Gespräch mit Volker Stapke
Die Fragen stellte Ilse Preiss
Frieden und Entwicklung gehören zusammen. Nach langer Diskussion ist der Zivile Friedensdienst jetzt auch offiziell Programm: Erstmals stellt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Mittel zur Verfügung. Zu den Initiativen für einen Zivilen Friedensdienst gehört der Einsatz eines neunköpfigen deutschen Teams zur Beobachtung der Volksbefragung in Osttimor, gemeinsam finanziert vom Diakonischen Werk, Misereor und Missio. Dienste in Übersee organisierte das Auswahlverfahren mit und übernahm die vertragliche und versicherungstechnische Abwicklung. Projektträger war die Menschenrechtsorganisation "Watch Indonesia!", die sich dem Beobachterprojekt der "International Federation for East Timor" (IFET) anschloß. Das Team führte der 33jährige Volker Stapke, der bei Einsätzen in Thailand, Vietnam und Kambodscha umfangreiche Erfahrungen in der Mediationsarbeit gesammelt hat. Das AG KED-Forum sprach mit Stapke kurz nach seiner Rückkehr aus Osttimor.
Herr Stapke, wie geht es Ihnen und den Mitgliedern Ihres Teams?
Das läßt sich nur schwer in Worte fassen. Wir sind alle noch nicht wieder richtig in der hiesigen Wirklichkeit angekommen. Denn Erlebnisse wie die in Osttimor lassen einen lange nicht los, die kann man nicht einfach abschütteln. Wir mußten mit ansehen, wie lokale Mitarbeiter abgeholt und weggebracht, manche auch getötet wurden. Wir konnten nichts tun für sie. Wir konnten nichts tun als zusehen. Einige von uns haben deshalb jetzt im nachhinein das Gefühl, gescheitert zu sein: Wir konnten die Osttimoresen nicht schützen, wir mußten weggehen und die Menschen dort alleine lassen.
War der Einsatz in Osttimor also vergeblich?
Nein. Unser Einsatz in Osttimor war nicht vergeblich. Ganz im Gegenteil: Ohne die internationalen Beobachter hätte das Land heute keine Aussicht auf Unabhängigkeit. Dabei haben sich die Osttimoresen nicht primär gegen Indonesien ausgesprochen, sondern vor allem gegen die Gewalt und den Terror, die dieser Staat 24 Jahre lang gegen sie ausgeübt hat. Und die Versuche der Einschüchterung haben ja schon im Zuge des Registrierungsprozesses massiv zugenommen. Hier in Deutschland kann man sich überhaupt nicht vorstellen, was es für die Menschen bedeutet hat, an dieser Volksbefragung teilzunehmen: Erst die zum Teil Hunderte von Kilometern lange Reise zu den Registrierungsbüros, verbunden mit unzähligen Straßenkontrollen und Schikanen, dann tagelang Drohungen für den Fall der Teilnahme an der Befragung und dann die erneute Reise zur Stimmabgabe, in der steten Angst vor Übergriffen der Milizen. Trotzdem haben fast 80 Prozent der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit gestimmt...
... und einen hohen Preis dafür gezahlt: Niemand weiß, wie viele Menschen ermordet wurden, die Zahl der Vertriebenen wird auf weit über eine halbe Million geschätzt. Die Vereinten Nationen haben ihnen den versprochenen Schutz nicht gewährleisten können.
Der große Analysefehler, der von Anfang an gemacht wurde, war der, zu glauben, die Machthaber in Jakarta hätten die regionalen und lokalen Kommandeure im Griff. Aber nach Osttimor ist es weit, da bleibt vieles auf der Strecke. "Watch Indonesia!" und andere haben früh auf dieses Problem hingewiesen. Man hätte sich nicht auf das indonesische Militär verlassen dürfen. Das ist der Vorwurf, den man den Vereinten Nationen machen muß: Warum wurde nichts getan, als Indonesien zum wiederholten Mal seine Versprechen nicht einhielt, als klar war, daß das indonesische Militär die Sicherheit nicht würde garantieren können? Das war Fahrlässigkeit.
Heißt das, daß die internationalen Beobachter allein durch ihre Anwesenheit noch Schlimmeres verhindert haben?
Ich denke schon. Stellen Sie sich vor: Niemand hatte vorher wirklich Kontakt zu den Milizen aufgenommen. Ich bin überzeugt, durch frühzeitigere Gespräche hätte sich manches Massaker verhindern lassen. Erfolgreiche Konfliktprävention setzt allerdings eine Art "neutrale Instanz" voraus. Das hört sich banal an, ist aber in der Realität vor Ort ganz, ganz schwer umzusetzen. Ich bin den Mitgliedern des deutschen Teams dankbar, daß sie diese Notwendigkeit für unseren Einsatz ebenso gesehen haben wie ich und daß sie mich in diesem Anliegen vorbehaltlos unterstützt haben. Wir haben eine engagierte und hoch professionelle Arbeit geleistet; die IFET als Projektträger hat dadurch eine sehr gute Reputation erworben.
Wie sehen Sie die Perspektiven für Osttimor?
Die Menschen dort empfinden die derzeitige Situation als eine Art "Stunde Null". Das Volk hat 24 Jahre lang Widerstand geleistet, hat viele Opfer gebracht für seine Unabhängigkeit und gewaltlos den Übergang geschafft. Jetzt hat ein mentaler Heilungsprozeß eingesetzt. Die Osttimoresen suchen ein neues Bild von sich und ihrer Gesellschaft. Menschenrechte und Demokratisierung werden dabei sicher eine große Rolle spielen. Dafür werden die Menschen allerdings Zeit brauchen und unsere Unterstützung durch Lobbyarbeit, und zwar sowohl in New York, wo die wichtigsten Entscheidungen für Zukunft Osttimors getroffen werden, als auch im Land selbst. Die Osttimoresen müssen befähigt werden, sich selbst zu vertreten.
Sie plädieren für den Einsatz einer zivilen Friedensfachgruppe in Osttimor?
Ja. Wichtig sind dort jetzt die sichere Rückführung der Flüchtlinge, Wiederaufbau und Trauma-Aufarbeitung. Eine "neutrale Instanz" muß sich mit allen lokalen und regionalen Akteuren zusammensetzen, das vorhandene Konfliktpotential benennen und diese Konflikte aufarbeiten. Was dabei auf keinen Fall vergessen werden darf: Man braucht unbedingt auch Perspektiven für die Angehörigen der Milizen und des Militärs. Insofern ist die Entwicklung in Osttimor nicht von der in Westtimor und in ganz Indonesien zu trennen.
Da scheinen Profis gefragt...
Genau. Das müssen Fachleute machen, die sich auskennen mit der Mentalität vor Ort, die eine Bindung haben zu Land und Leuten, die kontextgerecht handeln. Fachleute, die für ihre professionelle Arbeit auch ordentlich bezahlt werden. Ziviler Friedensdienst kann meiner Meinung nach nicht auf ehrenamtlicher Basis stattfinden. Denn er muß vor allem an dem gemessen werden, was rauskommt: an der Akzeptanz der Konfliktlösungen beispielsweise oder an der Intensität des Dialogs, der zwischen den Konfliktparteien zustandekommt.
aus: der überblick 04/1999, Seite 122