"Die Hoffnung, dass der Reichtum alle erreicht"
"Es kann also nicht nur mit dem Blick auf Profite gewirtschaftet werden, in der Hoffnung, dass der Reichtum schon irgendwie alle erreichen werde."
von Uwe Kerkow
Warum braucht Bangladesch eine Landreform und was müsste sie leisten?
Bangladesch ist ein sehr dicht besiedeltes Land und hat nicht viele freie Flächen. Ein sehr hoher Prozentsatz der Bevölkerung besitzt kein Land. Über die Notwendigkeit einer Landreform wird in Bangladesh daher schon sehr lange diskutiert. Allerdings sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich ungeheuer groß.
Das Land ist sehr fruchtbar. In den letzten Jahren ist es uns sogar gelungen, die Ernährung der Bevölkerung mit Reis sicher zu stellen. Man kann also die Frage der Landverteilung nicht an den gleichen Maßstäben messen wie in anderen Ländern. Man muss die Landreform bei uns als Teil eines umfassenden Paketes zur Armutsbekämpfung sehen. Es geht nicht nur um eine Neuverteilung des Landes, sondern um die Gesamtheit des Produktionssystems und eine tiefgreifende Reform des Agrarsektors. Dazu gehört die Suche nach alternativen Einkommensquellen, aber auch die Frage des Verhaltens gegenüber einer kleinen Gruppe von Großgrundbesitzern.
Wie wollen Sie diese Kombination verwirklichen?
Wir haben eine gute Gesetzgebung, die auch die Armen berücksichtigt. Dazu gehören festgelegte Mindestlöhne und ein Begrenzung des zulässigen Landbesitzes. Aber keine der Vorschriften wird umgesetzt. Wir haben ein Gesetz, das die Rechte der kleinen Pächter regelt, aber es wird ebenfalls nicht umgesetzt. Der Staat besitzt die größten forstwirtschaftlich genutzten Flächen, ebenso Flächen, die nach Indien ausgewanderten Hindus gehört haben. Dieses Land wurde früher als "Besitz des Feindes" (enemy property) bezeichnet und soll jetzt einer Neuverteilung zugänglich gemacht werden. Doch die dazu nötige Gesetzesänderung hat sich verzögert, weil es sich um ein heikles Thema handelt, das zu anti-muslimischer Propaganda genutzt werden könnte, und wir sind in einem Wahljahr.
Zudem besitzen immer noch viele Leute Land in Bangladesch, die ausgewandert und keine Bürger des Landes mehr sind und die nicht mehr zurückkommen werden. Das Neuland, das im Flussdelta entsteht, gehört erst einmal der Regierung. Alle diese Flächen sollten den Landlosen zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden.
Was stellen Sie sich genau vor?
Wenn es sich um Wald handelt, sollte er von den Armen genutzt werden können. Dabei müssen soziale Fragen und Aspekte der Nachhaltigkeit beachtet werden. Wir sprechen mit der Regierung auch über Wasserbewirtschaftung und hier besonders über die Fischergemeinden, von denen viele sehr arm und marginalisiert sind. Auch die staatlichen Flächen an den Straßenrändern würden wir gerne von den Armen nutzen lassen. In Bangladesch ist die Frage der Landreform also eher ein Prozess, bei dem es um Programme geht, die den Ärmsten zugute kommen.
Ein weiterer Aspekt ist die Anerkennung der indigenen Gemeinschaften in unserer Gesellschaft. Auch wenn sie nur weniger als ein Prozent unserer Bevölkerung ausmachen, existieren sie doch, und ihre Formen der Landnutzung unterscheiden sich teilweise erheblich von der unseren. Das muss respektiert werden und ihre Kultur sowie die dazugehörigen Landnutzungsformen müssen legalisiert werden, damit die Flächen nicht vermarktet werden.
Wie verhalten sich die indigenen Gemeinschaften in dieser Frage?
Jetzt, wo die demokratischen Freiräume größer geworden sind, fangen viele von diesen Gruppen an, selber Forderungen zu erheben und ihre Position öffentlich darzulegen. Manchmal wurden sie aufgrund ihrer Überzeugungen sogar umgebracht, aber das hat die öffentliche Beachtung dieses Problems nur gesteigert. Eine ganze Reihe von Organisationen und Gruppen aus der Zivilgesellschaft ist heute bereit, diese Menschen in ihrem Kampf zu unterstützen.
Insgesamt glauben wir also, dass die Land- und Agrarfrage wieder ins Zentrum unserer Reformbemühungen rücken sollte. Nur auf Mikrokredite und mögliche wirtschaftliche Aktivitäten der Armen außerhalb der Landwirtschaft zu starren, beraubt uns der Basis unserer Existenzsicherung. Denn bis zum heutigen Tag sind 70 Prozent unserer Bevölkerung von der Landwirtschaft als Einkommensquelle abhängig, und die Mehrheit der Menschen lebt auf dem Land.
Landwirtschaft und Fischerei gehören zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Bangladesch. Die Fragen der Gerechtigkeit und der Verteilung von Land haben in der Diskussion der letzten Jahre völlig gefehlt. Stattdessen rückten Fragen des Wirtschaftswachstums, der Exportorientierung und der marktorientierten Politik in der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei in den Vordergrund. Es werden jetzt zum Beispiel kommerziell wertvollere Bäume gepflanzt, die für die Papierherstellung oder andere Industriezweige gedacht sind. Es kommt Saatgut ins Land, das zum Teil genetisch verändert wurde, und mit ihm werden landwirtschaftliche Produktionssysteme importiert, die den Interessen der Armen zuwiderlaufen.
Unsere Studien haben immer wieder gezeigt, dass sich derartige Interventionen nachteilig auf die Umwelt ausgewirkt haben und die Armut noch verschärfen. So haben sich der Bau von Deichen und die Flurbereinigung im Zuge der grünen Revolution als nachteilig erwiesen. Beides hat die Fluten verschärft, denn es werden weder die Neubildung von Land noch die zu erwartenden Regenmengen berücksichtigt. Überschwemmungen werden häufiger, und das Wasser kann nicht rasch genug abfließen.
Es kann also nicht nur mit dem Blick auf Profite gewirtschaftet werden, in der Hoffnung, dass der Reichtum schon irgendwie alle erreichen werde. Die Mikrokredite haben deutlich gezeigt, dass marktwirtschaftliche Reformen nicht helfen können, die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu verringern. Die Mikrokredite haben die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung nie erreicht. Ich denke, dass wir die Paradigmen der achtziger und neunziger Jahre neu überdenken müssen und uns wieder der Frage von Gerechtigkeit und Landverteilung stellen müssen. Dazu müssen wir vor allem die bestehenden Gesetze verwirklichen und das korrupte Katastersystem in Bangladesch reformieren.
aus: der überblick 02/2001, Seite 115
AUTOR(EN):
Uwe Kerkow :
Uwe Kerkow ist freier Journalist in Bonn.