Das Bestattungswesen in Südafrika
Pro Jahr finden gegenwärtig in Johannesburg und Umgebung etwa 20.000 Bestattungen statt. Wegen der zunehmenden Ausbreitung von Aids wird diese Zahl in den kommenden sechs bis sieben Jahren auf 70.000 steigen. Das bedeutet Hochkonjunktur für die Bestattungsindustrie. Doch nicht die Großen profitieren davon, sondern kleinere Bestattungsinstitute drängen auf den Markt - ohne Lizenz und mit wenig Kapital.
von Christina Stucki
Avalon Friedhof, Soweto. Hier in dieser größten Ruhestätte Johannesburgs haben viele der großen Namen des südafrikanischen Anti-Apartheid-Kampfes ihren letzten Frieden gefunden. Samstags und sonntags kann am Avalon Friedhof jedoch kaum von Ruhe und Friede gesprochen werden. Hier finden am Wochenende durchschnittlich 100 bis 150 Beerdigungen statt. Alle fünf bis sieben Minuten wird jemand zu Grabe getragen. Die Trauergäste stehen manchmal so dicht beieinander, dass es kaum möglich ist, zu unterscheiden, wer zu welchem Toten gehört. Der Gesang an einer Grabstätte übertönt dann oft die Rede des Priesters am benachbarten Grab.
Vor fünf Jahren betrug das Durchschnittsalter der Verstorbenen in Südafrika 70 bis 80 Jahre, so Alan Buff, der für die Friedhöfe und Krematoria in und um Johannesburg zuständig ist. Heute sind die meisten Männer und Frauen, die hier in Soweto und andernorts in Südafrika beerdigt werden, um die 40 Jahre alt. Einige Bestattungsinstitute berichten von den seit sechs Jahren immer häufiger werdenden Beerdigungen von Kindern im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren. Offiziell steht auf den Totenscheinen "natürliche Todesursache", doch die Bestatter wissen, dass die meisten der Verstorbenen den Folgen von Aids erlegen sind. "Wir begraben immer mehr Menschen, die an Aids gestorben sind. Sie sind jung und wenn wir ihre Leichen abholen, sehen wir wie dünn sie sind. Es ist schwer zuzuhören, wenn Leute in Südafrika diese Krankheit verleugnen. Denn wir sehen mit eigenen Augen, wie Aids unsere Nation fest im Griff hält", sagt Gabriel Tlhabane.
Tlhabane ist Besitzer des Bestattungsinstituts Afro Funeral Undertakers im Township Alexandra in Johannesburg. Sein Vater eröffnete das Geschäft 1947. Tlhabane hat vor 18 Jahren die Leitung übernommen. Er kann sich noch gut an die achtziger und frühen neunziger Jahre erinnern als tausende von Bewohnern von Alexandra im Kampf gegen die Apartheid-Regierung umkamen. Viele von ihnen kamen um, wenn Polizei und Armee brutal gegen die Townshipbevölkerung vorgingen. Viele Männer, Frauen und Kinder starben auch in Gefechten mit sich bekämpfenden Mitgliedern gegnerischer Parteien in den Straßen der Townships westlich von Johannesburg.
Der Tod war allgegenwärtig als Tlhabane 1985 ins Geschäft einstieg. Bis zehn Uhr nachts hat er Verstorbene im staatlichen Leichenschauhaus abgeholt. "Mein Hemd war mit Blut überströmt und die Körper stapelten sich bis an die Decke in unserem Leichenschauhaus", erinnert er sich. Die große Mehrheit war erschossen worden. Auch heute erliegen vor allem junge schwarze Männer häufig ihren Schusswunden. Sie gehören zu den Opfern der Kriminalität in Johannesburg. Tlhabanes Arbeit ist heute jedoch meist weniger blutig. Der Aids-Tod ist ein sauberer Tod.
In den letzten fünf Jahren ist die mittlere Lebenserwartung in Südafrika von 58 auf 48 Jahre gesunken, die Sterberate ist von 1996 bis heute um ein Drittel gestiegen. Damit sterben im Schnitt heute in Südafrika etwa ebenso viele Personen wie geboren werden. Gemäß der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) ist die Verbreitung von HIV in Südafrika innerhalb der letzten zehn Jahre von 2,5 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung auf zwischen 15 und 39 Prozent gestiegen. Diese Zahlen decken sich also mit den Erfahrungen der Bestatter.
Pro Jahr finden gegenwärtig etwa 20.000 Bestattungen in Johannesburg und umliegenden Townships statt. Die Gemeindeverwaltung von Johannesburg rechnet damit, dass diese Zahl wegen Aids in den kommenden sechs bis sieben Jahren auf 70.000 steigen wird.
