Kenias rasant wachsende Mittelschicht entdeckt den Konsum und andere käufliche Lebensfreuden
Auf der Terrasse wird gejohlt, die jungen Männer in Anzug und Krawatte prosten einander zu und geben dem Kellner ein Zeichen: Noch einmal dasselbe, eine Runde Mojitos für Tisch 2. "Das war ein super Tag", klopfen die vier Broker sich verbal gegenseitig auf die Schulter. Die Kurse sind gestiegen, das tun sie seit drei Jahren, doch nicht immer so stark wie heute. Ein Grund zum Feiern, wenn man richtig gekauft und verkauft hat. Und das komplett verchromte Mercury, eine der schicksten Bars der Stadt, ist der Platz, wo man feiern geht, trotz der im Vergleich horrenden Preise. Das ist nicht New York, nicht Frankfurt am Main, es ist Nairobi, Hauptstadt von Kenia, laut dem Human Development Index eines der 25 am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Doch in der Glitzerwelt des Mercury ist davon nichts zu spüren. Im Gegenteil.
von Marc Engelhardt
Immer mehr Kenianern geht es nicht gut, sondern sehr gut. Jeden Monat werden 4000 Autos neu zugelassen die meisten davon importierte Neuwagen. Cocktail-Bars und Restaurants mit Sushi, Thai-Food oder angesagter Fusion-Küche werden längst nicht mehr nur von den ausländischen Angestellten der Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen frequentiert. Immer neue Shopping Malls öffnen ihre Tore. Manche wie das vor Gold und Marmor strotzende Panari Sky Centre erinnern in ihrem Protz und Prunk an den Überfluss arabischer Öl-Emirate: Im zweiten Stock steht eine von drei Eisbahnen Afrikas, wenn auch meistens leer. Ein paar Schritte weiter trinken die Betuchten des Abends gerne ein frisch gezapftes Bier im Sierra, der einzigen Brasserie Ostafrikas, für den vierfachen Normalpreis.
Die kenianische Kundschaft in diesen Plätzen hat vieles gemeinsam: Man ist zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, hat einen festen Job bei Banken, Versicherungen oder in der Telekommunikation und ist meist in Nairobi geboren. Das ist wichtig, denn anders als die zugewanderte Elterngeneration fühlen sich Kenias Yuppies nicht mehr einer schier endlosen Großfamilie "up-country" verpflichtet. Man hat Geld, man behält es oder noch besser gibt es aus. Seit drei Jahren legt Kenias Wirtschaft jährlich um zwischen fünf und sechs Prozent zu, verantwortlich dafür ist vor allem die starke Binnenkonjunktur. "Kenias Mittelklasse wächst schneller als je zuvor", erklärt Sunny Bindra, Ex-Chef der Wirtschaftsberater von Price Waterhouse Coopers in Ostafrika. Bindra, der einmal wöchentlich in Kenias größter Tageszeitung über die Politik und ihre Wirtschaftsfeindlichkeit herzieht, gilt als einer der intimsten Kenner der kenianischen Ökonomie. "Diese Mittelschicht versorgt vielleicht noch ihre Eltern mit, hat ein bis zwei Kinder das ist es dann aber auch."
"Wir haben unseren Eltern viel zu verdanken", sagt Hussein, der gemeinsam mit seinem Bruder Hassan das Hochglanzmagazin HFM herausgibt. HFM steht für Have Fun Magazine und ist so etwas wie das Zentralorgan der neuen Mittelschicht. "Unsere Elterngeneration hat das Fundament dafür gelegt, dass wir stärker und reicher sind als sie. In Kenia gibt es jetzt Unterhaltung, es gibt Nachtclubs, es gibt Satellitenfernsehen." Husseins HFM-Magazin (Motto: "It's all about having fun", frei übersetzt: Gib Gas, ich will Spaß) berichtet über neue Orte für das versteckte Tattoo, darüber, wie Jackets fusselfrei bleiben, und natürlich über Frauen und Männer. Von den britischen Importen GQ oder Esquire unterscheidet sich HFM im Preis (es kostet nur ein Viertel so viel) und ist von einer erstaunlichen Kenyaness: In den Fotostrecken tragen die Models grundsätzlich nur kenianische Labels. "Kenianer sind die lustigsten Menschen, die ich kenne", erklärt Hussein die starke Bindung ans Heimatland. "Unser Leben ist voller Herausforderungen, wir arbeiten alle viel deshalb machen wir ein Magazin, das die Gestressten daran erinnern soll, dass man ab und zu auch Spaß haben muss." Dass das nicht im Geringsten dem westlichen Afrikabild entspricht, weiß er wohl. "Ich war in vielen europäischen Ländern und ehrlich gesagt sind die meisten Europäer ziemlich unbedarft, was Afrika angeht", so Hussein. "Klar haben wir in Afrika Probleme, aber anderen geht es noch schlechter!"
