Hilfe oder Eigennutz?
Wie glaubwürdig ist eine Entwicklungspolitik, die im Schnitt rund 70 Prozent ihrer Leistungen an die Lieferung von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Geberland knüpft? Über diese zentrale Frage wird bei der Vergabe von Entwicklungshilfe in der deutschen Öffentlichkeit jedoch höchstens im Expertenkreis diskutiert.
von Klaus Wardenbach
Wer Geld von uns erhält, der muss auch wiederum bei uns einkaufen: Der englische Begriff der tied aid, der gebundenen Hilfe, sagt es viel anschaulicher als das deutsche Wort Lieferbindung. So wollte beispielsweise US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz Aufträge zum Wiederaufbau des Iraks nur an Firmen aus solchen Ländern vergeben, die zuvor den Irak-Krieg unterstützt hatten. Scott McClellan, der Sprecher von US-Präsident Bush, verteidigte im Dezember 2003 diese Haltung vor der Presse. Das hat die Diskussion um Lieferbindung in der Entwicklungszusammenarbeit - zumindest kurzzeitig - auch in Deutschland neu belebt. Politiker, Wirtschaftsvertreter und Kommentatoren hierzulande erregten sich über den Versuch, die deutsche Wirtschaft von Irak-Aufträgen mit einem Gesamtvolumen von über 18 Milliarden US-Dollar auszuschließen. Die Gemüter beruhigten sich aber nach einigen Wochen wieder, denn schon Mitte Februar dieses Jahres änderte die US-Regierung nach Protesten aus Deutschland, Frankreich, Russland und Kanada ihre Ausschreibungsbedingungen. Nun durften auch Unternehmen aus den Kriegsgegnerstaaten am Wettbewerb um weitere Aufträge teilnehmen.
Die deutsche Seite argumentierte in diesem Fall mit der Wettbewerbspolitik: Großaufträge sollen weltweit ausgeschrieben werden - so fordern es die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zum öffentlichen Beschaffungswesen. Die entwicklungspolitische Dimension dieses Streits allerdings drang gar nicht bis in die deutsche Wirtschaftspresse vor.
Fachleute rund um den Globus hingegen sind sich zunehmend bewusst, dass die Lieferbindung in der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur den Wettbewerb zwischen Wirtschaftsunternehmen aus Industriestaaten beeinträchtigt, sondern auch keineswegs automatisch im Interesse der Empfängerländer liegt. Im Gegenteil, sie kann Bemühungen um eine wirkungsvollere Entwicklungspolitik durchaus zuwiderlaufen.
Mangel an Erklärungen und Beschlüssen zur Abkehr von der Lieferbindung herrscht durchaus nicht. Gesenkt werden soll beispielsweise der Anteil der Hilfsgelder an der gesamten bilateralen öffentlichen Entwicklungshilfe (abgekürzt ODA - Official Development Assistance), die nicht an Aufträge an das Geberland gebunden sind. Dieser Anteil ist in die Reihe der Indikatoren aufgenommen worden, die zu den Millenium Development Goals (MDG) gehören, die im September 2000 von den Vereinten Nationen beschlossen wurden (vergl. “der überblick” 1/2004). Seit der Formulierung dieser Ziele gab es einige Fortschritte, schaut man aber genauer hin, sind diese eher weitere öffentliche Erklärungen einer guten Absicht als konkrete Schritte, welche diese Kopplung wirklich verringern. Und nicht nur die USA haben hier offenbar erheblichen Nachholbedarf, sondern auch einige europäische Staaten - nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland.
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit hat von Anfang an auch als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik und der staatlichen Exportförderung gedient. Das wachsende Bewusstsein darüber, dass Geberländer ihre Hilfe durchaus an die eigenen Interessen binden, hat auch einen sprachlichen Wandel mit sich gebracht, mit dem betont werden soll, dass nicht die Interessen der Geber Vorrang haben: So spricht die deutsche entwicklungspolitische Szene nicht mehr von Entwicklungshilfe sondern von öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit. In der angelsächsischen Diskussion ist weiterhin der Begriff aid (Hilfe) üblich.
