Wer beide Seiten kennt, sieht mehr
Häufig wird die Frage gestellt, ob in Entwicklungsländern mit hohen Analphabetenraten die Förderung der Hochschuldbildung nicht überflüssiger Luxus sei, ob die Gelder nicht besser in Grundbildung investiert werden müssten. Doch der akademische Austausch zwischen Ländern des Nordens und des Südens nutzt auch der Entwicklungszusammenarbeit: Im Ausland ausgebildete Fachkräfte können später eine Mittlerrolle zwischen beiden Welten spielen.
von Hanns Sylvester
Die Abschottung der Wissenschaften vom Austausch mit anderen Ländern, das hat das Beispiel Afghanistan gezeigt, kann längerfristig zum Zusammenbruch von Hochschulstrukturen führen. Ohne akademischen Austausch können Forschung und Wissenschaft nicht mit der internationalen Konkurrenz mithalten. Weil die Hochschulkontakte vernachlässigt wurden, sind afghanische Wissenschaftler - sofern sie überhaupt in ihrem Heimatland geblieben sind - hinter dem internationalen Wissensniveau zurückgeblieben.
Nicht weniger nachteilig wirkt sich aus, dass der Zugang zu modernen Informations- und Kommunikationstechnologien in vielen Entwicklungsländern unzureichend ist, ein Zustand, der als digital divide, als digitaler Graben bezeichnet wird. Wenn dadurch die Hochschulen in der Dritten Welt mehr und mehr vom internationalen Austausch der Wissenschaftler abgeschnitten sind, können sie ebenfalls nicht auf dem aktuellen Forschungsstand sein. Abgesehen davon ist in solchen Ländern häufig auch schlicht die Ausstattung mit modernen Fachbüchern und -zeitschriften völlig unzureichend.
Gleichwohl wird angesichts knapper Etats die Frage gestellt, ob die Förderung der Hochschulzusammenarbeit mit Entwicklungsländern grundsätzlich zu rechtfertigen ist. Weshalb sollte ausgerechnet der Hochschulsektor derart gefördert werden, dass die Entwicklungsländer hier auf ein internationales Niveau gebracht werden, wo doch noch nicht einmal für die Breitenbildung genug Geld zur Verfügung steht?
Während in früheren Jahren eher die Grundbildung gefördert - etwa um die Analphabetenrate zu senken - und die Hochschulzusammenarbeit vernachlässigt wurde, ist die Weltbank in ihrer Studie Constructing Knowledge Societies 2002 zu der Überzeugung gekommen, dass eine ausgewogene Förderpolitik, die Grund- bis Hochschulbildung gleichermaßen umfasst, ihre Vorzüge hat. Denn die Förderung der Grund- und Hochschulbildung bedingen einander: Für einen dauerhaften Erfolg in der Grundbildung ist man darauf angewiesen, dass die Hochschulen genügend Lehrer ausbilden. Außerdem muss man die Ergebnisse pädagogischer Forschung im Unterricht berücksichtigen und die Lehrinhalte an die regionalen und kulturellen Gegebenheiten anpassen.
Neben der Hochschulförderung wird in den Entwicklungsländern auch die Ausbildung von Fach- und Führungskräften unterstützt. Die großen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit setzen bei den Absolventen in entwicklungspolitisch relevanten Studiengängen, wie Landwirtschaft, Gesundheit oder Regionalplanung, auf lokale Fachkräfte, die sich besonders durch sprachliche und kulturelle Fähigkeiten auszeichnen.
Doch auch in anderen Fachgebieten können die Partnerländer nicht auf besonders qualifizierte Eliten verzichten: etwa bei den Prozessen der Staatenbildung, der Demokratisierung und im Hinblick auf Wirtschafts- und Staatsreformen. Hier gilt es, die Besten zu fördern und sie mit modernen Ansätzen vertraut zu machen, wie die Probleme in ihren Heimatländern gelöst werden können. An diesem Ziel arbeiten eine Vielzahl von Förderorganisationen in Deutschland und den anderen Industrieländern. Sie tun dies über die Hochschulzusammenarbeit, Stipendienvergaben und Dozenturen, Partnerschaften und Hochschulmanagement-Beratungsprojekte bis hin zu Sachmittellieferungen.
Während die Fachbereiche der Landwirtschaft, der Bio- und Geowissenschaften und der Medizin auf eine lange Tradition in der Kooperation mit Ländern in den Tropen und Subtropen zurückblicken können, wächst gegenwärtig das Interesse an der Hochschulzusammenarbeit in nahezu allen Wissenschaften. Immer mehr Disziplinen greifen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Auswirkungen des Globalisierungsprozesses in Entwicklungs- und Industrieländern als Forschungsthema auf. Denn den Krisen und Konflikten, die aus Armut, klimatischen Bedingungen oder aus der Verknappung natürlicher Ressourcen entstehen, kann nur entgegengewirkt werden, wenn Wissenschaftler aus Nord und Süd fachlich eng zusammenarbeiten, und so die Kräfte beider Seiten bündeln.
Die gezielte Förderung hat eine Vielzahl von Hochschulkooperationen zwischen Instituten in Deutschland und den Partnerländern entstehen lassen. In mehreren Fällen handelt es sich auch um Dreiecksbeziehungen, bei denen mit Hilfe der Förderung aus Deutschland die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen in verschiedenen Ländern des Südens ermöglicht wird. Mit Unterstützung etwa durch die Volkswagenstiftung oder die "Deutsche Forschungsgemeinschaft" (DFG) konnten Hochschulen im Süden gemeinsame Forschungsvorhaben zu entwicklungspolitischen Problemen verwirklichen, mit Hilfe des "Deutschen Akademischen Austausch Dienstes" (DAAD) konnten neue gemeinsame Studiengänge eingerichtet sowie neue Lehr- und Lernformen erprobt werden.