Im Aufschwung des kenianischen Hedonismus sind Dinge möglich, die bislang als unfassbar galten. In Nachtclubs wie dem Chillers fallen zu den Anfeuerungsrufen hunderter Männer auch die letzten Hüllen der Table-Tänzerinnen. Zwar gab es im offiziell prüden Kenia schon immer Prostitution und auch Stripperinnen, aber so öffentlich waren Lüsternheit und Sex noch nie. "Ich habe in diesem Geschäft schon alles gesehen", berichtet Susan, die die steigende Nachfrage nach Junggesellenabschieden befriedigt. "Manchmal wollen die Organisatoren nur Stripperinnen, aber manchmal auch viel, viel mehr." Mindestens 3000 Schillinge "Grundgebühr" verlangt Susan pro Fest, Getränke und Mädchen gehen extra. Von ihrem Gewinn kann Susan so gut leben, dass sie sich einen der teuersten Geländewagen leistet mit Fahrer.
Auch Casinos boomen wie nie: 52 sind offiziell lizenziert, dazu kommen Hunderte illegaler Spielhöllen vor allem in Mombasa und Nairobi. "In Nairobis Innenstadt ist es unmöglich, eine Straße herunterzugehen, ohne dass man über ein Casino stolpert", grinst ein Insider. Viele der Angestellten im Business District treffen sich nach der Arbeit noch zu einer Partie Roulette oder Bacarat. Der Umsatz aus den legalen Spielbetrieben lag Kenias Regierung zufolge 2005 bei mehr als 15 Millionen Euro, Tendenz steigend.
Doch das wahre Wirtschaftswunder, so der Ökonom Sunny Bindra, findet ein Stockwerk tiefer statt. "Der typische Vertreter der neuen Mittelklasse verdient 25.000 bis 30.000 Schillinge im Monat, weniger als 400 Euro. Nach Abzug von Miete, Transport und Essen bleiben dann vielleicht 5000 bis 10.000 Schillinge übrig, die man für etwas Schönes ausgeben kann - Dinge, die einem gut tun, aber kein Luxus." Wer in die neue Mittelklasse vorstößt, so Bindra, isst auswärts nicht mehr in den Bretterbuden am Straßenrand, die Maisbrei mit Spinat oder Huhn verkaufen. "Die Leute gehen stattdessen vielleicht einmal im Monat in einen etwas besseren Platz, eines der einfachen Restaurants. Sie kaufen sich einen Gebrauchtwagen, selbst wenn er meistens vor der Tür steht, weil sie sich den Sprit nicht leisten können. Statt gebrauchten Klamotten kaufen sie Neuware. Es sind all die kleinen Dinge, nicht die Großen."
Kenianer, sagt Bindra, sind geduldig sie träumen von der goldenen Zukunft und sind dennoch bereit, hart für die nicht ganz so rosige Gegenwart zu schuften. Als die Ostafrikanische Brauerei (Hauptmarke: Tusker) vor einem halben Jahr ihre fünfzig größten Kunden bei einer Gartenparty auszeichnete, rieben sich viele die Augen: Die zum Event chauffierte High Society kannte praktisch keines der Etablissements. Am meisten Bier verkauft offenbar eine Kaschemme namens Sabina, mitten in der Innenstadt. Ihr Erfolgsgeheimnis: kein Chrom, keine Cocktails, sondern billiges Bier rund um die Uhr. Im Sabina, so wissen Taxifahrer, ist es nachts um elf genauso voll wie morgens um acht.
Doch die meisten Kenianer werden sich selbst ein Bier im Sabina niemals leisten können. Dass es einem Großteil der Bevölkerung deutlich schlechter geht, ist ein wichtiger Ansporn, so Bindra. "Armut ist für die meisten wie eine Krankheit, die man überwinden muss. Wer es einmal geschafft hat, schaut nicht mehr zurück." Dabei ist es das Gros der Gesellschaft, das bis heute von weniger als dem berühmten Euro am Tag lebt. " 16,5 Millionen Kenianer sind arm, helft mit, das zu ändern" inseriert die Regierung auf Großplakatwänden.
16,5 Millionen, das ist die Hälfte der Gesamtbevölkerung und wahrscheinlich untertrieben. Kenias Wirtschaftswunder fußt auf einem kleinen Sockel: Etwa 8,5 Millionen Menschen haben ein regelmäßiges Einkommen; 6,5 davon im informellen Sektor, wo es weder Job-Sicherheit noch Kranken- oder Altersvorsorge gibt, geschweige denn Urlaub. Nur 1,85 Millionen Kenianer stehen in einem offiziellen Arbeitsverhältnis, mit Abstand die meisten sind beim Staat beschäftigt. Nur diese 1,85 Millionen zahlen Steuern Gegenleistungen vom Staat, etwa eine funktionierende Strafverfolgung, gibt es dafür praktisch nicht.
Sicherheit ist eines der wichtigsten Themen schon bei jenen, die erstmals in ihrem Leben überschüssiges Geld erwirtschaften. "Anders als die Mehrheit haben diese Leute auf einmal etwas zu verlieren", bilanziert Bindra. Überfälle und Autoentführungen, oft mit brutalen Auswüchsen, sind in Nairobi seit Jahren die Regel. Von der Bandenkriminalität sind die stark wachsenden Viertel im Süden Nairobis besonders betroffen, wo die reichen Armen leben: Sie haben kleine Reichtümer, aber nicht genug Geld für private Sicherheitsfirmen. "Man müsste den Regierenden die Leibwächter und die gepanzerten Wagen wegnehmen, dann würde sich die Sicherheitslage sofort verbessern", glaubt Bindra. Während die Oberklasse sich Sicherheit kaufen kann, werden die Wirtschaftswunderkinder oft schon wegen weniger Euro auf offener Straße erstochen.
In Kenia wird in diesem Dezember gewählt, doch ein politisches Momentum hat das Thema Überfälle auf die Mittelschicht nicht. Zu groß sind die Probleme in den Slums bei jenen, die gar nichts haben. So warnen zwar manche kenianische Unternehmer bereits davor, sie könnten ins benachbarte Uganda oder nach Tansania abwandern, um dort sicherer zu leben. Doch solche Kommentare passen nicht ins von der Politik propagierte Bild des "reichen" Kenias der Zukunft, in dem derzeit (erfolglos) nach Öl gebohrt und deshalb groß gedacht wird. Von der Großmannssucht mancher Politiker lassen sich viele anstecken, die inzwischen zweistöckige Autobahnen statt einem funktionierenden Nahverkehrssystem fordern.
Doch auch die neue Mittelschicht selbst zeigt keine Anstalten, ihre Interessen in Kenias eingefahrenem politischen Geschäft zu vertreten. In gewisser Weise glauben Kenianer an den amerikanischen Traum wer es nicht schafft, ist selber Schuld. "Dabei brauchen wir ein wachsendes ziviles Engagement", fordert Bindra. "Die Party muss aufhören, wenn einen Kilometer von den Cocktailbars entfernt Menschen an Hunger sterben. Wir feiern auf dem Vulkan, und irgendwann bricht er aus. Aber die meisten interessiert es einfach nicht, sie wollen das Ganze hinter sich lassen." Damit befindet sich die Mittelschicht in guter Gesellschaft. Die ganz Reichen, die in England oder Australien studieren, kehren fast nie zurück. Die Überweisungen von Exilkenianern überall in der Welt sind die mittlerweile größte Devisenquelle des Landes, noch vor Tourismus oder Kaffeeexport.
aus: der überblick 03/2007, Seite 6
AUTOR(EN):
Marc Engelhardt
Marc Engelhardt lebt in Nairobi und arbeitet als freier Afrika-Korrespondent, unter anderem für den epd, die taz sowie ARD Hörfunk und Fernsehen.