Allein, sprachliche Feinheiten und der Wechsel eines Begriffs lassen nicht die Absicht verschwinden, die dahinter steht, nämlich die Exportwirtschaft zu unterstützen. Als Grundlage dienen hier zum einen die staatlich verbürgten Exportkredite (in Deutschland als Hermes-Bürgschaften bekannt), die allerdings nicht als öffentliche Hilfen anerkannt werden. Zum anderen die Lieferbindung, die dem Empfängerland dahin gehend Vorschriften macht, mit den Hilfsgeldern Güter und Dienstleistungen im jeweiligen Geberland zu kaufen, seien es medizinische Geräte, Wasserpumpen, Baumaschinen oder etwa Beratungsleistungen. In Deutschland gehört dazu auch die Mischfinanzierung, die öffentliche Entwicklungsgelder mit Kapitalmarktmitteln der “Kreditanstalt für Wiederaufbau” (KfW) mischt und die staatliche Ausfuhrbürgschaften voraussetzt.
So alt wie die Lieferbindung ist auch der Streit, ob sie nun berechtigt sei oder nicht. Die Befürworter weisen darauf hin, dass die Menschen hierzulande hohen Ausgaben für Entwicklungshilfe leichter zustimmten, wenn der Nutzen dieser Ausgaben für die eigene Wirtschaft, vor allem durch den Erhalt von Arbeitsplätzen, sogleich erkennbar werde. Die Gegner führen stets an, dass Lieferbindung den Entwicklungsländern höhere Kosten beschert und die Bedürfnisse dort unzureichend berücksichtigt.
Bereits Ende der sechziger Jahre versuchte das Development Assistance Committee (DAC) - das ist der Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) -, seine Mitglieder darauf zu verpflichten, ihre Kreditvergabe an Entwicklungsländer von solchen Bedingungen zu befreien. Dieser Versuch scheiterte genauso wie ein zweiter Anlauf Mitte der siebziger Jahre. Seit den achtziger Jahren gibt es Schützenhilfe durch die neoliberal inspirierte Argumentationslinie, der zufolge die Lieferbindung nur eine Form der Subventionierung heimischer Industrien ist, ein Staatseingriff in das freie Spiel der Marktkräfte, der den globalen Wettbewerb behindert. Im Januar 1992 verständigten sich in Helsinki die in der OECD zusammengeschlossenen Industriestaaten dann auf ein Paket von Regelungen. Dies soll verhindern, dass subventionierte liefergebundene Entwicklungskredite für Projekte vergeben werden, die zu Marktbedingungen finanziert kommerziell lebensfähig sein können.
Es dauerte aber weitere zehn Jahre, bis der DAC auf seinem Treffen Ende April 2001 in Paris eine Empfehlung verabschiedete, die über die Kreditvergabe hinaus auf die Aufhebung der Lieferbindung für weitere Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit, zumindest für eine bestimmte Ländergruppe, abzielte. Es verwundert wenig, dass hier mit der Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer begonnen wurde, nämlich der 50 Least Developed Countries (LDCs), und damit der für die Geberstaaten uninteressantesten Gruppe, wenn es darum geht, wie viele Aufträge zu erwarten sind. Sicher nicht ganz zufällig wurde dieser Beschluss drei Wochen vor einer UN-Konferenz in Brüssel zu den Problemen der ärmsten Länder (LDC III) gefasst. Der Beschluss war gleichwohl kein reiner Propaganda-Coup der Industriestaaten, sondern verstand sich als kleiner, aber strategisch wichtiger Schritt hin zu einem neuen entwicklungspolitischen Konsens. Dieser zielt auf klarere Orientierung auf Armutsminderung, größere Effizienz der Hilfe und bessere Koordinierung der Geberpraktiken ab.
