Ende Dezember soll in Eritrea gewählt werden, und der Präsident sitzt wieder fest im Sattel
Der Krieg gegen Äthiopien hat Eritrea wirtschaftlich weit zurückgeworfen. Doch den Präsidenten Afewerki und seine Partei hat das nicht geschwächt. Aus der Bevölkerung sind kaum Vorwürfe gegen ihn und kaum Rufe nach mehr Demokratie zu hören. Der Zorn richtet sich vielmehr auf die herrschende Schicht in Äthiopien. Afewerki hat Eritrea schwer geschädigt, aber die Macht seiner Partei gesichert.
von Stefanie Christmann
Nach einem zweijährigen, am Ende verlorenen Krieg steht der eritreische Präsident Isaias Afewerki wieder dort, wo er schon im Mai 1998 stand: vor einer Wahl. Damals entzog er sich der Kritik und den Wahlen, indem er in Badme einmarschierte und so mit Hilfe eines äußeren Feindes das Volk wieder hinter sich brachte.
Der Krieg hat sein Land in der Entwicklung zurückgeworfen, dem zuvor vielfach kritisierten Präsidenten paradoxerweise aber zu großer Popularität verholfen. Nachdem der Mythos der militärischen Unbesiegbarkeit zerstört ist, bleibt nur noch die Person von Isaias als Identifikationsfigur. Isaias, der den gerade beendeten Krieg de facto vom Zaun gebrochen hat, hat für viele im Land lebende Eritreer das Image, im Krieg die Unabhängigkeit verteidigt und bewahrt zu haben. Ein Grund dafür ist die Art, wie die Staatspartei People’s Front for Democracy and Justice (PFDJ) während des Krieges das Volk mit Propaganda mobilisiert hat: Äthiopien wolle ganz Eritrea erobern. Folglich wird nun aller Schaden den Woyane angelastet. (So nennen Eritreer – den Buchstaben der Abkürzung entsprechend – die Kämpfer der Tigrayan People’s Liberation Front TPLF, die in der an Eritrea grenzenden Provinz Äthiopiens verwurzelt ist und die Linie der äthiopischen Regierung bestimmt. Die TPLF und die EPLF stürzten 1991 gemeinsam die Militärregierung Äthiopiens.)
Die vor allem vom Ausland geforderten Parlamentswahlen in Eritrea sind für Dezember 2001 angekündigt. Dass sich dadurch viel ändert, ist nicht zu erwarten. Zu geschickt ist die Zeitplanung der PFDJ-Regierung: Zwei Kommissionen beraten über ein Parteien- und ein Wahlgesetz. Die Ergebnisse sollen mit dem Volk beraten werden, das Parlament im Sommer entscheiden. Die Kandidaten hätten dann nur ein knappes halbes Jahr, sich bekannt zu machen.
Unklar war bis Mitte Februar nach Auskunft der eritreischen Botschaft in Deutschland, ob für die Wahl Parteien gegründet werden dürfen oder ob nur Kandidaten der PFDJ und Unabhängige zugelassen werden. Offen ist auch noch, welche Wahlrechte Auslandseritreern zugestanden werden sollen. Und unklar ist, ob das zu wählende Parlament dann im Winter 2001/2002 einen Präsidenten wählen soll oder ob diese Parlamentswahl das Amt von Isaias gar nicht tangiert.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Clique ehemaliger EPLF-Kämpfer die Macht künftig mit vielen Zivilisten oder mit ehemaligen Angehörigen der ELF teilen muss, ist gering. Die Eritrean Liberation Front ELF war die erste militärische Befreiungsbewegung in Eritrea; die EPLF des heutigen Präsidenten Afewerki hat sich 1970 abgespalten, die ELF in den Bruderkriegen der siebziger Jahre besiegt und sich inzwischen in PFDJ umbenannt. Yemane Gebremeskel, der Bürochef und die rechte Hand des Präsidenten, verwies im Juni 2000 auf den seiner Meinung nach breiten Konsens in allen Fragen; es gebe keine Streitfragen, an denen sich Parteibildungen orientieren könnten.
Ethnische und religiöse Parteien verbietet die Verfassung ebenso wie Parteien, die vom Ausland finanziert werden. Letzteres sei nötig, um das Land vor dem Import von islamischem Fundamentalismus zu schützen, sagten Mitglieder der Verfassungskommission im Winter 1994-95. Da Radio und Fernsehen aber staatlich und die Printmedien regierungstreu sind, haben politisch Andersdenkende kaum Möglichkeiten, sich bekannt zu machen, wenn ihnen Geldquellen außerhalb des Landes versagt sind.
