Vom Schimmel- zum Zebra-Monopol
Zu Apartheidzeiten wurde die Fischereiwirtschaft in Südafrika von Großunternehmen im Besitz von Weißen beherrscht. Die demokratisch gewählte Regierung hat bisher benachteiligten Schwarzen und Farbigen mehr Anteile und Einfluss in dieser Branche verschafft, wollte aber den devisenträchtigen Fischexport nicht gefährden. So bleiben die Großbetriebe dominant und traditionelle schwarze Küstenfischer haben das Nachsehen.
von Jackie Sunde
Südafrika feiert in diesem Jahr ein Jahrzehnt der Demokratie. Seit 1994 hat das Land Transformationen in vielen Bereichen der Sozialpolitik und Volkswirtschaft erlebt, da die erste demokratisch gewählte Regierung bemüht war, die Prinzipien der neuen Verfassung gesetzgeberisch und politisch umzusetzen. Die Herausforderungen mit denen sich die neue Regierung konfrontiert sieht, spiegeln sich brennpunktartig im Fischereigewerbe. Dort zeigt sich die Komplexität der Frage, was genau Transformation ausmacht und wer von ihr profitieren soll. Denn dort kämpfen "Rasse" und Klasse hart um den Zugang zu Rechten und um deren Kontrolle in einer lukrativen Industrie. Mittlerweile scheinen sich Art und Ausmaß der Transformation an Marktinteressen zu orientieren gemäß der neoliberalen Volkswirtschaftspolitik, welche die ursprünglichen Ziele des African National Congress (ANC) für die Transformation überschattet hat.
Wer das Recht hatte, die Reichtümer der südafrikanischen Küste zu nutzen, zu besitzen und zu verwalten, ist stark durch die Wirtschaftsordnung des Landes geprägt worden. Im 20. Jahrhundert war diese gekennzeichnet von der weit reichenden kolonialen und rassistisch motivierten Diskriminierung der Mehrheit der Bevölkerung. Wie stark die Weißen die Nutzung der Meeresschätze bestimmten, zeigt sich daran, dass zum Zeitpunkt der ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1994 nur 0,75 Prozent der gesamten genehmigten Fangmenge (Total Allowable Catch, TAC) Schwarzen zugesprochen wurde und sich nur 7 Prozent der gewerblich zugelassenen Fischerboote im Besitz von Schwarzen befanden.
Den schwarzen Küstenbewohnern wurde das Recht verweigert, Meeresschätze im eigenen Interesse zu nutzen, sie hatten nur als Arbeiter weißer Fischer oder als Arbeitnehmer von Firmen in weißem Besitz Zugang zu diesen Ressourcen.
Es wäre jedoch falsch, die Rassendiskriminierung als einzigen prägenden Faktor im Fischereigewerbe zu betrachten. Im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungsländern wird der Meeresfischfang in Südafrika bereits seit vielen Generationen von einer reichen Oberschicht kontrolliert. Als sich die Firmen in weißem Besitz immer mehr etabliert hatten, verstanden sie es, ihre Kontrolle über den Industriezweig abzusichern und die Möglichkeiten der Regierung zur Einflussnahme im Fischereiwesen zu schwächen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der staatliche Einfluss auf die Fischerei durch den Machtzuwachs des Monopolkapitals noch weiter eingeschränkt. Gerade dieser Machtgewinn ermöglichte es den Großunternehmern in den neunziger Jahren, die Reformansätze der neuen Regierung im Sinne einer Umstrukturierung nach den Gesetzen des Marktes zu beeinflussen. So wurde eine Umverteilung der Zugangsrechte zugunsten der armen Fischer verhindert.
Zur Zeit des politischen Wandels in den frühen neunziger Jahren hatte die Mehrheit der schwarzen und farbigen Fischer nur sehr beschränkt Zugang zu den Meeresschätzen, und sie hatten keinerlei Eigentum an Fischereibetrieben. Dies wurde bereits in den ersten Diskussionen um neue Rahmenbedingungen thematisiert, die in Erwartung einer neuen Regierung im Vorfeld der Wahlen 1994 stattfanden. Man stimmte überein, dass in den benachteiligten Gemeinden der Fischer große Armut herrschte und eine Umstrukturierung dieses Wirtschaftszweigs dringend erforderlich war. Außerdem kam man überein, dass sofortige Maßnahmen nötig sind, um die Armut in den Gemeinden der Küstenfischer zu bekämpfen. So versprach die neue Regierung, die verarmten Gemeinden durch verbesserte Nutzungsrechte an Meeresprodukten zu fördern.
1998 wurde dem Parlament ein Gesetzesentwurf zur "Nutzung von lebenden Meeresressourcen" (Marine Living Resources Bill) vorgelegt, welcher nach eingehenden Diskussionen und Verhandlungen im September des gleichen Jahres verabschiedet wurde. Das Gesetz unterscheidet drei Kategorien von Nutzungsrechten an Fischbeständen: Erstens die gewerbliche Nutzung, zweitens die Nutzung zur Freizeitgestaltung und drittens die subsistenzwirtschaftliche Nutzung. Ferner erteilt das Gesetz dem zuständigen Minister die Befugnis, Nutzungsrechte zu vergeben, mit der Auflage, dass diese Zuteilung die Transformation und die gerechtere Verteilung innerhalb des Wirtschaftszweigs fördert.
Im Jahre 2001 wandte das Ministerium für Umweltschutz und Tourismus erstmals das neue Regelwerk für die Zuteilung von Fischnutzungsrechten an und vergab für eine mittlere Frist diese Nutzungsrechte an die meisten gewerblich betriebenen Fischereibetriebe. Dabei wurden angeblich folgende Kriterien berücksichtigt: die wirtschaftliche Förderung, Beteiligung von bisher benachteiligten schwarzen Bürgern (black economic empowerment), bereits getätigte Investitionen und Qualifikationen im Fischereigewerbe und ob das Personal bei der Einstellung und Beschäftigung gleich behandelt wird (employment equity).
Das neue Regelwerk hat unter den Betroffenen eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Nach Regierungsaussagen bezweckten die Vorschriften einen Interessensausgleich zwischen verschiedenen Gruppen. Auf der anderen Seite wollte das Ministerium die Schwarzen wirtschaftlich fördern, jedoch "ohne bereits etablierte Firmen unnötig zu benachteiligen, die bereits bedeutendes Kapital in Booten und Verarbeitungsanlagen investiert haben und zudem entscheidend zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Wirtschaftsleben in den Küstenregionen beitragen".
Im Laufe der praktischen Entwicklung dieser Politik nach 1995 hat sich der Schwerpunkt eindeutig zugunsten der letztgenannten Interessengruppen verlagert. Das heißt im Sinne der bereits etablierten, noch immer überwiegend von Weißen geführten Unternehmen. Das mag zum Teil an der intensiven Lobby-Arbeit der Industrie gelegen haben sowie an der Unterstützung, die sie von den Gewerkschaften erhielten.
Die Gewerkschaften gingen überraschend ein Bündnis mit den Großunternehmen ein, wahrscheinlich aus der Erwägung, dass eine Umverteilung zugunsten verarmter Fischergemeinden zum Abbau von Arbeitsplätzen führen könnte. Zudem verstanden es die Wirtschaftsführer, die Gewerkschaften durch die Vergabe von Aktien an Arbeitnehmer noch enger an sich zu binden und erzielten weitere Pluspunkte mit der strikten Befolgung der neuen Arbeitsgesetze. Darüber hinaus arrangierten sich einige Großunternehmen sehr geschickt mit den neuen Machthabern, indem sie schwarze Politiker und andere einflussreiche Familien in ihre Aufsichtsräte beriefen.
Das Ministerium für Umweltfragen und Tourismus (DEAT) hat inzwischen eingeräumt, dass sich der Schwerpunkt verlagert hat. Ursprünglich sollte die Industrie dahingehend transformiert werden, Neueinsteigern aus bisher benachteiligten Gruppen Nutzungsrechte zu geben. Dieser Ansatz hat sich zwischen 1995 und 2000 verändert. Stattdessen hat sich durchgesetzt, die etablierten Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen, zu belohnen. Obwohl im Zuteilungsverfahren von 2001 viele Neubewerber berücksichtigt wurden, unternahm das Ministerium nichts, was die Vormachtstellung der Großunternehmen wesentlich eingeschränkt hätte, weil man offenbar davor zurückschreckte, den einträglichen Exporthandel zu beeinträchtigen und Arbeitsplätze zu gefährden.
Ende des Jahres 2002 veröffentlichte der Minister für Umweltfragen und Tourismus ein Gutachten mit dem Titel "Die Förderung von Schwarzen im Fischereigewerbe". Es stellt den ersten Versuch dar, das Ausmaß der Transformation zu messen, indem die Anzahl der "bisher benachteiligten Personen" (historically disadvantaged individuals, HDIs), die in den Wirtschaftszweig eingetreten sind oder von bereits etablierten Unternehmen beschäftigt werden als Hauptindikator für den Wandel benutzt wird. Dem Minister zufolge belegt die Studie klar, "dass die Regierung sich mit Erfolg darum bemüht hat, Veränderungen in diesem Wirtschaftszweig zu bewirken, der einst von einigen großen, überwiegend in weißem Besitz befindlichen Unternehmen bestimmt wurde".
Zum Beleg dieser Behauptung wird etwa der Seehechtfang genannt. Südafrika exportiert frischen, hochwertigen Seehecht nach Europa, insbesondere nach Spanien und Portugal, was sich zunehmend zu einem lukrativen Handel entwickelt. Der Gesamtwert des Seehechtfangs wurde für das Jahr 2002 auf ungefähr 130 Millionen Rand (knapp 13 Millionen Euro) geschätzt. Das Gutachten des Ministeriums führt an, dass 89 Prozent der Firmen, die Nutzungsrechte erhielten, mehrheitlich bisher benachteiligten Personen gehörten. Außerdem wurden 70 Prozent dieser Firmen von eben solchen Personen geleitet. Und 90 Prozent der Gesamtfangmenge wurde Firmen zugesprochen, welche überwiegend HDIs gehörten.
Leider gibt dieses Gutachten keinen Aufschluss darüber, wie viele bisher benachteiligte Personen unter den Zuteilungsempfängern schon vorher in dieser Branche tätig waren. Im Gegensatz zu den Angaben im Regierungsgutachten deuten die bei Menschenrechtsanhörungen in der Fischereiwirtschaft im August 2003 gesammelten Aussagen darauf hin, dass nur sehr wenige schwarze und farbige Fischer aus den verarmten Küstenorten, die schon seit sehr langer Zeit fischen, mit bedeutenden und dauerhaften Nutzungsrechten bedacht worden sind. Diese leidgeprüften Gemeinschaften blieben bisher mehrheitlich von dem neuen Zuteilungsverfahren ausgeschlossen, das vorrangig den bereits etablierten Unternehmen zugute kam.
Offenbar begünstigt die derzeitige Ausrichtung auf den Export nur jene Unternehmen, die auf dem globalen Markt konkurrenzfähig sind. Die subsistenzwirtschaftlich und traditionell arbeitenden Fischer werden bei diesem Ansatz überhaupt nicht berücksichtigt. Stattdessen wird von ihnen erwartet, mit anderen kommerziellen Unternehmen zu konkurrieren und "sich anzupassen oder unterzugehen". Bisher wurden keine Anstrengungen unternommen, das in vielen Generationen überlieferte Erfahrungswissen der Kleinfischer mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem zeitgemäßen Management von Fischressourcen zu verschmelzen.
Als Folge hat sich die Armut und die wirtschaftliche und soziale Marginalisierung tausender Fischer in den Fischerorten vergrößert. In ihren Augen hat die Umstrukturierung der Fischwirtschaft nur zu einer weiteren Konsolidierung des Monopolkapitals geführt. Dabei haben es die führenden Unternehmen geschickt verstanden, die schwarze Elite zu ködern, um sich ein repräsentatives, gemischtrassiges Aussehen zu geben. Eine Umverteilung zugunsten jener Fischergemeinschaften, die seit Generationen für ihren Lebensunterhalt auf Fischbestände angewiesen sind, hat dagegen nur in sehr geringem Maße stattgefunden.
aus: der überblick 02/2004, Seite 37
AUTOR(EN):
Jackie Sunde :
Jackie Sunde hat zur Zeit einen Forschungsvertrag bei der nichtstaatlichen Entwicklungsgesellschaft "Masifundise Development Organisation" und arbeitet dabei mit Fischergemeinschaften und Gemeinden an der Küste Südafrikas zusammen.