Wenn die Industriestaaten auf die Lieferbindung verzichten und die Aufträge im Rahmen ihrer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für den internationalen Wettbewerb öffnen, so hatten OECD und Weltbank ausgerechnet, würde sich der reale Geldwert der Hilfe für die Entwicklungsländer um rund 20 bis 25 Prozent erhöhen. Dies ist auf den ersten Blick eine beeindruckende Zahl, die dafür spricht, die DAC-Empfehlung von 2001 schnell umzusetzen und endlich weiter reichende Schritte zu machen. Auf den zweiten Blick gibt es dabei aber eine Reihe von Problemen.
Offiziell lag der Durchschnitt der gebundenen ODA an der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) der DAC-Mitgliedstaaten im Jahr 2002 nämlich nur bei 11,4 Prozent. Damit scheint die Lieferbindung eher von untergeordneter Bedeutung. Aber es gibt Länder, die deutlich über diesem Wert liegen. Spitzenreiter sind hier Griechenland mit 86 Prozent und Portugal mit 67 Prozent. Australien liegt mit 43 vor Spanien mit knapp 40 Prozent und Österreich, das 31 Prozent seiner Hilfe an einen “Rückfluss” koppelt. Deutschland steht im internationalen Vergleich recht gut da. Sein Anteil von 13,4 Prozent ist nicht viel schlechter als der von Staaten wie Frankreich, der Schweiz oder den Niederlanden. Zwar sind die 13,4 Prozent etwas mehr als der Mittelwert, jedoch ist der - wie eine genauere Betrachtung enthüllt - nur wenig aussagekräftig. Staaten wie die USA und Italien haben nämlich überhaupt keine Angaben zur Bindung übermittelt.
Offenbar geben die USA auf die Fragen des DAC nach ihrer Lieferbindung bewusst keine Antworten. Die letzte verfügbare Angabe bezieht sich auf das Jahr 1998 und nennt mit 71 Prozent einen Anteil, der die USA in die Spitzengruppe direkt hinter Griechenland einreihen würde. Für Italien liegt immerhin noch ein Wert für das Jahr 2001 vor, der allerdings mit 92 Prozent derart hoch ist, dass verständlich scheint, warum sich das Land im Jahr 2002 geweigert hat, Angaben zu machen. Wäre die Statistik vollständig, dürfte der reale Anteil der liefergebundenen Gelder an der Gesamthilfe (nach DAC-Kriterien) bei mindestens 30 bis 40 Prozent liegen.
Ein weiteres Problem bei den Statistiken des DAC ist, dass die “Technische Zusammenarbeit” (TZ) nicht erfasst wird. Sie macht rund ein Viertel der gesamten ODA aus. Wäre sie erfasst, sähe der Anteil der Lieferbindung besonders für Deutschlands Hilfe völlig anders aus. Den Stellenwert zeigt allein schon die Tatsache, dass diese Arbeit in den Händen einer eigens dafür gegründeten Organisation liegt, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).
Bezieht man nämlich auch die TZ mit in die Berechnung ein, so liegt der Anteil der Lieferbindung in Deutschland bei fast 68 Prozent. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt eine Studie von Action Aid Alliance, eines europäischen Verbundes von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), die im November 2002 veröffentlicht wurde. Damit sei die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mindestens so reformbedürftig wie die anderer Staaten. Würde konsequenterweise auch die TZ in die Lieferbindung einbezogen, dürfte - so der Politikwissenschaftler Stefan Mair in einem Arbeitspapier der Arbeitsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin vom Oktober 2003 - die Existenz der GTZ in ihrer heutigen Form als “merkwürdiges Zwitterwesen”, das einerseits in der Form einer quasi-monopolistischen Durchführungsorganisation für den Staat und andererseits als eigenständiges Unternehmen auftritt, nicht mehr zu rechtfertigen sein.
