließ, Gerichte einsetzte und Steuern einzog. Auch wenn es keine gesicherten Angaben über das Ausmaß der Unterstützung für die Tamil Tigers gibt, kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der im Norden und Osten lebenden tamilischen Bevölkerung zumindest mit ihnen sympathisiert und die Bewegung als notwendig ansieht, um die Diskriminierung der tamilischen Minderheit durch den von Sinhalesen dominierten Staat zu beenden.
Die Entwicklungen in Sri Lanka - der Krieg in den von Tamilen besiedelten Gebieten verbunden mit ihrem wirtschaftlichen Niedergang - haben nicht nur mehrfach riesige Ströme von Binnenflüchtlingen innerhalb der tamilischen Gemeinschaft ausgelöst. Seit Anfang der achtziger Jahre haben auch mindestens 700.000 Menschen - das sind etwa 30 Prozent der tamilischen Gesamtbevölkerung - Sri Lanka verlassen. Sie bilden in verschiedenen Ländern Europas, in Nordamerika und Indien eine starke Diaspora. Zum Beispiel leben in Indien rund 165.000 aus Sri Lanka zugewanderte Tamilen, in Kanada 200.000, in Deutschland 60.000, in Frankreich 40.000, in der Schweiz und in England je 35.000.
Obwohl die tamilische Diaspora nach außen hin immer versucht hat, ein geschlossenes Bild abzugeben, hatte sie häufig mit inneren Problemen und Streit zu kämpfen. An vorderster Stelle sind hier die Macht- und Flügelkämpfe zwischen Anhängern der LTTE und denen anderer kleinerer Gruppierungen zu nennen, die in den tamilischen Gebieten ausgebrochen sind und sich auch auf Teile der Exiltamilen übertragen haben. Ab Ende der achtziger Jahre herrschte in der tamilischen Diaspora große Feindschaft zwischen Anhängern der LTTE und denen anderer tamilischer Organisationen wie der Eelam People’s Revolutionary Liberation Front (EPRLF), der People’s Liberation Organisation of Tamileelam (PLOTE) oder der Tamil Eelam Liberation Organisation (TELO). Häufig kam es zu militanten Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Lagern, wobei Gebiete Südindiens, Toronto, London und Paris im Mittelpunkt solcher Bruderkämpfe standen.
Das Ziel der LTTE war, andere, mit ihr konkurrierende Organisationen - ähnlich wie man dies im Heimatland bereits getan hatte - auch im Ausland auszuschalten, um ihnen keine Chance zu geben, die tamilische Diaspora für andere Ziele als die der LTTE zu vereinnahmen. Damit einher gingen erpresserische Methoden, um an das Geld von Exiltamilen zu gelangen. Dieses Vorgehen wie auch der Druck auf die traditionell mit der LTTE konkurrierenden tamilischen Organisationen haben jedoch auch im Ausland in dem Maße abgenommen, wie die Dominanz der LTTE im Heimatland wuchs. Der Einfluss der LTTE auf die Diaspora kann ähnlich wie der in der tamilischen Gemeinschaft Sri Lankas zur Zeit als ungefährdet bezeichnet werden.
Studien über jüdische, eritreische, irische oder tamilische Exilanten haben gezeigt, dass der Nationalismus in der Diaspora wesentlich stärker ausgeprägt sein kann als der innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft im Heimatland. Ein wachsender Nationalismus unter Tamilen im Exil hat jedoch nicht dazu geführt, dass von diesen eine nennenswerte Anzahl ihr Gastland verlassen hätte, um sich in der Heimat der LTTE anzuschließen. Eine solche Strategie hat auch die LTTE nie ernsthaft betrieben.
Die politische Haltung und Weltsicht der Auslandstamilen wird stark von der LTTE beeinflusst. Dies geschieht unter anderem über eine Fülle tamilischer Zeitungen und Zeitschriften, die man sowohl zum Transport neuester Nachrichten aus der Heimat wie auch zu Progagandazwecken nutzt. In einigen Ländern, vor allem in Kanada, gibt es tamilisch-sprachige Radio- und Fernsehprogramme, die bei der Diaspora äußerst beliebt sind. Hinzu kommen hunderte von Seiten im Internet, die vorwiegend die Sichtweise der LTTE wiedergeben.
Zahlreiche Frontorganisationen der LTTE wie das World Tamil Movement, die International Federation of Tamils oder Tamil Aalayam sind in der Diaspora tätig und leisten entweder Lobbyarbeit im Auftrag der LTTE oder organisieren muttersprachlichen Unterricht für den im Ausland geborenen tamilischen Nachwuchs sowie kulturelle und religiöse Feste. Bei letzteren spielen zunehmend die von der LTTE selbst etablierten Gedenktage eine Rolle wie Karuppu Joolai (Schwarzer Juli - hier wird der Opfern der anti-tamilischen Pogrome des Jahres 1983 gedacht), Karum Puli Thinam (Schwarzer Tiger-Tag - hier wird des ersten Selbstmordkommandos der LTTE gedacht) oder Maaveerar Naal (der Geburtstag des LTTE-Führers Prabakaran). Solche Gedenktage finden in vielen Ländern, in denen Tamilen leben, meist an zentralen Orten statt und verzeichnen nicht selten Zulauf von mehreren zehntausend Tamilen.
Ohne regelmäßige finanzielle Unterstützung aus der Diaspora wäre die LTTE kaum in der Lage, für ihre Ziele zu kämpfen und den zunehmend teurer werdenden militärischen Apparat aufrecht zu erhalten. Was in den Anfangsjahren noch als Krieg von niedriger Intensität bezeichnet werden konnte, hat sich gerade innerhalb des vergangenen Jahrzehnts zu einem überaus kostspieligen militärischen Unternehmen der LTTE gegen die ihrerseits immer besser ausgerüsteten sri-lankischen Streitkräfte entwickelt. So ist die finanzielle Unterstützung aus der Diaspora für die LTTE von größter Wichtigkeit. Viele Tamilen spenden regelmäßig Geld für den Kampf und leisten damit einen »Solidaritätsbeitrag«. Jedoch tun dies vor allem ältere Tamilen. Allem Anschein nach sind junge Tamilen eher nicht daran interessiert, hart verdientes Geld für den Kampf der LTTE zur Verfügung zu stellen. Ein unabhängiger tamilischer Beobachter drückt es so aus: »Die jungen Tamilen in Kanada, Deutschland oder Frankreich wollen genau wie ihre Altersgenossen lieber McDonalds, Kentucky Fried Chicken und Britney Spears.«
Darüber, wie viel Geld die LTTE jährlich für ihren Kampf um Tamil Eelam, für den Kauf von Waffen und Kommunikationsmitteln oder für die Versorgung von Flüchtlingen in der Heimat akquiriert, liegen verständlicherweise keine gesicherten Angaben vor. Es dürfte sich jedoch – in US-Dollar gerechnet – jedes Jahr um eine Summe im zweistelligen Millionenbereich handeln. Die Zeitschrift Time schätzt in ihrer Ausgabe vom 29. Mai 2000 die jährliche Summe auf 60 Millionen US-Dollar (rund 132 Millionen Mark).
Die straffe Organisation der LTTE auch im Ausland versetzt sie in die Lage, in der Diaspora auch sehr kurzfristig äußerst erfolgreich Geld einzuwerben. So hat die LTTE im letzten Jahr allein innerhalb der tamilischen Gemeinschaft Torontos mit Hilfe zweier der LTTE nahe stehender Radiosender in nur drei Tagen eine Million kanadische Dollar (rund 1,43 Millionen Mark) für den Kampf um den strategisch wichtigen Elefantenpass eingangs der Halbinsel Jaffna aufgebracht.
Immer wieder wurde der LTTE vorgeworfen, sich aus Drogengeschäften zu finanzieren, die von Exiltamilen in ihrem Auftrag getätigt würden. Solche Anschuldigungen stammen zumeist aus sinhalesisch-nationalistischen Kreisen in Sri Lanka oder aus der in einigen Ländern ebenfalls starken sinhalesischen Diaspora. Gesicherte Beweise für solche Geschäfte gibt es hingegen nicht.
Die internationale Gemeinschaft hat in den letzten Jahren das Verhalten der LTTE sowohl im Heimatland als auch im Ausland verfolgt. Vor allem Terroranschläge der Tamil Tigers wie etwa Bombenanschläge im Großraum von Colombo mit Hunderten von Toten haben zu scharfer Kritik geführt und dazu beigetragen, dass die USA und Indien die LTTE als terroristische Vereinigung eingestuft und ihr jegliche Tätigkeit in den beiden Ländern untersagt haben. Im Frühjahr 2001 ist Großbritannien, nach intensivem Lobbying der sri-lankischen Regierung, als drittes Land dem Beispiel der USA und Indiens gefolgt und hat die LTTE verboten.
Dieses jüngste Verbot wiegt umso schwerer, als die LTTE in London über viele Jahre ihr wichtigstes Auslandsbüro unterhielt, dessen Einrichtung 1989 auf den früheren Kommandeur der LTTE in Jaffna, Sathasivampillai Krishnakumar (genannt Kittu), zurückgeht. Das Büro war vor allem für die Verbreitung von Information und Propaganda sowie für die Koordination zahlreicher LTTE-Aktivitäten in über 50 Ländern verantwortlich. Die Entscheidung der Briten spiegelt offensichtlich den Willen der Staatengemeinschaft wider, keinen Terror von nichtstaatlichen Gruppierungen zuzulassen.