Die Folgen des Krieges sind hart. Eritrea hat seinen Haupthandelspartner Äthiopien verloren; das Land hatte vor 1997 vor allem Getreide aus Äthiopien importiert und Blumen und Fertigwaren (Textilien, Schuhe) dorthin exportiert. Nun setzt Eritrea wirtschaftspolitisch noch stärker auf Weltmarkt-integration. Erfolge werden, sollten sie sich überhaupt auf diesem Wege einstellen, einige Zeit brauchen. Hoffnungsträger Nummer Eins ist eine integrierte Meerwasserfarm nördlich der Hafenstadt Massaua, wo Garnelen, Feldfrüchte und Obst gezüchtet und Touristen angelockt werden sollen.
Eine erste sichere Einnahmequelle bringen die 4000 Blauhelme aus 27 Ländern, die die Pufferzone zu Äthiopien im Süden bewachen. Aber die Stationierung von ausländischen Soldaten inmitten der notleidenden Bevölkerung ist immer ein Geldborn mit fatalen Nebeneffekten.
Die Kluft zwischen Reich und Arm ist seit dem Krieg enorm gewachsen, die Zahl der Bettler rapide gestiegen. Der Staat, der sich mit Waffenkäufen völlig verausgabt hat, hatte im Sommer keine Devisen mehr, um auch nur Getreide zu kaufen. Das Land ist jetzt noch mindestens ein Jahr abhängig von Nahrungsmittelhilfe – wahrscheinlich länger, denn auch wenn die Ernte gut ausfallen sollte: Anders als in Äthiopien sind in Eritrea die Böden zu schlecht, als dass das Land sich selbst versorgen könnte.
Die Binnenflüchtlinge aus den südlichen Grenzgebieten, mehrere hunderttausend Menschen, müssen in Lagern leben, bis alle Minen und Blindgänger entschärft sind. Sie sind noch einige Jahre von Nothilfe abhängig, verurteilt zu weitgehender Untätigkeit. Bis sie zurückkehren können, wollen sie so nah wie möglich an ihren Dörfern wohnen. Damit wächst die Gefahr, dass sich rings um Städte wie Barentu und Mendefera oder Orte wie Saganeiti spontan Armutsgürtel bilden.
Verändert haben sich auch die Geschlechterrollen: Anders als der Unabhängigkeitskampf hat dieser Krieg die Frauen in die zweite Reihe zurückgeschoben und die Gesellschaft stärker zweigeteilt, als sie es vorher war. Die Frauen sind eindeutig die Verliererinnen des Krieges. Das Fernsehen zeigte noch Wochen nach dem Waffenstillstand stundenlang Bilder, in denen Männer mit Kalaschnikows und Panzern das Land verteidigten, während Frauen mit Kindern und Alte als die zu Beschützenden präsentiert wurden.
Das werde Konsequenzen für die Zukunft haben, meint Meaza Tseggai. Sie wurde als Kämpferin im Unabhängigkeitskrieg schwer verletzt und lebt in einem Behindertenheim. Sie sagt: "Wir Frauen waren an der Front körperlich schwächer und damit gefährdeter. Damals gab es zu wenig Kämpfer, also mussten wir politisch denkenden Frauen auch an die Front. Aber nun gibt es genug Soldaten. Die Frauen heute wollen heiraten und Kinder haben." Fatma Suleiman, die ihr halbes Leben bei der EPLF war, ist dagegen brüskiert: "Mein Mann und meine sechs Brüder wurden eingezogen, ich wollte auch an die Front, aber mich haben sie ja wegen meiner zwei Kinder schon 1994 demobilisiert. Die Frauen müssen genauso wie die Männer an die Front. Nun werden wir die Gleichberechtigung wieder verlieren."
Luul Gebreab, die Vorsitzende der Nationalen Frauenunion Eritreas und früher selbst Kämpferin, berichtet von erbitterten Diskussionen unter ehemaligen Kämpferinnen. Aber schließlich habe die Frauenunion "akzeptiert", dass nur Männer rekrutiert wurden. "Letztlich entscheidet sich die Frage der Gleichberechtigung nicht an der Front, sondern in den Berufen, in der Politik, im gesellschaftlichen Leben. Und wir hätten die erste gut ausgebildete Generation junger Frauen vor die Geschütze der Äthiopier schicken müssen. Übrigens haben sich auch einige Frauen freiwillig gemeldet und gekämpft."
Die wirtschaftliche Lage der weit überwiegenden Zahl der Eritreer ist äußerst prekär. Dennoch will kaum jemand dem Präsidenten Fehler nachsagen. Sondern man setzt die im Unabhängigkeitskrieg erfolgreiche Verhaltensweise fort: Man hält zusammen – zum Präsidenten. Ihn zu demontieren hieße, die eigene narzisstische Kränkung über den Verlust der vermeintlichen militärischen Unbesiegbarkeit noch zu vergrößern. Der Krieg hat den irrationalen Charakter der Beziehung zwischen Volk und Präsident noch verstärkt und zugleich den Wunsch nach Demokratie nachrangig werden lassen. Sogar jene würden Isaias wieder wählen, die erkennen, dass Eritrea diesen Waffenstillstand und Frieden auch ohne die Zehntausende toter Soldaten, ohne die zeitweise 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge, ohne den Verlust der Geldreserven, ohne den Verlust von Aussaat und Ernte und ohne die neue Abhängigkeit von auswärtiger Hilfe hätte bekommen können.
Isaias zu entschuldigen und sich wenig für Demokratie zu engagieren, ist keine Generationenfrage. Bisrat Salomon, ein älterer Lehrer aus der Hauptstadt Asmara, und Naseret, eine junge Linguistikdozentin an der Universität Asmara, sagen wie viele: "Isaias konnte im Mai 1998 unmöglich voraussehen, dass wir den Krieg nicht gewinnen könnten." Und Fatma Suleiman begründet ihre Treue zum Präsidenten so: "Nur Gott macht keine Fehler." Früher einte der Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit die Eritreer, jetzt ist es die Identifikation mit ihrem ersten Präsidenten. Demokratie, die den Krieg vielleicht hätte verhindern können, gilt als Luxus für gute Zeiten, nicht als ein Mittel, Frieden zu erhalten. Tekle Abraha, ein älterer Juraprofessor an der Universität Asmara, sagte kurz nach dem Waffenstillstand von Algier: "Was nutzt uns Demokratie ohne eigenes Land?" und drückte damit aus, was zu jener Zeit fast alle dachten.
Und die Auslandseritreer? "Dieser sinnlose Krieg hat keinen Gewinner", sagte der Politologe Yonas Endrias im Juli 2000 bei einer Veranstaltung der Böll-Stiftung in Berlin. So denken viele. Aber sich klar zu machen, dass dieser Krieg unzweifelhaft zwei Gewinner hatte, nämlich die Präsidenten der beiden Länder, ist die Voraussetzung dafür, sich für Demokratie einzusetzen, um einen weiteren Krieg zu vermeiden. Differenzierter sieht man die Rolle des Präsidenten im Umfeld ehemaliger ELF-Angehöriger. Aber für sie ist es noch schwerer, in Eritrea Einfluss zu gewinnen, als für andere Auslandseritreer.
Welchen Einfluss haben die Forderungen der Diaspora überhaupt auf die Entscheidungen in Asmara? In der Vergangenheit wurden zwar einige hochkompetente Auslandseritreer in die Regierung aufgenommen, aber zuweilen auch von einem Tag auf den anderen von der alten Kämpferriege wieder entlassen. In den engsten Zirkel der Macht ist keiner vorgedrungen. Dieser kleinen, etwa zwölfköpfigen Gruppe gehören nur alte Kämpfer an – Isaias selbst, Yemane Ghebreab (der Leiter der politischen Abteilung der PFDJ), die Köpfe des Office für Macropolicy (das ist das beim Präsidenten angesiedelte Amt zur Stärkung der Exekutive und in der Funktion dem Bundeskanzleramt vergleichbar) sowie einige andere.
Die PFDJ-Regierung zwingt die Auslandseritreer sogar, sie zu unterstützen, nämlich Steuern zu zahlen. Egal, ob sie inzwischen eine andere Staatsangehörigkeit haben, egal, dass sie auch in ihrer neuen Heimat Steuern zahlen müssen: Wer nicht zahlt, erhält kein Visum für eine Reise, klagen Auslandseritreer.
Alt-neue Feindbilder sind nach dem Krieg wieder zu bemerken. Eritrea fühlt sich nach wie vor nicht sicher vor einem äthiopischen Angriff. Der ist zwar unwahrscheinlich, so lange die UN-Truppen im Land sind, grundsätzlich jedoch ist die Angst nicht unbegründet.
Die eritreischen Medien beugen nicht nur Kritik an der PFDJ-Regierung vor, wenn sie sich in Hasstiraden gegen die Tigray überschlagen, sondern sie bereiten auch den Boden für die nächste "Verteidigung" gegen äthiopische Angriffe. Die Woyane sind das Feindbild. Die Wochenzeitung Eritrean Profile spricht von "periodischem Schlachten", "Nazis", "Konzentrationslagern", "Ethnofaschismus", "Genozid". Selbst unter Ladenbesitzern der Hauptstadt traf man im Sommer auf Männer, die allen Ernstes glaubten, Meles wolle alle männlichen Eritreer töten.
Die Liste von Menschenrechtsverbrechen an Eritreern in äthiopischen Gefängnissen, die das eritreische Außenministerium Mitte Januar 2001 veröffentlicht hat, schockiert zusätzlich und trifft den Nerv der eritreischen Bevölkerung. 1998/99 hatte Meles 70.000 Eritreer, die teilweise seit ihrer Geburt in Äthiopien lebten, von einem Tag auf den nächsten enteignet (das Geld verwandte er unter anderem für Waffenkäufe). Die in Äthiopien lebenden Eritreer wurden teilweise inhaftiert, die meisten einfach über die Grenze nach Eritrea geschickt. Über diese ethnische Vertreibung empörte sich die Staatengemeinschaft nicht einmal. Nur die Amerikaner formulierten damals eine schlappe Stellungnahme.
Mitte Januar 2001 erklärte nun das eritreische Außenministerium, 1500 Eritreer seien in Äthiopien seit 1998 spurlos verschwunden und mehr als 30 junge Frauen und Männer in äthiopischen Gefängnissen getötet worden. Es gebe geheime Gefängnisse, Folter, gezielten Nahrungsentzug, Verweigerung ärztlicher Versorgung, Vergewaltigung und Haft in Dunkelzellen über einen Zeitraum von bis zu vier Monaten. Prof. Asmarom Legesse wandte sich bereits im Oktober mit einer umfangreichen Veröffentlichung über Menschenrechtsverletzungen in der von Äthiopien besetzten Pufferzone an die Öffentlichkeit. Er beklagt, dass trotz regional begrenzter Untersuchungen des Internationalen Roten Kreuzes und von UNICEF bisher zur Verhinderung weiterer Menschenrechtsverletzungen wenig geschehen sei.
Der Schutz der Menschenrechte erfordert dringlich, die äthiopischen Gefängnisse und die Pufferzone im Süden Eritreas von unabhängigen internationalen Experten inspizieren zu lassen. Aber auch vorbeugende Sicherheitspolitik erfordert das. Denn auf Grund der brutalen Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges müssen diese Berichte entlassener Gefangener in der Bevölkerung als authentisch und zutreffend aufgefasst werden. Sie heizen damit den Hass auf die Woyane erneut an. Solche Meldungen und die Notsituation schweißen Volk und Präsident zusammen.
Andererseits werden Gebiete, die von den Äthiopiern 2000 erobert worden waren, zunehmend wieder zugänglich, und das ermöglicht den Eritreern, sich selbst ein Bild zu machen. Während des Krieges verkündete die staatliche Propaganda zum Beispiel, ganz Barentu sei zerstört, alles Ruinen. Wer aber nun zurückkehrt, ist schon von weitem irritiert. Zwar haben die Äthiopier alle Regierungs- und Infrastrukturgebäude mutwillig zerstört, alle Hotels gesprengt, Geschäfte und Hütten ausgeraubt, aber bis auf wenige abgebrannte Hütten sind die Häuser der Einheimischen intakt. Allerdings gibt es keinen öffentlichen Raum und keine Medien in Eritrea, in denen diese Erfahrungen diskutiert werden könnten.
Diese Folgen des Krieges sind umso bedrückender, als die erste Zeit nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1961-91 für Eritrea und Äthiopien eine Zeit des Aufschwungs war. Über Jahre ging es vielen sichtlich immer besser. Die eritreische Regierung investierte in die Infrastruktur, in den Straßen- und Wohnungsbau und sehr viel in Bildung und Gesundheit, sie schuf landwirtschaftliche Großbetriebe, und der Handel florierte – vor allem mit Äthiopien. Bei jedem Besuch in Eritrea konnte man nur staunen, wie viel sich getan hatte. Allerdings stand der staatlichen Geschäftstätigkeit noch wenig privatwirtschaftliche gegenüber – und noch weniger Kaufkraft.
Es gab auch umfangreiche Bemühungen, eine Verfassung auszuarbeiten, die letztlich Wahlen verhieß. Die Verfassung, die zwar einen starken Präsidenten vorsah, aber auch ein starkes Parlament und einen überzeugenden Grundrechtskatalog, hätte die Macht der PFDJ und die Macht von Isaias Afewerki erheblich eingeschränkt.
Der Umschwung kam im Winter 1997-98. Isaias sah sich zu dieser Zeit wachsender Opposition gegenüber. Gebildete Eritreer forderten endlich Demokratie. Sie warfen dem Präsidenten über 3000 Inhaftierungen ohne rechtsstaatliches Verfahren vor; ein Bericht der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bestätigte den Vorwurf. Der Präsident zögerte jedoch die Umsetzung der Verfassung immer weiter hinaus, und just als das Komitee zur Wahlvorbereitung den Wahltermin hätte verkünden sollen, marschierte Isaias im Mai 1998 in Badme ein.
Mit dieser Machtdemonstration lenkte er auch von wachsenden ökonomischen Problemen ab. Die waren entstanden, nachdem die Eritreer Ende 1997 eine eigene Währung, den Nakfa, eingeführt und die Äthiopier darauf mit der Forderung geantwortet hatten, künftig den Handel zwischen beiden Ländern nur noch in Dollar und über Akkreditive abzuwickeln. Das scheiterte in der Praxis, und die Grenze zu Eritreas Kornkammer war nun de facto geschlossen. Für Mai 1998 erwarteten die eritreische Regierung und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) eine akute Hungersituation für Eritrea. Zweiter Nebeneffekt des Wirtschaftsstreits mit Äthiopien war die Schließung der ehemals gemeinsam genutzten Raffinerie bei Assab, sodass Treibstoff nun teuer auf dem Weltmarkt eingekauft werden musste.
Aus der Umklammerung all dieser Probleme löste sich Isaias durch die Eroberung der Region um Badme. Dieses Gebiet war bis dahin von äthiopischen Behörden verwaltet worden. Der Streit um den nie präzise definierten Grenzverlauf hatte 1992 begonnen und war zur Muskelprobe zwischen den ehemaligen Waffenbrüdern Isaias und Meles geworden. Meles war übrigens in einer ähnlichen innenpolitischen Lage: Dem Chef der von Tigray dominierten Regierung Äthiopiens warfen die größeren Volksgruppen vor, er habe 1991 äthiopische Interessen verletzt, als er seinem Cousin und Waffenbruder die Unabhängigkeit Eritreas zugesagt habe. Außerdem ließe er sich von Eritrea fremdbestimmen. Auch Meles holte die Opposition wieder ins eigene Lager, indem er gegenüber dem Nachbarn auftrumpfte.
Isaias, der alte Guerillakämpfer, reagierte auf jede Provokation aus Äthiopien reflexhaft mit militärischen Mitteln. So eskalierte ein lokaler Grenzkonflikt, von dem bis Mai 1998 in Eritrea kaum jemand wusste, zum Krieg. Isaias war daraufhin wieder unangefochten, die Woyane waren alles schuld und Wahlen kein Thema mehr.
Bleibt Asmara nach dem Krieg und nach den Wahlen im Dezember politisch-intellektuell ein Museumsdorf, das bei der nächsten äthiopischen Provokation wieder Märtyrer produziert, wie es ein europäischer Botschafter in Asmara formuliert? Weil für die Machthaber Krieg – der lange Befreiungskrieg, aber auch die Konflikte mit Jemen und Sudan in den neunziger Jahren – normal ist? Weil Zivilisten nicht an der Macht beteiligt sind? Weil nicht in Zweifel gezogen wird, dass die Eritreerinnen und Eritreer die Unabhängigkeit ausschließlich aus eigener Kraft erkämpft haben? Dass das Ende des Ost-West-Konflikts zum Fall Mengistus beigetragen haben könnte, ist völlig außerhalb des eritreischen Horizonts; das trägt zur militärischen Selbstüberschätzung von Präsident und Volk erheblich bei.
Die bi- und multilateralen Hilfsorganisationen, vor vier Jahren fast alle vom Präsidenten ausgewiesen, kehren nun nach Eritrea zurück. Die Ankunft von Carol Bellamy vom Kinderhilfswerk Unicef – noch während der Kämpfe im Juni! – war ein Medienereignis, dem die eritreischen Medien die Botschaft unterlegten: "Die internationale Gemeinschaft steht hinter uns."
Weitere Vereinnahmungen dieser Art sind absehbar. Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes erklärt, auch Deutschland wolle im Infrastrukturbereich – bei der Wasserversorgung – mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Kreditanstalt für Wiederaufbau wieder in Eritrea einsteigen. Auch Äthiopien solle wieder Partnerland werden. Aufträge locken, jeder will den Fuß in der Tür haben. Die Bevölkerung aber wird die Erfolge ihrem Idol Isaias zuschreiben. Tatsächlich wird der eritreische Präsident der "Eigner" dieser Projekte sein. So sieht es das "owner-Konzept" der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit vor. Der Norden stützt auf diese Weise kriegsbegünstigende Strukturen und Militärregime im Süden und erhöht damit die Gefahr weiterer Kriege.
Dass Äthiopien irgendwann erneut angreifen wird, gilt auch unter internationalen Beobachtern als sicher. Isaias ließ am Tag der Märtyrer, am 20. Juni 2000, keinen Zweifel daran, dass er für diesen Fall wieder auf militärische Reaktionen setzt. "Das eritreische Volk ist bereit, für den Militärhaushalt zu hungern", sagt Tekle Abraha. Und die Amerikaner haben längst gefordert, das Waffenembargo aufzuheben. Wegen des wiederholten Einspruchs der Russen war es viel zu spät, erst in der Endphase des zweijährigen Schlachtens, eingeführt worden.
Wer wirklich einem neuen Krieg vorbeugen wollte, müsste das Waffenembargo beibehalten und die Zivilbevölkerung stärken – sowohl wirtschaftlich als auch durch Bildungsangebote, durch Internet-Cafés in der Hauptstadt und Bibliotheken auf dem Land, durch Filme und Diskussionen, durch Finanzierungsangebote für Seminare, die zu finanzieren die Weltbank kein Interesse hat, durch beherztes Engagement für Pressefreiheit und für die Zulassung wirklich staatsunabhängiger Zeitungen und Radiosender.
Leider werden in der Debatte über Konfliktprävention zuweilen solche heiklen Themen umgangen. Zum Beispiel sparte eine mehrtägige, vom BMZ finanzierte internationale Tagung der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) vor einigen Monaten Themen wie Menschenrechte und Pressefreiheit aus und diskutierte stattdessen über Luftschlösser wie "Frauen als Friedensförderer" (women as peace-enablers). Aber Krieg bedeutet immer eine Machtkonzentration; der jüngste wurde sogar zu diesem Zweck vom Zaun gebrochen. Wie sollte ausgerechnet in einer Zeit solcher Machtkonzentration gerade die marginalisierteste Gruppe, die Frauen, Einfluss auf die Politik nehmen können? Wenige Jahre nach dem Ende des 30-jährigen Unabhängigkeitskrieges trifft in Eritrea zudem die übliche patriarchalische Sicht nicht, nach der starke Männer an die Front gehen, während Mütter, Töchter und Ehefrauen für ihre baldige Heimkehr auf der Straße demonstrieren und Briefe schreiben. In Eritrea glauben die Frauen, sie würden einen Beitrag zum Frieden leisten, wenn sie ihre Söhne, Männer und Väter zur Front schicken.
Wer sich in Eritrea für Frieden einsetzen will, muss die Bevölkerung in ihrer Selbstständigkeit stärken, statt mit der Kriegerkaste zu kooperieren und sie indirekt zu un-terstützen. Die Entwicklungshilfe schickt sich jedoch an, genau dies zu tun. Der Krieg hat nicht nur das eritreische Volk mit seinem Präsidenten wieder zusammengeschweißt, sondern die daraus entstandene Notlage hat auch die großen Geber wieder Isaias näher gebracht. Manche, die in Asmara Regierungen oder Institutionen vertreten und über das eritreische Volk wegen seiner "blinden Treue" gern die Nase rümpfen, könnten sich auch an die eigene Nase fassen.
aus: der überblick 01/2001, Seite 76
AUTOR(EN):
Stefanie Christmann:
Dr. Stefanie Christmann ist Journalistin und Vorsitzende der Esel-Initiative e.V., eines gemeinnützigen Vereins zur Förderung alleinerziehender Frauen in Eritrea (www.esel-initiative.de). Sie ist Autorin mehrerer Bücher, zuletzt zusammen mit Dieter S. Lutz "Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges. Demokratieverlust seit 1989".