Auch die Nahrungsmittelhilfe und der Transport dieser Güter in Entwicklungsländer sind von der DAC-Empfehlung vom April 2001 ausgenommen. Nahrungsmittelhilfe diente in den vergangenen Jahrzehnten - und dient noch heute - großen Agrarproduzenten wie den USA oder der Europäischen Union (EU) zur Entsorgung ihrer Überschüsse unter dem Deckmantel der Nothilfe. Insgesamt hat sie - durch die Zerstörung von Selbstversorgungsstrukturen - Not und Hunger eher gefördert als gelindert. Die internationale Gebergemeinschaft ist deshalb bemüht, den Anteil der Nahrungsmittelhilfe an der ODA zu reduzieren. Die USA widersetzten sich aber diesen Versuchen und bleiben weiterhin der größte Geber in diesem Bereich. Um den Eigennutzen noch weiter zu erhöhen, haben sie darüber hinaus gesetzlich geregelt, dass mindestens drei Viertel ihrer Nahrungsmittelhilfe durch US-amerikanischen Unternehmen verschifft werden müssen. Die EU hingegen hat sich mittlerweile geläutert und ihre Praxis geändert. In einem Papier vom November 2002 schlägt die EU-Kommission dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament vor, über die DAC-Empfehlung hinausgehende Initiativen zu ergreifen. Dazu soll auch gehören, die Lieferbindung bei der Nahrungsmittelhilfe vollständig zu streichen.
Ohnehin sieht die EU-Kommission die Empfehlung, die im Januar 2002 offiziell in Kraft trat, als völlig unzureichend an, da sie sich nur auf die ärmsten Länder bezieht. Schon das DAC hatte anlässlich seiner Einigung darauf hingewiesen, dass die Entwicklungshilfe für die LDCs lediglich 17 Prozent der gesamten bilateralen EZ ausmache. In absoluten Zahlen sind dies rund acht Milliarden US-Dollar. Da die “Technische Zusammenarbeit” und “Nahrungsmittelhilfe”, die von der Empfehlung ausgenommen sind, im Schnitt rund 20 bis 30 Prozent der bilateralen Hilfe ausmachen, könnte die vom DAC beschlossene Aufhebung der Lieferbindung sich also nur auf eine ODA-Gesamtsumme von rund 5,5 Milliarden US-Dollar (oder 10 Prozent der weltweiten ODA) beziehen. Die Kommission hält auch diese Schätzung für völlig unrealistisch und verweist auf andere Berechnungen des DAC. Diese wiederum gehen davon aus, dass die Aufhebung der Lieferbindung für LDCs in dem beschlossenen Umfang sich nur auf einen Anteil von zwei Prozent der gesamten ODA bezieht und damit kaum spürbare Effekte haben dürfte.
Völlig aus der Welt schaffen wollen britische und australische NGOs die Lieferbindung und haben in den vergangenen Jahren wiederholt Kampagnen gestartet. Auf Initiative von Action Aid Alliance legte 1999 eine Koalition von 900 europäischen NGOs Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Ihre Begründung: Die Bindung sei ein Verstoß gegen die Wettbewerbs- und Beschaffungsregeln des EU-Binnenmarkts. Dieses Argument ist allerdings nicht unproblematisch: Solche Wettbewerbs- und Beschaffungsregeln und die übergeordneten WTO- Regeln können zwar die Konkurrenz zwischen den Industriestaaten fördern und somit zu geringeren Bezugskosten für die Entwicklungsländer führen. Sie hindern die Länder des Südens zugleich daran, mit gezielter staatlicher Beschaffungspolitik einheimische Unternehmen zu bevorzugen, was entwicklungspolitisch sinnvoll sein kann. Ende April 2004 veröffentlichte die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag über den “Zugang zur Außenhilfe der Gemeinschaft”, der diesem Dilemma abhelfen will und - zumindest in seinen Absichten - auf einen gleichberechtigen Zugang der Entwicklungs- und Tranformationsländer zu den entwicklungspolitischen Finanzinstrumenten der EU abzielt. Dass die gute Absicht der NGOs sich unversehens ins Gegenteil verkehren und sich gegen sie selbst richten kann, zeigt allerdings die Absicht der Kommission, auch die NGO-Kofinanzierung in diese Rahmenverordnung mit einzubeziehen. So müssten europäische NGOs künftig nicht nur mit ihren Partnerorganisationen in Entwicklungsländern, sondern ebenso mit großen NGOs aus Australien, Japan oder den USA konkurrieren.
