Nach dem Tsunami - ein Kommentar
Ist eine Urlaubsreise in die vom Tsunami betroffenen Länder ein Beitrag zur Katastrophen- und Entwicklungshilfe? So einfach ist es leider nicht. Die Ansicht, der Tourismus schaffe automatisch Einkommensmöglichkeiten für Viele und verbessere im Süden die Lebensbedingungen, ist sehr fragwürdig. Ihn nach altem Muster wieder aufzunehmen, heißt aus der Katastrophe keine Lehren zu ziehen.
von Heinz Fuchs
Die deutsche Reisebranche hat auf die Flutwelle in Südostasien und im Indischen Ozean besonnen reagiert. Dass sie sich nun in der Katastrophen- und Nothilfe engagiert, verdient Anerkennung. Auch wenn die Art, wie sie das tut, die Frage aufwirft, ob der gute Wille entwicklungspolitische Kenntnis und Erfahrung ersetzen kann. So unterhält der Deutsche Reisebüro- und Reiseveranstalterverband mit "DRV Hilfe ohne Grenzen e.V." einen eigenen Nothilfeverein. Die TUI, Europas größter Reisekonzern, unterstützt ihn zum Beispiel mit 150.000 Euro und stellt zusätzlich einer großen Hilfsorganisation für den Wiederaufbau eines Dorfes im Süden Sri Lankas 1,25 Millionen Euro zur Verfügung. Viele der 18 Millionen TUI-Gäste und der 65.000 Mitarbeitenden sollen das Projekt unterstützen: Das Unternehmen kündigt an, ihnen in Kooperation mit der erwähnten Hilfsorganisation Patenschaften für Kinder in Sri Lanka vermitteln zu wollen. Auf einer Internetseite sollen sich Paten und Förderer regelmäßig über den Stand des Dorfprojekts informieren können.
Trotz Zweifeln an dieser Art der Durchführung muss man das Engagement in der Hilfe anerkennen. Doch das ist nur die eine Seite. Die Kehrseite ist, dass die Erfahrung der Katastrophe offensichtlich ohne Einfluss auf die zukünftige Gestaltung des touristischen Kerngeschäfts bleibt. Die betroffenen Tourismus-Regionen fordern, sie jetzt nicht als Urlaubsziele zu meiden und der Naturkatastrophe nicht eine wirtschaftliche folgen zu lassen. Mit Sonderpreisen und Schnäppchen will die Reisebranche verlorenes Terrain zurückgewinnen; Hotels und Dienstleister in Asien werden ihre ohnehin knappen Margen mit spitzem Bleistift nachkalkulieren, falls ihnen überhaupt eine andere Wahl bleibt, als Abschläge zu akzeptieren.
Doch sind Reisen in die betroffenen Gebiete wirklich die beste Hilfe? Die dahinter stehende These, der Tourismus schaffe stets Einkommensmöglichkeiten für Viele und führe zur Verbesserung der Lebensbedingungen, ist - von Ausnahmen abgesehen - unhaltbar. Lang ist die Liste der Beispiele, wo Tourismus auch zur Verarmung und Marginalisierung geführt hat: Bauern haben ihr Land, Fischer den Zugang zum Strand verloren. Familien verarmten, weil ihre Einkommen mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten in Tourismusgebieten nicht Schritt halten konnten, Frauen und Kinder wurden in die Prostitution gedrängt. Und neben der gigantischen Garnelen-Industrie hat auch der Tourismus zur Vernachlässigung des Küstenschutzes, zur Zerstörung von Korallenriffen und Mangrovenwäldern und damit möglicherweise zu den verheerenden Auswirkungen der Flutwelle beigetragen.
Schneller als erwartet kommt nun das Geschäft wieder in Gang. Im Februar, als alle Reiseziele wieder angesteuert wurden, schien entschieden, dass die Branche weitermachen würde wie bisher. Zumal sich nach Erdbeben und Terroranschlägen bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Reisende schnell vergessen, wenn das Thema aus den Schlagzeilen verschwindet.
Mit einem überhasteten, unkontrollierten Wiederaufbau von Hotelzentren würden aber die Chancen für einen sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Neuanfang verwirkt. Partner des EED, wie die Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT), befürchten die unkontrollierte Erschließung neuer Tourismusressorts, speziell in Sri Lanka und den Andamanen und Nicobaren. Andere warnen vor hektischem Aktivismus und betonen, dass die einfache Bevölkerung gehört und an Entscheidungen beteiligt werden muss. Denn besonders im Aufbau der Infrastruktur liegen viele Risiken für die Armen. Wem nützen Straßen und Versorgungssysteme und wie kommen Menschen, die im informellen Tourismus-Sektor arbeiten, an wirksame Hilfe und Zukunftsperspektiven? Sorgfältige Planung und Transparenz sind gefordert, damit die Benachteiligung der Armen nicht noch zementiert wird.
Nötig ist eine langfristige Neuorientierung. Die Einbeziehung sozialer und ökologischer Prinzipen ist in der touristischen Entwicklung mehr denn je erforderlich. Dass dies möglich ist, zeigt das Beispiel Honduras, wo nach dem Hurrikan Mitch 1998 Nothilfe und Wiederaufbau mit einer klaren Entwicklungsperspektive gekoppelt wurden. Ausbildung und Arbeitsplätze wurden geschaffen und langfristige Risiken für die Umwelt verringert.
Ein wichtiger Schritt wäre, wenn die Reisebranche ihre Beschäftigten im Süden gegen zeitweise Arbeitslosigkeit absichern würde. Denn Naturkatastrophen, politische Krisen oder einzelne Gewalttaten führen neben saisonalen Gründen und veränderten Kundenpräferenzen immer wieder zu Schwankungen und Einbrüchen im touristischen Geschäft. Vom Tourismus abhängige Familien stürzt dies in Not.
Die Menschen und nicht die ökonomischen Wachstumsdaten müssen Ausgangspunkt touristischer Entwicklung sein. Sie erbringen die Dienstleistungen, sind Gastgeber und Gastgeberinnen oder suchen ihre Chancen im informellen Sektor im Umfeld des Tourismus. Der EED und seine Partner fordern daher, beim Wiederaufbau in den Tourismus-Regionen soziale und ökologische Kriterien stärker zu beachten und die lokale Bevölkerung an Planungsprozessen zu beteiligen. Nötig sind auch Qualifizierungsangebote für Benachteiligte im Reisegebiet und der Aufbau sozialer Sicherungssysteme im Tourismus.
Reiseunternehmen, die Welttourismusorganisation, Tourismusverbände und die Politik sollten die Katastrophe als Chance zum Umsteuern nutzen. Damit das geschieht, kann man den Kunden empfehlen, vor allem mit solchen Veranstaltern und dorthin zu reisen, wo die Tourismusindustrie offen legt, wie sie langfristig verantwortlich zu besseren Lebensbedingungen beitragen will. "Nachhaltiger Tourismus als Instrument der Armutsbekämpfung", wie es die Welttourismusorganisation als Ziel und Selbstverständnis proklamiert, darf sich nicht nur auf Absichtserklärungen, Kleinprojekte und touristische Nischen beziehen, sondern muss auch und vor allem im Hauptgeschäft zum Tragen kommen.
aus: der überblick 01/2005, Seite 112
AUTOR(EN):
Heinz Fuchs:
Heinz Fuchs ist Leiter der Fachstelle Ferntourismus ("Tourism Watch") des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED.