Der Phönix aus dem Bürgerkrieg
Dass Burkina Fasos Präsident Blaise Compaoré beim Bürgerkrieg in Côte d'Ivoire seine Hand im Spiel hatte, steht mittlerweile fest. Aber welche Interessen verfolgt er mit einer Politik der Einmischung? Gut für das Wahlpublikum aufbereitet, kann sie ihm verhelfen, an der Macht zu bleiben. Er könnte sich aber dabei auch die Finger verbrennen.
von René Otayek
Selbst wenn es noch einige Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom 19. September 2002 gibt, der Côte d'Ivoire in die offene Krise stürzte, so wird mittlerweile kaum bestritten, dass der Nachbarstaat Burkina Faso eine zentrale Rolle dabei gespielt hat. Die direkte Verstrickung in diese Krise mag auf den ersten Blick überraschen angesichts der engen Beziehungen, die die beiden Länder unterhalten und der starken ökonomischen Abhängigkeit Burkina Fasos von Côte d'Ivoire.
Tatsächlich ist der Hafen von Abidjan der wichtigste Umschlagplatz für den Außenhandel von Burkina Faso; außerdem leben mehr als zwei Millionen Burkiner - hinzu kommen illegal eingewanderte - legal in Côte d'Ivoire, wo ihre Arbeitskraft maßgeblich zum ivorischen Wirtschaftswunder beigetragen hat. Das Geld, das sie nach Hause schicken, bildet bis heute eine unverzichtbare Einkommensquelle für einen großen Teil der burkinischen Bevölkerung.
Die ivorische Krise ist also alles andere als eine inner-ivorische Angelegenheit - als die sie die burkinischen Machthaber mehrfach bezeichneten. Das Gegenteil ist der Fall: Die Dichte und Komplexität ihrer regionalen Verstrickungen haben gleichzeitig schwerwiegende politische und ökonomische Folgen für Burkina Faso selbst.
Unmittelbar nach dem Putschversuch beschuldigte die Staatsführung in Abidjan den Nachbarn Burkina Faso als Drahtzieher der Destabilisierungsoperation. Blaise Compaoré, der Präsident von Burkina Faso, wurde als Hauptunterstützer und Anführer einer Rebellenbewegung beschuldigt, dessen wichtigsten Führer zu diesem Zeitpunkt bereits nach Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, geflüchtet waren. Notre Voie, die Tageszeitung der ivorischen Volksfront (Front populaire ivoirien, FPI), der Partei des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo, verkündete: “Blaise Compaoré, der demaskierte Destabilisator”. In dem Artikel heißt es, dass “sämtliche Waffen und Kämpfer, die für den Angriff gegen Côte d'Ivoire bereitgestellt wurden, aus Burkina Faso gekommen sind”, und dass “unter den Terroristen, die (die Stadt) Bouaké besetzt haben, unsere Informanten eindeutig Personen aus Burkina, Mali, Sierra Leone und Liberia identifiziert haben”.
Die von der nationalistischen ivorischen Presse (vergl. “der überblick” 4/2003) aufgebauschte These von der “äußeren Aggression” - unter der Hand von den Führern der Opposition, Robert Guéï und Alassane Ouattara, gegen Laurent Gbagbo, lanciert -, hatte eine nicht zu leugnende Mobilisierung zur Folge. Die Ideologie der Ivoirité enthält ohnehin verbreitete ausländerfeindliche Thesen, die seit langem in Côte d'Ivoire lebenden Burkiner als Sündenböcke für alle Übel des Landes verantwortlich machen.
Frankreich vertrat lange Zeit ebenfalls die These vom internen Konflikt, um juristische Komplikationen angesichts des Streits zwischen zwei seiner treuesten Verbündeten in der Region zu vermeiden (Frankreich hat ein militärisches Beistandsabkommen mit Côte d'Ivoire). Ebenso verhielten sich die wichtigsten Länder der Sub-Region, mit der bemerkenswerten Ausnahme von Togo. Burkina Faso, so dachte man, könne nicht in diesen Putschversuch verwickelt sein, ganz einfach weil es bei einer Destabilisierung von Côte d'Ivoire zu viel zu verlieren hätte.