In der jüngsten Zeit kennzeichnet - angesichts des dramatischen Rückgangs der ODA in den neunziger Jahren - vor allem ein Begriff die neue Denkrichtung: aid efficiency, also größere Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Stärkung nationaler ownership (Eigenverantwortung des Partnerlandes - vergl. “der überblick” 4/2000). Denn um die Entwicklungsziele zu erreichen, welche die UN-Millenniumserklärung und die UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung vom März 2002 in Monterrey, Mexiko bis zum Jahr 2015 gesetzt haben, wären pro Jahr zusätzliche Hilfsgelder von 50 Milliarden US-Dollar nötig. All das spricht gegen Lieferbindung.
Auch der neue Ansatz der nationalen Strategien, um die Armut zu bekämpfen, der Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP), geht in diese Richtung. Das sind unter Einflussnahme der Weltbank erarbeitete nationale Rahmenprogramme zur Armutsbekämpfung, an denen die Bevölkerung beteiligt werden soll. Da Salil Shetty, der bisherige Chef-Campaigner von Action Aid UK, Ende 2003 nach New York wechselt, wo er für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) als Direktor für die MDG-Kampagne zuständig ist, kann erwartet werden, dass das Thema Lieferbindung auch in der künftigen internationalen Diskussion über die Erreichung der 2015-Ziele eine prominente Rolle spielen wird.
Über die bisherigen Erfolge, vor allem die Umsetzung der DAC-Empfehlung zu den ärmsten Ländern, herrscht mittlerweile Ernüchterung. Aus einem Bericht zur Situation in Frankreich, Spanien, Italien und den USA, den die Action Aid Alliance zum DAC-Treffen im April 2003 veröffentlicht hat, geht hervor, dass in den zwei Jahren, seit die Empfehlungen bestehen, nur Frankreich mit konkreten Reformschritten begonnen hat. Italien und Spanien haben sich zumindest theoretisch zur Umsetzung bekannt, während sich die USA - entgegen ihrer sonstigen Bekenntnisse zum globalen Wettbewerb und freien Märkten - völlig unbeeindruckt zeigten und auch weiterhin keine Angaben über den Grad ihrer Lieferbindung veröffentlichen.
Eine offizielle Überprüfung im Auftrag des DAC, ob sein Beschluss umgesetzt worden ist, ist erst im Jahre 2009 geplant. Bis dahin sind weitere Initiativen eher von der EU zu erwarten als von der OECD. Der EU-Ministerrat hatte im Mai 2003 die EU-Kommission beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie - zumindest für Anbieter aus Entwicklungsländern - bei von der Kommission verwalteten EU-Programmen von der Lieferbindung abgesehen werden könne. Anbieter aus anderen Industriestaaten sollen aber nur zum Zuge kommen können, wenn deren Regierung ebenfalls die Lieferbindung aufhebt, womit die EU auf die USA zielt. Das Europäische Parlament ging in seiner Entschließung vom 4. September 2003 sogar noch einen Schritt weiter und forderte, dass die Lieferbindung sämtlicher öffentlicher Entwicklungshilfe der EU und ihrer Mitgliedstaaten bis 2009 aufgehoben wird.
Wenn man der Kommission trauen kann, so sind die EU-Mitgliedstaaten bereits auf dem richtigen Weg. Denn im vergangenen Jahr hat sich der Anteil der ungebundenen Hilfe an der gesamten Hilfe der EU-Mitgliedstaaten mehr als verdoppelt: Von 20 Prozent im Jahr 2002 sei er auf 46 Prozent im Jahr 2003 angewachsen, so weist es jedenfalls ein Bericht der EU- Kommission vom März 2004 zur Umsetzung des Monterrey Konsensus aus (der Abschlussvereinbarung der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung). Wie bei dem halb vollen oder halb leeren Glas bedeutet das auch, dass immer noch mehr als die Hälfte der Entwicklungshilfe der EU-Staaten der Lieferbindung unterworfen bleibt.
Gebundene HilfeBeispiele aus BangladeschDer Buy American Act ist ein Gesetz der USA, das den Kauf amerikanischer Produkte bei bestimmten öffentlichen Aufträgen vorschreibt. Die amerikanische Auslandhilfe soll deshalb vorzugsweise dazu benutzt werden, Güter und Dienstleistungen einzusetzen, die in den USA hergestellt wurden. US-Transportfirmen sollen die Hilfe ausliefern, und dabei sind amerikanische Schiffe und Flugzeuge zu benutzen und dergleichen. Diese Politik wird von der amerikanischen Entwicklungsagentur USAID strikt befolgt und in all ihren Projekten angewendet. Bei den meisten Geberstaaten bezieht sich Lieferbindung in der Regel auf die Finanzierung und Durchführung technischer Projekte in wirtschaftlich interessanten Regionen, also in Schwellenländern. Eine Studie der nichtstaatlichen Hilfsorganisation Action Aid Bangladesh aus dem Jahr 2003 belegt aber, dass selbst bei einem auf nichtstaatliche Organisationen (NGOs) abzielenden Programm zur Förderung von Grundgesundheitsdiensten mit einem Etat von 60 Millionen US-Dollar regelmäßig amerikanischen Organisationen und Beratern der Vorzug vor (reichlich vorhandenen) lokalen Experten gegeben wurde. Die gleiche Studie belegt, dass auch die französische Entwicklungshilfe heimische Firmen fördert. In den achtziger Jahren wurde in einer Regierungsvereinbarung zwischen Frankreich und Bangladesch die Zusammenarbeit beim Ausbau der städtischen Wasserversorgung beschlossen. In Protokollen vom März 1990 und Dezember 1991 wurden Zuschüsse in Höhe von knapp einer Million US-Dollar für das Projekt zugesagt. Sämtliche Aufträge für Gutachten und elektro-mechanische Arbeiten gingen dann - wie in den Protokollen vereinbart - an französische Firmen. Auf ähnliche Weise versuchte Dänemark noch vor wenigen Jahren, mit einem Vertrag über liefergebundene Hilfe an Bangladesch die heimische Schiffbauindustrie zu stützen. Der Vertrag sah vor, dass nach Bangladesch gelieferte Fährschiffe in Dänemark repariert oder - bei kleinen Reparaturen - zumindest Ersatzteile aus Dänemark verwendet werden müssen. Der Preis für diese Reparaturen lag rund viermal höher, als wenn sie in Bangladesch selbst mit Ersatzteilen aus der Region vorgenommen worden wären. Deshalb drängte die Regierung Bangladeschs darauf, den Anteil lokaler Arbeit und Zulieferung zu erhöhen. Daraufhin stornierte Dänemark im April 2002 eine Hilfszusage in Höhe von 45 Millionen US-Dollar, die laut Vertrag für die Reparatur der Fährschiffe vorgesehen war. Klaus Wardenbach |
aus: der überblick 03/2004, Seite 24
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Klaus Wardenbach:
Klaus Wardenbach ist Koordinator des Projekts "Perspektive 2015" zu den "Millennium Development Goals" im Berliner Büro von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen.