Welchen Beitrag kann die Gentechnik leisten, um die Welternährung nachhaltig zu sichern?
Sind genetische Manipulationen an Kulturpflanzen und Nutztieren - die so genannte Grüne Gentechnik - notwendig oder zumindest hilfreich, um genügend Nahrung für alle zu erzeugen?
von Gudrun Kordecki
In den Kirchen ist die Skepsis über die Grüne Gentechnik verbreitet. So hat die Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt in der Studie "Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung" von 2000 dargelegt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht zu einer Verringerung des Hungers in den Ländern des Südens beitragen, da sie für die hochtechnisierte Landwirtschaft des Nordens entwickelt wurden. Die Kammer befürchtet Gefahren für die biologische Vielfalt und kritisiert den weit reichenden Patentschutz auf genetisch veränderte Nahrungspflanzen. Und laut einer Studie, die Jules Pretty und Rachel Hine von der britischen Universität Essex vergangenes Jahr im Auftrag von Greenpeace und "Brot für die Welt" vorgelegt haben, könnten nachhaltige Formen der Landwirtschaft in vielen Ländern ohne Gentechnik die Erträge deutlich steigern.
Dagegen hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in seinem jüngsten Bericht über die menschliche Entwicklung die Nutzung der modernen Biotechnologie als unverzichtbares Mittel zur Bekämpfung von Armut und Hunger in den Ländern des Südens propagiert. Dieses Plädoyer hat unter anderem in der Kammer für Entwicklung und Umwelt Stirnrunzeln ausgelöst. Eine Tagung Ende Juni in Berlin hat nun den Kontrahenten Gelegenheit geboten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Evangelische Akademie zu Berlin hat die Tagung zusammen mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst, der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt und "Brot für die Welt" durchgeführt; eine Vertreterin des UNDP und ein Wissenschaftler aus dem Süden nahmen daran teil.
Dieser, Dr. Devinder Sharma vom Forum Biotechnology and Food Security aus New Delhi, schilderte am Beispiel Indien, dass Hunger häufig nichts mit einer zu geringen Nahrungsproduktion zu tun hat. In Indien sind zur Zeit die Lebensmittellager voll, aber die hungernde Bevölkerung kann sich diese Lebensmittel nicht leisten. So verrotten Nahrungsmittel oder werden von Schädlingen gefressen, während in einigen Gegenden Indiens Hungersnöte herrschen. Gleichzeitig werden aber Agrarprodukte exportiert.
Gleichwohl muss langfristig wegen des Bevölkerungswachstums und des mit dem Wohlstand wachsenden Fleischkonsums etwa in China auch die Welt-Agrarproduktion gesteigert werden. Frau Fukuda-Parr, die als Direktorin des Entwicklungsprogramms der UN in New York für den UNDP-Bericht des letzten Jahres verantwortlich ist, erläuterte, warum das UNDP dafür auch auf Gentechnik setzt: Armut und Hunger könnten nur wirksam bekämpft werden, wenn man den Ländern des Südens moderne Technologien zugänglich mache, auch die Gentechnik. Allerdings wies Fukuda-Parr darauf hin, dass diese auch aus Sicht des UNDP nur unter bestimmten Bedingungen einen Beitrag zur Ernährungssicherung leisten könne. So sollten in den Ländern des Südens nur Pflanzen angebaut werden, die den klimatischen Bedingungen und dem Nahrungsbedarf der dortigen Bevölkerung entsprechen. Auch beklagte sie, dass das nötige Wissen und die Patente im wesentlichen bei multinationalen Konzernen liegen. Nötig seien mehr öffentliche Forschung und der Transfer des Wissens in die Länder des Südens.
Professor Jany von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung wies darauf hin, dass sich auch in Ländern des Südens inzwischen Forschungsgruppen mit der Entwicklung standortangepasster genetisch veränderter Pflanzen beschäftigen. So werden in Indien nun drei selbst entwickelte Baumwollsorten angebaut. Jany hält den Anbau derartiger Pflanzen für wichtig, insbesondere wenn in Zukunft Pflanzen mit besonderen Qualitätsmerkmalen erzeugt werden können wie Reis mit einem hohen Anteil an Provitamin-A oder dürre- oder salzresistente Nutzpflanzen. Letzteres werde derzeit in Brasilien bei einer Maissorte entwickelt.
Dagegen plädierte Dr. Patrick Mulvany, ein Berater für Strategien der Ernährungssicherung von der Intermediate Technology Development Group aus England, leidenschaftlich für eine standortangepasste Landbewirtschaftung. Sie müsse sich auch an kulturellen und sozialen Kriterien orientieren und das Ziel eine nachhaltige Nutzung der Umwelt sein. Mulvany wies darauf hin, dass durch einen solchen standortgerechten Landbau nicht nur die Produktivität und die Nahrungsmittelvielfalt für die Bauern zunehme. Auch sei der Boden besser vor Naturkatastrophen geschützt. So habe der Verlust an fruchtbarem Ackerboden nach dem Hurrikan "Mitch" im November 1998 in Mittelamerika beim konventionellen Anbau mehr als das Dreifache im Vergleich zum standortgerechten Landbau betragen.
Die Tagung machte deutlich, dass Befürworter der Grünen Gentechnik eher auf die moderne Großlandwirtschaft setzen, ihre Gegner dagegen auf kleine Betriebe. So betonte Johannes Brandstäter vom Referat Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt bei "Brot für die Welt", für die Sicherung der Welternährung solle der Hauptfokus auf Kleinbäuerinnen und Kleinbauern liegen - sie gehören vielerorts ja zu den Ärmsten. Die Politik solle in vielen Ländern der Erde eine Agrarwende vollziehen und den Zugang zu Ressourcen, zum Beispiel Land, sowie gerechte Preise für Agrarprodukte gewährleisten.
Wie emotional aufgeladen der Streit um die Grüne Gentechnik ist, zeigte eine Bemerkung von Fukuda-Parr: Noch nie in der Geschichte der UNDP-Berichte seien so viele E-mails mit Beschimpfungen beim UNDP eingegangen wie nach dem letzten Bericht. Es wurde aber auch deutlich, dass Befürworter wie Gegner der Gentechnik in manchen Punkten gar nicht so gegensätzlich denken, wie es zuweilen scheint. So wies Prof. Jany darauf hin, es sei davon auszugehen, dass die Entwicklung von Nahrungspflanzen für die Länder des Südens mit Hilfe der Gentechnik wohl noch zehn bis zwanzig Jahre Zeit benötigen würde. Die Agrarkonzerne des Nordens würden sich weiterhin auf kommerziell interessante Pflanzen konzentrieren und damit vermutlich im Wesentlichen auf acht Pflanzenarten. Schnelle Hilfe gegen den Hunger ist demnach von der Gentechnik nicht zu erwarten. Für die Sicherung der Welternährung, darin waren sich Jany und Mulvany einig, ist es erforderlich, die Vielfalt der unterschiedlichen Nahrungspflanzen zu erhalten und die Ernährung auf eine breite Basis zu stellen. Brandstäter war mit Fukuda-Parr im Grunde einig, dass mehr öffentliche Agrarforschung nötig ist und man sich nicht auf die Forschung in privaten Konzernen verlassen kann.
Die Tagung hat deutlich gemacht, dass die Sicherung der weltweiten Ernährung eine hochkomplexe Aufgabe ist: Es gilt, Nahrungsmittel dort zu produzieren, wo sie benötigt werden. Es gilt, dem Nahrungsmangel entgegen zu wirken. Es gilt, auch langfristig die Bodenfruchtbarkeit und die genetische Vielfalt der Nahrungspflanzen zu erhalten. Es gilt, Kleinbauern in ländlichen Regionen eine Perspektive zu bieten. Die Befürworter der Grünen Gentechnik konnten nicht überzeugend darlegen, dass genetisch veränderte Pflanzen hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.
aus: der überblick 03/2002, Seite 128
AUTOR(EN):
Gudrun Kordecki:
Dr. Gudrun Kordecki ist Chemikerin und seit 1992 Umweltreferentin der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 1999 ist sie stellvertretende Vorsitzende der EKD-Kammer für Entwicklung und Umwelt und Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten in der EKD (AGU).