Die LTTE hat Großbritannien vorgeworfen, mit der Entscheidung die Schuld für die Misere in Sri Lanka einseitig ihr anzulasten. Man erwarte nun stärkeren Druck auch auf die sri-lankische Regierung. Trotz ihrer heftigen Kritik an der Entscheidung Großbritanniens haben die Tamil Tigers unverzüglich ihr Londoner Büro geschlossen und bekannt gegeben, die bisher dort erfüllten Aufgaben nun aus dem von ihnen kontrollierten Vanni-Gebiet im Norden Sri Lankas wahrzunehmen. Dies dürfte ihnen deshalb möglich sein, weil sie mittlerweile im Besitz modernster Computer- und Satellitentechnik sind. Die LTTE geht sogar davon aus, dass das Büro in Vanni wegen der Nähe zur LTTE-Führungsriege effizienter arbeiten wird als das in London.
Die Entscheidung Großbritanniens hat zu einem engeren Zusammenrücken der nach wie vor nicht ganz einigen tamilischen Gemeinschaft innerhalb und außerhalb Sri Lankas und zu einer noch stärkeren Unterstützung für die LTTE geführt. Offensichtlich sind immer mehr Tamilen der Auffassung, dass ihre Rechte nur mit einer starken LTTE erreicht werden können. Dass ihnen dabei auch die Anerkennung der LTTE durch die internationale Gemeinschaft wichtig ist, zeigen Versuche, gegen das Verbot in Großbritannien anzugehen und alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten zu nutzen, um es rückgängig zu machen. Dies wäre über die Proscribed Organizations Appeal Commission möglich, bei der gegen das Verbot einer Organisation Berufung eingelegt werden kann. Beobachter schließen nicht aus, dass LTTE-Aktivisten auch den Europäischen Gerichtshof in dieser Angelegenheit anrufen werden.
Die stärker werdende Solidarität mit der LTTE bedeutet jedoch nicht, dass die Mehrheit der Tamilen innerhalb und außerhalb Sri Lankas die Fortsetzung des Krieges wünscht. Im Gegenteil: Man erwartet, dass bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der militärischen Schlagkraft der LTTE unverzüglich Gespräche zwischen LTTE und Regierung aufgenommen werden, so wie sie zur Zeit durch Vermittlung der norwegischen Regierung zu Stande kommen sollen. Dieser Erwartung der Bevölkerung entsprechend wird sich die LTTE deshalb auch an diesen Verhandlungen beteiligen. Ob sie aber bereit ist, von ihrer Forderung nach einem unabhängigen Tamilenstaat abzurücken, die für die Regierung Sri Lankas nicht diskutabel ist, bleibt eher zweifelhaft. Kaum vorstellbar ist, dass sich die LTTE auf ein Konzept einlassen wird, das unterhalb einer Konföderation zwischen Sri Lanka und den von der LTTE geforderten Gebieten eines »Tamil Eelam« angesiedelt ist.
Wenig Aussicht auf einen KompromissSeit Ende der fünfziger Jahre sind zahlreiche Versuche unternommen worden, den Konflikt zwischen Sinhalesen und Tamilen friedlich beizulegen. Sie sind bisher letztlich fehlgeschlagen. Vor der gegenwärtigen Initiative Norwegens gab es 1994 den letzten Versuch, den Bürgerkrieg zu beenden, der bisher schätzungsweise 70.000 Menschenleben gefordert hat. Damals waren Chandrika Kumaratunga zur neuen Präsidentin Sri Lankas und ihre Partei People’s Alliance zur neuen Regierungspartei gewählt worden. Frau Kumaratunga versprach ein Ende des Bürgerkrieges und nahm Verhandlungen mit der LTTE auf. Diese wurden jedoch bereits im Frühjahr 1995 wieder abgebrochen; die LTTE hatte die Regierung Sri Lankas beschuldigt, die Verhandlungen nur halbherzig zu führen, und im Hafen von Trincomalee zwei Schiffe der sri-lankischen Marine in die Luft gejagt. 1995/96 eroberte die Armee in einer Großoffensive die Stadt Jaffna sowie andere Landesteile auf der gleichnamigen Halbinsel und vertrieb die LTTE fast völlig aus diesen Gebieten. Ende 1999 und Anfang 2000 gelang den Tamil Tigers jedoch die teilweise Rückeroberung der von der Armee eingenommenen Landesteile. Im August 2000 hat die Regierung Kumaratunga einen Entwurf für eine neue Verfassung vorgelegt, die zwar klar die Einheit Sri Lankas festlegt, jedoch den Tamilen mehr Autonomie zugesteht. In der langen Geschichte des Konfliktes zwischen Sinhalesen und Tamilen hat sich die Landfrage neben der Bildungshoheit und der Sprachpolitik als wichtigster Einzelaspekt für den Versuch