In Deutschland wird Hochschulzusammenarbeit mit Entwicklungsländern durch eine Vielzahl staatlicher und privater Organisationen unterstützt. Auch verschiedene Bundesministerien sind an der Förderung der Hochschulzusammenarbeit beteiligt. So unterstützt das "Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (BMZ) zusammen mit der "Alexander von Humboldt-Stiftung", dem DAAD oder der "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ) speziell für die Zusammenarbeit mit den Hochschulen im Süden konzipierte Programme. Weil es mehr Bedarf für solche Kooperationen gibt, aber das nötige Geld dafür aus öffentlichen Kassen immer schwerer zusammenzukratzen ist, ging man in letzter Zeit dazu über, die Partnerländer und die Wirtschaft stärker in die Finanzierung mit einzubeziehen.
Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern des Südens setzt voraus, dass Wissenschaftler aus dem Süden auch nach Deutschland kommen und hier forschen können. Während ihres Aufenthalts an den deutschen Hochschulen müssen die ausländischen Gäste intensiv betreut werden. Die deutschen Hochschul- und Wissenschaftsorganisationen vergeben Preise und fördern Betreuungsprojekte. Sie versuchen die Kundenfreundlichkeit der Ausländerbehörden, Akademischen Auslandsämter oder Internationalen Büros zu erhöhen. Davon profitieren nicht nur die von den Organisationen geförderten Studenten und Wissenschaftler, sondern auch die Selbstzahler, die auf eigener Basis in Deutschland studieren und forschen.
Seit 1999 werden die ausländischen Wissenschaftler, die ihren Studien- oder Forschungsaufenthalt in Deutschland abgeschlossen haben, intensiver betreut. Das neu aufgelegte Alumni-Programm vertieft die Zusammenarbeit zwischen den Alumni, den ehemaligen Studenten, und ihren Gasthochschulen in Deutschland. Die Gruppe der Ehemaligen bildet ein erhebliches Potenzial für die künftige Entwicklungszusammenarbeit. Denn die Alumni sind in der Lage, eine Mittlerrolle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu übernehmen: Sie verbinden ihren guten Ausbildungsstand mit ihren guten Deutschland- und Sprachkenntnissen einerseits und ihrer Nähe zu den Heimatländern andererseits.
Insgesamt ist die Bilanz der Hochschulzusammenarbeit mit Entwicklungsländern erfreulich: Eine Auswertung des Stipendienprogramms für Fach- und Führungskräfte aus dem Jahr 2000 hat ergeben, dass 82 Prozent der Absolventen aus Entwicklungsländern mittlerweile wieder in ihrer Heimat arbeiten. Etwa 70 Prozent hatten innerhalb von weniger als drei Monaten eine Beschäftigung gefunden, und 43 Prozent arbeiteten zum Befragungszeitpunkt im mittleren oder im Top-Management entwicklungspolitisch tätiger Organisationen.
Dennoch haben die Beteiligten zum Teil noch mit erheblichen Erschwernissen zu kämpfen: Trotz des Fortschritts der Datenübertragung bestehen gerade in entlegenen Regionen weiterhin große Kommunikationsprobleme. Oft kommt es zu Stromausfällen, und wenn die bereitgestellte Ausrüstung kaputtgeht, kann sie häufig vor Ort nicht repariert werden, da es dort keinen Wartungsdienst gibt.
Auch ist es keine Seltenheit, dass Wissenschaftler aus Partnerländern mit nicht-demokratischen Regierungen bewusst an der Zusammenarbeit mit ihren deutschen Kollegen gehindert werden. Das Spektrum reicht von der Ausreiseverweigerung bis hin zur Inhaftierung. Auf der anderen Seite wird es den Wissenschaftlern sowie Fach- und Führungskräften aus dem Süden häufig schwer gemacht, eine Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis für Deutschland zu erhalten. Der DAAD versucht hier, gemeinsam mit den Hochschulen und weiteren Organisationen wie der Hochschulrektorenkonferenz und Alexander von Humboldt-Stiftung, eine Vermittlerrolle zu spielen. Auch in die Diskussion um die Zuwanderung mischen sich diese Organisationen im Interesse der Entwicklungszusammenarbeit ein.
Letztendlich lassen sich globale Probleme nur in den Griff bekommen, wenn gut ausgebildete Wissenschaftler, Fach- und Führungskräfte des Südens mit kulturell sensibilisierten, aufgeschlossenen Partnern im Norden zusammenarbeiten. Darüber hinaus sollten diese Wissenschaftler auf allen Seiten stärker in die Vorbereitung bi- und multilateraler staatlicher Verhandlungen und Vereinbarungen miteinbezogen werden.
Dass das Potenzial beidseitigen Lernens nur unzureichend ausgeschöpft wird, zeigt sich, wenn man dem Wissens- und Technologievorsprung auf der einen Seite das Wissen der Einheimischen und die auf die eigene Kultur abgestimmten Lösungen auf der anderen Seite gegenüberstellt. Auch für die Entwicklungszusammenarbeit wäre es von Nutzen, wenn die Hochschulen beider Seiten stärker in die Vorbereitung und wissenschaftliche Begleitung von Vorhaben und Projekten einbezogen würden.
aus: der überblick 01/2003, Seite 35
AUTOR(EN):
Hanns Sylvester:
Dr. Hanns Sylvester ist Leiter der Arbeitsstelle Entwicklungszusammenarbeit beim "Deutschen Akademischen Austausch Dienst" (DAAD).