Auf Kurs in die Selbständigkeit
Für viele Schwarze hat sich die Lebenssituation im "neuen Südafrika" nicht verbessert. Das liegt vor allem an der hohen Arbeitslosigkeit. Hoffnung auf Beschäftigung gibt es meist nur im Dienstleistungssektor oder als selbständiger Kleinunternehmer. Das "Noordhoek Valley Training Centre" in der Nähe von Kapstadt vermittelt in praxisbezogenen Kursen grundlegende Fertigkeiten und berät bei Unternehmensgründungen.
von Susanne Bittorf
Etwa 20 Kilometer südlich von Kapstadt, Richtung Kap der Guten Hoffnung, ist der Zipfel der Halbinsel besonders eng, nur fünf Kilometer Festland trennen die großen Meere: Im Westen der Atlantik, im Osten, ebenfalls in Sichtweite, der Indische Ozean. Hier gab es noch vor einigen Jahrzehnten ein weites Feuchtgebiet, bis ein Trockenlegungsprogramm neue Gemeinden und Siedlungen entstehen ließ. Sun Valley heißt diese Senke und einige Ortschaften, wie etwa Simons Town an der False Bay sind geschichtsträchtig: Der Marinehafen der einst britischen Flotte ist noch heute wegen seiner alten Bauten und Piers berühmt, nicht nur, weil Admiral Nelson hier in jungen Jahren weilte, sondern weil auch heute noch die grauen Schiffe der South African Navy von hier aus zu ihren Manövern auf See ausrücken.
Das malerische, weißgetünchte Städtchen mit seinen Restaurants und Hafenkneipen im viktorianischen Stil war zur Zeiten der Apartheid als white area, als ein Viertel nur für Weiße, deklariert. Auch im westlichen Noordhoek und in Kommetjie hatte der Group Areas Act, das Rückgrat der Rassentrennungspolitik Südafrikas, Schwarzen und Farbigen die Ansiedlung untersagt. Das ist seit mehr als zehn Jahren Geschichte. Heute gibt es auf der schmalen Landzunge Supermärkte, Industriebetriebe, Werkstätten, eine Großbäckerei, Möbelfabrikation, Kfz-Niederlassungen, Bootsbau, Plantagen, Großgärtnereien und Baumschulen.
"Ngaphaya Kwentaba" - "Jenseits der Berge", die Sprache der Xhosa meinte damit das Tafelbergmassiv, da gibt es Arbeit. Gab es auch. Als Kassiererin im Supermarkt, als Tankwart, Hilfsarbeiter auf dem Bau, Gärtner, Parkplatzwächter und Hausangestellte. Tausende kamen, und es entstanden Townships wie Masiphumelele, Ocean View und Red Hill. Sie wuchsen innerhalb kürzester Zeit zu Lehm - und Wellblechstädten. Allein in Masiphumelele leben heute mehr als 30.000 Menschen: Die Familien haben oft nicht mehr als 200 Rand (etwa 18 Euro) im Monat, das reicht hinten und vorne nicht.
Die Mär von den zahlreichen Arbeitsplätzen jenseits der Berge stimmt schon lange nicht mehr, es herrschen Not und Armut in den Siedlungen. Viele, sehr viele Menschen sind arbeitslos, vor allem auch deshalb, weil sie keine Ausbildung haben, kein Geld und keine Erfahrung, sich selbständig zu machen oder eine Anstellung zu finden. Und das gilt nicht nur in dieser Region, sondern überall in Südafrika. Die Regierung des Landes steht vor einem gigantischen Problem: Arbeit und Wohlstand für alle, Erziehung und Ausbildung für die Ärmsten, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein der Unterprivilegierten zu schaffen. Das Erbe der Apartheid ist überall sichtbar. Die Regierung konzentriert sich auf die schulische Ausbildung einer neu heranwachsenden Generation. Gleichzeitig aber bleibt das Heer der Arbeitslosen, die keine Ausbildung hatten und kein Handwerk gelernt haben. Für sie müssen Initiativen und Programme entwickelt werden, die sich schnell und praktisch umsetzen lassen.
Eines dieser Projekte, das als Modell für ganz Südafrika funktionieren könnte, heißt Noordhoek Valley Training Centre. Sieben weiße, flache lange Gebäude stehen unter schattenspendenden riesigen Bäumen gleich an der Straße, die nach Kommetjie und dann weiter an das Kap führt. Ein Gärtner mäht den Rasen zwischen den Häusern, ein junger Baum, der mit der Hitze kämpft, wird gewässert. Telefone klingeln von irgendwoher, gedämpftes Lachen hin und wieder. Eine Szenerie, wie man sie von einem College Campus kennt, und doch ist hier etwas anders: Nähmaschinen surren, der singende Ton durch die geöffneten Fenster mischt sich mit den metallischen Geräuschen einer Maurerkelle. Irgendwo treibt ein Hammer einen Nagel ins Holz und aus einem anderen Haus erklärt eine Dozentenstimme die Grundregeln der Prozentrechnung.
Das Training Centre ist der Stolz der Region, ein Vorhaben, das von Regierung und Stadt, von Ministerien und Banken und anderen Institutionen unterstützt wird. Hier sollen Menschen, egal welchen Alters, eine knappe theoretische, aber vor allem eine praktische Ausbildung erhalten. Sie sollen unternehmerisch denken lernen, sich ein Know-how für den Weg in die Selbstständigkeit erwerben. Oder - wie es eine Mitarbeiterin des Centers ausdrückt - "es soll allen helfen, wie man zum Beispiel Häuser baut, sich handwerkliche Techniken aneignet, rechnet und kalkuliert und vor allen Dingen, wie man Selbstvertrauen in sich finden kann".
Das Training Centre bietet mehrere Kurse und Ausbildungslehrgänge an: Da gibt es eine Schneiderei, eine Maurerwerkstatt, eine Töpferei, Hauswirtschafts- und Gastronomiegruppen, Lederverarbeitungs- und Computerkurse. Und da Englisch als Ausbildungssprache gilt, für alle, die diese allgemeine Verkehrssprache noch nicht so recht beherrschen, Englischunterricht. Es gibt kaum Eingangsvoraussetzungen: Die Bewerberinnen und Bewerber müssen über 18 Jahre alt sein, und für den Computerkurs sollte man einen Hauptschulabschluss vorweisen können, für Hauswirtschaft den Grundschulabschluss.
Moregion Landzela ist 35, sein Onkel, der wie er selbst in Masiphumelele lebt, hatte ihm erzählt, dass es einen Maurerkurs im Valley Centre gibt. Im Moment mauert er gerade einen Kamin. Dazu verwendet er eine halbmondartige Holzschablone, über die er die Steine festzementiert, ein für das Land typischer, englischer Fireplace entsteht. Die Kaminwand macht einen guten Eindruck, Moregion strahlt: "Ich habe einen neuen Beruf gesucht", erzählt er. Bisher hat er für die Nachbarn im Township Reparaturen gemacht. "Die Kunden haben aber fast nie gezahlt." Er hofft, dass der neue Beruf ihm bessere Arbeitschancen bietet. Schließlich wird viel gebaut am Kap. Und wenn Moregion Landzela seinen Kurs erfolgreich beendet hat, dann weiß er nicht nur, wie man einen Stein auf den anderen setzt. Er lernt auch Theorie, Materialkunde etwa, oder Mengenberechnungen. 90 Prozent der Maurerschüler sind bisher bei Firmen untergekommen oder haben sich selbständig gemacht.
Zoleka Futshane zeichnet gerade ein Schnittmuster. Die 26-jährige Frau aus dem etwa 80 Kilometer entfernten Paarl hatte noch nie eine Arbeit gefunden. "Aber ich wollte etwas machen, etwas, wo ich sagen kann, das kann ich." Sie entwirft ein eigenes Design für einen Rock. Das gehört zu den Aufgaben, später kommt das Nähen von Hosen und Hemden dazu. Neben Zoleka rattert die Nähmaschine von Teria Kalumba. Die 40-Jährige will eine eigene Schneiderei aufmachen. Sie hat für die Ausbildung, die umgerechnet etwa 30 Euro kostet, ein Stipendium bekommen.
Die erfolgreichsten Lehrlinge sind allerdings die aus der Hauswirtschaftsklasse. In Südafrika ist es immer noch eine Selbstverständlichkeit, Hausangestellte zu beschäftigen. Der Lohn ist nach wie vor erbärmlich niedrig, aber so finden schwarze Frauen wenigstens überhaupt eine Anstellung. Was sie dazu lernen müssen, bringen ihnen meistens die weißen Arbeitgeberinnen bei. Learning by doing. Im Ausbildungszentrum in Noordhoek sollen die jungen Frauen in die Grundkenntnisse einer modernen Haushaltsführung eingewiesen werden, damit sie bessere Chancen bei der Jobsuche haben, und auch, um unabhängiger von den Arbeitgebern zu sein. Sie lernen das Kochen mit der Mikrowelle oder das Bügeln mit einem Dampfbügeleisen, aber auch wie man einen Telefonanruf korrekt annimmt und ein Gespräch führt, oder wie man welche Waschmittel einsetzt. Dazu gibt es einen Koch- und auch einen Erste-Hilfe-Kurs.
Fast alle Absolventinnen haben anschließend einen Job bekommen. Nun soll eine Kinderkrippe auf dem Gelände des Centers eingerichtet werden, das erleichtert zum einen den jungen Frauen die Kursteilnahme, zum anderen lässt sich der Kindererziehungskurs dann wesentlich praxisorientierter gestalten.
Auch die Töpferei ist bisher eine Erfolgsgeschichte. Im Jahre 2000 fing sie in einer kleinen Baracke an, die nicht größer war als eine Garage. "Es ging Schlag auf Schlag", erinnert sich die diplomierte Keramiklehrerin Cathrin Grier. Es begann mit der internationalen Tourismusmesse in der südafrikanischen Hafenstadt Durban. Erfolgreich verkaufte die Lehrtöpferei dort Knöpfe aus Ton, die die Form von Walen und anderen Fischen hatten. Dann sorgte der Zufall für Kontakte zur Geschäftsleitung der Kosmetikkette Bodyshop und bescherte der kleinen Töpferei einen Großauftrag: braune Tonschalen für die Präsentation der Produkte in allen Geschäften. Allein nach Europa gingen 600 Schalen. So konnte die Töpferei sich allmählich finanzieren und gleichzeitig berufsbezogen ausbilden. Inzwischen ist die Töpferei in größere Räume umgezogen, es gibt zwei Brennöfen, und die fünfzehn Frauen haben gut zu tun.
Die 28-jährige Linda Robyn und die 27-jährige Thembisa Mdzewu sind inzwischen selbständige Unternehmerinnen. Gegen Bezahlung nutzen sie die Werkstatt und ihre Einrichtungen, aber ihre Produkte vermarkten sie selbst. Besonderen Erfolg haben Linda und Thembisa mit ihren Tonschalen, auf deren Rand kleine Frauenminiaturen stehen, die einander die Hände halten. Sie nennen sie die Bambanani-Schale. Das Wort stammt aus dem Xhosa und bedeutet "Händehalten". Die Schale, fragil und schön, ist der Renner. Beim Weltgipfel der Vereinten Nationen (UN) für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im letzten Herbst kam sie als symbolträchtiges Markenzeichen gut an. Inzwischen wird sie auch im Ausland verkauft. Jede der beiden Frauen töpfert im Monat mindestens zwanzig Einzelstücke.
Linda wollte schon "immer etwas machen, was mit Kunst zu tun hatte". Ihre Schulzeit war für sie eine Qual, sie musste mehrere Klassen wiederholen, weil sie panische Angst vor Prüfungen hatte. Danach beschlich sie das Gefühl, dass sie "nichts, aber auch gar nichts schaffen" könne. Wer der jungen Frau heute ins Gesicht schaut, spürt, dass sie doch noch etwas erreicht hat.
Nach dem Grundkurs in der Keramikklasse, der drei Monate dauert, können die Teilnehmerinnen einen Aufbaukurs belegen, in dem alle entscheidenden Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Selbständigkeit vermittelt werden. Marketing, Kalkulation, Transport, Werbung, Einkauf und Verkauf - und selbstverständlich die Berechnung des eigenen Umsatzes und der Gewinne.
Wer wie Linda die Entscheidung trifft, sich selbständig zu machen, kommt um die FEBDEV nicht herum. Die Berater der Foundation for Economic and Business Development sitzen im Gebäude gleich am Eingang zum Campus des Training Centers, in einem Doppelgebäude, dessen Mittelgang elegant von einer gewölbten Plexiglasdecke überspannt wird. Start your business with us now ("Mache Dich jetzt mit uns selbständig") steht an der Büroglastür von Erna Sittig. Die 33-jährige strahlt aus gutem Grund viel Optimismus aus. Sie weiß: Der letzte Schritt zur eigenen Unternehmensgründung ist der schwierigste. "Selbstvertrauen, der Glaube daran, dass man es schaffen kann, Selbstverantwortung zu übernehmen, daran scheitern viele." Oft aus ganz banalen Gründen: Wer ein Geschäft aufbauen will, braucht Geld. Die Banken zögern bei der Kreditvergabe, selbst wenn es sich um kleine Beträge handelt. Besonders wenn die Antragsteller aus einem Township kommen.
"Hier beginnt unsere Arbeit", erklärt Erna Sittig, "wir geben Unterstützung, etwa bei der Finanzplanung, und wir betreuen den mühsamen Weg in die Selbständigkeit." Dazu gehört auch Hilfe bei der Marktforschung, damit die angehenden Unternehmer lernen, wo und wie sie ihr Produkt am besten landen. Häufig gibt es psychologische Stolpersteine, erzählt die gelernte Ökonomin. "Da hatten wir einen jungen Mann, der drei Monate brauchte, um endlich den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, um Material zu bestellen. Er hat sich einfach nicht getraut, was für uns selbstverständlich ist: Das Telefon abheben und hineinreden."
Aber es gibt doch viele gute Beispiele: Aurelia Makhupula ist Kerzenmacherin, nicht einfache Kerzen, nein, ihre haben die Form von Obst und Gemüse, sehen aus wie Auberginen oder Erdbeeren. "Natürlich wollte hier in der Gegend keiner solche kunstvollen Kerzen kaufen. Sie waren den Leuten zu teuer und zu bunt. Für die normalen armen Leute ist eine Kerze ein Gebrauchsgegenstand, keine Kunst." Erst die Touristen, zum Beispiel in Kapstadts luxuriösem Einkaufszentrum am Hafen, der Waterfront, fanden die Kunstkerzen hinreißend. Aurelias Geschäft floriert, die Anleihen, die sie beim Training Center für den Einstieg ins eigene Geschäft brauchte, hat sie längst zurückgezahlt. Neun Monate dauerte es, bis sie unabhängig und selbständig war. "Die Menschen wachsen mit ihrem Erfolg", sagt Erna Sittig, "und es zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind."
Gleich gegenüber dem Campus des Ausbildungszentrums stehen reetgedeckte runde Steinhäuser, eines davon ist besonders groß, die anderen sehen aus, wie die dörflichen Wohnhäuser der Afrikaner auf dem Lande. Hier wirkt es ein wenig wie eine Hollywoodkulisse, die gerade erst für einen Film fertiggestellt wurde. Der Set ist perfekt: ein Restaurant mit rustikalen Holzmöbeln, Verkaufsbuden, deren Läden allerdings noch geschlossen sind und ein großes Theater, eine Art strohüberdachtes Amphitheater. Ein Dorf ohne Menschen, ohne Leben? Was wie eine Filmstadt wirkt, ist in der Tat ein Traum, der bald Wirklichkeit werden soll. Unter dem Namen Two Oceans Craft & Culture Centre sollen hier die Produkte der Kursteilnehmer von gegenüber verkauft werden. Hier sollen Touristen traditionelle Speisen im Restaurant bestellen können, serviert auf Tellern der Töpferei. Es soll afrikanische Musik geben, man soll sich wohl fühlen als Tourist, vielleicht auf dem Weg zum Kap oder als erlebnisreiche Zwischenstation auf dem Weg zurück nach Kapstadt. Doch so richtig ist der Traum noch nicht wahr geworden. Das African Village, das afrikanische Dorf, braucht noch Werbung: für ein gutes Essen, für schöne Waren, Kleider und Bilder, Ledertaschen und für Theater, Musik und Kunst im ovalen Haupthaus. Bislang wird lediglich der große Theaterraum von den Menschen der angrenzenden Siedlung zu eigenen Veranstaltungen genutzt.
Aber die engagierten Männer und Frauen des Noordhoek Valley Training Centers, die als Dozenten und Lehrerinnen mit viel Erfahrung aus vielen Berufen kommen, arbeiten bereits daran, dass - wie im Sternenbild von Castor und Pollux - auch das Training Center und das "afrikanische Dorf" bald unzertrennlich sein werden. Wie sagte doch Erna Sittig so strahlend: "Menschen wachsen mit ihren Aufgaben."
aus: der überblick 01/2003, Seite 52
AUTOR(EN):
Susanne Bittorf:
Susanne Bittorf arbeitet als Korrespondentin für die "Süddeutsche Zeitung" und lebt in Kapstadt, Südafrika.