erwiesen, das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen per Verfassung neu zu bestimmen. Anders als die LTTE, die immer betont, sie kämpfe für die Loslösung der von Tamilen »traditionell besiedelten« Landesteile und für einen unabhängigen Tamilenstaat, wären gemäßigte Tamilen bereits zufrieden, wenn unter Wahrung der Einheit des Landes seine derzeitige Nordprovinz mit der Ostprovinz zu einer politisch-administrativen Einheit verschmolzen würde. Für diese neue Provinz fordern sie mehr Autonomie und Selbstverwaltung. Der jüngste Verfassungsentwurf der Regierung sieht jedoch vor, eine zusammengelegte Nordost-Provinz nur für die Dauer von fünf Jahren zuzulassen. Danach soll eine Volksbefragung, ein Referendum, im ethnisch gemischten Osten – hier leben, anders als im rein tamilischen Norden, jeweils etwa ein Drittel Tamilen, Sinhalesen und Muslime – letztlich über den endgültigen Status dieser Region entscheiden. Damit will die Regierung von Präsidentin Kumaratunga offensichtlich den großen Vorbehalten sinhalesischer Nationalisten entsprechen. Sinhalesisch-chauvinistische Gruppierungen und Parteien sehen in dem Verfassungsentwurf und den darin verankerten Zugeständnissen an die Tamilen eine Gefahr für die Einheit des Landes. Unterstützung finden sie bei der Mehrzahl der buddhistischen Mönche, die sich schon immer als Speerspitze im Kampf gegen Zugeständnisse an Tamilen gesehen haben. Ihre Ideologie basiert auf einer diffusen Mischung aus sinhalesisch-buddhistischem Herrschaftsdenken – »Sinhalesen waren die ersten, die sich auf der Insel niederließen« – und der Angst, eine zusammengelegte Nordost-Provinz mit einer tamilischen Mehrheit sei der Beginn der Teilung des Landes und ein großer Schritt hin zu einem eigenen Staat Tamil Eelam. Allein der Gedanke an eine Teilung der Macht zwischen den ethnischen Gruppen Sri Lankas löst bei ihnen Abwehrreaktionen aus. Von der Diskriminierung der tamilischen Minderheit wollen sie nichts wissen. Gerade den Sinhalesen, 70 Prozent der Gesamtbevölkerung, sei während der langen holländischen, portugiesischen und britischen Kolonialzeit schlimmes Unrecht widerfahren, für das sie noch keinen angemessenen Ausgleich erhalten hätten. Tamilen wurden unter der britischen Politik des Teile und Herrsche oft gegenüber Sinhalesen bevorzugt. Daher hielten sie auch nach der Unabhängigkeit des Landes noch lange einen überproportionalen Anteil an den Stellen im öffentlichen Dienst. Seit Mitte der fünfziger Jahre, als Ministerpräsident Bandaranaike mit seiner Sinhala Only-Politik begann und unter anderem die Sprache der Sinhalesen zur einzigen offiziellen Staatssprache erklärte, hat sich dieser Vorteil jedoch ins Gegenteil verkehrt. Heute beträgt der Anteil der tamilischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung 18 Prozent, an den Stellen in der öffentlichen Verwaltung aber nur noch ganze zwei Prozent. Im Militär finden sich fast keine Tamilen. Daher lehnen auch gemäßigte Tamilen den Verfassungsentwurf der Regierung Kumaratunga ab. In dem geplanten Referendum in der Ostprovinz sehen sie eine Desavouierung tamilischer Interessen. Sie fürchten, dass angesichts eines Anteils von gut 60 Prozent Sinhalesen und Muslimen an der Bevölkerung dort das Konzept einer permanent zusammengelegten Nordost-Provinz mit weitgefasster Autonomie für die tamilische Bevölkerung abgelehnt werden würde. Die LTTE bleibt bei ihrer Forderung nach einem eigenen Staat. Derzeit versucht die norwegische Regierung, zu vermitteln und beide Seiten wieder zu Verhandlungen an einen Tisch zu bekommen. Dennoch versuchte die Armee Sri Lankas Ende April, eine wichtige Stellung der LTTE am Elefantenpass im Osten der Halbinsel Jaffna zu erobern. Sie erlitt große Verluste und musste den Angriff abbrechen. Ob der Angriff die Friedensinitiative sabotieren oder aber die Verhandlungsposition der Regierung verbessern sollte, war Anfang Mai noch nicht klar. Walter Keller |
aus: der überblick 02/2001, Seite 28
AUTOR(EN):
Walter Keller:
Walter Keller ist freier Journalist und Mitarbeiter der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung. Er beschäftigt sich seit langem mit Südasien.