Für die Bestattungsindustrie müssten solche Zahlen einen Boom verheißen. Doch eine der markantesten Auswirkungen der Aids-Epidemie in Südafrika ist die starke Zunahme von Bestattungsinstituten, vor allem von kleineren Firmen, die ohne Lizenz und mit wenig Kapital ins Geschäft einsteigen. Trotz der steigenden Sterblichkeitsrate haben etablierte Institute in den vergangenen sechs Jahren kaum eine Zunahme an Kunden verzeichnen können. Dies ist direkt auf den Zuwachs von Beerdigungsinstituten zurückzuführen, so Ray von Rönge, Sekretär der National Funeral Directors Association, des Verbandes für Bestattungsunternehmer. Unternehmer schätzen, dass sich die Zahl von Bestattungsinstituten seit 1994 verdreifacht hat. Vor allem in Kleinstädten, auf dem Land und in den Townships ist es mittlerweile gang und gäbe entlang einer Straße bis zu einem halben Dutzend Bestattungsunternehmen zu finden.
Laut von Rönge gehen viele dieser neuen Unternehmer mit unlauteren Mitteln vor, um sich Kunden zu sichern. "Das Personal von staatlichen Leichenschauhäusern wird bestochen und etablierte Unternehmer werden unterboten", erzählt er. Diese zwielichtigen Beerdigungsinstitute könnten sich meist kaum zwölf Monate über Wasser halten. Doch sobald ein Unternehmen bankrott gehe, werde es durch ein neues ersetzt.
Manche Kunden werden nach Strich und Faden betrogen, während andere weit unter dem üblichen Niveau liegende Serviceleistungen erhalten, meint Tony Guiness, Besitzer von City Funerals, einem der größten Bestattungsinstitute in Johannesburg, und seit fast 30 Jahren im Geschäft. Er erzählt mehrere Schreckensgeschichten: In einem Fall wurde ein Leichnam in eine alte, in einer Garage stehenden Badewanne voll Trockeneis gepackt, in einem anderen wurden Leichen in einem ungekühlten Container in einem Hinterhof gelagert.
In Südafrika ist die Bestattungsindustrie nur geringen gesetzlichen Vorschriften unterzogen. Laut Gesetz muss jeder Beerdigungsunternehmer eine Lizenz von der Gemeindeverwaltung und eine Genehmigung vom Gesundheitsministerium vorweisen können. Laut von Rönge ist es gegenwärtig jedoch einfach, ins Beerdigungsgeschäft einzusteigen, ohne diesen minimalen Voraussetzungen nachkommen zu müssen. Die Kunden seien nicht über ihre Rechte informiert.
Vor zwei Jahren wurde eine Föderation für die Beerdigungsindustrie gegründet. Diese schließt drei verschiedene Verbände zusammen, mit dem Ziel, das Bestattungswesen zu regulieren. Bisher konnte die Föderation jedoch kaum Erfolge verbuchen. Guiness, der kein Mitglied eines Berufsverbandes ist, beschuldigt die Verbände die Korruption innerhalb der Bestattungsindustrie zu fördern. Viele ihrer Mitglieder würden Leichenwagen und Beerdigungsausstattung weiterverkaufen, ohne sich über die Legitimität des Unternehmens zu erkundigen. Sie schauten nur aufs Geld, nicht auf die Auswirkungen der sinkenden Standards auf das gesamte Bestattungswesen, sagt Guiness.
Die Leiter dieser zwielichtigen Unternehmen wären auch nur vom Geld motiviert. "Sie sehen, wie die Menschen an Aids sterben und meinen, sie könnten auf diese Art schnell zum großen Geld kommen", sagt Guiness. "Doch in Wahrheit, kommen die meisten Menschen, die an Aids sterben, aus ärmlichen Verhältnissen. Das wenige Geld, das die Familie hatte, wurde meist schon für Krankenhaus- und Pflegekosten ausgegeben. Das Familienmitglied wird dann nach Hause geschickt, um dort zu sterben. Dann hat die Familie kein Geld mehr, um sich eine teure Beerdigung zu leisten."
Für eine Beerdigung muss man im Durchschnitt etwa 3500 Rand (rund 427 Euro) rechnen, doch vor allem schwarze Südafrikaner geben verhältnismäßig mehr für eine Beerdigung aus als weiße Südafrikaner. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich eine schwarze Familie eine Bestattung bis zu 20.000 Rand (2440 Euro) kosten lässt, so Guiness. Hinzu kommen noch die Ausgaben für die Getränke und die Verpflegung für die Gäste. Laut afrikanischem Brauch hat jeder Trauergast - auch wenn er den Verstorbenen vielleicht gar nicht gekannt hat - Anspruch auf Essen und Trinken, wenn er bei der Familie während der Feierlichkeiten vorstellig wird. Kitts Mageza, Leiter des Mageza Bestattungsinstituts in Soweto, meint, es seien die hohen Ansprüche der schwarzen Kunden, mit denen die meisten Neueinsteiger in das Bestattungswesen nicht rechnen würden und die schließlich zu ihrem Untergang führten. "Genauso schnell wie das Geld reinkommt, gibst du es auch wieder aus. Doch bei Aids-Toten kommt meistens nicht viel Geld herein", sagt Mageza.
