Verhexte Demokratie
Drei Monate vor den Wahlen in der tansanischen Provinz Sansibar im Jahr 2000 fand man kleine Schachteln mit einer Mischung von zerriebenen Blättern und einem Talisman an Orten, wo vor allem die herrschende Partei Chama cha Mapinduzi (CCM, Partei der Revolution) Stimmen erhielt. Einige Wochen später wurde eine Ziege entdeckt, die mitten auf einem Spielplatz begraben war, auf dem die Oppositionspartei Civic United Front (CUF, Vereinigte Bürgerfront) eine Kundgebung abhalten wollte.
von Alfred Mbogora
Beide Vorfälle werden mit dem Glauben an Hexerei in Verbindung gebracht. Offenbar verbinden sich traditionelle magische Praktiken mit den neuen demokratischen Prozeduren. Das ostafrikanische Land scheint seinen eigenen Weg zur Förderung der Demokratie gefunden zu haben. Politiker konsultieren zunehmend traditionelle spirituelle Heiler, um ihre politischen Karrieren zu fördern oder um sicherzustellen, dass der Übergang zur Demokratie zu ihren Gunsten verläuft. Eine Studie der Universität Dar es Salaam hat ergeben, dass in dem Maße, wie unter dem Mehrparteiensystem die Konkurrenz unter den Kandidaten zunimmt, immer mehr Politiker für ihren politischen Aufstieg nach einer übernatürlichen Unterstützung suchen. "Mindestens ein Viertel von ihnen zieht vor Wahlen traditionelle spirituelle Heiler zu Rate, sagt Amos Mhina, ein Dozent für politische Wissenschaften an der Universität Dar es Salaam. Für die Parlamentswahlen im Oktober 2000 sollen sich laut Mhinas Statistiken über 1900 der 7912 Kandidaten an traditionelle Heiler gewandt haben.
Der Präsident von Sansibar, Amani Abeid Karume, vollzog sogar spirituelle Riten auf Friedhöfen, um vor den Wahlen den Segen seiner Vorfahren zu erhalten. Manche böswillige Kandidaten versuchten, destruktive Zauberkräfte und Hexerei gegen andere Kandidaten einzusetzen. Der Soziologe Patrick Masanja aus Dar es Salaam weist darauf hin, dass magische Kräfte nicht nur zur Gewinnung politischer Ämter eingesetzt werden, sondern auch als Erläuterung von plötzlichen Todesfällen von herausragenden Politikern. Als Beispiele nennt er den unerwarteten Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten Edward Sokoine im Jahre 1984, des ehemaligen Finanzministers Ali Kighoma Malima im Jahre 1995 und des ehemaligen Generalsekretärs der herrschenden CCM, Horace Kolimba, im Jahre 1996. Manche Tansanier führten diese Todesfälle auf den Einsatz von ndumba (einer magischen Kraft, die in von Hexern zusammengestellten Substanzen steckt) durch politische Gegner des Verstorbenen zurück, erklärt Yusuf Lawi, der Leiter der Geschichts-Fakultät an der Universität Dar es Salaam.
Lawi hat die Beziehung zwischen einheimischen Glaubenssystemen und der Demokratie eingehend untersucht. Für ihn steht das Fortbestehen solcher Praktiken im Widerspruch zu den Grundsätzen der modernen demokratischen Regierungsführung. Politische Parteien und Kandidaten sollten sich frei auf der Grundlage ihrer Popularität sowie ihrer politischen Programme und Führungsqualitäten um die Macht bewerben. Der Rückgriff auf magische Kräfte zur Erklärung politischer Vorgänge oder beim Streben nach politischen Ämtern widerspreche der Logik des angestrebten politischen Systems und der gesamten Idee der modernen Demokratie.
Masanja beschreibt den Einsatz von Hexerei für persönlichen Gewinn als "selektiven Einsatz der traditionellen kulturellen Mittel beim Umgang mit den Anforderungen der Modernisierung". Er führt das Phänomen auf einen Mangel an festen wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Überzeugungen auf Seiten der Politiker zurück. Die gleiche Meinung vertritt Juma Mikidadi, ein Parlamentsabgeordneter für Kibiti, der den Rückgriff auf Hexerei für einen Rückschritt auf dem Weg zu einer demokratischen Regierungsführung hält.
Doch nicht nur Politiker bedienen sich übernatürlicher Kräfte. Die Untersuchung der Universität zeigt, dass sich fast ein Fünftel der Bevölkerung Tansanias stark an traditionellen spirituellen Praktiken beteiligt, ein weiteres knappes Fünftel in geringerem Maße, und ein gutes Fünftel nimmt immerhin gelegentlich teil. Insgesamt 61 Prozent der Bevölkerung konsultieren mindestens ab und zu Hexer oder Hexen.
aus: der überblick 02/2002, Seite 14
AUTOR(EN):
Alfred Mbogora:
Alfred Mbogora ist stellvertretender Chefredakteur von "Sauti Ya Demokrasia" (Stimme der Demokratie), einer von der Universität Dar es Salaam herausgegebenen Monatszeitschrift. Wir übernehmen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung dem Gemini News Service vom 13-20. 7. 2001.