Dennoch weisen viele Indizien in Richtung Ouagadougou und auf enge Berater des Präsidenten Compaoré. Nicht zuletzt spricht die Aktivität abtrünniger ivorischer Militärs in der burkinischen Hauptstadt für eine Verwicklung. Diese stehen heute an der Spitze der Forces nouvelles, so die neue Bezeichnung des Mouvement patriotique de Côte d'Ivoire (MPCI), jener Bewegung, die die Rebellion ausgelöst hat. Die Geschichte dieser Unteroffiziere, die nach den Säuberungen vom Sommer 2000 nach Ouagadougou flohen, ist inzwischen allgemein bekannt. Sie waren Mitglieder der Miliz Cosa Nostra unter der Junta von Guéï, Leute wie Ibrahim Coulibaly, alias IB, Tuo Fozié oder Cherif Ousmane. Dass die Rebellion unter diesen Bedingungen ohne das Wissen der burkinischen Machthaber organisiert wurde, ist völlig unwahrscheinlich. Tatsächlich spiegelt die Haltung von Burkina Faso gegenüber der ivorischen Rebellion den Endpunkt einer zwar langsamen, aber tiefgreifenden Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Abidjan und Ouagadougou wider.
Bereits seit den achtziger Jahren, besonders seit in Abidjan die Politik der “Ivorisierung” der Führungsschicht und des ökonomischen Nationalismus forciert wurde, der schon damals die Migranten aus den Nachbarländern im Visier hatte, kühlt sich das Klima ab. Später folgte dann die ethno-nationalistische Rhetorik der Ivoirité, angeheizt von den fanatischen Anhängern Henri Konan Bédiés, Manöver, die darauf abzielten, den Präsidentschaftsbewerber Ouattara aus dem politischen Spiel auszugrenzen. Schließlich wurde 1998 ein Gesetz über Landbesitz verabschiedet, welches ausschließlich “echten” Ivorern Eigentum an Grund und Boden erlaubt. Dadurch wurde der Bruch besiegelt.
Als es Ende 1999 in der Gegend von Tabou im Südwesten der Côte d'Ivoire zu Konflikten um Agrarland kam - mit äußerst gewaltsamen Zusammenstößen zwischen alteingesessenen Kru und mehrheitlich burkinischen Zugewanderten - und über 15.000 Burkiner aus Côte d'Ivoire fliehen mussten, gab es kein Zurück mehr. Infolge dieser Episode kam die politische Führung Burkina Fasos zu dem Schluss, dass die Interessen ihrer Emigranten in Côte d'Ivoire direkt bedroht waren und dass sie gegenüber derartigen Ausschreitungen nicht länger untätig bleiben konnte. Selbst die Wahl Laurent Gbagbos - der einst von Burkina Faso gefördert wurde - zum ivorischen Präsidenten konnte ihre Befürchtungen nicht mindern. Ganz im Gegenteil: Die Art und Weise, in der der Chef der FPI unter dem Deckmantel verfassungsmäßiger Argumente das Thema der Ivoirité instrumentalisierte und damit die öffentliche Meinung mobilisierte, um an die Macht zu gelangen, weckten mehr Argwohn in Ouagadougou.
Gleichwohl reichen die Beziehungen zwischen Compaoré und Gbagbo weit zurück, und die Burkiner erinnern gern daran, dass die Wahlkämpfe von Gbagbo zum Teil von ihnen finanziert wurden. In diesem Zusammenhang ist es nicht erstaunlich, dass die Beziehungen zwischen den ivorischen Exilierten der Cosa Nostra und den politisch-militärischen Führern von Burkina Faso enger geworden sind. Im Übrigen hat die Führung Burkinas inzwischen zugegeben, Verbindungen zu den Rebellen zu unterhalten, auch wenn sie sich über die Art dieser Beziehungen nicht konkret äußert und ihre Unterstützung der bewaffneten Bewegung als eine legitime Art der Verteidigung gegenüber Ausschreitungen darstellt, deren Opfer ihre in Côte d'Ivoire lebenden Staatsbürger sind.
Die Verwicklung Burkinas in den Konflikt zeigt sich nicht nur in dieser politischen Unterstützung, sondern auch der militärischen Rückendeckung für die Rebellen, die sich nicht allein auf die Bereitstellung der Transitwege beschränkt, sondern darüber hinaus wichtige logistische Unterstützung und Waffenlieferungen einschließt. Zahlreiche Zeugen erwähnen selbst heute noch die nächtliche Ankunft großer Transportmaschinen auf dem burkinischen Flughafen von Bobo-Dioulasso, rund 100 Kilometer von der Grenze zu Côte d'Ivoire. Ferner ist es erwiesen, dass junge Zivilisten dieser Region als Söldner für die Rebellion angeworben wurden; auch hunderte von Dozo (traditionellen Jägern) aus Burkina Faso und Mali haben bei der Rebellion mitgemacht. All diese Indizien verstärken die Glaubwürdigkeit der These einer engen Zusammenarbeit zwischen politischen Führern von Burkina Faso und den ivorischen Rebellen.
Die Regierung Compaoré hatte sich lange Zeit merkwürdig passiv gegenüber den zahlreichen Ausschreitungen verhalten, denen seit mehreren Jahren in Côte d'Ivoire lebende burkinische Migranten zum Opfer fielen. Diese Haltung - ob vorsätzlich eingenommen oder durch die Zwänge der Geschichte und der regionalen Geopolitik diktiert - führte nicht zuletzt zu Ressentiments der Bevölkerung und der Medien.
Deshalb sah sich die Regierung zum Handeln gezwungen. Angesichts der im Jahr 2000 anstehenden Kommunalwahlen und der Parlamentswahlen im Jahr 2002 wollte sie kein Risiko eingehen. Sie steckte ohnehin in der Krise, weil ihr die Ermordung des Chefredakteurs der Zeitschrift
L'Indépendant, Norbert Zongo, am 13. Dezember 1998 angelastet wurde. Zongo hatte kritische Artikel über den Bruder des Präsidenten geschrieben. So begann die Regierung mit der Operation Bayiri, - “Mutterland” in der Sprache der Mossi. Ziel dieser Kampagne war, die Repatriierung burkinischer Migranten aus Côte d'Ivoire zu organisieren. Lanciert mit großem Werbeaufwand, mit finanzieller Unterstützung von Sponsoren und der Mobilisierung der in Frankreich lebenden burkinischen Diaspora, war das Ergebnis der Kampagne dennoch eher bescheiden. Die große Mehrheit burkinischer Migranten zog es vor, in Côte d'Ivoire zu bleiben.
Tatsächlich wurde die “burkinische Frage” in Côte d'Ivoire erst nach dem Ausbruch der Rebellion ein zentrales Thema für die öffentliche Debatte und führte zu neuen Ausschreitungen gegen burkinische Migranten. Die Kampagne verschärfte sich noch angesichts der bevorstehenden Friedensverhandlungen zwischen der ivorischen Regierung und den Rebellen, die Anfang 2003 in Marcoussis, Frankreich, unter der Führung der französischen Regierung stattfanden. Auslöser war ein Interview, das Blaise Compaoré der französischen Tageszeitung Le Parisien am 21. Januar 2003 gegeben hatte und das in Burkina Faso selbst weit verbreitet wurde, sowohl durch die Regierungsorgane (insbesondere durch die Tageszeitung Sidwaya) als auch durch die private Presse. Darin hatte Compaoré gefordert, Gbagbo solle zurücktreten; andernfalls riskiere er, wie Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein internationales Strafgericht gestellt zu werden. In Burkina Faso zeigte das Wirkung hinsichtlich der öffentlichen Meinung, zumal fast jeder Burkiner mindestens einen Verwandten hat in Côte d'Ivoire hat und damit den aus der Rhetorik der Ivoirité folgenden Exzessen unmittelbar ausgesetzt ist.
Diese Mobilisierung, die ihren Höhepunkt mit den Massendemonstrationen anlässlich der Hin- und Rückreise Blaise Compaoré nach Paris erfährt, wo er am Gipfeltreffen der Staatschefs zur Verabschiedung des Abkommen von Marcoussis teilnahm, hätte niemals derartige Ausmaße angenommen, wäre sie nicht von bestimmten politischen Kräften sorgfältig und geschickt im Hintergrund - und damit umso wirksamer - vorbereitet und gelenkt worden. Offiziell war der tatsächliche Eifer der Bevölkerung bei der Reise des Staatschefs in der Tat spontan. In den der politischen Macht nahestehenden Kreisen gibt man gerade noch zu, dass sie durch ein Rassemblement patriotique burkinabP (RPB) initiiert worden sei, einer patriotischen Bewegung, die aus dem Nichts entstanden sei und bar jeglicher politischer oder ideologischer Anbindung. Allerdings ist es kaum glaubhaft, dass dieses RPB innerhalb weniger Stunden Demonstrationen einer Größenordnung hätte organisieren können, die allein den Volksmobilisierungen der ersten Stunden nach der Revolution von Thomas Sankara im Jahr 1983 (vergl. “der überblick” 1/2003) vergleichbar sind. Offensichtlich ist Rassemblement nichts weiter als eine leere Hülle, mit deren Hilfe sich der CongrPs pour la démocratie et le progrPs (CDP) profiliert, die mächtige Partei des Präsidenten. Nur so konnten die Logistik, die geschickte propagandistische Handhabung und die Organisation dieses “spontanen Ausdrucks” der Unterstützung für Blaise Compaoré derartig erfolgreich sein.
Muss man befürchten, dass die RPB in einen Patriotismus nach Art der Ivoirité abgleitet? Vermutlich nicht. Die burkinische Bevölkerung, selbst wenn sie berechtigte Gründe hat, Wut gegenüber den ivorischen Nachbarn zu empfinden, hat sich kaum auf den kriegerischen Alles-oder-Nichts-Diskurs des PRB einschwören lassen. Im Übrigen kann man darauf wetten, dass die Mehrheit der Burkiner in ihrem Innern eine Rückkehr zum zivilen Frieden in Côte d'Ivoire wünscht, für sie gleichbedeutend mit einer wirtschaftlichen Normalisierung.
Andererseits ist nicht zu bestreiten, dass Compaoré erhebliche politische Vorteile aus der ivorischen Krise zieht, aus der er als großer Gewinner hervorgehen kann. Gewiss, er hat 1998 ein neues Mandat erhalten und seine Partei 2002 die Parlamentswahlen gewonnen, obwohl die Opposition spürbar zulegte. Sie profitierte von den politischen Reformen - insbesondere durch die Veränderung des Wahlmodus -, zu denen sich die Regierung bequemen musste, um die Ermordung von Norbert Zongo in Vergessenheit geraten zu lassen. Compaorés Legitimität war durch diese Krise nachhaltig beeinträchtigt. Und seine erwiesenen Einmischungen in den liberischen, den sierra-leonischen sowie den angolanischen Konflikt haben Burkina Faso überdies den Ärger der Amerikaner zugezogen und in Gefahr gebracht, bei Gelegenheit als Schurkenstaat eingestuft zu werden.
So war die ivorische Krise für Blaise Compaoré sozusagen ein gefundenes Fressen, denn sie hat ihm die vollständige Wiederherstellung der zuvor schwer angeschlagenen Legitimität erlaubt. Insbesondere die politischen und juristischen Nachspiele der Affaire Zongo hatten Compaoré schwer zugesetzt. Auch dass bei der Privatisierung der Staatsbetriebe (wie des symbolträchtigen Textilunternehmens Faso Fani) in erster Linie den Angehörigen der Machthaber den Zuschlag erhalten hatten, und es in der Folge zu Entlassungswellen gekommen war, schuf nicht gerade Sympathie für die Regierung, sondern stärkte und einigte die Gewerkschaftsbewegung. Nun aber hatte sich eine “geheiligte Union” um seine Politik der Verteidigung burkinischer Interessen in Côte d'Ivoire gebildet und ermöglichte ihm den Ausweg aus der Krise seiner eigenen Regierung.
In diesem Zusammenhang scheint der politische Spielraum des Staatschefs angesichts der im Jahr 2005 anstehenden Präsidentschaftswahlen wieder gewachsen, und er kann härter durchgreifen. Auch dass im Oktober 2003 ein dutzend Menschen wegen angeblichen Putschversuchs verhaftet wurden, deutet darauf hin.
Eigentlich kann sich Campaoré nicht zur Wiederwahl stellen, denn die Revision des Artikels 37 der Verfassung im April 2000, die auf Druck der in der so genannten G14 gruppierten Opposition erfolgt war, begrenzt die Anzahl der Mandatsjahre des Präsidenten der Republik auf fünf Jahre und erlaubt nur eine Wiederwahl. Wird Blaise Compaoré sich an diese Vorschrift halten und nicht die nationalistische Welle, die für ihn quasi ein vorgezogener Wahlkampf sein könnte, ausnutzen, um sich eine erneute Amtszeit genehmigen zu lassen?
Doch selbst in diesem Fall ist das Spiel für den Staatschef noch nicht sicher gewonnen. Das gute Ergebnis sämtlicher Oppositionsparteien bei den Parlamentswahlen von 2002 deutet auf eine große Unzufriedenheit in der Wählerschaft hin, die die Opposition nur geschickt nutzen muss, um bei den Provinzwahlen (2004) und den anschließenden Präsidentschaftswahlen (2005) ein gewisses Vertrauen zu erzielen. Die Regel, dass der Gewinner alles bekommt, ist seit diesen Wahlen erschüttert, und es ist nicht länger lediglich ein Hirngespinst, wenn Oppositionsführer beteuern, ein Wechsel sei möglich. Bis 2005 kann noch viel passieren. Blaise Compaoré ist sehr früh und sehr schnell gestartet. Damit steht aber noch nicht fest, dass er den Vorsprung halten kann, selbst wenn auf den ersten Blick angesichts des aktuellen Kräfteverhältnisses ein Sieg der Opposition sehr unwahrscheinlich erscheint.
aus: der überblick 01/2004, Seite 38
AUTOR(EN):
René Otayek:
Dr. René Otayek ist Politologe und Direktor des "Centre d'étude d'Afrique noire" (CEAN) in Bordeaux, Frankreich. Zurzeit forscht er über den Zusammenhang zwischen Demokratie und ethnisch-religiösem Pluralismus.