Viele schwarze Südafrikaner schließen sich zu sogenannten burial societies zusammen. Gemeinsam eröffnen sie ein Sparkonto und zahlen regelmäßig Beiträge, um die Bestattungskosten für Familienmitglieder zu decken. Es kommt vor, sagt Mageza, dass eine Familie Jahre lang jeden Monat Beiträge leistet, einen Monat die Zahlung aus Spargründen aber ausfallen lassen muss. Wenn ein Mitglied genau dann stirbt, würde der Familie daraufhin die Auszahlung verweigert und sie habe keine Mittel um den Verstorbenen zu beerdigen.
In der Provinz Gauteng, in der sich Johannesburg befindet, werden monatlich rund 100 Personen in Armengräbern beerdigt. Einige von ihnen sind Namenlose, viele wahrscheinlich aus benachbarten Ländern illegal Eingewanderte auf der Suche nach Arbeit.
Gabriel Tlhabane weiß aber auch von Familien, die sich ihrer an Aids verstorbenen Verwandten schämen und den Leichnam nicht akzeptieren wollen. Doch die meisten Familien würden ihr Möglichstes tun, um einen Angehörigen zu beerdigen und sich dabei oft mit Schulden belasten. In der afrikanischen Kultur sei das eine Frage der Ehre, so Tlhabane.
Doch mit Ehre und Würde hätten Beerdigungen, vor allem in Süafrikas größeren Städten, heute wenig zu tun, beschweren sich alteingesessene Bestattungsunternehmer. Früher seien Beerdigungen würdevolle, wenn auch oft politisch geladene, Anlässe gewesen. Auch in den achtziger Jahren wurden Bestattungen auf feierliche, ernste Weise begangen. Heute seien Beerdigungen in den Townships leicht mit Modeschauen zu verwechseln. Sie seien zum Anlass geworden, um "zu sehen und gesehen zu werden", sagen Tlhabane und Mageza. Mageza vermutet, diese legere Einstellung gegenüber Beerdigungen hängt teilweise mit dem wachsenden Materialismus unter Schwarzen in urbanen Gegenden zusammen, und teilweise mit der Tatsache, dass sich vor allem schwarze Südafrikaner an den Tod gewöhnt hätten.
In einer südafrikanischen Wochenzeitung hat sich ein schwarzer Journalist kürzlich darüber beschwert, wie Trauergäste in den teuersten (oft gemieteten) Wagen zum Friedhof führen, dort in bunten Anzügen oder Miniröcken herumstolzierten, während sie Gespräche auf ihren Mobiltelefonen führten und ohne Achtung vor dem Priester und den tatsächlich trauernden Verwandten sich laut untereinander unterhielten und sogar Witze rissen. Nach der Bestattung ließen sich die Gäste mit Essen vollstopfen und mit Alkohol vollaufen. Dies ist, so der Autor des Berichts, "eine Karikatur der afrikanischen Kultur" und habe herzlich wenig mit ubuntu, dem Geist der Zusammengehörigkeit zu tun, wonach alle Menschen miteinander verbunden sind.
Doch auch in dieser zunehmend materialistischen, korrupten und geldgierigen Welt des Bestattungswesens, finden sich Lichtblicke. Wie beispielsweise Joshua Langa. Er eröffnete 1998 sein Unternehmen Professional Funeral Multi-Service in Empangeni, in der Provinz KwaZulu-Natal. Er stellt Särge her, transportiert und lagert Leichname und arrangiert Beerdigungen. Zudem bildet er Arbeitslose als Sargbauer aus. Jeden Monat bestattet er zwischen 30 und 35 Personen, die Mehrzahl im Alter von 18 bis 35 Jahren. Er hat immer mehr zu tun, obwohl es nun in Empangeni doppelt so viele Bestattungsinstitute gibt wie vor fünf Jahren. Die Aids-Epidemie hat von allen neun südafrikanischen Provinzen KwaZulu-Natal am härtesten getroffen.
Jeden Monat beerdigt Langa zwischen fünf und zehn Personen, ohne für den Sarg oder die Bestattung auch nur einen Rand zu verlangen. Jeder Mensch habe das Recht auf eine würdige Beisetzung, auch arme Menschen, meint Langa. Er und seine Frau Jabu haben zudem 30 Waisenkinder, deren Eltern sie bestattet haben, in ihr Heim aufgenommen. Das Ehepaar hat fünf eigene Kinder.
"Wenn ich die Eltern beerdige, sehe ich das Elend, in dem die Kinder leben", sagt Langa. Er könne sich von diesem Elend nicht abwenden. Er erklärt seinen Einsatz für seine Mitmenschen so: "Ich liebe es, Menschen zu helfen. Ich glaube, Gott schaut zu, wenn ich Menschen Hilfe leiste und weiß dann, ich bin ein ergebenes Kind Gottes."
aus: der überblick 02/2003, Seite 92
AUTOR(EN):
Christina Stucki:
Christina Stucky ist freie Journalistin in Johannesburg. Sie lebt seit 1994 in Südafrika und schreibt unter anderen für die südafrikanischen Zeitung "Sunday Independent" in Johannesburg.